Analgetikanephropathie N14.0

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 21.04.2021

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Synonym(e)

analgesic nephropathy; Phenacetin- Nephropathie; Phenacetinniere; Phenacetin- Niere

Erstbeschreiber

Im Jahre 1953 beschrieben Spuhler und Zollinger erstmals eine durch den Abusus phenacetinhaltiger Mischanalgetika verursachte chronisch interstitielle Nephropathie (Heidbreder 2013).

 

 

Definition

Unter einer Analgetikanephropathie (AN) versteht man eine durch langjährigen Gebrauch von Misch- Analgetika hervorgerufene chronische tubulointerstitielle Nephritis mit Papillennekrose (Wolf 2020).

 

 

Vorkommen/Epidemiologie

Die Prävalenz der AN bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz lag vor 20 – 25 Jahren noch bei ca. 10 %. 

Seitdem Phenacetin weltweit verboten wurde (in Deutschland 1986, in den USA bereits 1983 [Kasper 2015]), ist diese laut Basler- Autopsie- Studie deutlich rückläufig: 

  • 1980 bei 3 %
  • 2000 bei 0,2 % (Kuhlmann 2015)

Die Geschlechterinzidenz liegt bei 7 : 1 = w : m (Herold 2021).

 

 

Ätiopathogenese

Die Ursache der Analgetikanephropathie ist der Abusus bestimmter Schmerzmittel, wobei der Abusus definiert ist als die Einnahme von mindestens 3.000 Tabletten in einem Zeitraum von 5 Jahren.

Bis zum Jahr 1986 betrafen die Analgetika fast ausschließlich phenacetinhaltige Schmerzmittel, heutzutage sind es Mischpräparate wie z. B. Paracetamol plus Acetylsalicylsäure und Codein bzw. Coffein.

(Kuhlmann 2015)

Pathophysiologie

Das Schmerzmittel Phenacetin wird zu 80 % zu Paracetamol und über p- Phenitidin zu p- Aminophenol metabolisiert. P- Aminophenol ist direkt nephrotoxisch und führt durch seine COX- 2- inhibitorische vasokonstriktorische Wirkung zu Papillennekrosen.

Der Organismus ist außerdem in der Lage, sowohl aus Paracetamol als auch aus P- Aminophenol erneut Phenacetin zu reacetylieren, welches dann erneut den Kreislauf durchläuft (Herold 2021).

Die kumulative Dosis liegt bei > 1.000 mg Phenacetin / d. 

Beim Phenacetin- Metaboliten Acetaminophen (Paracetamol), durch welches Phenacetin seinerzeit ersetzt wurde, wird die Toxizität erhöht durch eine Kombination mit:

  • Acetylsalicylsäure (Salicylate hemmen die Prostaglandinsynthese)
  • Coffein (führt über Adenosin zu einer ausgeprägten Vasokonstriktion)
  • Codein (stört ebenfalls die renale Hämodynamik) (Risler 2008)

Manifestation

Das Krankheitsbild einer typischen Analgetikanephropathie trat in den 1970er und 1980er Jahren regional gehäuft auf und manifestierte sich überwiegend im mittleren Lebensalter. Nachdem Phenacetin in den 1980er Jahren aus dem Handel genommen wurde, tritt heutzutage das Krankheitsbild kaum noch auf, wohl aber nimmt die Inzidenz der Analgetika- bedingten akuten und chronischen Nierenschäden kontinuierlich zu (Risler 2008).

Klinisches Bild

Im Frühstadium treten selten Symptome auf. Im weiteren Verlauf kommt es dann zu:

  • schmutzig grau- braunem Hautkolorit(Herold 2021)
  • kolikartigen Schmerzen (durch abgehende Papillen)
  • Dysurie (durch Obstruktion der ableitenden Harnwege)
  • rezidivierende Harnwegsinfekte
  • zunehmenden Symptome einer Niereninsuffizienz wie z. B.:
    • im Frühstadium:
      • Leistungsschwäche
      • Müdigkeit
    • Ödem
    • Atemnot (durch Pleura- oder Perikardergüsse) (Herold 2020)
    • Appetitlosigkeit
    • Juckreiz
    • Konzentrationsschwäche
    • Knochenschmerzen (Kuhlmann 2015)
    • Polyneuropathie (betrifft vorwiegend die sensiblen Nerven, motorische Nerven sind erst bei schwerer Urämie betroffen [Woolliscroft 2013])
    • Polyurie (durch die gestörte Harnkonzentrierung)
    • metabolische Azidose ohne Anionenlücke
    • Makrohämaturie (durch Abgang nekrotischer Papillen [Kasper 2015])

 

 

Diagnostik

Da ein missbräuchlicher Schmerzmittelkonsum meistens geleugnet wird, sollten hierbei primär bestehende Schmerzen erfragt werden und dann erst nach Medikamenten, die dagegen eingenommen werden (Risler 2008). 

Eine Medikamentenanamnese von ≥ 1.000 g Paracetamol bzw. Phenacetin über Jahre hinweg eingenommen, macht die Diagnose einer Analgetikanephropathie wahrscheinlich (Herold 2021).

Bildgebung

Sonographie 

Sonographisch zeigen sich: 

  • Schrumpfnieren mit irregulärer Kontur
  • narbige Einziehungen der Rinde im Bereich der Markkegel
  • Verkalkungen der Papillen
  • Papillennekrosen (Herold 2021)

Computertomographie

Die Schädigung der Nieren lässt sich am besten durch eine CT – ohne Kontrastmittel (Herold 2021) - darstellen. Die Nieren erscheinen verkleinert, narbig und mit Kalzifikationen im Bereich der Papillen (Kasper 2015).

 

 

Labor

Blutuntersuchung:

  • Oftmals besteht eine ausgeprägte Anämie durch:
    • gastrointestinale Blutungen
    • Blutungsneigung durch Hemmung der Thrombozytenaggregation
    • verminderte Erythropoese
    • Hämolyse
    • Met- und Sulfhämoglobin- Bildung [Herold 2021])

Urinuntersuchung:

  • Nachweis der Analgetikametaboliten im Urin (Herold 2021)
  • leichte Proteinurie (vom Typ der tubulären Proteinurie [Herold 2021])
  • sterile Leukozyturie (ist ein Frühsymptom)
  • Abnahme der GFR (Kuhlmann 2015)
  • geleg. Erythrozyturie (Herold 2021)

Histologie

Typisches frühes Bild einer Analgetikanephropathie:

  • Endothelschäden insbesondere der Vasae rectae (Keller 2010)

Im weiteren Verlauf können dann auftreten:

  • Kapillarsklerosen
  • Papillennekrosen
  • tubulointerstitielle Nekrosen (Risler 2008)

Differentialdiagnose

  • chronisch tubulointerstitielle Nephropathien anderer Genese (s. d.)
  • Papillennekrosen anderer Genese wie z. B. durch

Komplikation(en)

Bei Patienten mit Analgetikanephropathie besteht eine hohe Rate an Malignomen der ableitenden Harnwege (Risler 2008).

Weitere Komplikationen können sein:

Papillennekrose: Hierbei sind Papillendefekte im Urogramm und / oder die Ausscheidung von Papillengewebe mit dem Urin nachweisbar.

Schädigung der Tubuli: Diese führt zu einer tubulären Azidose und einer Verminderung der Konzentrationsfähigkeit des Urins.

Pigmentablagerung: Es können sich lipofuszinähnliche Pigmente in den Papillae renalis und in der Leber ablagern.

Rezidivierende bakterielle Harnwegsinfekte: s. d.

Niereninsuffizienz: Eine Spätfolge der Analgetikanephropathie stellt die Niereninsuffizienz dar (Herold 2021).

Therapie

Sofortiges Weglassen der schädigenden Noxe. Behandlung einer bereits bestehenden Niereninsuffizienz (s. d.).

(Herold 2021)

 

 

Verlauf/Prognose

Die Erkrankung kommt i. d. R. zum Stillstand, wenn vor Einsetzen einer höhergradigen Niereninsuffizienz (d. h. Kreatinin im Serum < 3 mg / dl):

  • der Abusus der auslösenden Schmerzmittel beendet wird
  • der Wechsel auf ein anderes Präparat wie z. B. Opioide erfolgt (Wolf 2020; Herold 2021)

Hinweis(e)

In Studien konnte gezeigt werden, dass eine chronische Einnahme von Acetylsalicylsäure nicht zu einer terminalen Niereninsuffizienz führt. 

Bei nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAID) besteht das Risiko eines akuten Nierenversagens trotz bislang gesunder Niere. Bei vorgeschädigter Niere kann es durch NSAID zu einer chronischen Niereninsuffizienz kommen.

Die erhöhte Rate an Malignomen der ableitenden Harnwege besteht bei Einnahme von nicht- phenacetinhaltigen Mischanalgetika nicht (Risler 2008).

Patienten, die ständig Paracetamol und / oder NSAID einnehmen, sollten in regelmäßigen Abständen auf eine Nierenschädigung hin untersucht werden (Kasper 2015).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Heidbreder E et al. (2013) Advances in Internal Medicine and Pediatrics / Ergebnisse der Inneren Medizin und Kinderheilkunde. Springer Verlag 44
  2. Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 625, 642
  3. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 640 - 649
  4. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1856, 1861
  5. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 2286 – 2287, 2290 - 2291
  6. Keller C K et al. (2010) Praxis der Nephrologie. Springer Verlag 131 - 132
  7. Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 519 - 523
  8. Manski D (2019) Das Urologielehrbuch. Dirk Manski Verlag
  9. Risler T et al. (2008) Facharzt Nephrologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 341 – 346, 892 - 897
  10. Woolliscroft J (2013) Diagnose- und Therapielexikon für den Hausarzt: Die wichtigsten Erkrankungen von A – Z. Springer Verlag 294 - 295
  11. Wolf G et al. (2020) Elsevier Essentials Nephrologie eBook: Das Wichtigste für Ärzte aller Fachrichtungen. Elsevier Urban und Fischer Verlag 61

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Phenacetin (INCI);

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