Livedo racemosa (Übersicht) M30.8

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

Co-Autor: Dr. med. Lukas Kofler

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Zuletzt aktualisiert am: 27.10.2022

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Synonym(e)

Asphyxia reticularis multiplex; Inflammatio cutis racemosa; Livedo racemosa generalisata; livedo vasculitis (engl.); Livedovaskulitis; Vasculitis racemosa

Erstbeschreiber

Ehrmann, 1907

Definition

Das klinische Bild der Livedo racemosa (s. die unterschiedliche Nomenklatur in der angloamerikanischen Literatur) ist ein monitorisches Zeichen, das durch lokalisierte oder generalisierte, selten einseitige, bizarre, netzartige nicht ringartige sondern durchbrochene Ringstrukturen (s.Abb.), rötlich-livide Hautzeichnungen, die je nach Umgebungstemperatur eine unterschiedlich intensive Rot-Blaufärbung gekennzeichnet ist.

Pathophysiologisch entsteht das Symptom  "Livedo racemosa" durch eine fokale Verlangsamung des Blutflusses, resultierend in einer unregelmäßigen, regional schwankenden Oxygenierung des kapillären Blutes (s.a.u. Livedo).

Im Gegensatz zur funktionellen Livedo reticularis liegen dem bizarren Eythemmuster organische , meist thrombotische Verschlüsse von Hautgefäßen zugrunde, die zu der Zirkulationsstörung der Hautbezirke führen. Es handelt sich somit stets um eine vaskuläre Sytemerkrankung die monoorganisch die Haut betreffen kann, aber auch polyorganisch andere Versorgungsgebiete miteinbeziehen kann (z.B. bei Calciphylaxie, Cholesterin-Embolie, Antiphospholipid-Syndrom, Sneddon-Syndrom u.a.).     

Einteilung

  • Idiopathische Livedo racemosa (monotopische oder lokalisierte Form):  diese Form der Livedo racemosa kann als monoorganische Verlaufsform auf die Haut beschränkt bleiben. Sie kann aber auch nach einem unterschiedlichen langen Zeitraum in die systemische Form übergehen.
  • Generalisierte Livedo racemosa (Sneddon-Syndrom): kann aus der idiopathischen Livedo racemosa hervorgehen.  S.u. Livedosyndrome
  • S.a. Livedovaskulopathie
  • S.a. Ulcus cruris hypertonicum
     

Ätiopathogenese

Lokalisation

Vor allem Beine, Oberarme, Gesäß, Rücken, vordere Rumpfpartien .

Klinisches Bild

Bizarr geformte, blitzfigurenartige, streifige oder netzförmige, bläulich-rote, im Muster nicht wechselnde, ortsständige Hautverfärbungen. Leichte Abblassung unter Glasspateldruck. Selten Ulzerationen.

Labor

Thrombozytose kann gefunden werden.

Histologie

Die (tiefe Exzisionsbiopsie!) Probeexzision sollte periläsionale, klinisch normal erscheinende Haut einschließen. Vollständige und serielle histologische Aufarbeitung der Haut ist erforderlich. An den kleinen Arterien der Dermis und des angrenzenden subkutanen Fettgewebes finden sich endangiitische Veränderungen mit Intimawucherung und fibrinoider Nekrose. Abschnittsweise Obliteration der Gefäßlumina. Spärliche perivaskuläre entzündliche Infiltrate.

Differentialdiagnose

Klinische Differenzialdiagnose:

  •  Livedo reticularis (im angloamerikanischen Sprachgebrauch mit Livedo racemosa bezeichnet!): Diese funktionelle Störung läßt sich am besten durch den Begriff "Cutis marmorata" umschreiben. Hierbei zeigt sich eine kälteinduzierte, großmaschige livide Marmorierung, je nach Form Verschwinden oder Auftreten nach Erwärmung bzw. Abkühlung. Häufig periphere Akrozyanose. Stets fehlt die zackige "blitzfigurenartige" Zeichung der Livedo racemosa (Ausschlußphänomen).   
  •  Livedovaskulopathie: Retikuläre, sattrote, livide, infiltrierte Erytheme mit Ausbildung bizarrer, meist sehr schmerzhafter (nicht das Livedobild sondern der stechende Dauerschmerz führt zum Arzt!), therapieresistenter Ulzera. Ulzera sind untypisch für die Livedo racemosa (Ausschlußphänomen).
  • Sneddon-Syndrom: eine Livedo racemosa kann monitorisches Zeichen einer potenziell lebensbedrohlichen, systemischen, thrombotische  Vaskulopathie sein (Trias: Livedo racemosa, zebrovaskuläre Insulte mit neuropsychiatrischen Auffälligkeiten, labilen arterielle Hypertonie)

  •  Poly- (Peri-)arteriitis nodosa: 1,0 - 5,0 cm große, zunächst derbe, meist sehr druckdolente, auch spontan schmerzhafte, rötlich bis livid gefärbte Plaques oder Knoten (Eisbergphänomen) mit Tendenz  zur schmerzhaften Ulzeration. Ein blitzfigurenartiges Livedobild kann Teil der klinischen Symptomatik sein.
  •  Embolia cutis medicamentosa: Akutes Geschehen, Minuten bis wenige Stunden nach einer i.m. Injektion auftretend (Anamnese führt zu einer Ausschlußdiagnose!), schmerzhafte, brettharte Infiltration mit  blitzfigurenartiger Hautzeichnung. Sekundär: Entwicklung tiefer Ulzerationen, die mit bizarr geformten atrophischen Narben abheilen. 
  • Arteriosklerotische Verschlussulzera (s.u. Ulcus cruris hypertonicum): Nicht selten auf dem klinischen Bild der Livedo racemosa aufpfropfend (hier unterliegende Arteriolosklerose), Ausbildung von hämorrhagischen, zackig begrenzten, sehr schmerzhaften Ulzera. Stets Nachweis einer peripheren AVK.
  •  Cutis marmorata teleangiectatica congenita: Kongenital auftretendes Krankheitsbild (Ausschlußkriterium) mit unsymmetrisch verteilter Cutis marmorata mit Teleangiektasien und Phlebektasien; häufig auffallend dünne, durchscheinende (atrophische) Haut mit deutlicher Venenzeichnung.
  • Calciphylaxie: Lokalisiertes, meist symmetrisches Bild der razemösen (blitzfigurenartigen) Livedo; diese wird begleitet durch lineare oder auch flächenhafte, 2,0 bis 20 cm große, eminent schmerzhafte, harte, rote oder auch hautfarbene Plaques oder Knoten. Meist auch schmerzhafte Ulzera unterschiedlicher Größe. 

Histologische Differenzialdiagnose:

  •  Livedo reticularis: Nur graduelle Veränderungen zu einem Normalbefund. Gfls. Erweiterung der postkapillären Venolen des oberflächlichen und tiefen Gefäßplexus.
  • Calciphylaxie: Thrombosierte dermale und subkutane Gefäße mit ausgeprägten basophilen Kalkablagerungen im Lumen und den Wänden (Ausschlußphänomen).    
  •  Dermatoliposklerose (Stauungsdermatose): Intralobuläre lipomembranöse (membranozytische) Fettnekrose sowie ausgeprägte septale Sklerosierung. Im fortgeschrittenen Stadium einer Dermatoliposklerose findet man breite sklerosierte Septen mit englumigen wandverdickten Kapillaren und Venolen mit PAS-positiven perivasalen Fibrinhülsen, sowie Makrophagen und Fibroblasten. In der Dermis: Perivaskuläre superfizielle und tiefe sklerosierende Dermatitis mit wandverdickten, glomerulumartig geknäulten Gefäßen.
  •  Leukozytoklastische Vaskulitis:Zeichen der Gefäßwandnekrosen mit  Neutrophileninfiltration und  perivaskulärem Kernstaub.
  •  Thrombophlebitis migrans: Sklerosierende Endophlebitis (Riesenzellvaskulitis) mit komplettem oder partiellem Verschluss der Gefäßlumina durch Thromben. Häufig Nachweis von Riesenzellen.

Therapie

  • Grunderkrankung subtil abklären, Therapie entsprechend der Grunderkrankung. Striktes Rauchverbot, Absetzen oraler Kontrazeptiva u. Thrombozytenaggregationshemmer (z.B. ASS).
  • Bei starker Schmerzsymptomatik ist der Versuch mit IVIG (0,5 g/kg KG, alle 4 Wochen) empfehlenswert. 2021 wurde an einem verhältnismäßig großen Kollektiv retrospektiv das Therapieransprechen auf IVIG (2 g/kg KG über 5 Tage) untersucht (Kofler et al.). Hier zeigte sich ein gutes Ansprechen und eine Verbesserung hinsichtlich Ulzeration, Schmerz und Einschränkungen im täglichen Leben.
  • Bei der idiopathischen Form ohne weitere Krankheitszeichen keine weitere Therapie erforderlich, jedoch engmaschige Verlaufsbeobachtung, da das Symptom "Livedo" einer vaskulären Systemerkrankung vorausgehen kann.

Verlauf/Prognose

Bei rein kutanem Befall günstig; ansonsten ungünstig durch Mitbefall von Herz, Niere und Gehirn (Infarkt, Apoplex), da Progredienz nicht aufzuhalten ist.

Literatur
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    Int J Low Extrem Wounds 15:78-81.
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