Synonym(e)
Erstbeschreiber/Historie
Die Erstbeschreiber des kongenitalen nephrotischen Syndroms (CNS) sind laut Reynolds (2019) Gautier und Miville, die bereits 1942 über diese Erkrankung schrieben.
Laut Höltta (2020) wurde es 1956 erstmals von Niilo Hallman beschrieben. Im Jahre 1966 stellte als Erster Reijo Norio den autosomal- rezessiven Erbgang dar (Hölttä 2020).
Bereits ab Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde eine intensivmedizinische Therapie mit anschließender Nierentransplantation als die Behandlungsmethode der Wahl für schwer erkrankte Säuglinge festgelegt (Hölttä 2020).
Definition
Das CNS ist definiert als eine Trias von Proteinurie > 200 mg / mmol Kreatinin, Hypoalbuminämie und Ödemen, das innerhalb der ersten drei Lebensmonate auftritt (Reynolds 2019).
Auch interessant
Einteilung
Das kongenitale nephrotische Syndrom zählt neben dem kongenitalen und infantilen nephrotischen Syndrom zu einer Sonderform des nephrotischen Syndroms . Eine Differenzierung zwischen beiden Erkrankungen ist lediglich anhand des Erkrankungsalters möglich (Dötsch 2017).
Beim kongenitalen nephrotischen Syndrom handelt es sich größtenteils um eine hereditäre Erkrankung, die überwiegend autosomal- rezessiv vererbt wird. Es liegt eine Mutation des NPHS1 Gens (19q13), das für Nephrin kodiert (Herold 2021). Der Genort befindet sich auf dem Chromosom 19q12 (Geiger 2003). Die Erkrankung zählt zum Kreis der fokal- segmentierten Glomerulosklerose, auch als FSGS bekannt (Herold 2021).
Am häufigsten findet sich der sog. finnische Typ (Mutation des NPHS1 Gens) des kongenitalen nephrotischen Syndroms, danach benannt, weil er am häufigsten in Finnland vorkommt (Geiger 2003). Die finnische Form kann nach neuesten Erkenntnissen sowohl autosomal- dominant als auch autosomal rezessiv vererbt werden (Jain 2023).
Zu den weiteren Formen zählen:
- Diffuse Mesangialsklerose
- Fokale segmentale Glomerulosklerose
- Membranöse Glomerulopathie
- Minimal-Change-Disease (Reynolds 2019).
Vorkommen
Die Inzidenz des kongenitalen nephrotischen Syndroms vom finnischen Typ liegt weltweit bei 0,5 – 1:100.000, in Finnland jedoch bei 1:10.000 (Manski 2024).
Ätiologie
Ursächlich spielen hauptsächlich Mutationen des NPHS1- Gens eine Rolle (Manski 2024).
In selteneren Fällen können mütterliche Alloimmunerkrankungen oder angeborene Infektionen die Erkrankung ebenfalls verursachen (Boyer 2021).
Pathophysiologie
Der genetische Defekt betrifft in erster Linie das Protein Nephrin. Dieses ist für den Aufbau der Schlitzmembran von großer Bedeutung (Keller 2002).
Beim finnischen Typ beruht der primäre Defekt auf einem Proteinverlust der Niere (Jain 2023).
Durch die Proteinurie kommt es zu:
- Albuminurie
- Ödemen
- Hypoalbuminämie
- Hyperlipidämie
- Erhöhter Thrombozytenaggregation
- Verlust an Mineralien und Vitaminen mit Mangelernährung und erhöhter Infektionsgefahr
- Verlust von Schilddrüsen- bindendem Globulin im Urin mit Auftreten einer Hypothyreose (Jain 2023)
Manifestation
Das kongenitale nephrotische Syndrom manifestiert sich bis zum 3. Lebensmonat (Dötsch 2017). Bei einer späteren Manifestation spricht man von einem sog. infantilen nephrotischen Syndrom. Beiden Syndromen liegen unterschiedliche Erkrankungen vor:
- Diffuse mesangiale Sklerose
- Kongenitales nephrotisches Syndrom vom finnischen Typ
- Angeborene Syphilis, Toxoplasmose, Röteln, HIV, Zytomegalie
- Idiopathische nephrotisches Syndrom
- Galloway- Syndrom
- Quecksilberintoxikation (Keller 2010).
Klinik
- Das Hauptmerkmal der Erkrankung stellt ein erheblicher Austritt von Plasmaproteinen dar (AbuMaziad 2021).
- Die Säuglinge werden i. d. R. zwischen der 35. – 38. SSW geboren und entwickeln postpartal bereits in der ersten Woche aufgrund der hohen Proteinurie Ödeme (Keller 2010).
- Im weiteren Verlauf entwickelt sich zwischen dem 3. und 8. Lebensjahr eine terminale Niereninsuffizienz aus (Keller 2010).
Es finden sich zusätzliche Symptome wie z. B.:
- Schlechter Ernährungszustand
- Schilddrüsenunterfunktion
- Thromboembolische Komplikationen
- Hypogammaglobulinämie (Keller 2010).
Diagnostik
Die Diagnose kann bereits intrauterin gestellt werden, spätestens aber vor dem 3. Lebensmonat (AbuMaziad 2021). Bei > 85% der Betroffenen kann die Erkrankung durch ein genetisches Screening diagnostiziert werden. Die früher eingesetzte invasive Nierenbiopsie zur Diagnostik ist somit heutzutage nur noch selten erforderlich (Boyer 2021).
Beim kongenitalen nephrotischen Syndrom vom finnischen Typ zeigen sich bereits intrauterin Auffälligkeiten wie z. B. eine vergrößerte Plazenta und hohe Konzentration an Alpha- 1- Fetoprotein durch die große Proteinurie des Fetus. Meistens kommen die Kinder als Frühgeburten zur Welt (Geiger 2003).
Auffällig sind die postpartal rasch auftretenden Ödeme. Eine Nierenbiopsie empfiehlt sich bei unklaren Fällen (Manski 2024).
Bildgebung
Sonografie
Sonografisch zeigt sich eine deutliche Vergrößerung der Nieren, diese weisen gegenüber der Leber eine erhöhte Echogenität auf (Hofmann 2005).
Histologie
Histopathologisch differenziert man zwischen fünf verschiedenen Typen:
- Finnischer Typ (am häufigsten vorkommend)
- Diffuse Mesangialsklerose
- Fokale segmentale Glomerulosklerose
- Membranöse Glomerulopathie
- Minimal-Change-Disease (Reynolds 2019).
Histologisch können nachweisbar sein:
- mesangiale Glomerulopathie
- progressive Glomerulosklerose mit anteiligen tubulointerstitiellen Veränderungen
- keine Immunablagerungen
- mikrozystische Dilation im Bereich der proximalen Tubuli
- lymphoplasmazelluläre Infiltrate
- tubuläre Atrophie
- periglomeruläre Fibrose
- Glomerulosklerose (Geiger 2003).
Beim finnischen Typ findet sich eine unregelmäßige mikrozystische Dilatation des proximalen Tubulus, die Glomeruli hingegen sind i. d. R normal oder weisen eine mesangiale Hyperzellularität und eine Matrixexpansion auf (Jain 2023).
Differentialdiagnose
- Kongenitales und infantiles nephrotisches Syndrom (dieses manifestiert sich typscherweiseerst nach dem dritten Lebensmonaten [Herold 2018]).
Komplikation(en)
Die betroffenen Patienten sind anfällig für:
- Hämodynamische Störungen
- Thrombosen
- Infektionen
- Wachstumsstörungen
- Nierenversagen (Boyer 2021)
Therapie allgemein
Es empfiehlt sich, die Kinder mit CNS so rasch wie möglich an eine spezialisierte pädiatrische Nephrologie- Einheit zu überweisen (Boyer 2021).
Typisch beim kongenitalen nephrotischen Syndrom vom finnischen Typ findet sich eine Therapieresistenz auf Steroide (Geiger 2003). Immunsuppressiva sind ebenso unwirksam (Manski 2024).
Die Behandlung besteht in:
- Guter Ernährung
- Albumininfusionen
- Ein- oder beidseitige Nephrektomie kann bei schwerer Proteinurie erforderlich werden
- Medikamentöse Therapie der Ödeme
- Nierentransplantation bzw. Dialyse (Manski 2024)
Interne Therapie
Um die Eiweißausscheidung über die Niere zu verringern, können ACE- Hemmer und Indometacin eingesetzt werden (Jain 2023).
Eine eventuell vorliegende Hypothyreose sollte mit 6,25 bis 12,5 mcg begonnen werden und dann dem TSH- Wert angepasst werden (Jain 2023).
Zur Antikoagulierung empfehlen sich Acetylsalicilsäure oder Dipyridamol (Jain 2023).
Prognose
Laut einer finnischen Studie betrug die mittlere Überlebenszeit in den Jahren 1965 – 1973 lediglich 7,6 Monate. Später wurde ein aggressives Behandlungsschema mit früher Nephrektomie, Transplantation und Dialyse eingesetzt. Dadurch zeigten über 90 % der so behandelten Kinder ähnliche Gesamtüberlebensraten wie andere transplantierte Kinder (Boyer 2021). Die Transplantatüberlebensrate liegt bei >. 80 % (Jain 2023).
Die Prognose eines CNSs, das infektiös verursacht wurde, hingegen ist gut (Jain 2023)
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir
Kopernio

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