Bigeminus R00.8

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 04.12.2022

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Synonym(e)

1:1- Extrasystolie

Definition

Unter einem Bigeminus versteht man eine Form der Herzrhythmusstörung, bei der über eine längere Zeit auf jeden Normalschlag eine Extrasystole mit stets gleich deformiertem Kammerkomplex folgt. Es handelt sich beim Bigeminus um eine monotope Rhythmusstörung (Belz 2013). Auf jede Normalaktion folgt eine ES: Normalaktion (N) – Extrasystole (E) – NE – NE – NE (Herold 2022).

Einteilung

Bigeminus zählt neben anderen Arrhythmien wie z. B. ventrikuläre Couplets, Trigeminus und Triplets zur Gruppe der ventrikulären Ektopie (Mond 2020). Er kann sowohl durch supraventrikuläre als auch ventrikuläre Extrasystolen (ES) entstehen (Sohns 2015).

  • I. Atrialer Bigeminus:

Der atriale Bigeminus stellt eine Sonderform der supraventrikulären Extrasystolie (SVES) dar (Haas 2011).

  •  II. Ventrikulärer Bigeminus:

Es handelt sich dabei um komplexe ES, die in der Klassifikation nach Lown zum Grad III b zählen (Herold 2022), s. a. VES. Heutzutage wird die Lown- Klassifikation allerdings kaum noch verwendet (Braun 2022).

Vorkommen/Epidemiologie

Bigeminus kann in jedem Lebensalter – von der Fetalzeit bis zum hohen Alter – auftreten (Gravenhorst 2021).

- I. Atrialer Bigeminus:

Ein atrialer Bigeminus findet sich nahezu ausschließlich bei Feten und Neugeborenen (Haas 2011).

- II. Ventrikulärer Bigeminus:

Ein ventrikulärer Bigeminus tritt bei ca. 17,2 % aller Patienten mit Digitalisintoxikation auf (Erdmann 1983).

Ätiopathogenese

Die Ursachen eines Bigeminus sind insbesondere:

- Digitalisintoxikation

Die Digitalisintoxikation stellt die häufigste Ursache dar. Hierbei tritt neben dem Bigeminus auch gehäuft ein Trigeminus auf (Herold 2022).

- Hypokaliämie (Belz 2013)

Es kommen ebenso die ätiologischen Ursachen für Extrasystolen in Frage, die da sind:

- Physiologische Gründe:

Diese finden sich auch bei Gesunden. Hierbei treten Extrasystolen durch erhöhten Sympathikotonus (Kasper 2015), emotionale Erregung, vegetative Labilität, Übermüdung, Einnahme von Genussmitteln wie z. B. Alkohol, Nikotin, Koffein, erhöhten Vagotonus etc. auf (Herold 2022).

- Organische Erkrankungen des Herzens:

Hierzu zählen z. B. Kardiomyopathien, Myokarditis, koronare Herzkrankheit (Herold 2022), Herztumoren, angeborene Herzfehler (Paul 2018).

- Extrakardiale Ursachen:

Zu den extrakardialen Ursachen zählen z. B. Hyperthyreose, Hypokaliämie, Einnahme bestimmter Medikamente wie z. B. Antiarrhythmika, Sympathomimetika, Digitalis, trizyklische Antidepressiva (Herold 2022), Katecholamine, Chinidin, Atropin. (Wolff 2012), Fieber, Infektionen (van Aken 2007), Azidose, Hypoxie, Elektrolytstörungen, Hyperkalzämie, Hypomagnesiämie (Haas 2021).

- Idiopathisch (Ip 2017)

Pathophysiologie

- I. Supraventrikulärer Bigeminus:

Hierbei trifft die SVES auf noch refraktäres Kammergewebe, eine Kammererregung findet somit nicht statt (Haas 2010).

- II. Ventrikulärer Bigeminus:

Bei der auf einen Normalschlag auftretenden Extrasystole ist die Zeit für eine ausreichende diastolische Blutfüllung des Herzens zu kurz. Durch diese frustrane Kontraktion wird somit kein Blut ausgeworfen. Die periphere Pulsfrequenz wird dadurch i. d. R. halbiert. Durch die Pulsverlangsamung und die verminderte Pumpleistung des Herzens kann es zu einer Herzinsuffizienz und einer zerebralen Minderdurchblutung kommen (Belz 2013).

 

Klinisches Bild

Für einen Bigeminus typische Symptome bestehen oftmals aus Schwächegefühl und Schwindel. Diese kommen durch langanhaltende Phasen des Bigeminus mit Absinken des Herzzeitvolumens zustande (Braun 2022).

Es können aber auch Symptome der Extrasystolen auftreten wie z. B.:

- Kardiale Synkope / Präsynkope (Kasper 2015)

- Palpitationen (Herold 2022)

- Dyspnoe (Meismann 2021)

Da Extrasystolen eine unbewusste Reaktion des autonomen Nervensystems verursachen, können Palpitationen eine Angstreaktion bis hin zur Panikattacke bei Betroffenen auslösen. Diese Patienten klagen u. U. über Dyspnoe, Enge in der Brust etc. (Meismann 2021).

Diagnostik

In der Hausarztpraxis können bei Patienten mit Palpitationen sog. „Patientenaktivierte Ereignisrekorder = ER“ zur Diagnostik einer Arrhythmie bzw. Extrasystolen eingesetzt werden (Klein Wiele 2016).

 

Bildgebung

Langzeit- EKG

- I. Supraventrikulärer Bigeminus:

Hier findet sich im EKG nach dem QRS- Komplex des Normalschlags eine vorzeitig einsetzende P- Welle, der jedoch kein QRS- Komplex folgt (Haas 2011)

- II. Ventrikulärer Bigeminus:

Typischerweise fehlt hierbei die P- Welle vor jeder Extrasystole. Die Kammerkomplexe der Extrasystole sind schenkelblockartig deformiert (Haas 2011) und auf > 0,12 s verbreitert (Kasper 2015).

Labor

Insbesondere Überprüfung des Digitalis- und Kaliumspiegels (Belz 2013).

Komplikation(en)

Bei organischen Herzerkrankungen wie z. B. dem akuten Myokardinfarkt kann ein Bigeminus Vorbote lebensbedrohlicher Arrhythmien bis hin zum Kammerflimmern darstellen. Als Vorboten gelten außerdem:

- gehäufte polytope und polymorphe VES

- Couplets

- Salven

- R auf T- Phänomen (Herold 2022)

Therapie allgemein

  • I. Atrialer Bigeminus:

Beim einem atrialen Bigeminus, einer Sonderform der blockierten supraventrikulären Extrasystolie, der sich fast ausschließlich bei Feten und Neugeborenen zeigt, ist eine Therapie in den überwiegenden Fällen nicht erforderlich, da der atriale Bigeminus fast immer spontan verschwindet (Haas 2011). Problematisch werden kann eventuell eine Senkung der Kammerfrequenz, die hämodynamisch bedeutsam wird (Haas 2011).

 

  • II. Ventrikulärer Bigeminus:

Die Therapie ist bei einem ventrikulären Bigeminus abhängig vom jeweiligen Ausmaß der Kreislaufinsuffizienz (Helfen 2020). Sollte es zu einem Abfall des Herzminutenvolumens (Schlagvolumen x Anzahl der Herzschläge pro Minute [Buchsteiner 2020]) kommen, können Antiarrhythmika eingesetzt werden. Eventuell kann auch eine Therapie mit Medikamenten zur Frequenzerhöhung sinnvoll sein (Freytag 2010).

Als Antiarrhythmika ist in erster Linie zu empfehlen:

- Mexiletin, Handelsname Mexitil p. o. (Ullrich 2005)

oder bei V. a. Digitaliüberdosierung:

- Lidocain i. v. 1,0 – 1,5 mg / kg KG (Helfen 2020)

 

          - Digitalisüberdosierung:

Bei einer Digitalisüberdosierung sollten Magnesiumsulfat oder Lidocain verabreicht werden. Dosierungsempfehlung: Magnesiumsulfat 2 g i. v., Lidocain 1,0 – 1,5 mg / kg KG i. v. (Helfen 2020)

 

           - Digitalisintoxikation:

- sofortiges Beenden der Digitaliszufuhr

- Förderung der Elimination von Digitalis durch:

- Antidotbehandlung mit Fab- Antikörperfragmenten wie z. B. DigiFab (Böhm 2000). Dosierung:

        - bei bekannter Menge an Digitalis: 80 mg Antidigoxin- Fab binden 1 mg Digoxin, so dass der Digoxin- Spiegel um 1ng / ml sinkt und bei Digitoxin um 10 ng / ml (Flake 2021)

        - bei unbekannter Menge an Digitalis nach krimineller oder suizidaler Absicht: Bolus von 160 mg als Kurzinfusion in 5 % iger Glukose über 20 Min., danach 20 mg / h über 12 h (Flake 2021)

- Entgiftungsmaßnahmen in Form von:

        - Magenspülung bei einem Zeitintervall < 1 h

        - Gabe von Aktivkohle

- bei Intoxikation mit Digitoxin:

        - zusätzlicher Einsatz von Austauscherharzen wie z. B. Colestipol oder Colestyramin

        - Hämoperfusion:

                - wirkt allerdings nicht bei einer Vergiftung mit Digoxin

                - Hämodialyse und Peritonealdialyse sind zur Glykosidelimination nicht geeignet (Böhm 2000)

- Symptomatische Therapie in Form von:

        - temporärem Schrittmacher

        - Atropin bei Bradykardie (Herold 2022) Dosierung: 1mg Atropin i. v. (Böhm 2000)

 

- Ausgleich der Elektrolyte, insbesondere einer Hypokaliämie:

        - Eine Hypokaliämie ist oftmals mit einer Alkalose assoziiert. Hierbei empfiehlt sich die Gabe von KCL. Dosierungsempfehlung: KCL oral 50 – 100 mmol / d (Schoenenberger 2009)

        - Bei metabolischer Azidose: Kaliumgabe als Glukonat oder Zitrat. Dosierungsempfehlung: 60 – 240 mmol Kalium / d (Schoenenberger 2009)

        - Bei Diuretika- induzierter Hypokaliämie: Therapie mit Amilorid, Spironolacton oder KCL (Schoenenberger 2009). Dosierungsempfehlungen:

- Amilorid 5 – 40 mg / d

- Spironolacton 50 – 100 mg / d

- KCL 40 mmol / d (Schoenenberger 2009)

 

Verlauf/Prognose

Die Prognose des atrialen Bigeminus, einer Sonderform der blockierten supraventrikulären Extrasystolie, ist gut (Haas 2011).

Die Prognose idiopathischer ventrikulärer Extrasystolen ist ebenfalls gut, sofern keine strukturellen Erkrankungen des Herzens vorliegen (Muser 2021) und sich kein malignes Potential entwickelt (Ip 2017). Näheres s. VES.

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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