Urinuntersuchung

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 14.11.2021

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Erstbeschreiber

Synonyme

Harnuntersuchung; Harnanalyse; Harnanalytik; Urinuntersuchung; Urinanalyse; Urinanalytik;

 

 

Erstbeschreiber

Bereits in den frühen Schriften Hippokrates (460 – 375 v. u. Z.) wurde dem Urin eine besondere Bedeutung beigemessen. Man achtete seinerzeit insbesondere auf Farbe und Contenta, zu denen nephele (Wolke), enaiorema (Suspension) und hypostasis (Niederschlag) zählten.

Ein Lehrsatz aus dem Prognostikon lautet: 

„Wolken, die im Urin schwimmen, sind ein gutes Zeichen, wenn sie weiß sind, ein schlechtes, wenn sie schwarz sind.“ (Büttner 1991).

Eine Publikation über onkologische Zytologie verfasste als Erster V. D. Lambl im Jahre 1856. Er beschrieb auch die nach ihm benannten Giardia lamblia, die Erreger der Lambliasis. Jedoch erst die 1945 veröffentlichte Arbeit des Zytopathologen G. N. Papanicolaou (1883 – 1972) und des Urologen V. F. Marshall „Urinsediment smears as a diagnostic procedure in cancer of the urinary tract“ stellte den entscheidenden Durchbruch in der onkologischen Urinzytologie dar (Rathert 2018).

Fairley und Birch berichteten 1982 erstmals über eine Methode zum Nachweis einer glomerulären Hämaturie, wobei sie im Phasenmikroskop typische morphologische Veränderungen der Erythrozyten nachwiesen. Sie bezeichneten die veränderten Erythrozyten als „Dysmorphismus“ (Kuhlmann 2015).

Die zentrale Bedeutung der Urindiagnostik wird auch darin deutlich, dass das Glas zur Harnbeschau, die sog. Matula im Mittelalter das Erkennungszeichen der Ärzte allgemein war. Noch heutzutage ist die Matula u. a. im Emblem des Berufsverbandes der Deutschen Urologen enthalten (Rathert 2007).

Einteilung

Die Urinuntersuchung ist sowohl mit Spontanurin als auch mit 24 h Sammelurin möglich.

Eine sachgemäße Präanalytik ist für die Spontan- Urinuntersuchung allerdings von zentraler Bedeutung. 

Spontanurin:

  • Körperliche Anstrengungen

Der Patient sollte große körperliche Anstrengungen in den 72 h vor der Urinprobe meiden, da ansonsten eine falsch pathologische Proteinurie und Mikrohämaturie auftreten können.

  • Morgenurin

Im stationären Bereich wird i. d. R. der 1. Morgenurin verwendet, im ambulanten Bereich die 2. Portion des Tages. Um einen konzentrierten Urin zu erhalten, sollte der Patient zuvor nicht zuviel trinken.

  • Menstruation

Während der Menstruation sollte bei Frauen möglichst keine Urinprobe verwendet werden.

  • Mittelstrahlurin

Nachdem die erste Urinportion verworfen wurde, wird der sog. Mittelstrahlurin aufgefangen und zur Untersuchung verwendet.

Hegele (2015) empfiehlt ausschließlich bei Männern den Mittelstrahlurin zu verwenden, bei Frauen sollte man mit einem sterilen Einmalkatheter den Urin direkt aus der Blase entnehmen und bei Kindern den suprapubischen Blasenpunktionsurin.

  • Verarbeitung

Die Verarbeitung des Urins sollte innerhalb von maximal 2 Stunden erfolgen.

(Herold 2021)

 

24 h Sammelurin

Dem Patienten sollte genau erklärt werden, wie der Urin zu sammeln ist, da ansonsten die Fehlermöglichkeiten sehr hoch sind. In den USA z. B. wird von den Fachgesellschaften die Verwendung von Sammelurin nicht mehr empfohlen (Kuhlmann 2015).

  • Anleitung Sammelurin:

Der 1. Morgenurin wird um 8.00 Uhr in die Toilette entleert, anschließend sollte jede Urinabgabe in das dafür vorgesehene Sammelgefäß gegeben werden, einschließlich des 1. Urins am anderen Morgen um 8.00 Uhr. Nach dieser Anleitung kann man damit rechnen, dass bei 80 % eine glaubwürdige Urinsammlung erfolgt (Kuhlmann 2015).

Indikation für einen Sammelurin sind:

  • Nephrolithiasis mit Bestimmung von
    • Oxalat
    • Magnesium
    • Kalzium
    • Harnsäure
    • Zitrat
    • Phosphat

(Keller 2010)

  • Kreatinin- Clearance 
  • Quantifizierung einer Proteinurie (Normwert 150 mg / d [Kuhlmann 2015])
  • bei V. a. eine Hormonerkrankung (insbesondere der Nebennieren)

(Manski 2019)

  • Normwerte für den 24- h- Urin:
    • pH: 4,4 – 7,5
    • spez. Gewicht 1,010 g / ml – 1.024 g / ml
    • Osmolalität 500 – 800 mosm / kg 
    • Harnstoff 25 g – 35 g / 24 h
    • Harnsäure 0,3 g / 24 h – 0,5 g / 24 h
    • Protein < 150 mg / 24 h – 300 mg / 24 h
    • Magnesium 4 mmol / l – 8 mmol / l
    • Kalzium < 7,5 mmol / 24 h
    • Harnsäure 0,3 g / 24 h – 0,6 g / 24 h
    • Zitrat
    • Phosphat

(Manski 2019)

Die Kreatinin- Clearance, welche Rückschlüsse auf die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) erlaubt, lässt sich aus dem Sammelurin nach folgender Formel berechnen:

Cl crea [ml / min] = Ucrea x Uvol dividiert durch Screa x 1440

(Manski 2019)

Im Internet gibt es inzwischen zahlreiche Laborrechner dazu wie z. B.

https://www.wisplinghoff.de/fuer-aerzte/formelsammlung/niere-berechnung-der-endogenen-kreatinin-clearance/

 

 

Zu den Harnuntersuchungen zählen:

  • 1. Visuelle und olfaktorische Begutachtung

Eventuelle Verfärbungen, Trübungen des Urins oder auch Geruch können erste Hinweise auf einen bestehenden Infekt seien (Hegele 2015). 

 

  • Visuelle Begutachtung

Die Intensität der normalen Harnfarbe, welche durch den Urochromgehalt hervorgerufen wird, verhält sich proportional zum spezifischen Gewicht und gegensätzlich zum Harnvolumen, d. h. 

im Durstversuch:

  • verfärbt sich der Harn dunkel bis bernsteinfarben
  • steigt das spezifische Gewicht bis maximal 1.035 g / l an
  • besteht eine hohe Osmolalität von bis zu 1.200 mosm / kg

nach Wasserbelastung:

  • wird der Urin wasserhell
  • sinkt das spezifische Gewicht auf Werte bis zu 1.001 g / l
  • sinkt die Osmolalität bis auf 50 mosm / kg

(Herold 2021)

Klassische Ausnahmen davon sind z. B. der Diabetes mellitus. Hierbei findet sich bei der Polyurie zwar eine helle Harnfarbe, aber das spezifische Gewicht ist durch die Glukosurie deutlich erhöht, ebenso durch eine Proteinurie, da Proteine ein relativ hohes spezifisches Gewicht haben (Herold 2021).

 

  • Olfaktorische Begutachtung
    • sauer bis obstartig: z. B. bei dekompensiertem Diabetes mellitus, Ketoazidose
    • strenger Geruch nach Fleisch: bei nekrotischem Zellmaterial, Pyurie etc.

(Risler 2008)

 

 

  • 2. Teststreifenuntersuchung

Mit einem Urinteststreifen, im Alltag auch „Stix“ genannt, lassen sich folgende Parameter messen:

  • 2. a. pH- Wert

Normwert: Morgenurin 5 – 6, im Tagesverlauf treten dann große Schwankungen auf (Manski 2019).

Ein saurer pH- Wert tritt z. B. bei Diarrhoe, Fasten, Azidose etc. auf, ein alkalischer z. B. bei Harnwegsinfektionen.Näheres s. Urin- pH.

 

  • 2. b. Osmolalität

Der Normwert liegt zwischen 1002 – 1030 mosmol / l.

Bei der Antidiurese steigt die Osmolalität auf Werte > 1025 mosmol / l und bei einer Wasserdiurese liegt sie zwischen 1002 – 1010 mosmol / l (Risler 2008).

 

  • 2. c. Leukozyten

Normwert: < 10 µl (Manski 2019)

Die Leukozyturie erfolgt durch Nachweis der Granulozyten- Esterase- Aktivität (Risler 2008). Eine Leukozyturie tritt in erster Linie bei einem Harnwegsinfekt auf. Falls die Urin durch die hohe Anzahl der Leukozyten gelb verfärbt wird, spricht man von einer sog. Pyurie.

Die Leukozyturie bei sterilem Harn kann im Rahmen einer Schwangerschaft auftreten, ebenso bei Urethritis, GonorrhoeAnalgetikanephropathie, Urogenital- Tuberkulose u. a. Erkrankungen.

Falsch positive Befunde treten bei Frauen in bis zu 40 % durch Fluor auf (Herold 2021).

 

  • 2. d. Erythrozyten / freies Hämoglobin:

Der physiologische Wert für Erythrozyten liegt bei ≤ 5 / µg Urin (Kasper 2015). Ab > 5 Erythrozyten pro Gesichtsfeld spricht man von einer (Mikro-) Hämaturie (Manski 2019).

Der Nachweis von Erythrozyten deutet hin auf z. B. Nephrolithiasis, Harnblasenentzündunginterstitielle Nephritis (Keller 2010) oder ein tumoröses Geschehen. Ein falsch negatives Ergebnis findet man bei hohen Konzentrationen von Vitamin C oder Harnsäure (Risler 2008)

 

  • 2. e. Konjugiertes Bilirubin, Urobilinogen

Normwert: negativ bzw. für Urobilinogen < 1 mg / dl (Manski 2019).

Der Nachweis von Urobilinogen > 1 mg / dl und das Vorkommen von konjugiertem Bilirubin sind ein Hinweis auf eineLebererkrankung, Hämolyse, Porphyrie u. a. (Risler 2008).

 

  • 2. f. Glukose:

Der Normwert liegt beim Morgenurin < 1,1 mmol / l (Manski 2019).

Positiv auf Glukose wird beim Stix erst ab einem Wert von ca. 500 mg / l angezeigt. Falsch negative Ergebnisse finden sich bei einem Urin- pH < 5 (Risler 2008).

Verursacht werden kann die Glukosurie durch z. B. Diabetes mellitus oder eine proximale tubuläre Nierenschädigung (Kuhlmann 2015). 

 

  • 2. g. Nitritnachweis

Normwert: negativ (Manski 2019)

Zu einem positiven Nitritnachweis kommt durch Nitrat- reduzierende Bakterien wie z. B. E. coli, Klebsiellen, Proteus mirabilis, Salmonellen. Falsch negative Ergebnisse können bei einem Urin- pH um 4 – 5, bei Hyposthenie, Polyurie und Nicht- Nitritbildner auftreten (Risler 2008).

 

  • 2. h. Proteine:

Der Urinstix erlaubt eine semiquantitative Beurteilung auf Proteine. Er erfasst nahezu ausschließlich Albumin und dieses nur im Makroalbuminbereich von > 200 mg / dl. Ein breiteres Proteinspektrum zeigen die Biuret- und Trichloressig- Methode (Herold 2021).

Der Normwert für Albumins liegt bei < 30 mg / 24 h, andere Eiweiße - insbesondere das Bence- Jones- Protein - könnenmit dem Stix nicht nachgewiesen werden.

Eine Erhöhung des Albumins findet sich z. B. bei einer Hypertonie oder diabetischen Nephropathie (Keller 2010). Ausführliche Angaben zur näheren Bestimmung der Quantität und Qualität der Proteine s. u. Punkt 6: „Spezielle Nachweismethoden“.

 

  • 2. i. Ketonkörper:

Ketonkörper sind beim Gesunden i. d. R. nicht im Urin nachweisbar (Manski 2019). Sie stammen aus dem Fettabbau und werden von Muskelzellen als Energiequelle benutzt (Herold 2021). Nachgewiesen werden können diese z. B. beim Hungern, beim Diabetes mellitus als Vorbote einer Ketoazidose oder beim Alkoholismus (Kuhlmann 2015).

 

  • 2. j. Spezifisches Gewicht:

Normwert 1.003 – 1.030 (Manski 2019)

Im Durstversuch steigt das spezifische Gewicht auf bis zu 1.035 g / l an und sinkt bei einer Wasserbelastung auf Werte bis zu 1.001 g / l ab. Unabhängig davon steigt das spezifische Gewicht durch eine Glukosurie oder Proteinurie deutlich an, da beide über ein hohes spezifisches Gewicht verfügen.

(Herold 2021 /Hegele 2015 / Keller 2010).

 

 

  • 3. Urinsediment

Zur mikroskopischen Untersuchung des Harnsedimentes werden zunächst ca. 10 ml frischer Urin zentrifugiert und anschließend ca. 1 Tropfen auf das Trägerglas aufgebracht. Die Beurteilung bezieht sich immer auf die Maßeinheit „pro Gesichtsfeld“. Zum Nachweis der Decoy- Zellen ist allerdings eine Spezialfärbung erforderlich (Risler 2008).

Indikationen für die mikroskopische Untersuchung sind wiederholte Hämaturie und / oder Proteinurie im Streifentest (Herold 2021), V. a. eine Beteiligung der Niere an einer Systemerkrankung oder V. a. eine Nierenerkrankung bislang unklarer Genese (Keller 2010).

Im Harnsediment können Aussagen getroffen werden über:

  • 3. a. Erythrozyten:

Bei einer Mikrohämaturie finden sich mikroskopisch ≥ 2 - 5 Erythrozyten / Gesichtsfeld (im sog. „high- power- field“ [Kasper 2015]) . Im klinischen Alltag liegt die Prävalenz zwischen 4 % - 5 % (Herold 2021).

Die Makrohämaturie hingegen ist mit bloßem Auge erkennbar und tritt häufig zusammen mit einer Proteinurie auf (Manski (2020). Bei einer Makrohämaturie sollte stets eine umgehende Abklärung erfolgen (Herold 2021).

Man differenziert bei der Hämaturie zwischen einer glomerulären und einer extra- glomerulären Hämaturie. Bei der glomerulären Form sind > 5 % Akanthozyten nachweisbar. Diese stellen dysmorphe Erythrozyten dar und sind in typischer Ringform mit Ausstülpungen angeordnet (auch als sog. „Mickymaus- Ohren“ bezeichnet). Die glomeruläre Hämaturie tritt z. B. bei Glomerulonephritiden auf (Herold 2021).

Bei der extra- glomerulären Hämaturie finden sich iso- oder eumorphe Erythrozyten. Diese treten z. B. auf beiNephrolithiasis , Harnwegsinfekt oder Tumoren (Kuhlmann 2015).

 

  • 3. b. Leukozyten

Leukozyten treten in hoher Zahl vor allem im Rahmen eines Harnwegsinfektes auf. In gering erhöhter Anzahl findet man sie auch bei einer proliferativen Glomerulonephritis.

Eosinophile können bei einer interstitiellen Nephritis, chronischen Pyelonephritis u. a. auftreten (Kuhlmann 2015).

 

  • 3. c. Tubuluszellen

Diese findet man insbesondere bei einer tubulären Schädigung der Niere wie z. B. durch eine akute interstitielle Nephritis, zelluläre Abstoßung eines Transplantates, akute Tubulusnekrose (Kuhlmann 2015).

 

  • 3. d. Epithelzellen

Bei den Epithelzellen differenziert man zwischen 

  • Plattenepithelien:

Diese stammen aus der Harnröhre oder dem äußeren Genitalbereich und haben keinen Krankheitswert (Keller 2010). Bei Frauen findet man Plattenepithelien häufiger als bei Männern. 

  • Übergangsepithelien:

Sie kleiden die Innenwände der ableitenden Harnwege vom Nierenbecken bis zum oberen Teil der Urethra aus und tretenbei Entzündungen, Nephrolithiasis und Tumoren auf.

  • Nierenepithelien bzw. Tubuluszellen:

Diese findet man bei toxischen oder tubulären Schädigungen der Niere und bei der Transplantatabstoßung.

(Rathert 2018)

 

  • 3. e. Zylinder

Harnzylinder sind immer Ausgüsse des Tubuluslumens und somit beweisend für eine renale Herkunft. Man differenziert zwischen

  • hyalinen Zylindern:

Diese können auch bei Gesunden auftreten. In großen Mengen sprechen sie jedoch für eine Dehydratation oder einestärkere Proteinurie [Kuhlmann 2015]),

  • Erythrozytenzylindern:

Diese sind typisch für eine Glomerulonephritis (Herold 2021).

  • Leukozytenzylindern:

Finden sich in > 80 % bei einer chronischen Pyelonephritis. Sie treten auch bei einer Lupusnephritis auf (Kuhlmann 2015).

  • Epithelzylindern:

Diese sind nicht für eine Nierenerkrankung spezifisch. Sie können bei Schrumpfnieren, nephrotischem Syndrom, nach akuter Anurie etc. vorkommen (Herold 2021).

  • Fettzylindern:

Fettzylinder sind typisch für eine ausgeprägte Proteinurie, können aber auch bei Schädigungen der Tubuli unterschiedlicher Ursache auftreten (Kuhlmann 2015).

 

  • 4. Urinzytologie

Für die Urinzytologie empfiehlt es sich, Spontanurin zu verwenden, allerdings nicht den 1. Morgenurin und keinen 24 h Sammelurin. Die Patienten sollten, sofern diese mobil sind, leichte körperliche Bewegungen wie z. B. Treppensteigen, Kniebeugen etc. zuvor durchführen und ½ bis 1 l Wasser oder Tee zu sich nehmen, um die Zellausbeute zu erhöhen(Rathert 2018).

 

Indikationen für eine Urinzytologie sind:

  • Mikro- bzw. Makrohämaturie
  • unklare Dysurie
  • unklare Algurie
  • V. a. oder primäre Diagnostik eines Urotheltumors
  • postoperative Nachsorge bei Z. n. Urotheltumor
  • zum Screening bei Hochrisikopatienten wie z. B.:
    • Analgetikaabusus 
    • Nikotinabusus
    • berufliche Exposition kanzerogener Substanzen
    • bei Z. n. Strahlentherapie im pelvinen Bereich
    • Prostatakarzinom
    • gynäkologischen Tumoren
  • Patienten mit autosomal dominantem HNPCC- Lynch- Syndrom (Hereditary Non-Polyposis Colorectal Cancer), welche ein 50 % - 70 % Risiko haben, ein kolorektales Karzinom oder in 20 % - 60 % ein Endometriumkarzinom zu entwickeln (Kaiser 2020).
  • bei Verdacht auf vesiko- enterale Fisteln 
  • jährliche Kontrolluntersuchung bei Patienten mit Z. n. Nierentransplantation
  • bei Lebendspendern vor der Explantation
  • bei extraurologischen Tumoren mit penetrantem Wachstum
  • V. a. eine Glomerulonephritis zum Nachweis dysmorpher Erythrozyten
  • V. a. einen Virusinfekt

(Rathert 2018)

 

 

  • 5. Urinkultur / Erregerdiagnostik

 

  • 5. a.  Durchflusszytometrie:

Ein erstes Screeningverfahren stellt hierbei die Durchflusszytometrie dar, bei der es sich um ein automatisiertes und standardisiertes Verfahren zur Klassifizierung und Quantifizierung der Bakterien handelt. Ein Ergebnis liegt bereits nach 72 Sekunden vor. Aussagen zur Art und Vitalität der Bakterien sind hiermit allerdings nicht möglich (Helling 2002).

Die Durchflusszytometrie kann außerdem zum Nachweis neoplastischer Urothelien zusammen mit der konventionellen Zytometrie angewandt werden. Die Sensitivität liegt dann bei 93 % (Rathert 2007).

 

  • 5. b. Mikroskopische Untersuchung:

Durch diese Untersuchungen:

- können mikroskopisch Bakterien, Pilze und Protozoen nachgewiesen werden

- ist eine Erregerkultivierung möglich

Der pathologische Grenzwert liegt bei 100.000 Keimen / ml. Eine Ausnahme bilden Immunsupprimierte oder Patienten mit chronischer Pyelonephritis. Hier liegt der Grenzwert bei 10.000 Keimen / ml).

(Kuhlmann 2015)

 

  • 5. c. Bakterienkultur:

Bei der Anlage einer Bakterienkultur wird das Kulturmedium mit 10 µl Urin beimpft und anschließend für 24 h im Brutschrank bei 35 Grad inkubiert. Zusätzlich besteht die Möglichkeit der Anlage eines Antibiogramms, welches nach 48 h abgelesen werden kann (Helling 2002). 

Indikationen für eine Urinkultur sind:

  • bei asymptomatischen Patienten:
  • bei symptomatischen Patienten:
    • alle Patienten mit Ausnahme der Frauen bei V. a. einen Harnwegsinfekt
    • Hinweise auf komplizierte Harnwegsinfekte bei ambulanten Patienten
    • rezidivierende Harnwegsinfekte ambulanter Patienten
    • Fortbestehen der Symptomatik nach Beendigung einer Antibiose
    • Hinweis auf einen nosokomialen Harnwegsinfekt
    • Fieber oder Sepsis mit bislang ungeklärter Genese
    • bei besonderen klinischen Situationen mit gezielter Suche wie z. B.:
    • Immunsuppression
    • vor und nach interventionellen Eingriffen des Urogenitaltraktes
    • unklare Schmerzen im Abdomen oder der Flanke 
    • bei einer neurogenen Blasenentleerungsstörung (Kuhlmann 2015)
    • bei schwangeren Patientinnen sowohl bei der Erstvorstellung als auch in der 16 SSW
    • nach Antibiotikatherapie bei Schwangeren, Männern, kompliziertem Harnwegsinfekt und Pyelonephritis (Manski 2019)

 

  • 5. d. Immunchemische Tests

Bei immunchemischen Testverfahren kommt es zu einer Antigen- (spezifischen) Antikörperreaktion (Günzler 2013). Zu diesen Tests gehört z. B. der ELISA- Test (enzyme-linked immunosorbent assay).

Es lassen sich mit immunchemischen Tests z. B. nachweisen:

  • Schwangerschaft (Bruhn 2008)
  • Drogen (Tauber 2004)
  • Mikroalbuminurie (Gerok 2007)

Die Mikroalbuminurie, von der man bei einer Ausscheidung zwischen 30 mg – 300 mg / g Kreatinin spricht (Herold 2021), ist von entscheidender Bedeutung, da diese auf ein erhöhtes Risiko einer diabetischen oder hypertensiven Nephropathie hindeutet.

Die diabetische Nephropathie stellt das größte Risiko für eine chronische Dialysepflicht dar. Unabhängig von der Ursache der Mikroalbuminurie ist die kardio- vaskuläre Mortalität immer erhöht (Dikow 2003 /Kuhlmann 2015).

Ein falsch pathologisches Ergebnis der Mikroalbuminurie kann z. B. bei Frauen durch Fluor hervorgerufen werden, passager bei Fieber auftreten oder bei Werten < 1 g tagsüber und eiweißfreiem Nachturin auf eine orthostatische, überwiegend harmlose Proteinurie hinweisen (Herold 2021).

 

 

  • 6. Spezielle Nachweismethoden:

 

  • 6. a. Elektrophoretische Differenzierung der Proteinurie

Die Proteinurie ist definiert als eine Abweichung vom physiologischen Proteinmuster oder als ein Ausscheiden von > 150 mg Eiweiß in 24 h.

Man differenziert bei der Proteinurie zwischen:

  • Mikroalbuminurie:
    • 30 mg / d - 300 mg / d als Frühsymptom einer diabetischen Nephropathie
    • 20 mg / d – 200 mg / d als Frühsymptom einer hypertensiven Nephropathie
  • kleinmolekularer Proteinurie:
    • bis maximal 1,5 g / d durch tubuläre Schädigung
  • großmolekularer Proteinurie:
    • bis maximal 1,5 g / d durch geringe Glomerulopathien
  • klein- und großmolekularer Proteinurie: 
    • von 1,5 g / d – 3 g / d durch Transplantatniere, Nephrosklerose, chronische Glomerulonephritiden
  • großmolekularer Proteinurie:
    • > 3 g / d durch nephrotisches Syndrom

(Herold 2021)

 

  • 6. b. Elektrophorese

Mit Hilfe der Elektrophorese ist eine auf das Molekulargewicht bezogene Auftrennung der Proteine möglich. Es wird dabei zwischen folgenden Mustern differenziert:

  • Großmolekulare glomeruläre Proteinurie

Dazu zählen selektive und nicht- selektive Proteinurie.

Die selektive glomeruläre Proteinurie, bei der es zu einem vermehrten Austreten von Albumin kommt (Hofmann 2001), findet man z. B. bei einer Minimal- Change- Glomerulonephritis, einer EPH- Gestose (schwerwiegende Schwangerschaftskomplikation), einer diabetischen Nephropathie im Stadium III und einer Lupus- Nephritis mit geringer Aktivität (Manski 2019).

Die nicht- selektive glomeruläre Proteinurie, bei der neben Albumin auch höhermolekulare Proteine wie IgG nachweisbar sind (Hofmann 2001), deutet auf schwere glomeruläre Schäden hin und wird verursacht durch z. B. Lupus- Nephritis, Glomerulonephritis, EPH- Gestose und Amyloidose (Manski 2019).

 

  • Kleinmolekulare tubuläre Proteinurie

Normalerweise wird das niedermolekulare Beta 2- Protein glomerulär filtriert und tubulär rückresorbiert. Bei Schäden im Bereich der Tubuli finden sich jedoch im Urin erhöhte Werte niedermolekularer Proteine (Herold 2021). Die Schädigung der Tubuli kann verursacht werden durch z. B. die interstitielle Nephropathie oder das Fanconi- Syndrom (Kuhlmann 2015).

 

  • Glomerulär- tubuläre Mischproteinurie

Hierbei kommt es i. d. R. primär zu einer glomerulären Erkrankung mit vermehrter glomerulärer Durchlässigkeit für großmolekulare Proteine. Diese ruft ausgeprägte sekundäre Veränderungen der Tubuli hervor. Die glomeruläre Filtrationsrate ist reduziert. Man findet diese Kombination häufig bei Glomerulopathien mit tubulärer Beteiligung (Herold 2021) oder bei Diabetikern und Hypertonikern (Bob 2001).

 

  • Prärenale Proteinurie

Die prärenale Proteinurie wird auch als „Überlauf- Proteinurie“ bezeichnet. Im Endharn erscheint hierbei vermehrt gebildetes und filtriertes niedermolekulares Protein, da die tubuläre Rückresorptions- und Katabolisationsrate überschritten wurden. Die Nieren selbst sind funktionell intakt (Kuhlmann 2015). Dazu zählen:

  • Bence- Jones- Proteinurie

Die Bence- Jones- Proteinurie, die beim Plasmozytom auftritt, ist durch eine Teststreifenuntersuchung nicht nachweisbar. Kuhlmann (2015) empfiehlt deshalb, bei Patienten mit typischem Beschwerdebild und Alter zusätzlich immer die Sulfosalicylsäure- Probe. Sollte diese negativ ausfallen, erübrigt sich die weitere Diagnostik. 

Die Bence- Jones- Proteinurie lässt sich durch eine Acetatfolien- Elektrophorese und ein Immunelektrophorese / Immunfixation nachweisen (Kuhlmann 2015).

  • Hämoglobinurie (nach hämolytischer Krise)
  • Myoglobinurie (nach Muskeltrauma)

Bei den beiden Letztgenannten ist der Urin rot- braun verfärbt (Herold 2021).

 

  • Postrenale Proteinurie

Bei der Proteinausscheidung besteht zu ca. 1/3 aus physiologischen hochmolekularen Proteinen wie z. B. das Tamm- Horsfall- Protein (Ausscheidungsprodukt der Niere) oder sekretorisches IgA und IgG aus distalen Abschnitten, wie z. B. der Blase.

Von diesen physiologischen Proteinen ist die postrenale Proteinurie abzugrenzen, die bei Harnwegsinfektionen z. B. durch lokale Produktion von Immunglobulinen oder als Exsudation durch Tumoren oder Blutungen der ableitenden Harnwege entsteht (Frotscher 2013).

Verursacht werden kann die postrenale Proteinurie durch:

  • Harnwegsinfekte
  • Nephrolithiasis 
  • Tumoren im Bereich des Uro- Genitaltraktes 
  • artifizielle Proteinbeimengungen
  • Verletzungen (Plasmaproteine)
  • Menstruationsblut (Plasmaproteine)

(Jocham 2007 / Kuhlmann 2015)

Zur Differenzierung einer renalen von einer postrenalen Proteinurie eignen sich mehrere Möglichkeiten:

  • die Phasenkontrastmikroskopie (sollten > als 10 % Akanthozyten nachweisbar sein, ist das ein Hinweis auf eine glomeruläre Proteinurie)
  • Messung der hoch- und niedermolekularen Proteine (bei der postrenalen Proteinurie finden sich Proteine mit hohem Molekulargewicht)
  • Bestimmung von a2- Makroglobulin und IgG (diese Untersuchung kann ab einer Albuminausscheidung von > 100 mg / l zwischen renaler und postrenaler Proteinurie differenzieren [Renz 2003])

(Hofmann 2001)

 

  • 7. Vier- Gläser- Probe

Bei V. a. eine chronische Prostatitis sollte der Urin in 4 verschiedene Behälter aufgefangen werden, um diese anschließend mikroskopisch zu untersuchen. Es finden sich im:

  • 1. Glas: Keime der Urethr
  • 2. Glas: Harnblasenkeim
  • 3. Glas: Keime der Prostat
  • 4. Glas (nach Massage der Prostata): enthält ebenfalls Keime der Prostata

Da diese Untersuchung mit relativ hohem Aufwand verbunden ist, hat sich heutzutage die 2- Gläser- Probe durchgesetzt:

  • 1. Glas: Mittelstrahlurin mit Harnblasenkeimen
  • 2. Glas (nach Prostatamassage): Hierbei werden die ersten 10 ml Urin zur Untersuchung verwendet, sie enthalten ggf. Prostatakeime.

(Manski 2019)

 

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Bob A und K (2001) MLP Duale Reihe: Innere Medizin. Sonderausgabe. Thieme Verlag 601
  2. Bruhn H D et al. (2008) Labormedizin: Indikationen, Methodik und Laborwerte, Pathophysiologie und Klinik. Schattauer Verlag 382
  3. Dikow R et al. (2003) Mikroalbuminurie: Frühwarnsystem für den nierenkranken Diabetiker. Dtsch Arztebl 2003; 100(17): A- 1100 / B- 926 / C- 870
  4. Frotscher U (2013) Nephrologie: Eine Einführung für Studierende und Ärzte. Dr. Diettrich Steinkopff Verlag 28
  5. Gerok W et al. (2007) Die Innere Medizin: Referenzwerk für den Facharzt. Schattauer Verlag 718
  6. Guder W et al. (1991) Pathobiochemie und Funktionsdiagnostik der Niere: Zusammenarbeit von Klinik und Klinischer Chemie. Springer Verlag 1 – 21 
  7. Günzler H et al. (2013) Analytiker- Taschenbuch – Band 13 Springer Verlag 196
  8. Hegele A et al. (2015) Urologie: Intensivkurs zur Weiterbildung. Thieme Verlag 34 - 35
  9. Helling J F (2002) Automatisierte Bakterienzahl-Bestimmung im Urin mittels Durchflusszytometrie. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin in der Medizinischen Hochschule Hannover
  10. Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 599 – 604, 736
  11. Hofmann W et al. (2001) Harnuntersuchungen zur differenzierten Diagnostik einer Proteinurie: Bekanntes und Neues zu Teststreifen und Harnproteinen. Dtsch Arztebl 2001; 98 (12) : A- 756 / B- 618 / C- 578
  12. Jocham D et al. (2007) Praxis der Urologie in 2 Bänden. Band I. Thieme Verlag 31
  13. Kaiser F et al. (2020) Onkologische Erkrankungen in der Hausarztpraxis: Interdisziplinär – praxisorientiert – patientennah. Elsevier Urban und Fischer Verlag 48 
  14. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 292 - 293
  15. Keller C K et al. (2010) Praxis der Nephrologie. Springer Verlag 17 - 26
  16. Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 41 – 52, 539 - 541
  17. Manski D (2019) Das Urologielehrbuch. Dirk Manski Verlag 74 – 82
  18. Rathert P et al. (2007) Urinzytologie: Praxis und Atlas. Springer Verlag 2, 159
  19. Rathert P et al. (2018) Urinzytologie und Sedimentanalyse. Springer Verlag VIII – IX, 45 – 46
  20. Renz H (2003) Integrative Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin: Pathophysiologie – Pathobiochemie – Hämatologie. Walter de Gruyter Verlag 495
  21. Risler T et al. (2008) Facharzt Nephrologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 83 – 92
  22. Tauber W (2004) Immunchemische Tests im Urin zur Verlaufsbeurteilung von Drogenabusus: Hilfreiche Untersuchungsmethode. Dtsch Arztebl 2004; 101(46): A- 3116 / B- 2639 / C- 2515
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Zuletzt aktualisiert am: 14.11.2021