Erworbene Bradykin-invermittelte Angioödeme ohne C1-INH-Mangel T73.3

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 27.09.2022

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Synonym(e)

Angioödem erworbenes, ACE-Hemmer-induziertes; Erworbene bradykininvermittelte Angioödeme ohne C1-INH-Mangel; Medikamentöse Angioödeme; RAE; RAE-Angioödem

Definition

Auftreten eines Angioödems nach Einnahme von ACE-Hemmern oder auch von Angiotensin-II-Rezeptorblockern (AT2RB). Die Latenzzeit zwischen Medikamenteneinnahme und Erstmanifestation des Ödems ist äußerst variabel (im Mittel 2-3 Jahre; etwa 2/3 der Angioödeme tritt innerhalb der ersten 3 Monate auf). In einigen Fällen entwickeln sich Angioödeme erst im Zusammenhang mit einem relevanten Infekt oder in Kombination mit anderen Medikamenten (z.B. Diuretika, Antidiabetika oder auch Antibiotika). Nicht immer ist bei der Vielzahl der eingenommenen Medikamente die eindeutige ätiologische und/oder zeitliche Zuordnung zu dem ACE-Hemmer möglich. Angioödeme wurden auch im Zusammenhang mit Dipeptidylpeptidase-IV-Inhibitoren (Saxagliptin) und Neprilysin-Inhibitoren (Sacubitril) berichet. 

 

Vorkommen/Epidemiologie

Inzidenz 400-700/100.000 (0,4-0,7%); rein rechnerisch wären in Deutschland rund 20.000-35.000 Fälle/Jahr zu erwarten. Bei etwa 20% dieser Patienten erweist sich das Angioödem als schwerwiegend, so dass ein stationärer Aufenthalt notwendig wird. 

Ätiopathogenese

Durch ACE-Hemmer wird der Abbau des Bradykinin gehemmt, wodurch dieses vermehrt im Plasma und Gewebe anfällt. In selteneren Fällen kann es auch unter AT-1-Blockern zu Angioödemen kommen.

Lokalisation

Im Gegensatz zum HAE ( hereditäre Angioödeme) manifestiert sich das RAE nahezu immer im Kopf-Hals-Bereich.

Klinisches Bild

Ödeme treten mehrere Monate nach Therapiebeginn auf; jedoch auch nach jahrelanger problemloser Einnahme (im Mittel 2-3 Jahre). Der Bradykinin-Spiegel ist im Anfall erhöht. Der von ACE-Hemmern induzierte Husten ist kein Vorläufer des Angioödems.

Die Klinik der RAE-Angioödeme ist tückisch, da sie nicht selten als harmlose Schleimhautödeme beginnen, sich nach Stunden jedoch zu ausgeprägten Ödemen entwickeln. Nicht selten ist der Larynx- und Pharynxbereich betroffen. Schwellungen bilden sich nach 24-72 Stunden zurück, können jedoch bis zu 5 Tage anhalten. Befall von Händen, Füßen und des Magen-Darmtraktes ist ebenfalls möglich.

Diagnose

Klinisches Bild und Anamnese ist diagnostisch. Auszuschließen sind andere Formen des Angioödems (s. u. Angioödem)

Differentialdiagnose

Angioödeme anderer Ätiologie (s.u. Angioödem).

Therapie

Absetzen des ACE-Hemmers!

Das angioneurotische Ödem klingt nach Absetzen des ACE-Hemmers oder des AT-II-Rezeptorblockers meist innerhalb von 1-5 Tagen ab.

Bei einem vital bedrohlichen Larynxödem sofortige Sicherung der Atemwege (Einleitung sofortiger Intensivmaßnahmen - Sedierung, Analgesie, ggf. Intubation, Tracheotomie; Kreislaufstabilisierung; s.a.u. Schock, anaphylaktischer).

Unverzügliche Gabe von C1-Inaktivator-Konzentrat i.v.: 20IE/kg KG Berinert P.

Alternativ: Icatibant (Firazyr), ein synthetisch hergestelltes Dekapeptid (Proteinfragment) ist der bislang wirkungsvollste Antagonist des Bradykinin-B2-Rezeptors. Bislang wurde Icatibant nur für die symptomatische Behandlung akuter Attacken eines hereditären Angioödems bei Erwachsenen mit C1-Esterase-Inhibitor-Mangel durch die EMA zugelassen. Anwendungen ausserhalb dieser Indikation können derzeit nur im Off-Label-Use erfolgen. Die Anwendung von Icatibant (30mg s.c.) führt in einer kleineren Studie (n=12) zu einer prompten Besserung des Angioödems.

Hinweis(e)

Bemerkung: Eine antiallergische Therapie ist bei dieser Angioödemform nicht wirkungsvoll. 

Angioödeme werden ebenfalls durch Reninhemmer induziert.

Beim durch ACEI ausgelösten Angioödem ist  der Wechsel auf einen AT1-Rezeptorblocker keine Problemlösung, da diese ebenfalls (wenn auch  seltener als ACEI) Angioödeme auslösen können.       

Literatur
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  1. Bas M et al. (2010) Notfallsituation akutes Angioödem. DMW 135:1027-1031
  2. Bouillet L et al. (2003) Angioedema and oral contraception. Dermatology 206: 106-109
  3. Dick W et al. (1985) Gegenwärtige diagnostische Möglichkeiten beim hereditären Angioödem (HAE) und beim erworbenen Angioödem (AAE) Immun Infekt 13: 113-118
  4. Greaves M et al. (1991) Angioedema: manifestations and management. J Am Acad Dermatol 25: 155-161
  5. Sachs B et al. (2018) Arzneimittelassoziierte Angioödeme. Hautarzt 69: 298-305 
  6. Zuraw BL, Christiansen SC (2009) Pathogenesis and laboratory diagnosis of hereditary angioedema. Allergy Asthma Proc 30:487-492

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