Mastozytosen (Übersicht) Q82.2

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

Co-Autor: Christina Rohdenburg

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Zuletzt aktualisiert am: 23.03.2023

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Synonym(e)

Mast cell disease; Mastocytosis; Mastozytosen

Erstbeschreiber

Nettleship, 1869

Definition

Seltene, klonale Erkrankungen der hämatopoetischen Stammzellen mit Ausbildung klinisch heterogener Krankheitsbilder, die durch Mastzellenproliferate in inneren Organen und/oder (seltener) nur in der Haut (kutane Mastozytosen) gekennzeichnet sind.

Bei der kutanen Mastozytose beschränkt sich die Proliferation der Mastzellen ausschließlich auf die Haut. Die kutane Mastozytose betrifft ganz überwiegend Kinder. 

Bei der systemischem Mastozytose ist zumindest 1 extrakutanes Organ befallen. Sie kann mit und ohne Hauterscheinungen in Erscheinung treten. Makulopapulöse Hauterscheinungen betreffen in einem hohen Prozentsatz die indolente systemische Mastozytose. Bei der aggressiven systemischen Mastozytose fehlen sie weitgehend, bei der (sehr seltenen) Mastzellleukämie fehlen sie komplett. Die meisten Patienten weisen eine aktivierende Punktmutation des KIT-Gens auf (KIT D816V). Sowohl die Expression von KIT (CD117) auf der Zelloberfläche als auch die Mutation sind nicht spezifisch für die Mastozytose.

Die Diagnose „systemische Mastozytose" wird auf der Basis der Kriterien der WHO-Klassifikation 2016 gestellt. Zur Diagnosestellung der SM müssen entweder ein Hauptkriterium und mindestens eines von vier Nebenkriterien oder drei Nebenkriterien erfüllt sein.

Hauptkriterium

  • Histologischer Nachweis multifokaler, kompakter Infiltate aus Mastzellen (≥15) im KM oder in einem extrakutanen Organ

Nebenkriterien

  • Nachweis atypischer spindelförmiger Mastzellen (≥25% aller Mastzellen): histologisch im KM oder in  anderen extrakutanen Organen bzw. zytologisch im KM-Ausstrich
  • Nachweis einer KIT D816 Punktmutation im peripheren Blut, KM oder anderen extrakutanen Organen
  • Nachweis des Oberflächenmarkers CD2 und/oder CD25 auf Mastzellen im KM, im peripheren Blut oder in einem anderen extrakutanen Organ
  • Serum-Tryptase-Spiegel persistierend ≥ 20μg/l

  

Einteilung

Klassifikation der Mastozytosen (modifiziert nach Golkar):

Klassifikation der Mastozytosen je nach Art der systemischen Beteiligung:

  • Typ Ia: Indolente Mastozytose ohne systemische Beteiligung
  • Typ Ib: Indolente systemische Mastozytose mit systemischer Beteiligung (mindestens Befall eines extrakutanen Organs, meist KM)
  • Typ II: Systemische Mastozytose assoziiert mit nicht mastozytärer myeloproliferativer oder myelodysplastischer Beteiligung
  • Typ III: Lymphadenopathische Mastozytose mit Eosinophilie
  • Typ IV: Mastzellleukämie (>20% atypische Mastzellen im KM)

Klassifikation der Mastozytosen je nach C-Kit-Mutationsprofil

  • Mastozytose der Kindheit
    • Keine aktivierende Mutation (die meisten Fälle)
    • D816V aktivierende Mutation (wenige Fälle)
    • Nicht-aktivierende Mutation (die meisten Fälle)
  • Mastozytose der Erwachsenen
    • D816V aktivierende Mutation (die meisten Fälle)
    • 560 aktivierende Mutation (wenige Fälle)
    • 820 aktivierende Mutation (wenige Fälle)
  • Familiäre Mastozytose
    • Keine aktivierende Mutation 
    • Keine nicht-aktivierende Mutation 

Vorkommen/Epidemiologie

Sehr selten; Inzidenz: ca. 0.3-1,0/100.000 Einwohner/Jahr. In dermatologischen Ambulanzen liegt der Anteil im einstelligen Promille-Bereich.

Ätiopathogenese

Der überwiegende Teil der erwachsenen Mastozytose-Patienten zeigt eine Punktmutation des KIT-Gens im Kodon 816. Seltener sind andere Mutationen (s.unter Funktionen von KIT). Diese aktivierende Mutation des Pro-Onkogens c-Kit kodiert für einen Mastzellwachstumsfaktor-Rezeptor, auch Stammzellfaktor (SCF), der die zelluläre Proliferation aktiviert und gleichzeitig die Apoptose von Mastzellen verhindert.

Bei der juvenilen Mastozytose wird die aktivierende c-Kit-Mutation nur selten gefunden und nur bei Fällen, die durch einen persistierenden und progredienten Verlauf gekennzeichnet sind.

Hingegen findet sich sich bei der juvenilen Mastozytose häufig eine inaktivierende c-Kit-Mutation an Codon 839.

Manifestation

Bi- (oder tri-) phasisches Erkrankungsalter:

  • Bei etwa 55% aller Patienten finden sich die Erstsymptome im  Kleinkindesalter (< 2 Jahre). Bei den Mastozytosen des Kindesalters manifestieren sich etwa 90% innerhalb der ersten beiden Lebensjahre; hiervon 75% als makulopapulöse Mastozytose, 20% als Mastozytome, 5% als diffuse Formen).   
  • Bei etwa 10% aller Patienten finden sich die Erstsymptome im Alter von 2-15 Jahren
  • Bei etwa 35% aller Patienten finden sich die Erstsymptome im Erwachsenenalter

m:f=1:4

Klinisches Bild

HV sind bei den indolenten Formen fast immer vorhanden, fehlen bei der Mastzellleukämie häufig. Hautveränderungen werden als günstiges prognostisches Zeichen gewertet. Papulo-makulöse Hautveränderungen definieren das Bild der Urticaria pigmentosa und der kutanen Mastozytome. Als wichtiges diagnostisches Zeichen gilt das "Darier-Zeichen" = sofortige urtikarielle Reaktion nach Bereiben einer Läsion.

Labor

Bei Verdacht auf systemische Mastozytose wird leitliniengemäß die Tryptase bestimmt (Normwert: <20µg/l). Bei Überschreitung des Wertes wird eine systemische Mastozytose für möglich erachtet und eine Knochenmarksbiopsie sowie ein Screening auf weitere Systembeteiligung angestrebt. Bei niedrigen Werten wird ohne zwingende klinische Hinweise in der Regel auf eine umfangreiche Diagnostik verzichtet. In einer größeren Studie konnte bei 32% der Patienten mit kutaner Mastozytose in der Knochenmarkshistologie eine systemische Mastozytose gesichert werden.

Der Tryptasemittelwert des Kollektives mit Systembeteiligung betrug 43,9±39,93µg/l (3,74-173µg/l), ohne Systembeteiligung 19,63±13,31 µg/l (2,44-54 µg/l). Tryptaseerhöhungen > 20µg/l waren bei 43% der Patienten mit rein kutaner Mastozytose nachweisbar. 28% der Patienten mit systemischer Mastozytose zeigten Normalwerte. Somit scheint der Laborwert "Tryptase" kein gesicherter Parameter für die Frage einer Systembeteiligung zu sein.

Ergänzend kann die Bestimmung von N-Methylhistamin bzw. 1,4-Methylimidazolessigsäure im Sammelurin erfolgen.

Histologie

S.u. den verschiedenen Formen.

Diagnose

Programm bei Mastozytosen des Erwachsenenalters (modifiziert nach Langer und Wolff):
  • Basisprogramm:
    • Hautfunktionstest: Urtikarieller Dermographismus (positives Dariersches Zeichen bei Hautläsionen)
    • Hautbiopsie (Giemsa- oder Toluidinblau-Färbung; immunhistologische Untersuchung mit CD2, CD25 (s.u. CD-Klassifikation); diese werden auf normalen Mastzellen nicht exprimiert)
    • Tryptase im Serum (Normwert <20µg/l; zur Wertigkeit s. u. Labor)
    • Sonstiges: Blutbild mit Differenzialblutbild, Thrombozyten, Gerinnungsstatus, CRP, Elektrophorese, Gesamt-IgE, Skelettszintigraphie
    • Röntgen-Thorax
    • Abdomensonographie (Leber und Milz).
  • Erweitertes Basisprogramm (bei begründetem Verdacht auf systemische Mastozytose):
    • Beckenkammbiopsie
    • Magen-Darm-Untersuchungen (Endoskopie).
    • Bei gezielter differenzialdiagnostischer Fragestellung: Ausscheidung des Histamins und seiner Metaboliten im 24-Std.-Urin, 5-Hydroxyindolessigsäure-Ausscheidung im 24-Std.-Urin, Katecholaminausscheidung im 24-Std.-Urin
    • Ggf. genetische Untersuchung mit Nachweis von Punktmutationen des Kit-Gens (s.u. Kit).

Komplikation(en)

Systembeteiligung einer Mastozytose (5-10% der Fälle): Mastzellinfiltration mindestens eines inneren Organes, mit oder ohne Hautbeteiligung. Am häufigsten betroffen sind Skelettsystem (Osteolysen, Osteofibrose v.a. in Schädel, Achsenskelett), Knochenmark (Anämie, Leukozytose, Leukopenie, Eosinophilie), Lymphknoten, Gastrointestinaltrakt (Erbrechen, Krämpfe, Diarrhoen), Leber und Milz (Hepato-, Splenomegalie). Die Anwendung subtiler Untersuchungstechniken (mehrere Knochen-, Leberbiopsien) zeigt teilweise eine höhere Innenorganbeteiligung bei Hautmastozytosen als allgemein angenommen.

Merke! Bei Mastozytose und Insektengiftallergie ist eine spezifische Immuntherapie (SIT) dringlich und lebenslang zu empfehlen.

Therapie

Cave! Meiden von Histaminliberatoren (Koffein, Aspirin, Atropin, Morphin, Toxine, Kälte, Wärme, Nahrungsmittel).

Externe Therapie

Kortikoidtherapie unter Okklusion oder intraläsionale Injektionen sind bei isolierten Mastozytomen beschrieben.

Bestrahlungstherapie

UVA1-Bestrahlung (Kaltlicht) oder PUVA-Therapie, v.a. bei Urticaria pigmentosa und starker kutaner Beteiligung.

Interne Therapie

S.u. den jeweiligen Krankheitsbildern.

  • Antihistaminika ggf. als Kombination von H 1 -Antagonisten (z.B. 1mal/Tag 1 Tbl. Xusal) und H 2 -Antagonisten (z.B. Tagamet 200-800 mg/Tag).
  • Dinatriumcromoglicinsäure (z.B. Colimune 4mal 200 mg/Tag) besonders bei gastrointestinaler Symptomatik.
  • Ketotifen (z.B. Zaditen, 1-4 mg/Tag nach Symptomatik) hemmt gleichzeitig die Mastzellendegranulation und ist ein H1-Blocker.
  • Nur in schweren Fällen sind systemische Glukokortikoide anzuwenden.
  • Experimentell: Masitinib; Masitinib ist ein Medikament in der Gruppe der Protein-Kinase-Inhibitoren (PKI), das bisher als Tierarzneimittel bei einer sehr spezifischen Tumorform bei Hunden (Mastzelltumoren) zugelassen ist. Masitinib hemmt in vitro selektiv die mutierte Form der c-Kit-Tyrosinkinase. Solche durch Mutationen dauerhaft aktivierte c-Kit-Tyrosinkinase spielt eine Rolle bei verschiedenen prolferativen Prozessen so auch bei der Mastozytose. Masitinib hemmt außerdem den Plättchenwachstumsfaktor-Rezeptor (PDGFR) und den Fibroblastenwachstumsfaktor-Rezeptor (FGFR3). Die Ergebnisse einer Phase III-Studie sind abzuwarten (Lortholary O et al.  2017).

     

Verlauf/Prognose

Je jünger der Patient und je geringer die Zahl der Hautläsionen, desto wahrscheinlicher ist eine Spontanremission.

Solitäre Mastozytome im Säuglingsalter bilden sich praktisch immer spontan zurück. 

Bei Erkrankungsbeginn im Erwachsenenalter ist das Risiko einer klinisch manifesten Systembeteiligung und langer Persistenz hoch. 

Bei einem nicht-klassifizierten Gesamtkollektiv ergab sich in größeren Studien folgende Prognosen:

  1. 67%: Regression
  2. 27%: Stabilisation
  3. 2-9%: Progredienz mit schlechter Prognose

Hinweis(e)

Die Bezeichnung der disseminierten Mastozytose als " Urticaria pigmentosa"  ist historisch geprägt und sollte verlassen werden. Weder imponiert klinisch eine Urtikaria, noch ist die "Urticaria pigmentosa" obligat pigmentiert. Mit der Bezeichnung  "Teleangiectasia macularis eruptiva perstans" wird eine weitgehend nicht-pigmentierte Sonderform einer kutanen Mastozytose bezeichnet.

Es empfehlen sich die Bezeichnungen "kutane oder systemische Mastozytose" mit ihren Unterformen oder ihre Klassifizierung nach Typen (I-IV) mit Angabe der jeweiligen Mutationsform oder ihrem Fehlen. Dabei muss bedacht werden, dass ein Großteil der makulopapulösen Mastozytosen (also der Urticaria pigmentosa der älteren Nomenklatur) als systemische Mastozytose einzuordnen ist. Sie sind als solche auch zu in einem Nachsorgeprogramm einzubringen. 

Erhöhte Spiegel von Tryptase >11,4ug/l geben Hinweise auf eine Mastozytose. Bei diesen Werten ist das Risiko einer anaphylaktischen Reaktion unter einer spezifischen Immuntherapie 2x größer als bei einem Wert von 4,25ug/l.    

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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  7. James MP, Eady RAJ (1981) Familial urticaria pigmentosa with giant mast cell granules: a clinical, light, and electron microscopic study. Arch Derm 117: 713-718
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  10. Nettleship E (1869) Chronic urticaria leaving brown stains: nearly two years duration. BMJ 2: 435
  11. Oku T, Hashizume H, Yokote R et al. (1990) The familial occurence of bullous mastocytosis (diffuse cutaneous mastocytosis). Arch Derm 126: 1478-1484
  12. Yarden Y et al. (1987) Human proto-oncogene c-kit: a new cell surface receptor tyrosine kinase for an unidentified ligand. EMBO Journal 6: 3341-3351.

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Zuletzt aktualisiert am: 23.03.2023