Akute tubulointerstitielle Nephritis N10.-

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

Alle Autoren dieses Artikels

Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

This article in english

Synonym(e)

Acute tubulointerstitial nephritis; AIN; Akute interstitielle Nephritis; Akute interstitielle Nephropathie; Akute tubulo-interstitielle Nephritis; ATIN; ATN, Akute tubulointerstitielle Nephritis; D-ATIN; Drug-induced ATIN; Interstitielle Nephritis; TIN; Tubulointerstitielle Nephritis; Tubulointerstitielle Nephritis akute

Definition

Die akute tubulointerstitielle Nephritis (TIN) manifestiert sich klinisch als polyätiologisches, überwiegend jedoch arzneimittelinduziertes Kranhkeitsbild, meist unter dem Bild eines akuten bis subakuten Nierenversagens. Eine TIN kann als primäre Schädigung des Tubulointerstitiums oder aber als sekundäre Schädigung im Gefolge einer Glomerulopathie oder im Rahmen von Systemerkrankungen (z.B. Sjögren-Syndrom, Sarkoidose) auftreten.

Bei vielen Nierenerkrankungen, die mit schwerer glomerulärer Inflammation einhergehen, tritt im Verlauf der Erkrankungen eine sekundäre TIN als komplikative Begleiterkrankung hinzu (z.B. bei der Lupusnephritis oder der IgA-Nephropathie). Das Ausmaß dieser tubulointerstitiellen Begleitnephritis beeinflusst die Prognose vieler Glomerulopathien und bestimmt wesentlich die Progredienz des Nierenversagens (Cohen CD et al. (2017).

Während der typische Verlauf des Nierenversagens bei der akuten interstitiellen Nephritis Tage bis Wochen umfasst, kann er, v.a. bei Reexposition gegenüber einem nephrotoxischen Medikament – deutlich kürzer sein. Bei etwa 30% der ­Patienten ist im Verlauf der Erkrankung eine Dialysebehandlung erforderlich.

Einteilung

Medikamente gehören mit etwa 75% aller Fälle zu den häufigsten Auslösern einer TIN, gefolgt von Infektionen und Autoimmunerkrankungen. Folgende Medikamente können eine TIN auslösen:

  • Antibiotika (bei 35% der Patienten als Auslöser nachweisbar): Vancomycin, Erythromycin, Vancomycin, Tetracycline, Trimethoprim, Ethambutol, Gentamycin (Pingili CS et al. 2017). 
  • Betalaktam-Antibiotika: oft klassische Trias (Fieber, Eosinophilie, Hautausschlag)
  • Sulfonamide: oft klassische Trias (Fieber, Eosinophilie, Hautausschlag)
  • Fluorchinolone: Meist keine systemischen Zeichen
  • Rifampicin: vor allem bei intermittierender Gabe, kombiniert mit hämolytischer Anämie, Thrombopenie und Hepatitis; Antikörper-vermittelt.
  • NSAR: Diclofenac, Fenoprofen, Ibuprofen, Naproxen, Indomethacin, Zomepirac, Mefenaminsäure, Piroxicam, Paracetamol, Phenylbutazon, Tolmedin (Inoue D et al. 2017). Klinisch: Meist keine systemischen Zeichen, keine Eosinophilie, Latenz  meist mehrere Monate, oft mit nephrotischer Proteinurie (zusätzlich glomeruläre Veränderungen im Sinne einer Minimal change disease oder sekundären membranösen Glomerulonephritis)
  • Diuretika: Thiazide, Furosemid, Triamteren, Chlorthalidon, Indapamid, Etacrynsäure
  • Virustatika: z.B. Aciclovir 
  • Protonenpumpeninhibitoren (bei 35% der Patienten als Auslöser nachweisbar - Valluri A et al. 2015); klinisch: keine systemischen Zeichen; Sediment und Proteinurie meist nur geringgradig abnorm; lange Latenz.
  • Verschiedene: Adalimumab, Infliximab, Cilostazol (Phosphodiesterase-3-Hemmer), Captopril, Amlodipin, Ranitidin, Phenobarbital, Nitrofurantoin, Azathioprin, Oxaliplatin, Valproinsäure, Carbamazepin, Interferon, Indinavir, Mesalazin, Isotretinoin (Castro Corredor D et al. 2019; Choi YJ et al. 2018; Kaya Aksoy G et al. 2016; Ota M et al. 2016; Shima H et al. 2018).
  • Allopurinol; klinisch: die akute tubulointerstitielle Nephritis tritt v.a. bei vorbestehender Niereninsuffizienz auf; meist kombiniert mit Hautausschlag und erhöhten Leberwerten, mitunter unter dem Bild eines DRESS (drug reaction with eosinophilia and systemic symptoms) verlaufend

Infekte: Infektassoziierte akute tubulo-interstitielle Nephritis (in 20% der Fälle): häufig Streptokokken.

Auch interessant

Vorkommen/Epidemiologie

Etwa 2–3 % aller Nierenbiopsien; ca. 7–15 % aller Fälle von akutem Nierenversagen.

Die durch Arzneimittel-induzierte akute tubulointerstitielle Nephritis ist eine der häufigsten Ursachen eines akuten Nierenversagens in der Kindheit (Kaya Aksoy G et al. 2016).

Ätiopathogenese

Pathogenetisch liegt in den meisten Fällen eine dosisunabhängige, T-Zell-vermittelte Hypersensitivitätsreaktion (Typ IV-Allergie) auf Antigene vor, v.a. Medikamente (70% der Fälle), seltener auch infektiöse Auslöser: Bakterien, Viren, Protozoen u.a. (Valluri A et al. 2015).

Die medikamentös ausgelöste akute tubulointerstitielle Nephritis tritt dosisunabhängig auf, häufig als nephrogene Organmanifestation eines generalisierten allergischen Geschehens.


Weiterhin tritt die TIN bei systemischen autoimmunen Erkrankungen auf, so z. B. im Rahmen des Sjögren-Syndroms, eines systemischen Lupus erythematodes, eines Goodpasture-Syndroms, einer IgA-Nephritis (Shima H et al. 2018) oder als TINU (akute (tubulo-)interstitielle Nephritis mit Uveitis (Ariba YB et al. 2017).

Nicht immer kann die Ursache eruiert werden.

Manifestation

Keine Rolle für die Manifestation der Erkrankung spielen Alter oder Geschlecht. In einer größeren Studie betrug das mittlere Erkrankungsalter 36.41 ± 17.40 Jahre (Naqvi R et al. 2016).

Klinisches Bild

Das Krankheitsbild ist durch folgende Symptome charakterisiert:

Auftreten eines oligurischen (60%) oder nicht-oligurischen (40%) akuten Nierenversagens nach  Antigenexposition.

Bei >50% der Patienten kann die charakteristische klinische Trias beobachtet werden (Valluri A et al. 2015):

  • makulopapulöses Exanthem (<50% der Fälle)
  • Fieber (75%)
  • Eosinophilie (80%)

Seltener sind Arthralgien. Häufig treten Flankenschmerzen auf (durch die Dehnung der Nierenkapsel)

Die Symptome können subklinisch sein oder auch fehlen. Ihr Fehlen (oft bei NSAR als auslösendes Agens) schließt jedoch die Diagnose nicht aus.

Bildgebung

Sonographisch erscheinen die Nieren bei der akuten interstitiellen Nephritis normal groß oder leicht vergrößert, manchmal mit einer unspezifischen, inhomogen verstärkten kortikalen Echogenität.

Labor

Milde (tubuläre) Proteinurie bei >75% der Patienten (zumeist deutlich <1g/24 h), häufig Mikrohämaturie, in seltenen Fällen auch Makrohämaturie. Eine Proteinurie >3g,0/ 24 h weist auf eine zusätzliche glomeruläre Schädigung hin und ist typisch für eine NSAR-induzierte akute tubulointerstitielle Nephritis. Bei medikamentös ausgelöstem TIN häufiges Auftreten von eosinophilen Granulozyten im Urin (dieser Befund wird positiv bewertet, wenn >1% aller nachweisbaren Leukozyten im Urin aus eosinophilen Leukozyten bestehen).

Bemerkung: Eine Eosinophilie im Urin können auch bei einer Pyelonephritis, Prostatitis, Zystitis, bei Cholesterinembolien oder bei einer Rapid-progressive Glomerulonephritis auftreten. Tubuläre Defekte (z.B. Fanconi-Syndrom) und eine renal-tubuläre Azidose sind bei der TIN selten, häufig jedoch bei chronischen interstitiellen Nephropathien.

Histologie

Histologisch finden sich ein interstitielles Ödem und ein interstitielles, lymphozytenreiches, eosinophiles Zellinfiltrat mit Tubulitis. Immunhistologisch sind keine spezifischen Ablagerungen nachweisbar.

Diagnose

Die Verdachtsdiagnose „TIN“kann häufig bereits durch eine genaue Anamnese gestellt werden. Weiterhin typische klinische Trias. Oft ist eine Nierenbiopsie erforderlich, um die exakte Diagnose festzustellen.

Differentialdiagnose

Chronisch toxische, dosisabhängige TIN (Analgetika-Nephropathie z.B. durch Phenacetin, Paracetamol)

Akut toxische, dosisabhängige TIN (Aminoglykoside, Cephalosporine, Gyrasehemmer)

Selten: Es bestehen zwei ähnliche schwer verlaufende systemischen Krankheitsbilder mit hämorrhagischem Fieber, bei denen Exkremente von Nagetieren (z.B. Mäuse, Ratten) über die Luftwege aufgenommen werden:

  • Die Hantavirusinfektion mit dem Virustyp Puumala ist in Deutschland keine Seltenheit. Sie geht mit Fieber, Kopfschmerzen, Benommenheit, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen sowie Thrombozytopenie einher. Das assoziierte Nierenversagen ist durch interstitielle entzündliche Infiltrate und Blutungen gekennzeichnet. Die Diagnose erfolgt serologisch durch Antikörpernachweis (Mantula PS et al. 2017).
  • Leptospiren (Spirochätose) die über Haut oder Schleimhäute des Menschen invadieren verursachen Fieber, Myalgie, ­Arthralgien und Kopfschmerzen kennzeichnen den ersten Krankheitsgipfel – in der Folge kommt es zu Ikterus, einem Anstieg der Transaminasen und zu Nierenversagen meist auf dem Boden einer TIN. Die Diagnose erfolgt in der Regel serologisch.

Therapie

Absetzen des auslösenden Medikaments (nicht immer ist dessen Identifikation möglich) bzw. Beseitigung einer anderen auslösenden Ursache bzw. einer zugrundeliegenden Erkrankung.

Nicht selten jedoch muss ein auftretendes akutes Nierenversagen (in versch. Studien > 70% der Fälle) durch Hämodialyse (Peritonealdialyse) therapiert werden (Naqvi R et al. 2016). Als medikamentöse Therapie kann zur Immunsuppression Prednison in einer Dosis von 1 mg/kg KG/Tag über 14 Tage verabreicht werden; langsames Ausschleichen über 1 Monat wird empfohlen. Die Effizienz dieser Therapie bleibt jedoch fraglich (Valluri A et al. 2015).

Bei bereits dialysepflichtigen Patienten, bei jenen mit einem mehrwöchigen Verlauf ihrer Niereninsuffizienz und bei schweren interstitiellen Veränderungen in der Biopsie wird der sofortige Einsatz von Prednisolon vorgeschlagen.

Bei fehlendem Ansprechen auf Kortison ist ein Therapieversuch mit ­Mycophenolat-Mofetil möglich (Datenlage für diese Therapieoption hierfür ist schlecht).

Bei den Infekt-assoziierten Formen ist die zugrunde­liegende Infektion zu behandeln. Eine Therapie mit Kortikoiden ist nicht indiziert.

Verlauf/Prognose

In 60-70% der Fälle nach durchschnittlich 4 - 6 Wochen Normalisierung der Nierenfunktionsparameter. Seltener, in 30-40%der Fälle bleiben die Retentionswerte permanent erhöht.

Verlauf/Prognose

In 60-70% der Fälle nach durchschnittlich 4 - 6 Wochen Normalisierung der Nierenfunktionsparameter (Naqvi R et al. 2016). In 30-40%der Fälle bleiben die Retentionswerte permanent erhöht. Dieser Befund manifestiert den Übergang in eine chronische interstitielle Nephritis. 

Risikofaktoren hierfür sind u. a. eine späte Diagnose, rezidivierende Episoden und der begleitende Gebrauch von Analgetika oder (seltener) von Aristolochiasäure-haltigen Kräutern (Chinese Herbs Nephropathy / Balkannephritis). Bei ausgeprägter Akuität der klinischen Symptome wird i.A. die Diagnose früher gestellt wodurch sich die Prognose deutlich verbessert.

Hinweis(e)

Die medikamentös ausgelöste dosisunabhängige interstitielle Nephritis muss von der dosisabhängigen toxischen Tubulusschädigung durch Aminoglykosidantibiotika oder Amphotericin B unterschieden werden.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Ariba YB et al. (2017) Acute tubulointerstitial nephritis and uveitis syndrome: A report on four adult cases. Saudi J Kidney Dis Transpl 28:162-166.
  2. Beltrame RC et al. (2016) Acute tubulointerstitial nephritis with severe renal impairment associated with multisystem IgG4-related disease. J Bras Nefrol 38:374-378.
  3. Castro Corredor D et al. (2019)Acute tubulointerstitial nephritis in an HLA-B27-positive patient with axial spondyloarthritis being treated with adalimumab. Reumatol Clin15:179-181.
  4. Choi YJ et al. (2018) Oxaliplatin-induced acute tubulointerstitial nephritis: Two case reports
. Clin Nephrol 89:130-134.
  5. Cohen CD et al. (2017) Abnorme Nierenfunktion) In Differenzialdiagnose innerer Krankheiten. Battegay E. (Hrsg). Thieme Verlag Stuttgart  S. 475
  6. Fischer RSB et al. (2018) Early detection of acute tubulointerstitial nephritis in the genesis of Mesoamerican nephropathy. Kidney Int 93:681-690.
  7. Inoue D et al. (2017) A case of acetaminophen-induced acute tubulointerstitial nephritis in adult. CEN Case Rep 6:185-188.
  8. Kaya Aksoy G et al. (2016) Eosinophilic tubulointerstitial nephritis on treatment with Isotretinoin. Eur J Pediatr 175):2005-2006.
  9. Mantula PS et al. (2017) Glomerular Proteinuria Predicts the Severity of Acute Kidney Injury in Puumala Hantavirus-Induced Tubulointerstitial Nephritis. Nephron 136:193-201.
  10. Naqvi R, et al. (2016) Acute tubulointerstitial nephritis/drug induced acute kidney injury; an experience from a single center in Pakistan. J Renal Inj Prev 5:17-20.
  11. Ota M et al. (2016) Acute Tubulointerstitial Nephritis Associated with Infliximab in a Patient with Crohn's Disease. Intern Med 55:1367-1370. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27181549
  12. Pingili CS et al. (2017) Vancomycin-Induced Leukocytoclastic Vasculitis and Acute Renal Failure Due to Tubulointerstitial Nephritis. Am J Case Rep 18:1024-1027.
  13. Shima H et al. (2018) Cilostazol-induced acute tubulointerstitial nephritis accompanied by IgA nephropathy: a case report. BMC Nephrol 19:52.
  14. Su T et al. (2018) Etiology and renaloutcomes of acute tubulointerstitial nephritis: a single-center prospective cohort study in China. Nephrol Dial Transplant 33:1180-1188.
  15. Valluri A et al. (2015) Acute tubulointerstitial nephritis in Scotland. QJM 108:527-532.

Disclaimer

Bitte fragen Sie Ihren betreuenden Arzt, um eine endgültige und belastbare Diagnose zu erhalten. Diese Webseite kann Ihnen nur einen Anhaltspunkt liefern.

Abschnitt hinzufügen

Autoren

Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024