Reizmagen-Syndrom K31.88

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 07.03.2024

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Synonym(e)

Funktionelle Dyspepsie; Helicobacter-pylori-assoziierte Dyspepsie; Magenneurose; Nervöse Dyspepsie; Nervöser Reizmagen; Nichtulzeröse Dyspepsie; NUD; Reizmagen-Syndrom; RMS

Definition

Das Reizmagen-Syndrom, auch funktionelle Dyspepsie genannt, ist eine der häufigsten funktionellen gastrointestinalen Störungen. Mit dem Begriff „Dyspepsie“ (von griech.: dys = schlecht, und pepsis = Verdauung) wird ein Spektrum von Beschwerden zusammengefasst, die der Patient im Oberbauch (zwischen Umbilicus und Processus xiphoideus) und seitlich lokalisiert. Nach den Rom-IV-Kriterien (Talley NJ 2016) ist eine funktionelle Dyspepsie definiert durch:

  • eine über mehr als drei Monate innerhalb der letzten sechs Monate anhaltend persistierende beziehungsweise rezidivierende Dyspepsie
  • fehlenden Nachweis einer organischen Ursache bei der endoskopischen Abklärung, die die Beschwerden erklären könnte
  • fehlenden Hinweis, dass die Dyspepsie ausschließlich durch die Stuhlentleerung erleichtert wird oder eine Assoziation mit Stuhlunregelmäßigkeiten besteht (dieses Kriterium wurde zum Ausschluss eines möglichen ursächlichen Reizdarmsyndroms (RDS) für die Beschwerden eingeführt).

Einteilung

Die funktionelle Dyspepsie umfasst drei Subtypen mit vermutlich unterschiedlicher Pathophysiologie und Ätiologie (Enck P et al.(2017):

  • das postprandiale Distress-Syndrom (PDS)
  • das epigastrische Schmerzsyndrom (EPS)
  • ein Subtyp mit überlappenden PDS- und EPS-Merkmalen.

Vorkommen/Epidemiologie

Die funktionelle Dyspepsie betrifft bis zu 16 % der ansonsten gesunden Personen der Allgemeinbevölkerung (Ford AC et al.2020). Sie verursacht erhebliche direkte und insbesondere indirekte Kosten. In einer durchschnittlichen Hausarztpraxis werden pro Woche 6–10 RMS-Patienten betreut.

Ätiopathogenese

Eine funktionelle Dyspepsie liegt dann vor, wenn in der Routinediagnostik, einschließlich Endoskopie, keine ursächlichen strukturellen und biochemisch erfassbaren Abweichungen nachweisbar sind. Bei therapierefraktären Beschwerden sollte auch ein Screening auf psychische Störungen, wie zum Beispiel Angst, Depression und Stress, erfolgen. Cave: Etwa 30 % aller Patienten mit funktioneller Dyspepsie leiden gleichzeitig an einem Reizdarmsyndrom (Enck P et al.2017).

Klinisches Bild

Zu den dyspeptischen Beschwerden gehören (Madisch A et al. 2018):

  • epigastrische Schmerzen und Brennen (60–70 %)
  • postprandiales Völlegefühl (80 %)
  • frühe Sättigung (60–70 %)
  • Blähgefühl im Oberbauch (80 %)
  • Übelkeit (60 %)
  • Erbrechen (40 %).

Grundsätzlich können dyspeptische Beschwerden akut, zum Beispiel bei einer Gastroenteritis, oder chronisch auftreten, wobei organische (z.B. Ulkus, Refluxerkrankung, esoinophile Duodenitis, Pankreaserkrankung, Herz- und Muskelerkrankungen) oder funktionelle Ursachen zugrunde liegen können.

Diagnostik

Rationale apparative Ausschlussdiagnostik. Die Ösophagogastroduodenoskopie einschließlich der Untersuchung auf Helicobacter pylori und die Ultraschalluntersuchung des Abdomens und bei zusätzlichen Reizdarmbeschwerden die endoskopische Abklärung des Dickdarmes werden für ausreichend erachtet.

Allerdings wird der Nutzen der Endoskopie bei den Patienten mit typischen Symptomen des funktionellen Dyspepsie als minimal angesehen. Ihr Einsatz sollte auf Menschen im Alter von 55 Jahren und älter oder auf solche mit auffälligen Merkmalen wie Gewichtsverlust oder Erbrechen beschränkt werden (Ford AC et al. 2020).

Diagnose

Patienten mit Dyspepsie weisen bei der diagnostischen Abklärung in 20–30 % der Fälle für die Beschwerdesymptomatik ursächliche Erkrankungen auf (Madisch A et al. 2018). Eine funktionelle Dyspepsie (Reizmagensyndrom) liegt dann vor, wenn in der Routinediagnostik einschließlich Endoskopie keine ursächlichen strukturellen und biochemisch erfassbaren Abweichungen nachweisbar sind. Befunde, wie z.B. Gallensteine, eine Hiatushernie, Erosionen im Magen oder eine „Gastritis“, erklären die Beschwerden nicht zwangsläufig und sind keine Ausschlußdiagnosen (Ford AC et al.2020).

Diagnose

Die Diagnosesicherung stützt sich auf das typische Beschwerdebild und die Anamnese sowie auf den Ausschluss von Erkrankungen des oberen Magen-Darm-Traktes einschließlich der Oberbauchorgane, die mit ähnlichen dyspeptischen Beschwerden einhergehen können. Endoskopische Verfahren dienen zur Ausschlußdiagnostik.

Therapie

Die Behandlung erfolgt – nach einer durchgeführten Magenspiegelung – rein symptomatisch. Wichtig ist eine Beobachtung und ggf. Umstellung von Ernährungsgewohnheiten und die Vermeidung von Stress. Hilfreich kann beispielsweise die Aufnahme vieler kleiner Mahlzeiten sein.

Helicobacter-pylori-Therapie: In Anbetracht der fehlenden kausalen Therapieoptionen bei funktioneller Dyspepsie ist die Helicobacter-pylori-Therapie eine wichtige, weil potenziell kurative Therapieoption bei der funktionellen Dyspepsie, wie sie auch von nationalen und internationalen Leitlinien empfohlen wird.

Phytotherapeutika, s.a. unten Phytotherapie intern: Präparate sind meist fixe Kombinationen aus Pfefferminz und Kümmelöl sowie Mixturen aus Bauernsenf, Wermut, Enzian und Angelikawurzel, meistens in Kombination mit spasmolytisch und sedativ wirkenden Extrakten wie Kamille, Pfefferminze, Kümmel, Melisse und anderen (Madisch A et al. 2018). s.a. unter Phytotherapie intern.

Antidepressiva: Antidepressiva werden bei Therapieversagen nach den genannten Therapien eingesetzt. Trizyklische Antidepressiva haben eine gesicherte Wirksamkeit, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer dagegen nicht.

Psychotherapie: Unterstützende Daten gibt es auch für eine Psychotherapie, die insbesondere bei Therapieresistenz in Betracht gezogen werden sollte.

Therapie allgemein

Wichtig ist es, dem Patienten in einfachen und verständlichen Worten das Wesen der Störung zu erklären, mit dem Hinweis, dass es sich bei der funktionellen Dyspepsie um ein gutartiges, aber organisches Krankheitsbild handelt, dem unterschiedliche Störungen zugrunde liegen können.

Weitere allgemeine Maßnahmen

  • Konfliktklärung in psychosozialen Bereichen
  • Förderung der Eigenverantwortung
  • Entspannungsübungen
  • therapeutisches Bündnis für die Langzeitbetreuung
  • psychotherapeutische Optionen

Phytotherapie intern

Phytotherapeutische Präparate sind meist fixe Kombinationen aus Pfefferminz und Kümmelöl sowie Mixturen aus Bauernsenf: Iberis amara totalis, Wermut: Absinthii herba, Enzian: Gentianae radix und Angelikawurzel, meistens in Kombination mit spasmolytisch und sedativ wirkenden Extrakten wie Kamille: Matricariae flos, Pfefferminze: Menthae piperitae folium, Kümmel: Carvi fructus, Melisse: Melissae folium und anderen (Madisch A et al. 2018).

Erfolge werden von Malvenblätter/-blüten (Malvae folium/flos) berichtet  (Schilcher H 2015) für die ESCOP-,WHO-Empfehlungen vorliegen. Dosierung: 5g Droge/Tag. Zerkleinerte Droge für Aufgüsse zubereiten. Hinweis: Selbst gesammelte Malvenblätter sammeln, trocknen und als Malventee (Infus) verwenden.  

Leinsamen (Lini semen) - Indikation in der Erfahrungsheilkunde (Schilcher H 2015):  Frisch geschroteten Leinsamen – 3 Esslöffel / 500 ml Wasser über Nacht einweichen. Kurz aufkochen, das überschüssige Wasser in einem engmaschiges Küchensieb oder Tuch aus Leinen absieben. Den festen Bestandteil durch das Tuch oder ein Sieb pressen und mit dem Löffel von der Außenseite entnehmen. Schluckweise trinken. Wirkt auch bei Resistenz auf die z.T. umstrittenen PPI, keine Nebenwirkungen.

Aufgrund der mutagenen und karzinogenen Nebenwirkungen nicht ohne Vorbehalt Calami rhizoma.

In der Erfahrungsheilkunde - auch Beinwellwurzel: Symphyti radix

Komplementärmedizinische Therapieverfahren

nicht umunstritten: Baunscheidt-Verfahren

Hinweis(e)

Die am häufigsten verordneten Medikamente waren:

  • Phytotherapeutika (88,2%)
  • Protonenpumpenhemmer (PPI, 73,6%)
  • Prokinetika (61,5%).
  • Antazida, Verdauungsenzymen des Magens und des Pankreas 10–20%.
  • Die Therapieversagerquote wurde auf 21–40% geschätzt.

Literatur
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  1. Enck P et al.(2017) Functional dyspepsia. Nat Rev Dis Primers 3:17081.
  2. Fan K et al.(2017) Functional dyspepsia and duodenal eosinophilia: A new model. J Dig Dis 18:667-677
  3. Ford AC et al.(2020) Functional dyspepsia. Lancet 396:1689-1702.
  4. Madisch A et al. (2018) Diagnose und Therapie der funktionellen Dyspepsie. Dtsch Arztebl Int 115:: 222-232
  5. Moayyedi P (2012). Dyspepsia. Curr Opin Gastroenterol 28:602-607.
  6. Mounsey A et. al.(2020) Functional Dyspepsia: Evaluation and Management. Am Fam Physician 101:84-88.
  7. Schilcher H (2015)  Pflanzenprofile. In: Leitfaden Phytotherapie. Urban und Fischer Verlag München, S. 203 
  8. Talley NJ (2016) Functional dyspepsia. Curr Opin Gastroenterol 32:467-473.

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Lini semen;

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