Mikrodeletions-Syndrom 22q11

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 24.05.2022

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Synonym(e)

22q11.2-Deletions-Syndrom; 22q11 deletion syndrome; 22q11DS; CATCH 22; Cayler kardiofaziales Syndrom; DiGeorge-Sequenz; Di George-Syndrom; Mikrodeletion 22q11.2; Mikrodeletionssyndrom 22q11.2; Monosomie 22q11; Sedlackova-Syndrom; Sphrintzen-Syndrom; Syndrom der konotrunkalen Anomalie mit Gesichtsdysmorphie; Takao-Syndrom; Velokardiofaziales Syndrom

Definition

Das 22q11.2-Deletions-Syndrom (DS) ist ein genetisch induziertes Multimorbiditätssyndrom (Malecki SL et al. 2019) mit zahlreichen angeborenen organischen Fehlbildungen und Fehlfunktionen. Hierzu gehören: Herzfehler, Gaumen-Anomalien, faziale Dysmorphien, verzögerte oder fehlende Organentwicklungen, immunologischen Störungen mit rekurrierenden Infekten sowie allergischer Diathese. Das Krankheitsbild wurde in den 60igern des letzten Jahrhunderts als DiGeorge-Syndrom beschrieben (McDonald-McGinn DM et al. 2015).

CATCH-22 ist ein Synonym des DiGeorge Syndroms und erinnert an die Deletion auf Chromosom 22, sowie

  • Cardiac abnormality
  • Abnormal facies
  • Thymic hypoplasia/aplasia
  • Cleft palate
  • Hypocalcemia/Hypoparathyreoidismus

 

Vorkommen/Epidemiologie

Das 22q11.2-Deletionssyndrom gilt als das häufigste chromosomales Mikrodeletionssyndrom beim Menschen und die zweithäufigste chromosomale Ursache der angeborenen Herzkrankheit (Hou HT et al. 2019). Die weltweite Prävalenz bei lebend Geborenen wird auf 1/2.000-1/4.000 geschätzt.

Die Mutation ist in etwa 90% der Fälle eine Neumutation (McDonald-McGinn DM et al. 2015). Kinder von Betroffenen haben ein 50%-iges Erkrankungsrisiko.

Ätiopathogenese

In den meisten Fällen wird das Syndrom durch eine 3 Millionen Basenpaare (Mb) umfassende Deletion auf der chromosomalen Region 22q11.2 verursacht. Die Deletion wird durch nicht-allelische meiotische Rekombination während der Spermatogenese oder Oogenese verursacht. Es ist anzunehmen, dass die variable Ausprägung des 22q11.2-Phänotyps durch genetische Modifikatoren entweder im anderen 22q11.2-Allel oder auf anderen Chromosomen verursacht wird.

Manifestation

Neugeborene

Klinisches Bild

Das 22q11.2-DS zeigt einen variablen klinischen Phänotyp, der von mild bis schwer reichen kann. Zu den angeborenen Herzfehlern (77% der Fälle) zählen vor allem konotrunkale Fehlbildungen wie Truncus arteriosus, Fallot-Tetralogie und Ventrikelseptumdefekt (Hou HT et al. 2019).

> 75% der Patienten weisen Anomalien des Gaumens auf (z.B. offene Gaumenspalte, Lippen- und Gaumenspalte, velo-pharyngeale Inkompetenz), die zu einer hypernasalen Sprechweise und zu Fütter- und Schluckproblemen führen können.

Häufig sind weitere Entwicklungsverzögerungen zu diagnostizieren. Viele Patienten zeigen milde faziale Dysmorphien (z.B. flache Wangenknochen, Ptose, Hypertelorismus, Lidfalten, eine vorstehende Nasenwurzel) und Wirbelanomalien (z.B. Schmetterlingswirbel, Halbwirbel). 75% der Betroffenen weisen eine Immundefizienz wegen einer Aplasie bzw. Hypoplasie des Thymus auf, die sie anfällig für diverse rekurrierende Infektionen machen (34%) so u.a. für die chronische mukokutane Candidose (Bernstock JD et al. 2019; Mahé P et al. 2019). Weiterhin ist bei rund der Hälfte der Patienten eine selektive T-Zell Lymphopenie nachweisbar (Bernstock JD et al. 2019). In einem größeren französischen Kollektiv konnte bei 27% der Patienten eine erhöhte Allergierate nachgewiesen werden (Mahé P et al. 2019).

Bei etwa 13% der Patienten besteht ein erhöhtes Risiko für Autoimmunerkrankungen (Idiopathische thrombozytopenische Purpura; Juvenile idiopathische Arthritis - Mahé P et al. 2019). Eine neonatale Hypokalzämie wird bei 50% der Fälle beobachtet. Weitere mögliche klinische Befunde sind Magen-Darm-Anomalien (Darm-Lageanomalien, Analatresie), Hörverlust, Nierenanomalien (Nierenagenesie), Zahnanomalien (Zahnschmelzhypoplasie), Chronische mukokutane Candidose, einem breiten Spektrum an psychiatrische Störungen wie ADHS (Guo Y et al. 2019), Schizophrenie, Epilepsie und Parkinson-ähnliche Symptomen (Fanella M et al. 2019).

Diagnose

Zum diagnostischen Verdacht führen die klinische Untersuchung und der Nachweis von Fehlbildungen (z.B. Herzfehler durch Echokardiographie, Wirbelanomalien durch Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule). Die Diagnose wird durch den Nachweis der 22q11.2-Deletion mittels Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung (FISH), MLPA, aCGH oder genomweiter SNP-Mikroarrays bestätigt.

Differentialdiagnose

Smith-Lemli-Opitz-Syndrom

CHARGE-Syndrom

Alagille-Syndrom

VATER-Syndrom

Goldenhar-Syndrom

Isotretinoin-Embryopathie

Therapie

Sie ist abhängig von den begleitenden Fehlbildungen. Eine regelmäßige immunologische Kontrolle ist erforderlich. In Einzelfällen konnte bei athymischen Phänotypen durch eine Thymustransplantation sowohl die Immunodefizienz als auch der Hypoparthyreoidismus korrigiert werden (Kreins AY et al. 2019).

Verlauf/Prognose

Die Prognose ist unterschiedlich und wird durch den Schweregrad der Erkrankung bestimmt. Die Mortalitätsrate bei Säuglingen ist relativ gering (etwa 4%); bei Erwachsenen ist die Mortalität etwas höher als in einer gesunden Population von Erwachsenen.

Hinweis(e)

Auf Grund des großen Spektrums klinischer Symptome des 22q11.2-Deletions-Syndroms wurde dieses in der Vergangenheit in mehrere Krankheitsbilder aufgeteilt so in das:

  • DiGeorge-Syndrom
  • das Velokardiofaziales Syndrom
  • das Kardiofaziale Syndrom u.a.

Da diese unterschiedlichen Phänotypen genotypisch identisch sind, wurden sie sie später zusammenfassend als 22q11.2 DS bezeichnet.

 

Literatur
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  1. Bernstock JD et al. (2019) Recurrent microdeletions at chromosome 2p11.2 are associated with thymic hypoplasia and features resembling DiGeorge syndrome.  J Allergy Clin Immunol pii: S0091-6749
  2. Fanella M et al.(2019) Myoclonic epilepsy, parkinsonism, schizophrenia and left-handedness as common neuropsychiatric features in 22q11.2 deletion syndrome. J Med Genet pii: jmedgenet-2019-106223.
  3. Guo Y et al. (2019) Association of a functional Claudin-5 variant with schizophrenia in femalepatients with the 22q11.2 deletion syndrome. Schizophr Res pii: S0920-9964
  4. Hou HT et al. (2019) Genetic characterisation of 22q11.2 variations and prevalence in patients with congenital heart disease. Arch Dis Child pii: archdischild-316634.
  5. Kreins AY et al. (2019) Correction of both immunodeficiency and hypoparathyroidism by thymus transplantation in complete DiGeorge Syndrome.Am J Transplant doi: 10.1111/ajt.15668.
  6. McDonald-McGinn DM et al. (2015) 22q11.2 deletion syndrome. Nat Rev Dis Primers 1:15071.
  7. Mahé P et al. (2019) Risk factors of clinical dysimmune manifestations in a cohort of 86 children with 22q11.2 deletion syndrome: A retrospective study in France. Am J Med Genet A 179:2207-2213.
  8. Malecki SL et al.(2019) A genetic model for multimorbidity in young adults. Genet Med doi: 10.1038/s41436-019-0603-1.

Verweisende Artikel (1)

DiGeorge-Syndrom;

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