Kongenitale Vitien

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

Alle Autoren dieses Artikels

Zuletzt aktualisiert am: 18.06.2025

This article in english

Erstbeschreiber/Historie

Bereits von Leonardo Da Vinci stammt die erste Zeichnung eines Leichnams mit Vorhof- Septum- Defekt. Carl Freiherr von Rokitansky (1804 – 1878) gab die erste komplette pathologisch- anatomische Beschreibung. Aber es dauerte noch bis Anfang der 1940er Jahre, ehe man den Vorhofseptumdefekt diagnostizieren konnte (Schmaltz 1998).

Bereits im Jahre 1571 beschrieb Nils Stensen erstmals die Fallot- Tetralogie (Apitz 2015) und 1866 wurde das Krankheitsbild von Sir Thomas Bevill Peacock anatomisch- pathologisch dargestellt (Chopra 2013). Der französische Pathologe Etienne Louis Arthur Fallot, nach dem die Fallot Tetralogie letztlich benannt wurde, prägte 1888 den Begriff „Tetralogie“ (Chopra 2013).

Erste Operationen der offenen Herzchirurgie mit der Herz- Lungen- Maschine sind seit 1953 möglich (Schmaltz 1998).

Im Jahre 2014 veröffentlichten Sylva van den Hoff und Moorman eine umfassende Übersichtsarbeit hinsichtlich der wichtigsten Schritte der embryonalen Herzentwicklung (Buijtendijk 2020).

Definition

Unter einem kongenitalen Vitium versteht man eine während der Embryonalzeit erworbene Fehlbildung des Herzens oder der großen Gefäße (Herold 2025).

Einteilung

Angeborene Herzfehler (AHF) werden unterteilt in angeborene Herzfehler ohne Shunt (Ludwig 2020), kongenitale azyanotische Vitien mit Links-Rechts-Shunt und kongenitale zyanotische Vitien mit Rechts-Links-Shunt:

 

 

  • Zyanotische Vitien:
    • Fallotsche Tetralogie
    • Trikuspidalatresie
    • Transposition der großen Gefäße
    • Pulmonalatresie
    • Truncus arteriosus
    • Totale Lungenvenenfehlbildung u. a. (Herold 2025)

Vorkommen

Es werden etwa 0,8% - 1% aller Neugeborenen mit einem kongenitalen Herzvitium geboren (Ludwig 2020).

Zyanotische Shuntvitien sind insgesamt deutlich seltener als azyanotische (Kröner 2010).

 

Ätiologie

Die Ursachen der kongenitalen Vitien sind multifaktoriell wie z.B. durch Umwelteinflüsse, Genetik, Infektionen etc. (Herold 2025). Bei der Herzentwicklung liegt die kritische Phase zwischen dem 14. bis 60. Schwangerschaftstag (Steffel 2011). Bislang bekannte Ursachen für eine Fehlentwicklung des Herzens sind z.B.:

  • Strahlenexposition
  • Embryotoxische Stoffe wie z.B. Alkohol oder Drogen (Herold 2025)
  • Diverse Medikamente wie z.B. Lithium
  • Erkrankungen der Mutter wie z.B. Diabetes mellitus
  • Infektionen wie z.B. Röteln
  • Punktmutationen wie z.B. das Marfan-Syndrom
  • Chromosomenaberrationen wie z.B. Trisomie 21, Edwards-Syndrom, Turner-Syndrom
  • Chromosomale Mikrodeletionen wie z.B. 22q11 (Steffel 2011)
  • Hypoxiephasen
  • Immunologische Prozesse (Ludwig 2020)

Diagnostik

Bei der überwiegenden Zahl der angeborenen Vitien wird die Diagnose bereits im Säuglings- bzw. Kindesalter gestellt (Ludwig 2020).

Folgende Diagnostik sollte erfolgen:

  • Ausführliche Anamneseerhebung einschließlich eventuell bereits erfolgter katheter-gestützten Interventionen und Operationen
  • klinische Untersuchung einschließlich Auskultation, Blutdruckmessung und Zeichen einer Herzinsuffizienz
  • EKG
  • Pulsoxymetrie
  • Röntgen Thorax
  • Transthorakale Echokardiografie
  • eventuell auch transthorakale Echokardiografie (ESC Pocketleitlinie 2020)

Bildgebung

Kongenitale Vitien stellen eine Domäne der kardialen Schnittbilddiagnostik dar (Gutberlet 2006).

 

Echokardiografie:

Hierbei sind insbesondere Druckgradienten im Fall einer Obstruktion und der Druck im kleinen Kreislauf abzuschätzen. Hoch mobile Strukturen wie z.B. Vegetationen lassen sich ebenfalls erkennen (ESC Pocketleitlinie 2020).

Die Echokardiografie kann allerdings häufig nicht die komplexe Anatomie vollständig darstellen, insbesondere die retrosternal gelegenen Regionen wie z. B. rechtsventrikulärer Ausflusstrakt, Pulmonalarterien, rechter Ventrikel etc. (Gutberlet 2006).

 

Kardiovaskuläre Magnetresonanztomografie (CMR)

Im Vergleich zur Computertomografie liegen die Vorteile eines CMR zum einen in der fehlenden Strahlenexposition, zum anderen in den vielfältigen Möglichkeiten der funktionellen kardialen Analyse wie z.B. Flussmessungen, Spektroskopie und Intervention der Ventrikelfunktion (Gutberlet 2006).

 

Computertomografie

Diese ist bei spezifischen Indikationen erforderlich wie z.B.:

  • Quantifizierung von RV-Volumina, EF (einschließlich systemischer RV, subpulmonaler RV und univentrikuläres Herz)
  • Quantifizierung der Pulmonalinsuffizienz
  • Bewertung von rechtsventrikulärer Ausflusstraktobstruktion und RV-PA-Conduits
  • Beurteilung der System- und Pulmonalvenen (Obstruktion, Fehlmündung, Koronarvenenanatomie vor einem entsprechenden Eingriff etc.)
  • Nachweis und Quantifizierung einer Myokardischämie durch Perfusionsuntersuchung unter Belastung
  • Evaluierung extra- und intrakardialer Raumforderungen
  • Beurteilung der Pulmonalarterien (Aneurysmen, Stenosen) und der Aorta (Dissektion, Aneurysma, Koarktation)
  • Detektion und Quantifizierung von Myokardfibrose/Narbe
  • Quantifizierung der Perfusionsverteilung in linker und rechter Lunge
  • Kollateralen und arteriovenöse Malformationen
  • Koronare Herzkrankheit und Koronaranomalien
  • Messung des pulmonalen Blutflusses bei Patienten mit mehreren Blutversorgungsquellen (z.B. mit großen aortopulmonalen Kollateralen)
  • Quantifizierung der Myokardmasse
  • Quantifizierung des systemischen und pulmonalen Blutflusses zur Berechnung von Qp:Qs  (ESC Pocketleitlinie 2020)

Therapie allgemein

Alle Patienten mit kongenitalen Vitien sollten wenigstens einmal in einem spezialisierten Zentrum für angeborene Herzfehler vorgestellt werden. Zyanotische Patienten sollten wegen der Komplexität der Erkrankung ausschließlich von Spezialisten für angeborene Herzerkrankungen betreut werden (ESC Pocketleitlinie 2020).

Das weitere therapeutische Vorgehen richtet sich nach der Art der angeborenen Herzerkrankung.

Operative Therapie

Hierbei differenziert man zwischen palliativen und kurativen Eingriffen. Letztere sind nur selten zu erzielen, da nahezu immer Residuen postoperativ bestehen bleiben, die der lebenslangen Behandlung bzw. Beobachtung bedürfen (Herold 2025).

Prognose

In früheren Zeiten verstarben 25% der Betroffenen bereits im Säuglingsalter, weitere 55% in den ersten 2 Lebensjahren und lediglich ca. 15% erreichten das Erwachsenenalter (Steffel 2011).

Inzwischen erreichen > 95% der Kinder mit schwerwiegenden angeborenen Herzfehlern das Erwachsenenalter (Herold 2025).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Buijtendijk M F J, Barnett P, van den Hoff M J B (2020) Development oft he human heart. Am J Med Genet C Semin Med Genet. 184 (1) 7 - 22
  2. Chopra H K et al. (2013) Textbook of Cardiology: A Clinical and Historical Perspective. Jaypee Brothers Medical Publishers 273 – 274
  3. ESC Pocket-Leitlinie: Behandlung von Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler (EMAH) Version 2020. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung e.V. (DGK), European Society of Cardiology (ESC). Doi: https://leitlinien.dgk.org/files/16_2020_pocket_leitlinien_emah.pdf
  4. Gutberlet M, Fröhlich C, Spors B, Grothoff M, Klimes K, Abdul-Khaliq H, Berger F, Felix R (2006) Kongenitale Vitien. RöFo 178 RK_301_2
  5. Herold G et al. (2025) Innere Medizin. Herold Verlag 181
  6. Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education
  7. Kröner C, Koletzko B (2010) Basiswissen Pädiatrie. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 212
  8. Ludwig M (2020) Pepetitorium Facharztprüfung Innere Medizin. Elsevier Urban und Fischer Verlag Deutschland 121-127
  9. Menche N  (2020) Weiße Reihe: Innere Medizin. Elsevier Urban und Fischer Verlag Deutschland 50
  10. Schmaltz A A, Apitz J, Singer H, Wagner G (1998) Angeborene Herzfehler mit überwiegendem Links- Rechts- Shunt. In: Apitz J Pädiatrische Kardiologie. Steinkopff Verlag Heidelberg Kapitel 7 doi: https://doi.org/10.1007/978-3-642-53754-7_7
  11. Steffel J, Lüscher, TF (2011)  Kongenitale Fehlbildungen des Herz-Kreislauf-Systems beim Erwachsenen. In: Herz-Kreislauf. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. 148 https://doi.org/10.1007/978-3-642-16718-8_13
Abschnitt hinzufügen

Autoren

Zuletzt aktualisiert am: 18.06.2025