ICT

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.03.2022

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Synonym(e)

FIT (funktionelle Insulintherapie); flexible Insulintherapie; funktionelle Insulintherapie; intensivierte konventionelle Insulintherapie; NIS (nahe- normoglykämische Insulinsubstitution); Therapie nach dem Basis- Bolus- Prinzip

Erstbeschreiber

Die österreichische Diabetologin Kinga Howorka beschrieb 1983 die NIS (nahe- normoglykämische Insulinsubstitution). Da diese Bezeichnung nicht 100 % ig zutreffend war, verwandte man ab ca. 1989 den Begriff „Funktionelle Insulinbehandlung“ (Howorka 1996).

Definition

Unter der ICT (intensivierte konventionelle Insulintherapie) versteht man eine Form der Insulinbehandlung, bei der neben einem Verzögerungsinsulin zusätzlich zu den Mahlzeiten und abhängig vom aktuellen BZ- Spiegel ein kurz wirksames Insulin gespritzt wird (Dellas 2018).

Einteilung

Die ICT zählt zusammen mit der Insulinpumpentherapie zur sog. „Intensivierten Insulintherapie“ (Herold 2021).

Allgemeine Information

Pharmakodynamik

Das normale physiologische Muster einer Insulinsekretion ist kennzeichnet durch:

  • eine kontinuierliche Basalsekretion (die zwischen den Mahlzeiten und nachts die hepatische Glukoseproduktion unterdrückt)
  • einer Bolussekretion nach Nahrungsaufnahme (Priya 2020)

Die Basalsekretion von Insulin macht ca. 40 – 50 % der gesamten Insulinausschüttung aus und das postprandiale Insulin bei jeder Mahlzeit ca. 10 – 20 % (Priya 2020).

Bei der ICT wird die physiologische Insulintherapie imitiert (Dellas 2018). Als Vorbild diente die differenzierte Prandial- und Basalraten- Sekretion der Betazellen (Hürter 2006).

Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass das injizierte Insulin direkt in den Kreislauf gelangt, während endogen produziertes Insulin in das Pfortadersystem ausgeschieden wird (Kasper 2015).

Indikation

  • Diabetes Typ 1 (stellt inzwischen beim Typ 1 die Standardtherapie dar [Schmeisel 2019])
  • Diabetes Typ 2
    • im Rahmen der Dreifach- Therapie
    • bei den – im angelsächsischen Sprachraum als - 5-S Situationen beschriebener Konstellation wird beim Typ 2 ICT empfohlen:
      • schwere Hyperglykämien
      • symptomatischer Diabetes
      • akute oder chronische Komorbidität
      • besondere Situationen wie z. B. 
        • Schwangerschaft
        • Kindheit
        • Jugend
    • sekundärem Diabetes mellitus z. B.:
      • medikamenteninduziert
      • bei endokrinen Störungen  (Priya 2020)

Dosierung und Art der Anwendung

  • Insulinbedarf: Der tägliche Insulinbedarf liegt bei 0,67 I. E. / kg / d = ca. 40 I. E. (Dellas 2018).
  • Substitution von Basalinsulin: Auf die basale Insulinversorgung fallen ca. 40 – 50 % der gesamten Insulin- Tagesdosis. In den meisten Fällen wird der basale Insulinbedarf abgedeckt durch eine mindestens zweimalige Injektion eines NPH- Verzögerungsinsulins (Herold 2021) wie z. B. durch Detemir frühmorgens und spätabends. Alternativ kann auch Intermediär- Insulin eingesetzt werden: 3x / d, morgens, mittags, abends oder Glargin: 1x / d spätabends (Greten 2010).

Die Überprüfung der adäquaten Insulindosis wird durch Nüchtern- Blutglukose oder durch Auslassen einer Mahlzeit überprüft (Bundesärztekammer 2021).

  • Prandiale Substitution von Insulin: Die restlichen 50 – 60 % der täglichen Insulingabe werden als mahlzeitenbezogene Bolusgabe verabreicht. Dazu verwendet man Normalinsulin oder kurzwirksame Insulinanaloga.

Die Höhe der Dosis ist abhängig von 

- der Größe der Mahlzeit (gemessen in Kohlenhydrateinheit = KE = 10 g Kohlenhydrate [Dellas 2018])

- dem präprandialen Blutzucker

- der Tageszeit

- der geplanten körperlichen Belastung (Herold 2021)

Kurzwirksame Insulinanaloga sollten nach oder kurz vor der Mahlzeit (< 10 min) injiziert werden, während Normalinsulin ca. 30 – 45 min vor der Mahlzeit verabreicht wird (Kasper 2015). Ein Spritz- Ess- Abstand ist aber nicht unbedingt erforderlich (Herold 2021).

Da eine zirkadiane Insulinempfindlichkeit besteht, ist der Insulinbedarf pro KE unterschiedlich. Es besteht ein Verhältnis von ungefähr 3 : 1 : 2. Der Insulinbedarf pro KE liegt morgens bei ca. 2 I. E., mittags bei ca. 1,0 I. E. und abends bei ca.1,5 I. E. (Herold 2021).

Bei der Einstellung bzw. Korrektur der Insulingabe ist zu berücksichtigen:

- Senkung der Blutglukose um 30 – 40 mg / dl (1,6 – 2,2 mmol / l) durch 1,0 E Normalinsulin bzw. beim rasch wirksamen Analoginsulin.

- Anhebung der Blutglukose 30 – 40 mg / dl (1,6 – 2,2 mmol / l) durch 10 g Kohlenhydrate = 1 KE.

Eine höhere Dosis Insulin kann erforderlich sein bei einer Blutglukose > 270 mg / dl, Dehydratation, Infektionen, Fieber, Nachweis von Ketonkörpern.

Eine niedrigere Dosis Insulin kann benötigt werden bei Insuffizienz der Nebennierenrinde, schwerer Niereninsuffizienz, Leberinsuffizienz, körperlicher Belastung (Bundesärztekammer 2021).

Eine eventuell erforderliche Anpassung der Dosis erfolgt am Ende der Wirkungsdauer. Ansonsten besteht die Gefahr (schwerer) Hypoglykämien (Bundesärztekammer 2021).

Wirkungseintritt und - dauer bei s. c. Injektion

- NPH- Insulin: Eintritt nach 1 – 2 h, Dauer 14 h

- Normalinsulin: Eintritt nach 30 – 60 min, Dauer 8 h

- Mischinsulin z. B. 70 NPH und 30 Normalinsulin: Eintritt nach 30 – 60 min, Dauer 14 h

- Degludec (Tresiba): Eintritt nach 1 h, Dauer 19 - 26 h

Detemir (Levemir): Eintritt nach 1 - 2 h, Dauer > 42 h

Glargin U 100 (Toujeo): Eintritt nach 1 h, Dauer > 20 – 27 h

- Aspart: Eintritt nach 20 – 25 min, Dauer 4 - 5 h

Lispro: Eintritt nach 20 – 25 min, Dauer 4 - 5 h (Bundesärztekammer 2021)

Präparate

  • Basal- Insuline: Semilente MC- Insulin (Hürter 2001), Lantus, Levemir (Schmeisl 2019), Biosimilar Abasaglar, Toujeo, Tresiba (Herold 2021)
  •  Bolus- Insuline: Actraphane 30, Humaninsulin Profil III, Humalog Mix 25, Insuman Comb 25, Novomix 30 (Herold 2021), Humalog Lilly, NovoRapid (Hürter 2001)

Hinweis(e)

Durch die ICT können bei Typ 1 Diabetiker bis zu 80 % der Folgeschäden verringert werden (Schmeisel 2019).

  • Vorteile der ICT sind:

- hinsichtlich der Essgewohnheiten besteht eine hohe Flexibilität (Bundesärztekammer 2021)

  • Als nachteilig werden oft empfunden: 

- die mehrmals täglichen Insulininjektionen 

- die Notwendigkeit der mehrmaligen Blutzuckerkontrolle täglich (Priya 2020)

- Gewichtszunahme

- höchste Neigung zu Hypoglykämien verglichen mit allen anderen Insulintherapien (beim Typ 2 Diabetiker)

- hoher Schulungsaufwand

- schwierige Handhabung (Bundesärztekammer 2021)

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Bundesärztekammer (2021) Nationale Versorgungsleitlinie Typ 2 Diabetes. AWMF- Register Nr.: nvl-001
  2. Dellas C (2018) Kurzlehrbuch Pharmakologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag München 155, 506 – 510, 512
  3. Greten H et al. (2010) Innere Medizin. Georg Thieme Verlag Stuttgart 621 – 623
  4. Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 737, 739
  5. Howorka K Funktionelle Insulintherapie: Lehrinhalte, Praxis und Didaktik. Springer Verlag Berlin / Heidelberg New York 7, 
  6. Hürter P et al. (2001) Kinder und Jugendliche mit Diabetes. Springer Verlag Berlin / Heidelberg / New York 157 - 158
  7. Hürter P et al. (2006) Kompendium pädiatrische Diabetologie. Springer Verlag 214 – 219, 241 – 243, 403
  8. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 2411 – 2412, 2415 – 24
  9. Priya G et al. (2020) Initiation of basal bolus insulin therapy. J Pak Med Assoc. 70 (8) 1462 - 1467

  10. Schmeisl G W (2019) Schulungsbuch Diabetes. Elsevier Urban und Fischer Verlag 53, 81 - 83, 204, 271T

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