EHEC A04.3

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 11.02.2023

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Synonym(e)

Enterohämorrhagische Escherichia (E.) coli; HUSEK 041; O103; O104:H4; O145; O14:H4; O157; O157:H7; O26; O91; STEC; VTEC

Erstbeschreiber

1885 beschrieb Theodor Escherich das später nach ihm benannte Bakterium als erstes spezifisches Darmbakterium. EHEG wurde erstmals 1977 beschrieben.

Definition

EHEC ist das Akronym für „Enterohämorrhagische Escherichia (E.) coli“. Escherichia coli (kurz E. coli) – auch Kolibakterium genannt – ist ein gramnegatives, sporenloses, säurebildendes und peritrich begeißeltes und deswegen mobiles Bakterium. Es vergärt unter Gasbildung, Glukose, Laktose, Mannitol und bildet Indol. Escherichia coli kommt normalerweise im menschlichen und tierischen Darm vor. Innerhalb der Familie der Enterobaceriaceae in der Ordnung der Enterobacteriales gehört E. coli zur bedeutenden Gattung Escherichia und ist deren Typspezies. E.coli spielt eine große Rolle bei intestinalen und extraintestinalen Infektionen (Hof H et al. 2019)

Enterohämorrhagische Escherichia (E.) coli sind weltweit auftretende Kolibakterien die eine grundsätzliche Eigenschaft zur Bildung bestimmter Zytotoxine haben, den sog. Shigatoxinen – Stx (Synonyme: Shiga-like-Toxine – SLT, Verotoxine – VT). Diese Toxin-bildenden E.coli-Bakterien  werden unter dem Begriff Shigatoxin- bzw. Verotoxin-produzierende E. coli (STEC bzw. VTEC) zusammengefasst.

Shigatoxine binden sich an spezielle Zellmembranrezeptoren, vor allem im kapillaren Endothel, blockieren dort die Proteinsynthese und führen zum schnellen Tod dieser affizierten Zellen. Zusätzlich besitzen viele EHEC eine sogenannte Pathogenitätsinsel (LEE – locus of enterocyte effacement), die für einen Typ-III-Sekretionsapparat verantwortlich ist. Mit dieser Einrichtung können EHEC zytotoxische bzw. inhibierende Toxine– wie mit einer Injektionsnadel – direkt in die Zielzelle applizieren. Das kann zu weiteren klinisch-pathogenen Effekten führen und dadurch die Virulenz der EHEC erhöhen.

Leitmerkmal für diesen Typ-III-Sekretionsapparat ist das eae-Gen. Dessen Genprodukt, das Protein Intimin, befähigt den Erreger u.a., sich eng an Darmepithelzellen anzuheften.

EHEC, die kein eae-Gen besitzen, können andere Adhärenzsysteme ausbilden mit analogem Effekt. Neben ihrer besonderen Virulenz besitzen EHEC eine relativ große Umweltstabilität und eine gute Überlebensfähigkeit in saurem Milieu.

Vorkommen/Epidemiologie

Inzidenz in Mitteleuropa ca. 1:100.000/Jahr. 2011 Epidemie in Deutschland mit dem aggressiven Serotyp O104:H4

Die weltweit bedeutendste EHEC-Serogruppe ist O157. Dies trifft auch auf Deutschland zu. Weitere häufig isolierte Serogruppen sind O26, O91, O103 und O145. Im Zusammenhang mit EHEC-Erkrankungen des Menschen immer noch neue Serogruppen bzw. Serovare (Einteilung nach O- und H-Antigenen, z.B. O157:H7) ermittelt.

Manifestation

E. coli-Infektionen können bei Menschen in jedem Alter auftreten. Schwere Infektionen treten bei Kindern und älteren Menschen häufiger auf (Robert Koch-Institut 2018).

EHEC-Infektionen treten weltweit auf. Die Inzidenz von übermittelten EHEC-Erkrankungen ist bei Kindern unter 5 Jahren am höchsten (s. Epidemiologisches Bulletin und aktuelles Infektionsepidemiologische Jahrbuch des Robert-Koch-Instituts  - www.rki.de/jahrbuch). Der direkte Kontakt zu einem Wiederkäuer (Rind, Schaf oder Ziege) scheint das höchste Erkrankungsrisiko zu sein. Weitere Risikofaktoren sind der Konsum von Rohmilch und das Vorkommen von Durchfall bei Familienmitgliedern. Bei Kindern > neun Jahren und Erwachsenen hingegen handelt es sich wahrscheinlich in erster Linie um lebensmittelbedingte Erkrankungen, wobei insbesondere der Verzehr von Lammfleisch und von streichfähigen Rohwürsten (Zwiebelmettwurst, Streichmettwurst, Teewurst) mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko behaftet ist.

Reservoir: Wiederkäuer, vor allem Rinder, Schafe und Ziegen, aber auch Wildwiederkäuer (z.B. Rehe und Hirsche) werden als wichtiges Reservoir und Hauptinfektionsquelle für EHEC beim Menschen angesehen. Vereinzelt wurde nachgewiesen, dass auch andere landwirtschaftliche Nutztiere sowie Heimtiere EHEC ausscheiden. Die Bedeutung von Nichtwiederkäuern für die Verbreitung des Erregers und für Infektionen beim Menschen wird aber als gering eingeschätzt.

Infektionsweg: EHEC-Infektionen können auf vielfältige Art und Weise übertragen werden. Dabei handelt es sich stets um die unbeabsichtigte orale Aufnahme von Fäkalspuren, wie z.B. bei Kontakt zu Wiederkäuern oder beim Verzehr kontaminierter Lebensmittel. Ansonsten ist der üblichen Ausbreitungsmodus der E.coli-Bakterien gegeben. Wichtig: Begünstigt durch die sehr geringe Infektionsdosis von EHEC (< 100 Erreger für EHEC O157) sind auch Mensch-zu-Mensch-Übertragungen (im Gegensatz zu anderen bakteriellen Gastroenteritis-Erregern) ein bedeutender Übertragungsweg. In den USA beispielsweise waren > 50% der Ausbrüche lebensmittelbedingt, und Rinderhackfleisch (z.B. in Hamburgern) war das am häufigsten identifizierte Lebensmittel. Aber auch andere Lebensmittel wie Salami, Mettwurst, Rohmilch, nicht pasteurisierter Apfelsaft und roh verzehrtes grünes Blattgemüse (z.B. Sprossen, Spinat, Blattsalate) waren für Ausbrüche verantwortlich, wie epidemiologische und mikrobiologische Untersuchungen gezeigt haben.

Inkubationszeit: Die Inkubationszeit beträgt ca. 2 bis 10 Tage (durchschnittlich 3 bis 4 Tage). Diese Erkenntnisse beruhen im Wesentlichen auf Untersuchungen zu EHEC der Serogruppe O157. Symptome EHEC-assoziierter HUS-Erkrankungen beginnen ungefähr 7 Tage (5 bis 12 Tage) nach Beginn des Durchfalls.

Dauer der Ansteckungsfähigkeit: Solange EHEC-Bakterien im Stuhl ausgeschieden werden, ist eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung prinzipiell möglich. Angaben zur durchschnittlichen Dauer der Keimausscheidung liegen nur für die Serogruppe O157 vor und variieren deutlich von einigen Tagen bis zu mehreren Wochen. Allgemein gilt, dass der Erreger bei Kindern länger im Stuhl nachgewiesen werden kann als bei Erwachsenen. Mit einer Ausscheidungsdauer von über einem Monat bei klinisch unauffälligem Bild muss daher gerechnet werden. Die EHEC-Konzentration im Stuhl nimmt mit der Dauer der Ausscheidung ab, so dass auch das Übertragungsrisiko deutlich zurückgeht.

Klinisches Bild

Diarrhö: EHEC-Infektionen können klinisch inapparent verlaufen und somit unerkannt bleiben. Die Mehrzahl der manifesten Erkrankungen tritt als unblutiger, meistens wässriger Durchfall in Erscheinung. Begleitsymptome sind Übelkeit, Erbrechen und zunehmende Abdominalschmerzen, seltener Fieber.

Hämorrhagische Kolitis: Bei 10–20% der Erkrankten entwickelt sich als schwere Verlaufsform eine hämorrhagische Kolitis mit krampfartigen Abdominalschmerzen, blutigem Stuhl und teilweise Fieber.

HUS: Säuglinge, Kleinkinder, alte Menschen und abwehrgeschwächte Personen erkranken häufiger schwer. Gefürchtet ist das vor allem bei Kindern vorkommende HUS, das durch die Trias hämolytische Anämie, Thrombozytopenie und Nierenversagen bis zur Anurie charakterisiert ist. Diese schwere Komplikation tritt in etwa 5–10% der symptomatischen EHEC-Infektionen auf und ist der häufigste Grund für akutes Nierenversagen im Kindesalter. Hierbei kommt es häufig zur kurzzeitigen Dialysepflicht, seltener zum irreversiblen Nierenfunktionsverlust mit chronischer Dialyse. In der Akutphase liegt die Letalität des HUS bei ungefähr 2%.

Diagnose

Eine EHEC-Infektion sollte bei jeder akuten Gastroenteritis im Kindesalter differenzialdiagnostisch berücksichtigt werden. Dies gilt, unabhängig vom Alter, auch für Ausbrüche von Gastroenteritis (zwei oder mehr Erkrankungen, bei denen ein epidemiologischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird). In folgenden Situationen besteht stets die Indikation zur mikrobiologischen Untersuchung einer Stuhlprobe auf EHEC:

Diarrhoe + eine der folgenden Bedingungen:

  • wegen Diarrhoe hospitalisierte Kinder bis zum 6. Lebensjahr
  • sichtbares Blut im Stuhl
  • endoskopisch nachgewiesene hämorrhagische Kolitis

Patient ist direkt mit Herstellen, Behandeln oder Inverkehrbringen von Lebensmitteln befasst oder arbeitet in Küchen von Gaststätten oder sonstigen Einrichtungen mit/zur Gemeinschaftsverpflegung (§ 42 Abs. 1 Nr.3 lit. a und b IfSG)

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Empfehlungen zur Labordiagnostik von EHEC-Infektionen: Das wichtigste diagnostische Merkmal ist der Nachweis der Shigatoxine bzw. der Toxingene stx1 und/oder stx2. Der Toxingennachweis soll mittels PCR (konventionell oder RT-PCR) aus Kolonieabschwemmung oder Stuhlanreicherung erfolgen; dabei sollen PCR-Assays verwendet werden, mit denen eine Unterscheidung von stx1 und stx2 möglich ist. der Toxinnachweis soll mittels ELISA (EIA) aus der E.-coli-Kultur erfolgen (der Nachweis von Shigatoxin mittels ELISA direkt aus dem Stuhl ist zu unspezifisch). Die weitergehende Charakterisierung der Erreger mittels Serotypisierung und/oder Genomsequenzierung ist, für epidemiologische Fragestellungen, insbesondere Ausbruchserkennung, wünschenswert. Deshalb soll eine Erregerisolierung angestrebt und das Isolat an eines der unten aufgeführten spezialisierten Laboratorien eingeschickt werden. Bei HUS sollte zusätzlich eine Untersuchung des Serums auf LPS-Antikörper gegen E. coli O157 u. a. erfolgen.

 

Therapie

Die Behandlung der Krankheitssymptome erfolgt symptomatisch. Eine Antibiotika-Therapie kann die Bakterienausscheidung verlängern und zur Stimulierung der Toxinbildung führen (s.u. E.coli) und ist daher nur selten und unter bestimmten Voraussetzungen angezeigt. Bei Vorliegen eines HUS werden in der Regel forcierte Diurese und bei globaler Niereninsuffizienz Hämo- oder Peritonealdialyse angewendet. Bei atypischen Verlaufsformen (insbesondere bei extrarenaler Manifestation des HUS) wird eine Plasmatherapie empfohlen. Bei Patienten, bei denen die von-Willebrand-Faktor-spaltende Protease ADAMTS13 (VWF-CP) erniedrigt ist bzw. bei denen Antikörper gegen die VWF-CP vorliegen, ist eine immunsuppressive Therapie empfohlen. Die Behandlung sollte in spezialisierten Zentren erfolgen.

Hinweis(e)

Historisch wurden diejenigen STEC (Shigatoxin-produzierende E. coli) als EHEC bezeichnet, die in der Lage waren, schwere Erkrankungen (hämorrhagische Kolitis und hämolytisch-urämisches Syndrom – HUS) hervorzurufen. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde jedoch eine Vielzahl unterschiedlicher STEC-Stämme auch von Patienten mit milden gastroenteritischen Symptomen isoliert, so dass im Infektionsschutzgesetz (IfSG) unter dem Begriff EHEC diejenigen STEC verstanden werden, die fähig sind, beim Menschen Krankheitserscheinungen auszulösen und damit humanpathogen sind. Aufgrund ihrer Antigenstruktur gehören sie verschiedenen Serogruppen (Einteilung nach Oberflächen-O-Antigenen) an (RKI 2018).

Es gibt zwei Typen von Shigatoxinen, die an unterschiedlichen Genloci (stx1-Gen und stx2-Gen) codiert sind. Die stx-Gene können in weitere Subtypen unterteilt werden (stx1a bis stx1c und stx2a bis stx2i). Schwere Erkrankungen, insbesondere blutige Durchfälle und Komplikationen wie das Hämolytisch-urämische-Syndrom  (HUS), werden fast ausschließlich durch durch stx2-positive EHEC-Stämme des Subtyps stx2a und seltener stx2c oder stx2d hervorgerufen.

Literatur
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  1. Dong H et al. (2017) Structural insight into lipopolysaccharide transport from the Gram-negative bacterial inner membrane to the outer membrane. Biochim Biophys Acta Mol Cell Biol Lipids 1862:1461-1467.
  2. Frankel G et al. (2001) Intimin and the host cell--is it bound to end in Tir(s)? Trends Microbiol 9:214-218.

  3. Hof H et al. (2019) Escherichia.  In: Hof H, Schlüter D, Dörries R, Hrsg. Duale Reihe Medizinische Mikrobiologie. 7., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Thieme S 410-414
  4. Johnson JR et al. (2018) Molecular Epidemiology of Extraintestinal Pathogenic Escherichia coli. EcoSal Plus 8. doi: 10.1128/ecosalplus.
  5. Kaito C et al. (2020) Non-pathogenic Escherichia coli acquires virulence by mutating a growth-essential LPS transporter. PLoS Pathog 16:e1008469. 
  6. Robert Koch-Institut (2018): Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2018. Robert Koch-Institut, Berlin, 2018
  7. Robert Koch-Institut (2004): Risikofaktoren für sporadische STEC(EHEC)-Erkrankungen. Ergebnisse einer bundesweiten Fall-Kontroll-Studie. Epid Bull  50:433–436
  8. Robert Koch-Institut (2005): Risikofaktoren für sporadische STEC-Erkrankungen: Empfehlungen für die Prävention. Epid Bull 1:1–3
  9. Tarr PI et al. (2005) Shiga-toxin-producing Escherichia coli and haemolytic uraemic syndrome. Lancet 365:1073-1086
  10. Mellmann A et al. (2008) Analysis of collection of hemolytic uremic syndrome-associated enterohemorrhagic Escherichia coli. Emerg Infect Dis 14(8):1287 – 1290
  11. Fruth A et al. (2015) Molecular epidemiological view on Shiga toxin-producing Escherichia coli causing human disease in Germany: Diversity, preva­lence, and outbreaks. Int J Med Microbiol, 305:697 – 704
  12. Lang C et al.: Whole-Genome-Based Public Health Surveillance of Less Common Shiga Toxin-Producing Escherichia coli Serovars and Un­typeable Strains Identifies Four Novel O Genotypes. J Clin Microbiol 57(10)
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  14. Vygen-Bonnet  S et al. (2017) Ongoing haemolytic uraemic syndrome (HUS) outbreak caused by sorbitol-fermenting (SF) Shiga toxin-producing Escherichia coli (STEC) O157, Germany, December 2016 to May 2017. Euro Surveill 22 pii: 30541.

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