Akute Myeloische Leukämie C92.0, C92.5, C92.6, C92.7, C92.8, C92.9, C93.0

Zuletzt aktualisiert am: 14.11.2021

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Synonym(e)

AML

Definition

Die Akute Myeloische Leukämie (AML) ist eine Neoplasie der Myelopoese mit variabler Beteiligung myeloischer Zelllinien. Die unbehandelte AML führt bei 50% der Patienten 5 Monate nach den ersten Symptomen zum Tode (Southam CM et al. 1951). Erst nach Einführung von Daunorubicin und Cytarabin wurden komplette Remissionen und Langzeiterfolge erreicht (Crowther D et al. 1970).Die Prognose der AML hat sich seit den 70er Jahren stetig verbessert. Prognose der über 70- bis 75-jährigen älteren Patienten ist unverändert schlecht ist.

Einteilung

Das verbesserte Verständnis der molekularen Pathogenese der AML spiegelt sich in der aktuellen WHO Klassifikation wider, in die mehrere balancierte Translokationen bzw. Inversionen als eigene Entitäten [t(15;17), t(8;21), inv(16), t(9;11), inv(3)/t(3;3), t(6;9), t(1;22)] sowie zwei molekulargenetisch definierte Entitäten (AML mit NPM1-Mutation und AML mit doppelt mutierter CEBPA-Mutation) und eine vorläufige molekular definierte Entität (RUNX1-Mutation) aufgenommen wurden.

Eine weitere Subgruppe der AML ist über genetische Veränderungen definiert. Dabei handelt es sich um die AML mit Myelodysplasie-assoziierten zytogenetischen Veränderungen, die eine ganze Reihe von unbalancierten und balancierten Aberrationen umfasst. Insgesamt sind, basierend auf dieser Einteilung, mittlerweile weit über 50% der Patienten mit AML durch zytogenetische und molekulargenetische Charakteristika klassifizierbar. Damit bietet die neue Klassifikation im Vergleich zu den bisher verwendeten, vorwiegend morphologischen Kriterien der FAB-Klassifikation ((Haddad H et al. 2014) einen deutlichen Fortschritt an Objektivität und Reproduzierbarkeit.

Subgruppe AML mit Myelodysplasie-assoziierten Veränderungen (Myelodyplasia Related Changes, MRC): Eine AML-MRC nach WHO liegt bei ≥20% Myeloblasten in KM oder PB vor, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:

  • MDS oder MDS/MPN im Vorverlauf
  • Myelodysplasie-assoziierte zytogenetische Veränderungen
  • Multilineäre Dysplasie im KM bei AML-Erstdiagnose (≥ 50% Dysplasien in ≥ 2 hämatopoetischen Reihen) in Abwesenheit genetischer Marker aus der WHO-Entität „Acute Myeloid Leukemia with recurrent genetic aberrations“

Folgende zytogenetische Veränderungen gelten laut WHO als Myelodysplasie-assoziiert:

  • Komplexer Karyotyp (definiert als 3 oder mehr chromosomale Aberrationen ohne gleichzeitiges Vorliegen einer der genetischen Marker aus der WHO-Entität „Acute Myeloid Leukemia with recurrent genetic aberrations“
  • Unbalancierte Aberrationen: -7 or del(7q); -5 or del(5q); i(17q) or t(17p); -13 or del(13q); del(11q); del(12p) or t(12p); idic(X)(q13)
  • Balancierte Aberrationen: t(11;16) (q23.3;p13.3); t(3;21)(q26.2;q22.1); t(1;3) (p36.3;q21.2); t(2;11)(p21;q23.3); t(5;12) (q32;p13.2); t(5;7)(q32;q11.2); t(5;17) (q32;p13.2); t(5;10)(q32;q21.2); t(3;5) (q25.3;q35.1)

Subgruppe Therapieassoziierte myeloide Neoplasien (Therapy-related myeloid neoplasia, tAML)

Die WHO definiert jede myeloische Neoplasie, die nach vorangegangener zytotoxischer Therapie aufgetreten ist, als therapieassoziiert (Arber DA et al. (2016).

Vorkommen/Epidemiologie

Die Häufigkeit beträgt etwa 3,7 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr und steigt mit dem Alter an mit altersspezifischen Inzidenzen von über 100 Fällen pro 100.000 Einwohner bei Patienten im Alter über 70 Jahre.

Ätiopathogenese

Ursprung ist die pathologische Proliferation klonaler myeloischer Zellen, die meist dem hochproliferativen Progenitorpool (d. h. CD34+/CD38+) oder seltener dem Stammzellpool (d. h. CD34+/CD38-) angehören. Dieser proliferierende Klon überwächst das gesunde Knochenmark und führt zur Depletion der gesunden Hämatopoese mit den daraus resultierenden klinischen Konsequenzen:

  • Granulozytopenie (Infektionen, Sepsis)
  • Thrombozytopenie (Blutungen)
  • Anämie (Dyspnoe, Leistungsminderung).

Im Gegensatz zur Chronischen myeloischen Leukämie (CML) werden bei der AML unterschiedliche zytogenetische Aberrationen gefunden. Neben Gentranslokationen wie den Translokationen t(8;21), t oder der Inversion inv (Creutzig U et al. 2010) fanden sich auch numerische Veränderungen wie:

  • Trisomie 8
  • Monosomie 7

oder

komplexe Veränderungen mit mehr als drei rekurrenten chromosomalen Aberrationen in einem Klon.

Mittels moderner molekularer Techniken (Next Generation Sequencing - NGS) konnte nachgewiesen werden, dass die Erkrankung häufig aus genetisch verschiedenen Subklonen besteht (im Durchschnitt 5 rekurrente Veränderungen). Die Zusammensetzung der verschiedenen Klone kann sich über den Krankheitsverlauf ändern. Die häufigsten Mutationen finden sich in den Genen:

Fast alle Patienten weisen mindestens 1 Mutation in einer von 9 für die Transformation kritischen, funktionellen Gruppen auf. Diese Veränderungen können in 9 Klassen eingeteilt werden:

  1. aktivierende Mutationen der Signaltransduktion (FLT3,KIT,KRAS,NRAS u.a.)
  2. Mutationen von myeloischen Transkriptionsfaktoren (RUNX1,CEBPA u.a.)
  3. Fusionen von Transkriptionsfaktor-Genen (PML-RARA,MYH11-CBFB u.a.)
  4. Mutationen von Chromatin-Modifikatoren (MLL-PTD, ASXL1u.a.)
  5. Mutationen im Cohesin-Komplex (SMC1 u.a.)
  6. Spliceosomen-Mutationen
  7. Mutationen in Tumorsuppressorgenen (TP53,WT1 u.a.)
  8. NPM1-Mutationen
  9. Mutationen in Genen der DNA-Methylierung (TET1TET2IDH1, IDH2, DNMT3B, DNMT1DNMT3A)

Neben dem dominanten Hauptklon finden sich bei etwa 50% der Patienten mindestens ein weiterer Subklon; bei einzelnen Patienten können bis zu drei zusätzliche Leukämieklone vorhanden sein. Diese „klonale Heterogenität“ dürfte eine Rolle für das Therapieansprechen bzw. für die Entwicklung eines Rezidivs haben (Papaemmanuil E et al. 2016).

Risikofaktoren: Ursächlich werden Exposition gegenüber radioaktiver Strahlung (nach japanischen Daten von Überlebenden der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki), Benzolen, Tabak, Mineralölprodukten, Äthylenoxyden, Herbiziden, Pestiziden und Farben. Zytostatika zählen zu den wichtigsten Verursachern, typischerweise Alkylanzien mit einem Auftreten der Leukämie 4-6 Jahre nach Anwendung und Aberrationen an den Chromosomen 5 und/oder 7, sowie Topoisomerase II-Hemmer (Anthrazykline, Anthrachinone, Epipodophylotoxine) mit einem Leukämie-Beginn 1-3 Jahre nach Exposition und häufig assoziierten Chromosomenaberrationen von Chromosom 11 Bande q23 aber auch der balancierten Translokation t(1,17).

Weitere Risiken sind: jüngeres Alter zum Zeitpunkt der Diagnose des Primärtumors, Therapie mit interkalierenden Substanzen (Anthrazyline, Anthrachinone) sowie Topoisomerase-II-Inhibitoren sind mit einem kurzen Latenzzeitraum bis zum Auftreten einer sekundären AML vergesellschaftet(Kayser S et al. 2011).

Weiter ist ein klarer Zusammenhang zwischen dem Rauchen und der AML-Entstehung belegt. Das AML-Risiko ist bei aktiven Rauchern um 40% und bei ehemaligen Rauchern um 25% gegenüber Nichtrauchern erhöht (p<0,001). Es korreliert mit der Zigarettenmenge und betrifft beide Geschlechter gleichermaßen (Fircanis S et al. 2014). Nicht selten besteht ein Zusammenhang mit myelodysplastischen Syndromen (MDS in der Vorgeschichte; MDS-typische Morphologie bzw. Zytogenetik (Weinberg OK et al. 2009).

Eine altersassoziierte klonale Hämatopoese von unbestimmtem Potenzial (ARCH/CHIP) stellt einen Risikofaktor für die Entwicklung einer AML dar. Mutationen in den folgenden Genen wurden häufiger bei CHIP Trägern (CHIP= clonal hematopoiesis of indeterminate potential) gefunden, die später eine AML entwickelten als bei CHIP Trägern, die keine AML entwickelten: DNMT3A, TET2, SRSF2, ASXL1, TP53, U2AF1, JAK2, RUNX1 und IDH2.

Manifestation

Der Altersmedian liegt bei erwachsenen Patienten bei 72 Jahren.

Klinisches Bild

Das klinische Erscheinungsbild der AML ist bestimmt durch die zunehmende hämatopoetische Insuffizienz infolge der blastären Knochenmarkinfiltration. Häufig sind die Symptome zuerst unspezifisch und erweisen sich im weiteren Verlauf als Ausdruck der Anämie (Müdigkeit, verminderte Leistungsfähigkeit, Blässe etc.), der Neutropenie (insbesondere bakterielle Infektionen der Lunge, des Rachens und der Haut sowie systemische Mykosen) und der Thrombozytopenie (Petechien, Ekchymosen, Menorrhagien oder Epistaxis).

Eine vermehrte Blutungsneigung ist aber auch durch eine disseminierte intravasale Gerinnung und Hyperfibrinolyse möglich. Im Blut finden sich bei etwa 60% der Patienten eine Leukozytose, und unabhängig von der Leukozytenzahl leukämische Blasten. Übersteigt die Leukozytose einen Wert von 100.000/µl, besteht die Gefahr der Leukostase mit Hypoxie, pulmonalen Verschattungen, retinalen Einblutungen und neurologischen Symptomen. Die Leukostase stellt einen hämatologischen Notfall dar und erfordert eine rasche Senkung der peripheren Leukozytenzahl durch Chemotherapie und in Ausnahmefällen durch die Kombination von Chemotherapie und Leukapherese.

Seltener sind aleukämische Verläufe mit normaler oder sogar erniedrigter Leukozytenzahl zu beobachten. Diese finden sich gehäuft bei der sekundären oder therapieassoziierten AML und bei älteren Patienten. Bei der myelomonozytär/monoblastär differenzierten AML werden überdurchschnittlich häufig extramedulläre Manifestationen wie Hautinfiltrate (s.u. Leukämia cutis), Meningeosis leukaemica, Gingivahyperplasie und Infiltration von Milz und Leber beobachtet.

Diagnostik

Krankheitsdefinierend ist ein Blastenanteil von ≥20% im peripheren Blut oder im Knochenmark, bzw. Nachweis der AML-definierenden genetischen Aberrationen t(8;21)(q22;q22.1), RUNX1-RUNX1T1, inv(16)/t(16;16)(p13.1;1q22) CBFB-MYH11 oder t(15;17)(q22;q12) PML-RARA (siehe WHO-Klassifikation, Arber DA et al. 2016)

Anamnese und körperlicher Untersuchungsbefund

Blutbild und Differenzialblutbild

Knochenmarkbiopsie (zwingend notwendig bei Punctio sicca)

Immunphänotypisierung (CD33 auf Blasten, CD4, CD56, CD123 und TCL1 zur Differenzierung einer BPDCN)

Zytogenetik: FISH; wenn die zytogenetische Analyse nicht erfolgreich ist: Nachweis von Translokationen wie RUNX1-RUNX1T1, CBFB-MYH11, KMT2A (MLL) und EVI1; oder Verlust von Chromosom 5q, 7q oder 17p

Molekulargenetik (Nachweis von folgenden Mutationen):

  • NPM1
  • CEBPA
  • RUNX1
  • FLT3 (interne Tandemduplikationen (ITD), Mutant-Wildtyp-Quotient)
  • TKD (Kodon D835 und I836)
  • IDH1
  • IDH2
  • TP53
  • ASXL1

Molekulargenetik (Translokationen)

  • PML-RARA
  • CBFB-MYH11
  • RUNX1-RUNX1T1
  • BCR-ABL1
  • KMT2A- (MLL-) Fusionen
  • DEK-NUP214
  • GATA2 MECOM
  • RBM15-MKL1

Allgemeinzustand (ECOG/WHO Score)

Evaluierung der Komorbiditäten (z.B. HCT-CI Score)

Klinische Chemie, Gerinnung, Urinanalyse

Schwangerschaftstest

Genpanel Sequenzierung (bei klinischen Konsequenzen)

Genpanel Sequenzierung (bei klinischen Konsequenzen)

HLA-Typisierung (ggf. auch der Geschwister, Eltern, Kinder) + CMV Status (bei für die allogene Stammzelltransplantation geeigneten Patienten)

Sonstige Zusatzuntersuchungen:

Hepatitis- und HIV-Serologie

Röntgen-Thorax

EKG

Herz-Echo

Lungenfunktion

Differentialdiagnose

Akute lymphatische Leukämie: Knochenmarkzytochemie (Peroxidase- bzw. Esterasepositivität), Immunphänotypisierung, Zyto- und Molekulargenetik

Akute Leukämie unklarer Linienzugehörigkeit: Knochenmarkzytochemie (Pox- bzw. Esterasepositivität), Immunphänotypisierung, Zyto- und Molekulargenetik

Virusinfektionen (z. B. Parvovirus B19, EBV, CMV oder HIV), Virusnachweis (PCR, Ag oder serologisch), fehlender Nachweis von Blasten im PB oder KM-Immunphänotypisierung

Myelodysplastische Syndrome: < 20% Blasten im Knochenmark und/oder peripherem Blut, Zyto- und Molekulargenetik

Vitamin B12/Folsäure – Mangelanämie:  Anamnese, Vitamin B12- und Folsäurespiegel, KM-Morphologie (Megaloblasten)

Aplastische Anämie: KM-Morphologie (Aplasie)Zytogenetik

Leukämisch verlaufende Lymphome: ehlender Nachweis von myeloischen Blasten im PB oder KM, Immunphänotypisierung, ggf. löslicher Interleukin-2-Rezeptor

Myeloproliferative Neoplasien: < 20% Blasten im KM (Ausnahme: Blastenkrise der CML), häufig keine Anämie oder Thrombozytopenie, Zytogenetik t(9;22), Molekulargenetik: BCR-ABL, JAK2-Mutation, CALR-Mutation.

Interne Therapie

Die Therapie der AML sollte an einem hämatologisch-onkologischen Zentrum und im Rahmen einer Therapiestudie durchgeführt werden. Seit den 1980er Jahren haben sich in Deutschland mehrere AML- Studiengruppen und multizentrische Studien formiert:

AML-CG: Bei morphologischem Verdacht bzw. zytogenetischem (t(15;17)) oder molekularbiologischem (PML-RARA) Nachweis einer akuten Promyelozytenleukämie (APL, FAB M3) muss umgehend eine Therapie mit All-trans-Retinsäure (ATRA) eingeleitet werden, gefolgt von einer APL-spezifischen zytostatischen Therapie. Allgemein gliedert sich die intensive kurativ intendierte Therapie der AML in die Induktionstherapie mit dem Ziel der kompletten Remission (CR) und die Postremissionstherapie zur Erhaltung der CR. Die Chance für das Erreichen einer CR nach intensiver Induktionstherapie wird vor allem durch den genetischen Hintergrund der AML und weniger durch das Alter der Patienten bestimmt. Sie liegt bei Patienten mit günstigen zyto- bzw. molekulargenetischen Aberration (u.a. t(8;21), in(16), NPM1-mut, CEBPAdm) bei >80-90% gegenüber <30% bei Patienten mit ungünstigen Aberrationen (u.a. TP53 Mutation, monosomaler Karyotyp). Deshalb sind die zyto- und molekulargenetischen Befunde bereits unverzichtbar bei der Auswahl der initialen Therapie.

Erstlinientherapie:

Intensiv behandelbare Patienten mit kurativer Therapie-Intention („fit“). Dieser Gruppe werden Patienten zugeordnet, die ein biologisches Alter bis 75 Jahre haben, und keine oder wenige Komorbiditäten aufweisen.

Bei jungen Patienten mit Kinderwunsch bzw. noch nicht abgeschlossener Familienplanung soll je nach Dringlichkeit der Therapie die Möglichkeit fertilitätserhaltender Maßnahmen bedacht werden.

Induktionstherapie (Patienten zum Einsatz, bei denen eine unmittelbare Therapie-Indikation bei Erstdiagnose besteht und die Ergebnisse der genetischen Diagnostik noch nicht vorliegen).

Die Standard-Induktionstherapie (7+3 Schema) beinhaltet die Kombination aus der dreitägigen Gabe eines Anthrazyklins/Anthracendions (z. B. Daunorubicin 60 mg/m², Idarubicin 10-12 mg/m², oder Mitoxantron 10-12 mg/m²) und 7 Tage Cytarabin (100-200 mg/m² kontinuierlich).

Bei Einordnung in folgende Subgruppen wird ein alternatives Induktionsschema empfohlen:

  • Patienten mit CD33-positiver Core-Binding-Factor-AML (CBF-AML) und Patienten mit CD33-positiver NPM1-Mutation bei FLT3wt
  • Patienten mit FLT3-Mutation
  • Patienten mit AML-MRC und Patienten mit therapieassoziierter AML (tAML) bei FLT3wt
  • Patienten mit CD33-positiver Intermediär-Risiko-AML bei FLT3wt
  • Patienten mit CD33-positiver Core-Binding-Factor-AML (CBF-AML) und Patienten mit CD33-positiver NPM1-Mutation bei FLT3wt
  • Für die Patienten dieser Subgruppe wird die Hinzunahme von Gemtuzumab Ozogamicin (GO) zum ersten Zyklus einer Standard-Induktionstherapie mit 7+3 empfohlen. Gemtuzumab-Ozogamicin (GO), ein Konjugat aus CD33-Antikörper und Zytotoxin Calicheamicin wurde auf der Basis versch. Studienergebnisse (Hills RK et al. 2014) von der EMA im Jahr 2018 für die Primärtherapie in Kombination mit Standard-Chemotherapie auf der Basis der ALFA-0701-Studie zugelassen. Die CD33-Positivität ist eine in der Zulassung von GO verankerte Voraussetzung für den Einsatz dieser Substanz.
  • Patienten mit FLT3-Mutation
  • Patienten mit FLT3-ITD oder FLT3-TKD-Mutation sollten von Tag 8-21 der Induktionstherapie Midostaurin erhalten. Nach den Daten einer randomisiert-placebokontrollierten Studie kann Midostaurin in Kombination mit Standard-Chemotherapie bei FLT3-mutierten AML-Patienten bis 60 Jahre sowohl EFS, RFS als auch OS signifikant verlängern (Thein MS et al. (2013). Bemerkung: Starke CYP3A4-Induktoren (z.B. Carbamazepin, Rifampicin, Enzalutamid, Phenytoin, Johanniskraut) sollen wegen der Spiegelabsenkung von Midostaurin nicht gleichzeitig gegeben werden.
  • Patienten mit AML-MRC und Patienten mit therapieassoziierter AML (tAML)
  • Für diese Subgruppe ist der Einsatz von CPX-351 ((cytarabine and daunorubicin liposome) als Ersatz für die klassische Kombination aus Cytarabin und Anthracyclin in der Induktionstherapie zugelassen (Lancet JE et al. (2018) CPX-351. Die eingeschlossenen Patienten waren im Alter zwischen 60 - 75 und den folgenden verschiedenen Subgruppen zugehörig.
  • Vorangegangenes MDS (47%) oder CMML (7.5%)
  • de-novo AML mit MDS-Karyotyp (25%)
  • tAML (20%)
  • Patienten mit CD33-positiver Intermediär-Risiko-AML bei FLT3wt
  • Für diese Patientengruppe wies die Metaanalyse zur Wirkung von GO in Kombination mit Standard-Chemotherapie ebenfalls einen Überlebensvorteil nach, wobei NPM1-mutierte Patienten in der intermediären Risikogruppe enthalten waren.
  • Patienten ohne Zuordnung zu den genannten Subgruppen
  • Patienten, die gemäß vorliegender spezifischer Diagnostik keiner der genannten Subgruppen zugeordnet werden können bzw. bei denen ein unmittelbarer Therapiestart bei Erstdiagnose notwendig ist und die Ergebnisse der genetischen Diagnostik noch nicht vorliegen, erhalten die Standard-Induktionstherapie.

Postremissionstherapie:

Patienten, die eine CR erreichen, benötigen eine Konsolidierungstherapie, da ansonsten ein schnelles Rezidiv der AML zu erwarten ist. Die Konsolidierungstherapie kann grundsätzlich mit hochdosiertem Cytarabin oder einer allogenen Blutstammzelltransplantation erfolgen.

Patienten mit CD33-positiver Core-Binding-Factor-AML (CBF-AML) und Patienten mit CD33-positiver NPM1-Mutation bei FLT3wt.: Das Rezidivrisiko dieser Subgruppen ist mit 20-40% vergleichsweise gering, so dass die Postremissionstherapie mit hochdosiertem Cytarabin zu einem relativ hohen Anteil von Langzeitremissionen führt. Außerhalb von Studien sollten Patienten mit zytogenetisch günstigem Risiko, d.h. t(8;21) oder inv(16) daher eine Chemokonsolidierung mit hochdosiertem Cytarabin (HDAC) erhalten, da für sie auf diese Weise mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Langzeitremission erreicht werden kann (Krönke J et al. 2011).

Patienten mit FLT3-Mutation: Für die Patientengruppe mit FLT3-Mutation und Cytarabin-basierter Chemokonsolidierung sollten von Tag 8-21 der Konsolidierungstherapie Midostaurin erhalten, wenn in der Induktion Midostaurin eingesetzt wurde. Nach Abschluss der Chemokonsolidierung: Midostaurin-Erhaltungstherapie über 12 Zyklen über jeweils 28 Tage.Trotz allogener Stammzelltransplantation ist das Rezidivrisiko bei FLT3-ITD-AML erhöht. Ein antileukämischen Effekt von Sorafenib nach allogener SZT ist beelgbar (Chappell G et al. 2019)

Patienten mit AML-MRC und Patienten mit therapieassoziierter AML (tAML): Patienten mit AML-MRC haben ein hohes Rezidivrisiko, weshalb bei geeigneten Patienten in Remission nach CPX-351 mit verfügbarem Spender die allogene Stammzelltransplantation als Postremissionstherapie empfohlen wird. Bei fehlender Transplantationsoption steht CPX-351 auch für die Konsolidierung zur Verfügung (Lancet JE et al. (2018)

Patienten mit intermediärer oder ungünstiger Prognose: Auf Grund des relevanten Rückfallrisikos wird für beide Subgruppen eine allogene SZT als Postremissionstherapie empfohlen, wenn der Patient dazu geeignet ist und ein geeigneter Spender zur Verfügung steht (Appelbaum FR et al. 2006).

Bei älteren fitten Patienten ohne t(8;21) oder inv(16), die nach Induktionstherapie eine CR erreicht haben, sollte nach Möglichkeit eine allogene SZT nach dosisreduzierter Konditionierung angestrebt werden (Ossenkoppele G et al.(2015), da hierbei Langzeitremissionen um 30% erreicht werden können.

Ältere Patienten ≥55 Jahre mit intermediärem oder ungünstigem genetischem Risiko mit CR/CRi nach intensiver Induktionstherapie mit oder ohne vorherige Konsolidierungstherapie, die sich aber für eine allogene Stammzelltransplantation nicht eignen können mit der oralen Azacitidin-Formulierung CC-486 behandelt werden (Wei AH et al. (2020).

Ältere fitte Patienten: Patienten mit biologischem Alter > 65 Jahre mit fehlenden oder geringen Komorbiditäten: Parsi M et al. (2021) Leukemia Cutis. 2021 Jul 21. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2021 Jan–. PMID: 31082180.

Zur Einschätzung der optimalen Behandlungsstrategie sollen neudiagnostizierte AML-Patienten an einem erfahrenen Therapiezentrum vorgestellt werden. Zwischen einer eher eine palliative Therapie mit zytoreduktiver, ambulanter Chemotherapie oder Best Supportive Care (BSC) entschieden werden. Ein kleiner Teil von neudiagnostizierten Patienten kann durch leukämiebedingte Organbeeinträchtigung (z.B. leukämische Infiltration der Leber), neutropene infektiöse Komplikationen oder B-Symptome so beeinträchtigt sein, dass bei Erstdiagnose eine intensive Therapie nicht möglich oder vertretbar ist. Durch eine erfolgreiche Behandlung der AML mit HMA oder LDAC, ggf. in Kombination mit Venetoclax kann sich der Zustand so verbessern, dass eine SZT möglich erscheint und erfolgreich durchgeführt werden kann.

Rezidivtherapie: Bei fitten Patienten, die im Rezidiv mit kurativer Intention behandelt werden sollen, ist die allogene Stammzelltransplantation weiterhin das einzige Verfahren mit der Möglichkeit einer Langzeitremission. Sollte weder ein HLA identischer Familienspender noch ein Fremdspender vorhanden sein, kann auch auf alternative Stammzellquellen, insbesondere HLA-haploidentische Transplantate familiärer Spender zurückgegriffen werden.

Zweitgenerations-Typ-I-FLT3-Inhibitors Gilteritinib für die Monotherapie der rezidiviert/refraktären AML mit FLT3-Mutation eröffnet sich ein zusätzlicher dritter Weg zur allogenen SZT (Perl AE et al. (2019. Bei Patienten mit rezidivierter/refraktärer Erkrankung und FLT3-Mutation wird daher Gilteritinib als Rezidivtherapie der ersten Wahl empfohlen, auch wenn der Patient für eine intensive Salvage-Therapie geeignet und eine allogene SZT geplant ist.

Supportive Therapie: Die Prognose neudiagnostizierter AML-Patienten hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert, vor allem in der jüngeren Patientenpopulation. Wesentliche Bestandteile der supportiven Therapie sind Infektionsprophylaxe und –therapie immunsupprimierter und stammzelltransplantierter Patienten, Transfusionen, Antiemese und Therapie gastrointestinaler Komplikationen.

 

Verlauf/Prognose

Komplette Remission (CR)

  • Blasten im Knochenmark <5%
  • Abwesenheit von Auerstäbchen und extramedullären Manifestationen
  • Neutrophile ≥1000/µl und Thrombozyten ≥100.000/µl
  • keine Blasten im peripheren Blut

Morphologische komplette Remission mit inkompletter hämatologischer Regeneration (CRi)

  • Blasten in Knochenmark <5%
  • Abwesenheit von Auerstäbchen und extramedullären Manifestationen
  • Nur einer der folgenden Parameter trifft zu: Neutrophile ≥1000/µl oder Thrombozyten ≥100.000/µl
  • keine Blasten im peripheren Blut

Molekulare komplette Remission (CRm)

  • CR mit Abwesenheit einer bei Erstdiagnose nachweisbaren molekularen Veränderung

Komplette Remission mit partieller hämatologischer Regeneration (CRh)

  • Blasten in Knochenmark <5%
  • Abwesenheit von Auerstäbchen und extramedullären Manifestationen
  • Neutrophile ≥500/µl und Thrombozyten ≥50.000/µl
  • keine Blasten im peripheren Blut

Bemerkung: Diese Remissionskategorie beschreibt einen Zustand der morphologischen Leukämiefreiheit ohne adäquate Blutbildregeneration und füllt damit eine Lücke zwischen morphologischer Leukämiefreiheit (MLFS) und CR mit inkompletter Regeneration der Neutrophilen bzw. der Thrombozyten (CRi).

Morphologisch leukämiefreier Zustand (MLFS):

  • Blasten in Knochenmark <5%
  • Abwesenheit von Auerstäbchen und extramedullären Manifestationen
  • keine Blasten im peripheren Blut
  • Neutrophile <500/µl UND Thrombozyten <50.000/µl

Retrospektive Analysen deuten eine unterschiedliche prognostische Wertigkeit der verschiedenen CR-Qualitäten an. Demnach sind CRi/CRp/CRh mit einer schlechteren Prognose allsoziiert als CR/CRc/m, während MLFS lediglich ein Ansprechen auf eine vorangegangene Chemotherapie anzeigt.

Partielle Remission (PR)

  • Reduktion der Blasten im Knochenmark auf 5-25% UND Abfall der Blasten um mindestens 50% im Vergleich zum Diagnosezeitpunkt
  • Neutrophile ≥1000/µl und Thrombozyten ≥100.000/µl
  • keine Blasten im peripheren Blut

Rezidiv nach CR

  • Anstieg der Blasten im Knochenmark auf ≥5% oder Blasten im peripheren Blut, die nicht mit reaktiver Blutbildregeneration erklärbar sind

oder

  • extramedulläre AML-Manifestation

Verlauf/Prognose

Den stärksten Einfluss auf die Prognose haben Alter und molekulare bzw. zytogenetische Veränderungen. Mit steigendem Alter sinkt die Chance des Erreichens einer kompletten Remission, gleichzeitig steigt das Rezidivrisiko. In größeren Registern lagen die 5-Jahres-Überlebensraten bei Patienten unter 30 Jahren bei 60%, bei Patienten zwischen 45 und 54 Jahren bei 43%, zwischen 55 und 64 Jahren bei 23% und sanken im höheren Alter weiter ab (Juliusson G et al. (2012).

Weitere Risikofaktoren sind eine hohe LDH und Leukozytenzahl bei Erstdiagnose

Eine Sonderstellung nimmt die Akute Promyelozytenleukämie (APL) ein, deren Prognose mit einer Langzeit-Überlebensrate über 80% am höchsten unter allen AML-Erkrankungen ist, wenn die akute initiale Gerinnungsentgleisung und daraus resultierende lebensbedrohliche Komplikationen effektiv beherrscht werden können.

Nachsorge

Verlaufskontrolle: Während laufender Therapie wird eine Remissionskontrolle im Allgemeinen zu den folgenden Zeitpunkten durchgeführt:

zwei Wochen nach Beginn von Induktion I („Frühpunktion“)

nach Ende der Induktionstherapie bei regeneriertem Blutbild

vor Beginn jeder Konsolidierungstherapie

nach Ende der Postremissionstherapie

Nachsorge: AML Patienten sollten klinisch und hämatologisch nachgesorgt werden, um ein Rezidiv möglichst frühzeitig zu entdecken. Dafür sind regelmäßige klinische Vorstellungen, sowie Blutbild- und Knochenmarkskontrollen notwendig. Bei klinischem Verdacht auf ein Rezidiv oder auffälligem Blutbild muss eine Knochenmarkuntersuchung erfolgen. Da der größte Teil der Rezidive innerhalb von 18-24 Monaten nach Erreichen der Remission auftritt, werden Blutbildkontrollen aller 1-3 Monate innerhalb der ersten zwei Jahre empfohlen, danach alle 3-6 Monate für die Jahre 3-5.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Appelbaum FR et al. (2006) Age and acute myeloid leukemia. Blood 107:3481-3485.
  2. Arber DA et al. (2016) The 2016 revision to the World Health Organization classification of myeloid neoplasms and acute leukemia. Blood 127:2391-2405.
  3. Chappell G et al. (2019) Maintenance sorafenib in FLT3-ITD AML following allogeneic HCT favorably impacts relapse and overall survival. Bone Marrow Transplant 54:1518-1520.
  4. Creutzig U et al. (2010) Favourable outcome of patients with childhood acute promyelocytic leukaemia after treatment with reduced cumulative anthracycline doses. Br J Haematol 149:399-409.
  5. Crowther D et al. (1970) Combination chemotherapy using L-asparaginase, daunorubicin, and cytosine arabinoside in adults with acute myelogenous leukaemia. BMJ 4:513-517.
  6. Fircanis S et al. (2014) The relation between cigarette smoking and risk of acute myeloid leukemia: an updated meta-analysis of epidemiological studies. Am J Hematol 89:E125-132.
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Zuletzt aktualisiert am: 14.11.2021