Kardiomyopathie, diabetische I42.88

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

Alle Autoren dieses Artikels

Zuletzt aktualisiert am: 24.05.2022

This article in english

Synonym(e)

Diabetic Cardiomyopathy; Diabetische Kardiomyopathie

Erstbeschreiber

Bereits im Jahre 1881 beschrieb Mayer ein Krankheitsbild, dass die Herzinsuffizienz als eine „häufige und bemerkenswerte Komplikation des Diabetes mellitus“ bezeichnete (Stratmann 2018).

Der Begriff der diabetischen Kardiomyopathie wurde erstmals 1972 von Rubler et al. (Stratmann 2018) geprägt als eine „myokardiale Dysfunktion bei Patienten mit Diabetes in Abwesenheit von koronarer Herzkrankheit, Hypertrophie oder Klappenerkrankung“ (Marx 2019).

Definition

Laut WHO ist die Kardiomyopathie definiert als eine Erkrankung des Myokards, die mit einer kardialen Dysfunktion einhergeht (Erdmann 2009) bzw. eine Erkrankung des Myokards, die ursächlich durch einen Diabetes mellitus verursacht wird und unabhängig von einer KHK oder einer arteriellen Hypertonie auftritt (Stratmann 2008). Sie kann sowohl zu systolischen als auch zu diastolischen Funktionsstörungen führen (Haag 2012). 

Bis heute ist allerdings unklar, ob die diabetische Kardiomyopathie als separate Krankheitsentität existiert oder nicht (Marx 2019). Sie stellt auf der anderen Seite aber eine der häufigsten und gefährlichsten Komplikationen bzw. Begleiterkrankungen eines Diabetes mellitus dar (Stiefelhagen 2015).

Einteilung

Die diabetische Kardiomyopathie zählt laut American Heart Association zu den sekundären Kardiomyopathien (Erdmann 2009).

Man differenziert laut WHO- Klassifikation bei den Kardiomyopathien zwischen:

Die Kardiomyopathie führt zu einer chronischen Herzinsuffizienz, bei der man differenziert zwischen:

  • diastolischer Herzinsuffizienz (heart failure with preserved ejection fraction = HFPEF). Hierbei findet sich eine nahezu normale Ejektionsfraktion, das enddiastolische linksventrikuläre Volumen ist normal bis reduziert und der Füllungsdruck erhöht (Stratmann 2014).
  • systolischer Herzinsuffizienz (heart failure with reduced ejection fraction = HFREF). Diese ist gekennzeichnet durch eine reduzierte kontraktile Funktion des linken Ventrikels, ein herabgesetztes Schlagvolumen (EF < 50 %), einen erhöhten enddiastolischen Druck und ein erhöhtes Ventrikelvolumen. Es sind sowohl die diastolische als auch die systolische Funktion gestört (Stratmann 2014).

Vorkommen/Epidemiologie

Die diabetische Kardiomyopathie tritt überwiegend bei Typ 2 Diabetikern auf, wurde aber auch bei langjährigem Typ 1 Diabetikern diagnostiziert (Mehnert 2003).

Patienten mit Diabetes Typ 2 leiden 4 x häufiger als gesunde Gleichaltrige an einer Herzinsuffizienz. Umgekehrt leiden ca. 24 % der Patienten mit Herzinsuffizienz an einer diabetischen Stoffwechsellage, von den hospitalisierten Patienten sind es sogar 40 % (Stratmann 2014).

Patienten mit Vorstufen eines Diabetes mellitus - wie z. B. metabolisches Syndrom - haben ebenfalls ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Herzinsuffizienz. Aber umgekehrt entwickeln Patienten mit einer nicht- ischämischen Kardiomyopathiehäufiger als die Allgemeinbevölkerung im weiteren Verlauf einen Diabetes mellitus und / oder eine Insulinresistenz (Stratmann 2014).

8 – 15 Jahre nach Diagnosestellung ist für Diabetiker – ohne erkennbare makrovaskuläre Erkrankungen – das Risiko einen Myokardinfarkt zu erleiden, genauso hoch wie bei Nicht- Diabetikern bei Z. n. Myokardinfarkt (Mehnert 2003).

Ätiopathogenese

Die Ursache der diabetischen Kardiomyopathie ist die Diabetes mellitus Erkrankung.

Risikofaktoren für die Entstehung einer Herzinsuffizienz bei Diabetikern sind:

Pathophysiologie

Die pathophysiologischen Zusammenhänge sind bislang nicht ausreichend geklärt. Man vermutet, dass Hyperglykämie, Hyperlipidämie und Hyperinsulinämie zu Veränderungen im myokardialen Metabolismus führen, die wiederum funktionelle und strukturelle Störungen hervorrufen (Stratmann 2014).

Dabei spielen vermutlich eine Aktivierung des Renin- Angiotensin- Systems, eine gestörte Kalziumhomöostase, ein erhöhter oxidativer Stress, eine mitochondriale Dysfunktion und ein gestörter Substratmetabolismus eine Rolle (Haag2012).

 

Durch die zellulären Effekte kommt es zu:

  • oxidativem Stress
  • Absterben der Myozyten
  • Störungen des Ionenhaushalts
  • interstitieller Fibrose (Stratmann 2008)

Dieses bewirkt eine Energiemangelsituation für den Herzmuskel trotz energetischem Überangebot (Stratmann 2014)

Manifestation

Die diabetische Kardiomyopathie manifestiert sich in unterschiedlichen Bereichen:

  • in der Funktion des Ventrikels

Diese äußert sich in Ventrikelfunktionsstörungen, die einer dilatativen Kardiomyopathie ähnlich sind, mit erhöhtem linksventrikulärem Volumen, reduziertem Schlagvolumen und linksventrikulärer Hypokinesie. I. d. R. geht die diastolische Funktionsstörung der systolischen voraus.

  • im intrakardialen Nervensystem

Dies wird auch als „autonome Neuropathie“ bezeichnet. Sie betrifft sowohl die sympathische als auch die parasympathische Innervation, wobei deutlich früher und in einem stärkeren Ausmaß vagale Efferenzen betroffen sind.

  • in der Mikrozirkulation des Herzens

Sie wird auch als „diabetische Mikroangiopathie“ bezeichnet. Dem Herzmuskel stehen unter Belastung auf Grund von Insulinrezeptor- und Glukosetransporterdefekten nicht ausreichend Glukose und Laktat zur Verfügung. 

  • Vaskulopathie

Es kommt durch die Vaskulopathie zu degenerativen Veränderungen im Bereich der Gefäße. Diese sind nicht unbedingt durch die Hyperlipidämie bedingt, wie man bis zu den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts noch annahm (es ist bei 30 % - 50 % angiographisch und autoptisch keine Atherosklerose der großen Gefäße nachweisbar gewesen).

(Gerok 2007)

 

 

Klinisches Bild

Nicht selten sind frühe Stadien der Erkrankung symptomlos.

Das klinische Bild entspricht ansonsten dem anderer Kardiomyopathien:

  • periphere Ödeme (besonders am Fußrücken und den Unterschenkeln)
  • Halsvenenrückstau
  • Dyspnoe besonders bei Belastung
  • Herzrhythmusstörungen
  • Schwindel
  • Leistungsminderung 

(Erdmann 2009)

Diagnostik

Auch bei nicht- symptomatischen Patienten sollte bereits als Screening eine Gewebedoppler- Echokardiographie erfolgen (Stratmann 2014).

Bei der körperlichen Untersuchung können vorhanden sein:

  • als Zeichen einer autonomen Neuropathie (bestehen bei ca. 40 % der Diabetiker)
    • Ruhetachykardie
    • Frequenzstarre bei Belastung 
    • Frequenzstarre bei der Ein- und Ausatmung
    • orthostatische Hypotonie
    • Überempfindlichkeit gegenüber Katecholaminen

(Gerok 2007)

Bildgebung

Echokardiographie

  • typisch für die diabetische Kardiomyopathie ist eine konzentrische Myokardhypertrophie 
  • diastolische Funktionsstörung mit oftmals erhöhter linksventrikulärer Muskelmasse (findet sich bei 33 % - 75 % der normotensiven Diabetiker ohne Hinweise auf myokardiale Ischämien)

(Erdmann 2009). Diese ist oftmals ein früher Marker der Erkrankung (Marx 2019).

 

Gewebedoppler- Echokardiographie

Der Gewebedoppler hat besonderen Stellenwert bei der Diagnostik der frühen Herzinsuffizienz.

 

 

 

Labor

  • BNP

Die Bestimmung von BPN hat möglicherweise einen Stellenwert bei asymptomatischen Diabetikern zur Erkennung einer linksventrikulären Dysfunktion und auch hinsichtlich der Prognose, wie eine Studie von Bhalla et al. (2004) zeigte (Tschöpe 2006).

Histologie

  • konzentrische (Erdmann 2009) myokardiale Hypertrophie
  • Apoptose
  • Nekrose
  • verstärkte Bildung interstitiellen Gewebes

(Stratmann 2008)

  • mikrovaskuläre Veränderungen

(Erdmann 2009)

  • Verdickungen der Basalmembran im Bereich der Arteriolen und Kapillaren
  • interstitielle Fibrose
  • hypertrophe Myozyten
  • geleg. Mikroaneurysmen
  • Infiltration des Interstitiums mit PAS- positivem Material

(Tschöpe 2006)

 

 

Differentialdiagnose

  • hypertoniebedingte Kardiomyopathie
  • KHK- bedingte Kardiomyopathie

(Erdmann 2009) 

Komplikation(en)

Es besteht eine deutlich erhöhte Sterblichkeit nach Myokardinfarkt und bei Vorliegen einer Herzinsuffizienz. Als Ursache wird die diabetische Kardiomyopathie angesehen (Tschöpe 2006).

 

 

Therapie

Die Therapie entspricht der Behandlung anderer Kardiomyopathien (Marx 2019), wie z. B. mit ACE- Hemmern, AT1- Rezeptor- Antagonisten oder Beta- Rezeptorenblocker (Tschöpe 2006).

Spezielle Empfehlungen für die diabetische Kardiomyopathie können nicht gegeben werden, da es an prospektiven Studien fehlt. 

Für herzinsuffiziente Diabetiker haben zwei Versicherungsdatenbanken eine reduzierte Mortalität bei Patienten gefunden, die mit Metformin behandelt wurden. Allerdings ist Metformin problematisch bei symptomatischen Patienten wegen der Gefahr einer Laktatazidose. 

Eine ebenfalls reduzierte Mortalität fand sich unter einer Glitazon- Therapie. Glitazon kann aber durch eine Flüssigkeitsretention eine bereits bestehende Herzinsuffizienz ungünstig beeinflussen.

(Erdmann 2009)

Für eine Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer Funktion (HFpEF), die bei Diabetikern in bis zu 50 % vorliegt, existiert bislang lediglich eine symptomatische Therapie (Marx 2019).

Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt eine rasche und hochsignifikante Reduktion der Hospitalisierung für Herzinsuffizienz unter einer Behandlung mit SGLT2- Inhibitoren wie z. B. Dapagliflozin oder Empagliflozin (Marx 2019).

Dosierungsempfehlung: Dapagliflozin 10 mg 1 x / d, Empagliflozin 25 mg 1 x / d (Müller 2021).

 

Von großer Bedeutung ist, neben der Einstellung des Blutzuckers, die des Blutdrucks. Hier sollte die niedrigst verträgliche Einstellung des Blutdrucks mit Diuretika, ACE- Hemmern, AT1- Rezeptor- Antagonisten bzw. Beta- Rezeptorenblocker angestrebt werden (Tschöpe 2006).

 

Da Glitazone eine Flüssigkeitsretention mit peripheren Ödemen bewirken können, gelten sie als kontraindiziert bei der diabetischen Kardiomyopathie. Auf die Behandlung mit Metformin sollte ab NYHA III verzichtet werden (Tschöpe2006).

 

 

Verlauf/Prognose

Nahezu die gesamte Mortalität ist bei Diabetikern kardiovaskulär bedingt (Just 2013).

Es gibt Hinweise darauf, dass die diabetesbedingte Kardiomyopathie durch eine Insulintherapie gelindert werden kann (Kasper 2015).

Bei Diabetikern, die an einer Herzinsuffizienz leiden, liegt die 5- Jahresüberlebensrate bei lediglich 12 % (Herold 2020). Eine noch schlechtere Prognose haben Diabetiker mit dekompensierter Herzinsuffizienz. Nach 6 Monaten sind bereits > 20 % verstorben (Tschöpe 2006).

Die kardiovaskuläre Todesrate bei männlichen Patienten mit Diabetes mellitus ist um das zweifache und bei Frauen um das vierfache erhöht (Kasper 2015).

Patienten mit einer diabetischen Kardiomyopathie entwickeln nach einem Infarkt vergleichsweise häufiger ein Lungenödem, einen kardiogenen Schock und eine Linksherzinsuffizienz. Auch die Todesrate nach Infarkt ist gegenüber den Patienten ohne eine zusätzliche Diabetes mellitus Erkrankung deutlich erhöht (Mehnert 2003).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische Herzinsuffizienz – Langfassung, 2. Auflage. Konsultationsfassung. 2017 [cited: YYYY-MM-DD]. www.herzinsuffizienz.versorgungsleitlinien.de. Internet: www.versorgungsleitlinien.de, www.awmf-leitlinien.de.
  2. Erdmann E (2009) Klinische Kardiologie: Krankheiten des Herzens, des Kreislaufs und der herznahen Gefäße; mit 169 Tabellen und 106 Übersichten; [Therapie evidenzbasiert]. Springer Verlag 508, 527
  3. Gerok W (2007) Die innere Medizin: Referenzwerk für den Facharzt. Schattauer Verlag 261 – 262
  4. Haag T et al. (2012) Diabetologie für die Praxis: Fallorientierte Darstellung – Diagnostik und Therapie Thieme Verlag 466
  5. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 729
  6. Just H et al. (2013) Myokarderkrankungen, Perikarderkrankungen, Herztumor. Springer Verlag 360 - 363 
  7. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 290e1, 2427 – 2428
  8. Marx N et al. (2019) Herzinsuffizienz und Diabetes – unterschätzt, wenig verstanden und zu selten diagnostiziert. Herz (44) 189 – 191
  9. Mehnert H et al. (2003) Diabetologie in Klinik und Praxis. Thieme Verlag 446, 456
  10. Müller U A et al. (2021) Elsevier Essentials Diabetes: Das Wichtigste für Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen. Elsevier Health Services Verlag 4.2.4.
  11. Stiefelhagen P (2015) Die diabetische Herzinsuffizienz hat viele Ursachen. Info Diabetologie (9) 48
  12. Stratmann B et al. (2008) Diabetische Kardiomyopathie: Eine Variante der koronaren Herzkrankheit? Der Internist (49) 436 – 440 
  13. Stratmann B et al. (2014) Diabetische Kardiomyopathie / Herzinsuffizienz – Neues zu Ursachen, Diagnostik und Therapie. Dtsch Med Wochenschr (139) 2006 – 2009
  14. Stratmann B et al. (2018) Diabetes mellitus und Herzinsuffizienz – tödliches Duo. CME- Fortbildung. Diabetes, Stoffwechsel und Herz. 27 (4) 205 - 212
  15. Tschöpe D et al. (2006) Diagnostik und Therapie von Herzerkrankungen bei Diabetes mellitus. Evidenzbasierte Leitlinie DDG 

Weiterführende Artikel (1)

Diabetes mellitus ;

Disclaimer

Bitte fragen Sie Ihren betreuenden Arzt, um eine endgültige und belastbare Diagnose zu erhalten. Diese Webseite kann Ihnen nur einen Anhaltspunkt liefern.

Abschnitt hinzufügen

Autoren

Zuletzt aktualisiert am: 24.05.2022