Retikulohistiozytose multizentrische D76.3

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 16.03.2023

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Synonym(e)

benigne Retikulohistiozytose; Histiocytosis giganto-cellularis; lipoid dermato-arthritis; Lipoiddermatoarthritis; Lipoid-Rheumatismus; multicentric reticulohistiocytosis; multiple Retikulohistiozytome; multizentrische Retikulohistiozytose der Haut und Synovia; Reticulohistiocytosis disseminata; Retikulohistiozytome multiple; Retikulohistiozytose benigne; Retikulohistiozytose der Haut und Synovia multizentrische; Riesenzellhistiozytose

Erstbeschreiber

Goltz u. Laymon, 1954

Definition

Seltene, polytop auftretende, systemische Non-Langerhanszell-Histiozytose mit Befall von Haut, Gelenken, Muskulatur, Herz und Lungen.

Ätiopathogenese

Unbekannt. Assoziationen mit malignen Tumoren wie Kolonkarzinomen, Mammakarzinomen, Zervixkarzinomen bestehen in ca. 28% der Fälle. Bei Hypothyreose auftretend, auch nach Injektion von Röntgenkontrastmitteln. Assoziation mit Tuberkulose wurde beobachtet.

Manifestation

Im mittleren Lebensalter auftretend. Das Verhältnis Frauen zu Männer beträgt ca. 3:1. Bei Kindern bisher nur selten beschrieben.

Lokalisation

Auftreten von Hautveränderungen vor allem periartikulär an Fingern, Rücken und Handgelenken, Gesicht (vor allem Naseneingang und Lippen sowie Ohren). Häufig (> 50%) Beteiligung von Mundschleimhaut und Zunge sowie von Synovia, Knochen und seltener inneren Organen (Muskulatur, Herz, Lungen).

Klinisches Bild

Hautveränderungen: Symmetrisch verteilte, multiple, stecknadelkopf- bis erbsengroße, meist derb-konsistenzvermehrte, hautfarbene jedoch auch kupferbraune, teils langsam wachsende, teils auch eruptiv exanthematisch aufschießende, einzeln stehende, auch konfluierende Papeln und Knoten, evtl. mit atrophischer, ggf. auch exkoriierter, meist glatter Oberfläche. Als typisch (>50% der Fälle) wird eine perlschnurenartige Beteiligung der Nagelfalze der Finger beschrieben (Korallenperlen-Zeichen). Nicht selten wird Juckreiz angegeben. In 25% der Fälle sind gleichzeitig Xanthelasmen vorhanden.

Arthropathien: Schwellung, schmerzhafte Immobilisierung, mutilierende Arthritis vom Typ der primär chronischen Polyarthritis (rheumatoide Arthritis), vor allem an Fingern und Mittelhand, auch an Vertebralgelenken und Iliosakralgelenken.

Histologie

In frühen Läsionen zeigen sich zellulär entzündliche Reaktionen von Histiozyten und Lymphozyten in der oberen und mittleren Dermis. In älteren Läsionen besteht das typische Substrat mit großen mononukleären und multinukleären Riesenzellen (s. Abb.). Im Zytoplasma sind PAS-reaktive, Diastase-resistente und lipidlösliche Substanzen vorhanden.

Im Endstadium besteht Fibrose.

Granulomatöse Gewebereaktionen mit Anhäufungen großer, MS-I (high molecular weight protein) positiver Histiozyten, zytoplasmareicher Makrophagen sowie Riesenzellen mit PAS-reaktiven, lipidlöslichen Substanzen sind vorhanden. Stabilin-1: positiv, S100 und CD1a: negativ.

Therapie

Tumorsuche und -sanierung.

Externe Therapie

Versuch mit intrafokaler Injektion von Triamcinolon-Kristallsuspension (z.B. Volon A verdünnt 1:4 mit LA, z.B. Mepivacain).

Interne Therapie

Symptomatische antirheumatische Behandlung mit nichtsteroidalen Antiphlogistika wie Diclofenac (z.B. Voltaren) 2mal 50 mg/Tag. Die Erkrankung ist in den meisten Fällen selbstlimitiert (Abheilung nach durchschnittlich 8 Jahren).

Wenige schwere Verläufe sind beschrieben mit starker Ausprägung der Hautsymptomatik, Fortdauern des Krankheitsbildes und Organbeteiligung. In diesen Fällen kann immunsuppressive Therapie notwendig werden. Versuch mit Glukokortikoiden initial 100 mg Prednisolonäquivalent/Tag (z.B. Decortin H), langsam ausschleichend.

Ansätze mit Zytostatika (Cyclophosphamid 50 mg/Tag p.o. oder Methotrexat bis 25 mg/Woche i.m. oder i.v.) sind in Einzelfällen mit mäßigen Erfolgen beschrieben. Bei der Verwendung von Zytostatika ist eine strenge Indikationsstellung notwendig, da Aggravationen des Krankheitsbildes möglich sind.

Operative Therapie

Umschriebene Herde können exzidiert, ggf. auch mit Laser entfernt werden.

Verlauf/Prognose

Chronischer Verlauf (in 8–10 Jahren inaktiv), evtl. Deformierungen.

Fallbericht(e)

Fall1. Eine 57-jährige Patientin beklagte einen seit 4 Monaten bestehenden Juckreiz sowie das "plötzliche" Auftreten von zahlreichen, disseminierten, 0,2-0,5 cm großen, festen, braun-roten, stetig wachsenden Papeln. Diese konfluierten an mehreren Stellen (Stamm und untere Extremitäten) zu mehreren bis 10,0 cm großen Plaques. Die Hautveränderungen zeigten am Stamm eine gewisse "Lichtbetonung". Weiterhin zeigten sich dominierend an den distalen und proximalen Interphalangealgelenken beider Hände derbe, konfluierte Papeln und Knoten bei gleichzeitig bestehenden schmerzhaften Gelenkschwellungen und Bewegungseinschränkungen. Anamnestisch bestanden bis auf ein Schilddrüsenadenom bei euthyreoter Stoffwechsellage keine Nebenerkrankungen.
  • Histologie: dermales Infiltrat mit großen, polygonalen Zellen, die sich durch ein eosinophiles milchglasartiges Zytoplasma und durch große plumpe Zellkerne kennzeichnen. Diese Zellen exprimierten CD68 und waren zu 10% positiv für den Proliferationsmarker Ki-67. Negativ reagierte das Infiltrat mit S100 und CD1a.
  • Sonstige Untersuchungsergebnisse: Kein Nachweis von Autoimmunerkrankungen und kein Hinweis auf Malignome. Labor: o.B.
  • Therapie: Symptomatische antirheumatische Behandlung mit dem nichtsteroidalen Antiphlogistikum Diclofenac (2mal 50 mg/Tag). Da diese Therapie erfolglos blieb, wurde eine Folgebehandlung mit Prednisolon 0,5 mg/kg KG absteigend initiiert und zusätzlich Hydroxychloroquin 200mg gegeben. Hierunter kam es bisher (nach 6 Monaten) zu einer sehr langsamen (nicht überzeugenden) leichten Befundbesserung.

Literatur
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