Enzephalopathie, hypertensive I67.4

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 04.10.2022

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Synonym(e)

Hypertensions- Enzephalopathie; hypertensive Enzephalopathie; Posteriores reversibles Enzephalopathie- Syndrom; PRES

Erstbeschreiber

Hinchey et al. beschrieben die hypertensive Enzephalopathie erstmals 1996 bei insgesamt 15 Patienten (Fischer 2017). Seinerzeit wurde das Krankheitsbild als RPLS = reversibles posteriores Leukenzephalopathie- Syndrom bezeichnet. Den Namen „Posteriores reversibles Enzephalopathie- Syndrom (PRES)“ erhielt es erst 2002 (Schwab 2015).

 

Definition

Man versteht unter einem PRES eine Enzephalopathie, die im Rahmen einer hypertensiven Krise (Herold 2022) bzw. einer malignen Hypertonie auftritt. Sie beschreibt ein klinisches Syndrom (Okamoto 2017) und ist i. d. R. reversibel (Kasper 2015).

Einteilung

Die hypertensive Enzephalopathie zählt zum „Posterioren reversiblen Enzephalopathie- Syndrom = PRES“.

Ein PRES kann außerdem verursacht werden durch eine hypertone Krise im Rahmen einer Sepsis, bei Nierenerkrankungen, (Prä)Eklampsie, Behandlung mit Zytostatika und bei Autoimmunerkrankungen. Bei Letzterer ist oftmals die Therapie mit Immunsuppressiva erforderlich, die ebenfalls ein PRES auslösen können (Fischer 2017).

 

Vorkommen/Epidemiologie

Von den > 70 jährigen leiden ca. 70 % an einer arteriellen Hypertonie (Preis 2014). Davon erleidet ca. 1 % eine hypertensive Krise. Von diesen wiederum erkranken ca. 16 % an einer hypertensiven Enzephalopathie (Schoenenberger 2009).

PRES wird auch heutzutage möglicherweise noch deutlich unterdiagnostiziert. Von daher sollten epidemiologische Angaben mit Vorsicht interpretiert werden.

PRES kann in jedem Lebensalter auftreten, vom Kind bis zum älteren Erwachsenen hin. Allerdings sind weibliche Personen im jungen bis mittleren Erwachsenenalter am häufigsten betroffen (Fischer 2017), selbst wenn Patienten mit Eklampsie in der Statistik nicht berücksichtigt werden (Gewirtz 2021).

Bei ca. 0,4 – 6 % tritt ein PRES nach einer Transplantation von Organen und / oder einer Behandlung mit Immunsuppressiva auf. Nach einer Knochenmarktransplantation (und der damit verbundenen höheren Gabe an Immunsuppressiva verglichen mit einer Organtransplantation) sind ca. 8 % der Patienten betroffen (Fischer 2017).

Bei Patienten mit Eklampsie zeigt sich in > 90 % ein PRES, bei der Präeklampsie in ca. 20 % (Fischer 2017).

Patienten mit Covid- 19, bei denen eine Neuro- Bildgebung erfolgte, erkranken in ca. 1 – 4 % an einem PRES (Gewirtz 2021).

 

Ätiopathogenese

- Hypertensive Krise (Herold 2015), ausgelöst durch:

- maligne Hypertonie

- Sepsis

- Nierenerkrankungen

- Autoimmunerkrankungen

- (Prä)Eklampsie

- Therapie mit Zytostatika (Fischer 2017)

- Covid- 19 (Gewirtz 2021)

Pathophysiologie

Der genaue Mechanismus eines PRES ist bislang unbekannt (Fischer 2017).

Derzeit gibt es 2 führende Theorien zur Pathophysiologie eines PRES.

  • 1. Theorie:

Die Enzephalopathie steht hierbei im Zusammenhang mit dem Versagen der Autoregulation des zerebralen Blutflusses. Der mittlere arterielle Druck (MAP) wird durch die zerebrale Autoregulationskurve verschoben. Hierbei spielt allerdings weniger der absolute Wert des Drucks eine Rolle, als vielmehr die Geschwindigkeit der Druckanstiegs. Dies führt zu einer Vasodilatation und Hyperperfusion (Kasper 2015). Betroffen ist hiervon in erster Linie die bilaterale parieto- okzipitale Region (Okamoto 2017).

Diese Pathophysiologie findet sich insbesondere bei Patienten mit maligner Hypertonie, Autoimmunerkrankungen und Nierenerkrankungen (Fischer 2017).

Gegen diese Theorie spricht allerdings die Tatsache, dass ca. 30 % der Patienten mit PRES normale oder allenfalls leicht erhöhte Blutdruckwerte aufweisen (Fischer 2017).

 

  • 2. Theorie:

Nach der 2. Theorie wird PRES durch eine endothele Dysfunktion, die durch zirkulierende endogene und / oder exogene Toxine verursacht wird (Fischer 2017). Die Dysfunktion betrifft ebenfalls in erster Linie die bilaterale parieto- okzipitale Region (Okamoto 2017).

Als Folge der primären endothelen Dysfunktion kommt es zu Blutdruckerhöhungen.

Diese Pathophysiologie findet sich vorwiegend bei Patienten mit Eklampsie, Autoimmunerkrankungen, Sepsis und unter der Behandlung zytostatisch wirksamer Medikamente wie z. B. bei Chemotherapeutika oder immunsuppressiven Medikamenten (Fischer 2017).

Klinisches Bild

Der Beginn der Erkrankung ist meistens (sub) akut (Fischer 2017).

An Symptomen können bei einem PRES bestehen:

- schwere arterielle Hypertonie

- Kopfschmerzen

- Übelkeit

- Erbrechen

- Verwirrung

- Stupor

- Krämpfe

- Koma

- Eiweißwerte im Liquor erhöht

- Hirnödem (Herold 2022 / Kasper 2015)

- eingeschränkte Sehschärfe

- Gesichtsfeldausfälle (Fischer 2017)

- Nasenbluten

- ein asymptomatischer Verlauf ist aber ebenfalls möglich (Bopp 2021)

 

Diagnostik

Bislang ist die Diagnose eines PRES meistens eine Ausschlussdiagnose, da etablierte diagnostische Kriterien fehlen und bildgebende Verfahren überwiegend keine spezifischen Befunde zeigen (Fischer 2017).

 

Körperliche Untersuchung

- Blutdruck an beiden Armen in der richtigen Manschettengröße messen

- Neurostatus erheben

- etwaige Gesichtsfeldausfälle überprüfen

- Augenfundus kontrollieren (Retinopathie)

- Untersuchungen auf mikrovaskuläre oder renale Schädigungen

- etwaige Strömungsgeräusche über den Nieren auskultieren

- kardiovaskuläre Untersuchung (Bopp 2021)

 

Bildgebung

MRT

- Hirnödem

Im MRT zeigt sich typischerweise ein vasogenes (Lamy 2014) posteriores (okzipital > frontal) Hirnödem, das i. d. R. reversibel ist. Man bezeichnet es als „posteriore Leukenzephalopathie“.

Der radiologische Begriff der „reversiblen posterioren Leukenzephalopathie (RPLE)“ gilt inzwischen als veraltet. Heutzutage bezeichnet man das Bild als ein „Posteriores reversibles Enzephalopathie- Syndrom = PRES“ (Kasper 2015).

- intrakranielle Blutungen

Bisweilen können intrakranielle Blutungen (bei ca. 65 % als Mikroblutungen [Fischer 2017]) beobachtet werden und / oder Stellen eingeschränkter Diffusion, ähnlich einem Infarkt (Okamoto 2017). Mikroblutungen lassen sich am besten in T2- gewichteten Sequenzen darstellen (Fischer 2017)

- Wasserscheidenverteilung

- vasogenes Ödem

- Läsionen der subkortikalen Substanz (Fischer 2017), die häufig symmetrisch angeordnet sind (Schwab 2015)

- Beteiligung des Frontal- und Parietallappens möglich (Fischer 2017)

- FLAIR- Sequenzen zeigen Läsionen der weißen Substanz (Bopp 2021)

Es sind allerdings auch Fälle mit normaler Bildgebung beschrieben (Kasper 2015).

 

Computertomographie

Die CT ist weniger empfindlich als die MRT. In der CT kann eine fleckige Hypodensität im betroffenen Gebiet nachweisbar sein (Kasper 2015).

 

EEG

Im EEG zeigen sich keine spezifischen Veränderungen (Schwab 2015). Es können vorhanden sein:

- verlangsamte Deltawellen

- rhythmische Deltaaktivität

- diffuse Theta- Verlangsamung

- scharf- langsame Wellenaktivität

- fokale oder diffuse symmetrische Verlangsamung von Hintergrundaktivitäten

- periodisch auftretende lateralisierte epileptiforme Entladungen (Fischer 2017)

 

Angiographie

Angiographisch können sich eine Vasokonstriktion und ein diffuser oder fokaler Vasospasmus zeigen (Fischer 2017).

 

Labor

Für eine PRES sprechen:

- Laktat- Dehydrogenase (LDH) erhöht

- Leberfunktionsparameter erhöht

- Magnesium erniedrigt (tritt während der ersten 48 h auf)

- Serumeiweiß erniedrigt (findet sich bei bis zu 85 % der Patienten)

- Kreatinin erhöht (Fischer 2017)

- Thrombozytopenie

- Zahl der Schistozyten erhöht (Schwab 2015).

 

Liquor

Die Analyse des Liquor cerebrospinalis zeigt meistens unspezifische Veränderungen (Kasper 2015).

Pathologisch verändert können sein:

- Albumin erhöht

- Albuminozytogische Dissoziation (Fischer 2017)

Differentialdiagnose

  • Reversible zerebrale Vasokonstriktionssyndrom = RCVS:

Fischer (2017) bezeichnet es als wichtigste Differentialdiagnose.

  • Apoplex:

Für einen Apoplex sprechen fokal- neurologische Ausfälle, die bei einem PRES nicht vorkommen (Bob 2021)

  • Sinusvenenthrombose

In der MRT differenzierbar (Schwab 2015)

Therapie allgemein

Da es bislang keine spezifische Behandlung für PRES gibt, ist die Therapie rein symptomatisch (Fischer 2017).

Der Blutdruck bei Patienten mit hypertensiver Enzephalopathie sollte rasch gesenkt werden, aber eine zu aggressive Therapie birgt auch Risiken z. B. in Form eines Apoplexes (Kasper 2015

Interne Therapie

  • Blutdrucksenkung

Der Bluthochdruck sollte bei Vorliegen einer hypertensiven Enzephalopathie mit Medikamenten der ersten Wahl gesenkt werden. Dazu zählen Labetalol und Nicardipin. Diese sollten i. v. unter kontinuierlicher Überwachung zugeführt werden (Williams 2018).

Dosierungsempfehlung Labetalol:

200 – 400 mg (1 – 2 Ampullen à 20 ml) in isotoner Basisinfusionslösung auf insgesamt 200 ml verdünnen und mit einer Infusionsgeschwindigkeit von 120 mg / h in Rücken- oder Linksseitenlage infundieren (Herstellerinformation Aspen Pharma), Wirkdauer: 4 – 6 h (Bopp 2021).

 

Dosierungsempfehlung Nicardipin:

z. B. Antagonil 5 – 10 mg / h per infusionem (Wilhelm 2913)

 

Eberhardt (2017) empfiehlt Clevidipin i. v.

Dosierungsempfehlung Clevidipin:

z. B. Cleviprex 2 mg / h, alle 2 min Erhöhung um 2 mg / h bis der Zieldruck erreicht ist; Maximaldosis liegt bei 32 mg / h (Bopp 2021)

 

Der mittlere arterielle Druck (MAP) sollte um ca. 20 % (Kasper 2015) innerhalb der ersten Stunde gesenkt werden. In den nächsten 6 h Reduktion des Blutdrucks auf 160 / 100 mmHg und nach 48 h Normalisierung des Blutdrucks (Bopp 2021).

 

 

  • Antikonvulsiva

Eine antikonvulsive Therapie ist nicht selten erforderlich. Hierbei gibt es keine allgemeine Empfehlung bestimmter Medikamente. Die antikonvulsive Therapie kann ausgeschlichen werden, sobald der Patient asymptomatisch ist und in der Bildgebung unauffällige Befunde darstellbar sind (Fischer 2017).

 

 

  • Magnesium

Da bei vielen Patienten eine Hypomagnesiämie besteht, sollte Magnesium bis zum hohen Normwert substituiert werden (Fischer 2017).

Verlauf/Prognose

Durchschnittlich ca. 40 % der Patienten mit PRES benötigen aufgrund der Schwere der Erkrankung und etwaiger Komplikationen eine intensivmedizinische Überwachung (Fischer 2017).

Die Prognose der hypertensiven Enzephalopathie ist i. d. R. günstig (Okamoto 2017). Sowohl klinische Symptome als auch die Veränderungen in der Bildgebung sind normalerweise reversibel. In Einzelfällen kann es jedoch zu neurologischen Folgeerscheinungen bis hin zu lang anhaltender Epilepsie kommen (Fischer 2017).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Bopp A, Herren T, Matter H, Wyder D, Rudiger A (2021) Die hypertensive Krise: Unterschiedliche Behandlungen bei hypertensiver Gefahrensituation und hypertensivem Notfall. Swiss Med Forum 21 (41 – 42) 702 - 711
  2. Eberhardt O (2017) Hypertensive Krise und posteriores reversibles Enzephalopathiesyndrom (PRES). Fortschr Neurol Psychiatr 86 (05) 290 - 300
  3. Fischer M, Schmutzhard E (2017) Posterior reversible encephalopathy syndrome. J Neurol. 264 (8) 1608 – 1616
  4. Gewirtz A N, Gao V, Parauda S C, Robbins M (2021) Posterior Reversible Encephalopathy Syndrome. Current pain and Headache Reports 25 (3) 19
  5. Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag 813
  6. Herstellerinformation Aspen Pharma, Dublin
  7. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1615, 1626, 1627, 1773, 1776, 1778, 2584, 463 e- 1
  8. Lamy C, Oppenheim C, Mas J L (2014) Posterior reversible encephalopathy syndrome. Handb Clin Neurol. (121) 1687 - 16701
  9. Okamoto K, Motohashi K, Fujiwara H, Ishihara T, Ninomiya I, Onodera O, Fujii Y (2017) PRES: Posterior Reversible Encephalopathy Syndrome. Brain Nerve 69 (2) 129 – 141
  10. Schoenenberger R A, Häfeli W E, Schifferli J A (2009) Internistische Notfälle: Sicher durch die Akutsituation und die zusätzlichen 48 Stunden. Georg Thieme Verlag Stuttgart 97 – 98
  11. Schwab S, Schellinger P, Werner C, Unterberg A, Hacke W (2015) NeuroIntensiv. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 708 - 709
  12. Wilhelm W (2913) Praxis der Intensivmedizin: konkret, kompakt, interdisziplinär. Springer Medizin Verlag Berlin / Heidelberg 848
  13. Williams B, Mancia G et al. (2018) ESC / ESH Pocket Guidelines: Management der arteriellen Hypertonie. Börm Bruckmeyer Verlag

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