Insulintherapie, intensivierte

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.03.2022

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Erstbeschreiber

Synonyme

Therapie nach dem Basis- Bolus- Prinzip; NIS (nahe- normoglykämische Insulinsubstitution); FIT (funktionelle Insulintherapie); intensivierte konventionelle Insulintherapie; flexible Insulintherapie; funktionelle Insulintherapie; kontinuierliche subkutane Insulininfusion; CSII;

 

 

Erstbeschreiber

Die österreichische Diabetologin Kinga Howorka beschrieb 1983 die NIS (nahe- normoglykämische Insulinsubstitution). Da diese Bezeichnung nicht 100 % ig zutreffend war, verwandte man ab ca. 1989 den Begriff „Funktionelle Insulinbehandlung“ (Howorka 1996).

Die erste Insulinpumpe entwickelte der Arzt Arnold Kadish im Jahre 1963 in Los Angeles den sog. „Mill Hill Infusor“, eine Insulin- und Glukagonpumpe, die über eine i. v.- Zufuhr verfügte. Sie hatte noch die Ausmaße eines Rucksacks und war wegen des Infektionsrisikos für den Alltagsgebrauch nicht verwendbar (Thomas 2010).

Mitte der 70 er Jahre entwickelten dann Forscher aus Großbritannien kleine Spritzenpumpen, die Insulin oder andere Medikamente s. c. in konstanter Menge zuführen konnten. 

Nach vielen Zwischenentwicklungen kam dann Ende der 90 er Jahre eine Pumpe auf den Markt, die verschiedene Bolus- Optionen aufwies, eine direkte Verbindung mit einem Blutzuckermessgerät hatte bzw. optional mit einem kontinuierlichen Glukosemonitoring verbunden werden konnte: die auch heute verwendete CSII (Thomas 2010).

Definition

Unter einer intensivierten Insulintherapie versteht man eine Form der Insulinbehandlung nach dem Basis- Bolus- Konzept, die dem Insulinspiegel des Gesunden angepasst ist und aus einer Basalrate und mehreren mahlzeitenabhängigen Insulingaben besteht (Herold 2021).

Einteilung

Die intensivierte Insulintherapie kann auf 2 Arten dem Insulinspiegel eines Gesunden nachgeahmt werden:

Darunter versteht man eine Form der Insulinbehandlung, bei der neben einem Verzögerungsinsulin zusätzlich zu den Mahlzeiten und abhängig vom aktuellen BZ- Spiegel ein kurz wirksames Insulin gespritzt wird (Dellas 2018).

  • 2. durch die  Insulinpumpentherapie (CSII = continuous subcutaneous insulin infusion [Kasper 2015]). Unter der Insulinpumpentherapie versteht man eine Form der Insulinbehandlung, bei der mittels externer Pumpe dem Patienten kontinuierlich Insulin infundiert wird (Herold 2021).

Allgemeine Information

Pharmakodynamik 

s. ICT und Insulinpumpentherapie

Voraussetzungen

s. ICT und Insulinpumpentherapie

Indikation

Für die ICT:

  • Diabetes Typ 1 (stellt inzwischen beim Typ 1 die Standardtherapie dar [Schmeisel 2019])
  • Diabetes Typ 2
    • im Rahmen der Dreifach- Therapie
    • bei den – im angelsächsischen Sprachraum als - 5-S Situationen beschriebener Konstellation wird beim Typ 2 ICT empfohlen:
      • schwere Hyperglykämien
      • symptomatischer Diabetes
      • akute oder chronische Komorbidität
      • besondere Situationen wie z. B. 
        • Schwangerschaft
        • Kindheit
        • Jugend
    • sekundärem Diabetes mellitus z. B.:
      • medikamenteninduziert
      • bei endokrinen Störungen (Priya 2020)

Näheres s.  ICT

Für die Insulinpumpentherapie:

  • Typ 1 Diabetes mellitus (stellt hierbei inzwischen die Standardtherapie dar [Kolassa 2014])
  • Schwangerschaft (insbesondere bei Typ 1 DM [Herold 2021])
  • Kleinkinder (Standardtherapie für Kinder < 5 Jahren [Kapellen 2013])
  • drohende Spätkomplikationen eines DM
  • Wunsch nach Progressionshemmung
  • ausgeprägtes Dawn- Phänomen mit rezidivierenden Hypoglykämien (Herold 2021)
  • gehäufte nächtliche Hypoglykämien (Lehnert 2010)
  • Störungen bei der Wahrnehmung von Hypoglykämien
  • Wunsch des Patienten nach einer flexiblen Therapie z. B. wegen Wechselschicht, gehäuftem Reisen über verschiedene Zeitzonen, Leistungssport etc. (Herold 2021)
  • insulinpflichtiger Typ 2 Diabetes mellitus (Rotbard 2017)

Laut Leitlinie ist die Insulinpumpentherapie beim Typ 2 DM aber nur selten indiziert (Bundesärztekammer 2021).

  • mit ICT nur unzureichende BZ- Einstellung möglich – trotz hoher Motivation des Patienten
  • Kinderwunsch
  • diabetische Nephropathie (Lehnert 2010)

Näheres s. Insulinpumpentherapie

Dosierung und Art der Anwendung

  • Insulinbedarf

Der tägliche Insulinbedarf liegt bei 0,67 I. E. / kg / d = ca. 40 I. E. (Dellas 2018).

 

  • Substitution von Basalinsulin

Auf die basale Insulinversorgung fallen ca. 40 – 50 % der gesamten Insulin- Tagesdosis.

In den meisten Fällen wird der basale Insulinbedarf abgedeckt durch eine mindestens zweimalige Injektion eines NPH- Verzögerungsinsulins (Herold 2021) wie z. B. durch Detemir frühmorgens und spätabends. Alternativ kann auch Intermediär- Insulin eingesetzt werden: 3x / d, morgens, mittags, abends oder Glargin: 1x / d spätabends (Greten 2010).

Die Überprüfung der adäquaten Insulindosis wird durch Nüchtern- Blutglukose oder durch Auslassen einer Mahlzeit überprüft (Bundesärztekammer 2021).

  • Prandiale Substitution von Insulin

Die restlichen 50 – 60 % der täglichen Insulingabe werden als mahlzeitenbezogene Bolusgabe verabreicht. Dazu verwendet man Normalinsulin oder kurzwirksame Insulinanaloga.

Die Höhe der Dosis ist abhängig von 

  • der Größe der Mahlzeit (gemessen in Kohlenhydrateinheit = KE = 10 g Kohlenhydrate [Dellas 2018])
  • dem präprandialen Blutzucker
  • der Tageszeit
  • der geplanten körperlichen Belastung (Herold 2021)

Näheres s. ICT

Insulinpumpentherapie:

Verwendet werden bei der CSII ausschließlich Normalinsulin oder schnell wirksames Analoginsulin (Herold 2021).

Näheres s. Insulinpumpentherapie

Unerwünschte Wirkungen

s. Insulinpumpentherapie

Vorteile

s. Insulinpumpentherapie

Präparate

Für die ICT:

  • Basal- Insuline wie z. B.:

Semilente MC- Insulin (Hürter 2001), Lantus, Levemir (Schmeisl 2019), Biosimilar Abasaglar, Toujeo, Tresiba (Herold 2021)

  • Bolus- Insuline wie z. B.:

Actraphane 30, Humaninsulin Profil III, Humalog Mix 25, Insuman Comb 25, Novomix 30 (Herold 2021), Humalog Lilly, NovoRapid (Hürter 2001)

Für die Insulinpumpentherapie:

  • Normalinsulin, früher als „Altinsulin“ bezeichnet. Heutzutage wird meistens synthetisch hergestelltes Humaninsulin verwendet wie z. B.:
    • Actrapid
    • Berlinsulin H Normal
    • Huminsulin Normal
    • Insuman Rapid (Alawi 2019)
  • Insulinanaloga wie z. B.:
    • Insulin Aspart (z. B. NovoRapid)
    • Insulin Glulisin (z. B. Apidra)
    • Insulin Lispro (z. B. Humalog, Liprolog) (Alawi 2019)

Hinweis(e)

Durch die ICT können bei Typ 1 Diabetiker bis zu 80 % der Folgeschäden verringert werden (Schmeisel 2019).

Vorteile der ICT sind:

  • hinsichtlich der Essgewohnheiten besteht eine hohe Flexibilität (Bundesärztekammer 2021)

Als nachteilig werden oft empfunden: 

  • die mehrmals täglichen Insulininjektionen 
  • die Notwendigkeit der mehrmaligen Blutzuckerkontrolle täglich (Priya 2020)
  • Gewichtszunahme
  • höchste Neigung zur Hypoglykämie verglichen mit allen anderen Insulintherapien (beim Typ 2 Diabetiker)
  • hoher Schulungsaufwand
  • schwierige Handhabung (Bundesärztekammer 2021)

 

Durch Einsatz einer Insulinpumpentherapie

  • reduziert sich der Insulinbedarf um 30 – 50 % (Herold 2021).
  • findet sich eine signifikante Reduktion der Hypoglykämien (Evidenz von > 0,4 % [Haak 2018])
  • lässt sich laut Metaanalyse eine Senkung des HbA1c- Wertes von 0,51 % erreichen (Lehnert 2010)
  • besteht laut Studien ein (geringes) Risiko einer relevanten Ketoazidose (Pala 2019), welches laut aktueller Studien bei 0,04 Ereignissen pro Patientenjahr liegt (Lehnert 2010)
  • eine Gewichtszunahme als Folge der Therapie findet sich nicht (Haak 2018)
  • die kardiovaskuläre Mortalität sinkt (Haak 2018)

 

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Alawi H et al. (2019) Insulinarten und Insulinwirkung. Ascensia DiabetesKolleg Advisory Board 2019
  2. Bundesärztekammer (2021) Nationale Versorgungsleitlinie Typ 2 Diabetes. AWMF- Register Nr.: nvl-001
  3. Dellas C (2018) Kurzlehrbuch Pharmakologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag München 155, 506 – 510, 512
  4. Greten H et al. (2010) Innere Medizin. Georg Thieme Verlag Stuttgart 621 – 623
  5. Haak T et al. (2018) S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes. AWMF-Registernummer: 057-013 
  6. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 737, 739 - 741
  7. Howorka K Funktionelle Insulintherapie: Lehrinhalte, Praxis und Didaktik. Springer Verlag Berlin / Heidelberg New York 7
  8. Hürter P et al. (2001) Kinder und Jugendliche mit Diabetes. Springer Verlag Berlin / Heidelberg / New York 157 – 158
  9. Kapellen T M et al. (2013) Children and adolescents with type 1 diabetes in Germany are more overweight than healthy controls: results comparing DPV database and CrescNet database. Journal of Pediatric Endocrinology and Metabolism.https://doi.org/10.1515/jpem-2013-0381
  10. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 2411 – 2412, 2415
  11. Kolassa R (2014) Insulinpumpentherapie. Der Diabetologe (10) 472 - 476
  12. Lehnert H et al. (2010) Rationelle Diagnostik und Therapie in Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 363 - 364
  13. Pala L et al. (2019) Continuous subcutaneous insulin infusion vs modern multiple injection regimens in type 1 diabetes: an updated meta-analysis of randomized clinical trials. Meta- Analysis: Acta Diabetol. 56 (9) 973 – 980. doi: 10.1007/s00592-019-01326-5
  14. Priya G et al. (2020) Initiation of basal bolus insulin therapy. J Pak Med Assoc. 70 (8) 1462 - 1467
  15. Rotbard D (2017) Continuous Glucose Monitoring: A Review of Recent Studies Demonstrating Improved Glycemic Outcomes. Diabetes Technology and Therapeutics Vol. 19 No. S3. doi.org/10.1089/dia.2017.0035 
  16. Schmeisl G W (2019) Schulungsbuch Diabetes. Elsevier Urban und Fischer Verlag 53, 81 - 83, 204, 271T
  17. Thomas A (2010) Vom „Rucksack“ zur Insulinpumpentherapie: Geschichte der Insulinpumpentherapie. Diabetes und Technologie 8 - 9
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