Glomerulonephritis akute postinfektiöse N08.0

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

Co-Autor: Christoph Rose

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Zuletzt aktualisiert am: 22.05.2025

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Synonym(e)

Akute postinfektiöse Glomerulonephritis; Akute postinfektiöse infektassoziierte Glomerulonephritis; Immunkomplexnephritis; PIGN; Postinfectious glomerulonephritis; Postinfektiöse akute infektassoziierte Glomerulonephritis; Post-streptococcal-glomerulonephritis; PSGN

Definition

Akute, immunmediierte, postinfektiöse Inflammation der Nierenglomerula, die insbesondere Kinder zwischen 5 und 15 Jahren betrifft (Wang D et al. 2017).

Ursächlich sind v. a. streptogene Infekte des Mund-Rachenraum (Angina tonsillaris, Pharyngitis), der Haut und Knochen (Erysipel, Impetigo, ggf. Osteomyelitis, etc.).

Weiterhin möglich bei bakteriellen Endokarditiden, bei Infektionen von ventrikulo-atrialen oder ventrikulo-jugulären Shunts.

Weniger häufige Pathogene sind nicht zur Gattung der Streptokokken gehörende bakterielle Erreger wie Staphylokokken. (Anm.: Verschiedene Autoren sehen die "Post-Staphylokokken-Glomerulonephritis" als eigene, IgA-vermittelte Entität. Glassock RJ et al. 2015), Viren (z. B. HBV, Parvovirus B19 - Marco H et al. 2016), Parasiten, Rickettsien, Pilze sowie Malaria-Erreger.

Bei Erwachsenen sind führende Infektpräkursoren (staphylogene) Hautinfektionen, gefolgt von Pneumonien und Harnwegsinfektionen.

Neben Staphylokokken sind Streptokokken und gramnegative Keime die Hauptverursacher (Nasr SH et al. 2011).

In seltenen Fällen waren bei Erwachsenen Skabiesinfektionen auslösende Ursache. (Wang D et al. 2017)

Vorkommen/Epidemiologie

In Industrieländern eher selten, in Entwicklungsländern (Kambham N 2012) oder bei bestimmten indigenen Völkern (Ramanathan G et al. 2017) von bedeutender Relevanz. Für Erwachsene gilt: m:w=2,8:1.

Ätiopathogenese

Unbekannt; es wird postuliert, dass sich mikrobielle Antigene an die glomeruläre Basalmembran binden; sie aktivieren direkt oder durch Bindung von zirkulierenden IgG-Antikörpern den alternierenden Komplementweg und induzieren eine ortsgebundene, zunächst neutrophile, später neutrophil/-monozytäre Inflammation. Weiterhin können sich infektassoziierte zirkulierende Immunkomplexe an der glomerulären Basalmembran niederschlagen, wodurch dann ebenfalls eine fokale, granulozytär-monozytoide Inflammation hervorgerufen wird. Ein derartiger Vorgang kann analog auch in Kapillaren der Haut beobachtet werden (Prinzip der Leukozytoklastischen Vaskulitis, klinisches Bild der palpablen Purpura).

Weitere bisher bekannte Antigene, die in der Pathogenese der PIGN eine Rolle spielen, sind der „Nephritis-associated plasmin receptor“ (NAPlr) sowie das „Streptococcal pyrogenic exotoxin B“ (SPeB). Beide Antigene, die sich durch eine Affinität zu glomerulären Proteinen auszeichnen, sind ebenfalls in der Lage, den alternativen Komplementweg zu aktivieren (Balasubramanian R et al.2017).

Manifestation

Etwa 5–10 % der Patienten mit Streptokokken-Pharyngitis und etwa 25 % der Patienten mit Impetigo entwickeln eine PIGN.

Klinik

50 % der Fälle von PIG verlaufen bei Kindern und Jugendlichen komplett asymptomatisch oder werden klinisch nicht diagnostiziert. Die andere Hälfte der Erkrankten wird nach einer Latenzphase von 6–21 Tagen (selten länger, bis zu 6 Wochen) symptomatisch. Typisch ist, dass sich der Patient nach einer normalen postinfektiösen Rekonvaleszenzphase erneut deutlich krank fühlt; Fieber ist allerdings selten.

  • Obligate Symptome sind: Mikrohämaturie + Proteinurie (< 3,0 g / 24 h)

Fakultative Symptome sind:

  • Ödeme (v. a. periorbital), Hypertonie
  • Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Schmerzen in der Lendenregion (Nierenkapselspannung)
  • Makrohämaturie (Urin wird dunkelbraun, rauchig oder rein blutig; in ca. 50 % der Fälle nachweisbar)
  • Neurologische Symptome: epileptische Anfälle, Somnolenz (Hirnödem)
  • Komplikativ: hypertone Krise mit Dyspnoe und Lungenödem. Es kann bei 1–2 % der Patienten bei schwerer Hypertonie zu Nierenversagen mit Flüssigkeitsüberladung und Herzversagen kommen (pulmorenales Syndrom mit Hämaturie und Hämoptyse).
  • Selten kann ein nephrotisches Syndrom (Proteinurie > 3,0–3,5 g / 24 h) nach Abklingen der Akutphase bestehen bleiben.

Labor

Urinstatus: meist mäßige Proteinurie (0,5–2,0 g / 24 h), dysmorphe Erythrozyten, Leukozyten, möglicherweise Erythrozyten-, Leukozyten- Granulozytenzylinder und Nierentubuluszellen.

Serumkreatinin: kann initial schnell ansteigen.

ASL: in 50 % erhöht

Bildgebung: Sonographie: große geschwollene Nieren

Immunologie:

  • Komplement: C3- während der aktiven Phase erniedrigt. Normalisierung bei 80 % der PIGN-Fälle innerhalb von 6–8 Wochen. Die C1q-, C2- und C4-Werte sind meist normal.
  • Kryoglobuline: Selten ist eine, meist passagere (wenige Monate), Kryoglobulinämie.
  • Anti-DNAse-B (=ADB-Titer) in 90 % erhöht bei Streptokokkeninfektionen (Impetigo contagiosa) der Haut.

Histologie

Vergrößerte und hyperzelluläre Glomeruli, initial mit neutrophilen, später mit mononukleären Infiltraten. Möglich sind zelluläre Proliferation und Ödem der Glomerula; Halbmondbildungen (durch Proliferation des Bowman-Kapselepithels); starke Einengung der Kapillarlichtung. Mesangiale Räume durch Ödembildung oft erheblich erweitert; sie enthalten neutrophile Zellen und Zelltrümmer.

Direkte Immunfluoreszenz (DIF): Nachweis von Immunkomplexablagerungen, IgG (seltener IgA) und Komplementfraktionen, die als „humps“, kleine Höcker, an der Außenseite der Basalmembran nachweisbar sind (Mascarenhas R et al. 2016).

Diagnose

Nachweis der vorausgegangenen Infektion, charakteristische Klinik, Labor; evtl. Nierenbiopsie (nur bei raschem und hohen Anstieg der Retentionswerte) zum Ausschluss einer RPGN (Rapid Progressive GN).  

Differentialdiagnose

Rapid progressive Glomerulonephritis (Retentionswerte bleiben hoch); IgA-Nephropathie (Makrohämaturie)

Therapie

Grundsätzlich ist die Behandlung der unkomplizierten PIGN konservativ bzw. supportiv. Sie umfasst körperliche Schonung, eine Restriktion der Protein-, Natrium- und Flüssigkeitszufuhr (Kanjanabuch T et al. 2009). Weiterhin: Antibiotische Therapie (3 Mega Penicilin/Tag über 10 Tage). Weitere symptomorientierte Therapien:

  • evtl. Herdsanierung unter Antibiotikaschutz (Sinnhaftigkeit wird kontrovers diskutiert)
  • Ödeme: diuretische Therapie (Schleifendiuretika)
  • Hypertonie: ACE-Hemmer oder Sartane
  • schwerer Verlauf/Komplikationen: Glukokortikoide, ggf. intermittierende Dialyse

Verlauf/Prognose

Eine symptomatische Therapie mit Überwachung der Nierenfunktion ist bei Kindern meist ausreichend und führt innerhalb von 6–8 Wochen (!) in 90 % der Fälle zur folgenlosen Abheilung (Sethi S et al. 2012); die GFR normalisiert sich in dieser Zeit. Eine leichte Proteinurie kann für 6–12 Monate fortbestehen, eine Mikrohämaturie über mehrere Jahre. Die renale Zellproliferation verschwindet innerhalb von Wochen, üblicherweise bleibt aber eine Sklerose bestehen. Bei ca. 50 % der Fälle verbleibt eine Einschränkung der Nierenfunktion. Bei Immunsupprimierten liegt dieser Wert bei > 50 %.

Erwachsene (häufig assoziiert mit Diabetes mellitus) weisen eine deutlich schlechtere Prognose als Kinder auf. 46 % der erwachsenen Patienten werden akut dialysepflchtig (Nasr SH et al. 2011).

 Bei 1 % der Kinder und 10 % der Erwachsenen entwickelt sich die PIGN zu einer rasch progredienten Glomerulonephritis (Rapid progressive GN). Die Ursachen für diesen atypischen Verlauf sind bisher unklar. Diskutiert werden Dysregulationen des alternativen Komplementweges, etwa Mutationen in den Genen, die für die Komplementbausteine codieren sowie in Antikörperbildung gegen die C3-Konvertase (Sethi S et al. 2012).

Prophylaxe

Frühzeitige und ausreichend lange antibiotische Therapie bei Infektionen mit beta-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A.

Hinweis(e)

Grundsätzlich ist eine PIGN bei Kindern und Jugendlichen mit Mikrohämaturie und leichter Proteinurie (sowie weiteren fakultativen PIGN-Symptomen), kürzlichen Infekten in der Anamnese (Streptokokken-Tonsillitis, Pharyngitis, Impetigo oder Erysipel), die sich erneut krank und leistungsgemindert fühlen, in Betracht zu ziehen. Der Nachweis einer Hypokomplementämie ist eine wesentliche Bestätigung. Eine Biopsie kann die Diagnose sichern, ist aber selten erforderlich. Unterstützende Behandlung führt im Allgemeinen zur Erholung der Nierenfunktion. 

Weitere Anmerkung! Es kann auch schon während einer persistierenden Infektion zur Ausbildung einer Immunkomplex-Glomerulonephritis kommen, z. B. bei Endokarditiden oder Weichteilabszessen.

Literatur
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  1. Balasubramanian R et al.(2017) Post-infectious glomerulonephritis. Paediatr Int  Child Health 37:240-247.
  2. Glassock RJ et al. (2015) Staphylococcus-related glomerulonephritis and poststreptococcal glomerulonephritis: why defining "post" is important in understanding and treating infection-related glomerulonephritis. Am J Kidney Dis. 65:826-832.
  3. Kambham N (2012) Postinfectious glomerulonephritis. Adv Anat Pathol 19:338-347.
  4. Kanjanabuch T et al. (2009) An update on acute postinfectious glomerulonephritis worldwide. Nat Rev Nephrol 5:259-269.
  5. Marco H et al. (2016) Postinfectious glomerulonephritis secondary to Erythrovirus B19  (Parvovirus B19): case report and review of the literature. Clin Nephrol 85:238-244.
  6. Mascarenhas R et al. (2016) IgA-Dominant Postinfectious Glomerulonephritis. Clin Pediatr (Phila) 55:873-876.
  7. Nasr SH et al. (2011) Postinfectious glomerulonephritis in the elderly. J Am Soc Nephrol 22:187-195.

  8. Ramanathan G et al. (2017) Analysis of clinical presentation, pathological spectra, treatment  and outcomes of biopsy-proven acute postinfectious glomerulonephritis in adult indigenous people of the Northern Territory of Australia. Nephrology (Carlton) 22:403-411.

  9. Sethi S et al. (2012) Atypical postinfectious glomerulonephritis is associated with abnormalities in the alternative pathway of complement. Kidney Int 83:293-299
  10. Wang D et al. (2017) Acute postinfectious glomerulonephritis associated with scabies in the elderly: A case report. Parasitol Int 66:802-805.

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