Insulintherapie, konventionelle

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.03.2022

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Synonym(e)

Konventionelle Insulintherapie

Erstbeschreiber

Im Jahre 1923, zwei Jahre nach der Entdeckung des Insulins, begann in Europa die fabrikmäßige Insulinproduktion (Egidi 2019). Das Insulin wurde nach einem starren Schema, als „konventionelle Insulintherapie“ bezeichnet, verabreicht.

NPH- Insulin (Neutral- Protamin Hagedorn) wurde von Hagedorn 1946 eingeführt (Berger 2013).

Erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die sog. „intensivierte Insulintherapie“ entwickelt. Diese blieb zunächst ausschließlich den Typ 1 Diabetikern vorbehalten (Hollenrieder 2021).

Definition

Unter einer konventionellen Insulintherapie (CT) versteht man ein starres Konzept von wenigstens 2 Insulindosen / d, die in genauen Zeitabständen verabreicht werden und ein entsprechend starres Angebot an zeitlich und vom Umfang her genau festgelegten Mahlzeiten (Herold 2021).

Allgemeine Information

Pharmakodynamik

Die Wirkungsweise des Insulins besteht aus einem Membraneffekt und aus metabolischen Effekten.

  • Membraneffekt:
    • Förderung des Transportes von Glukose, Kalium und Aminosäuren in Muskel- und Fettzellen 
  • metabolische Effekte:
    • Förderung anaerober Stoffwechselprozesse wie z. B. Lipidsynthese, Proteinsynthese Glykogensynthese
    • Drosselung der katabolen Prozesse wie z. B. Lipolyse, Proteolyse, Glykogenolyse (Herold 2021)

Weitere Wirkungen sind:

  • anti- inflammatorische Wirkung
  • antioxidativ
  • antilipolytisch
  • antiapoptotisch
  • kardioprotektiv
  • neuroprotektiv (Kalra 2020)

Indikation

  • Diabetes mellitus Typ 2
    • sog. Sekundärversager (Patienten, die mit oralen Antidiabetika nicht befriedigend eingestellt werden können)
    • Patienten mit Kontraindikationen für orale Antidiabetika 
    • Patienten mit Diabetes nach Pankreaserkrankungen (Mehnert 2003)
    • besondere Formen des Diabetes (Greten 2005)
    • vorübergehend während einer Erkrankung bzw. Operation
    • vorübergehend während einer Behandlung mit z. B. Steroiden, bei parenteraler Ernährung etc. (Mehnert 2003)
  • Diabetes mellitus Typ 1

Heutzutage werden Typ 1 Diabetiker nur noch in Ausnahmefällen mit der CT behandelt. Die 1993 veröffentlichte DCCT- Studie zeigte im Vergleich zwischen CT und intensivierter Insulintherapie (ICT) eine deutliche Risikoreduktion von Folgeschäden bei Verwendung der ICT und eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität für den Patienten (Schmeisl 2019).

Dosierung und Art der Anwendung

Insulinbedarf:

Der tägliche Insulinbedarf eines gesunden Menschen liegt bei 0,67 I. E. / kg KW / d = ca. 40 I. E. (Dellas 2018). S. a. Insulin

Bei adipösen Patienten liegt der Insulinbedarf i. d. R. höher mit ca. 2,0 I. E. / kg KW / d (Greten 2005).

Senkung der Blutglukose:

Um eine Senkung der Blutglukose um 30 – 40 mg / dl (1,6 – 2,2 mmol / l) zu erreichen, sind 1,0 I.E. Normalinsulin bzw. rasch wirksames Analoginsulin erforderlich (Haak 2018).

Anhebung der Blutglukose:

Um eine Anhebung der Blutglukose um 30 – 40 mg / dl (1,6 – 2,2 mmol / l) zu erzielen, sind 10 g Kohlenhydrate = 1 KE erforderlich (Haak 2018).

Die Größe der Mahlzeit wird in Kohlenhydrateinheiten = KE gemessen, die veraltete Bezeichnung lautet Broteinheit = BE [Dellas 2018]) (Herold 2021).

Verwendet werden bei der CT i. d. R. ein Mischinsulin, das häufig aus 70 – 75 % Intermediärinsulin (NPH) und 25 – 30 % Normalinsulin besteht. Es kann aber auch eine Mischung aus kurz wirksamen Insulinanaloga und einer länger wirksamen Protamin- Analoga- Suspension verwendet werden (Greten 2005).

Wirkungseintritt und - dauer liegen bei s. c. Injektion bei:

  • Mischinsulin z. B. 70 NPH und 30 Normalinsulin: Eintritt nach 30 – 60 min, Dauer 14 h
  • Normalinsulin: Eintritt nach 30 – 60 min, Dauer 8 h (Haak 2018)

Bei zweimaligen Injektionen / d werden vor dem Frühstück 2/3 bis ¾ der benötigten Insulinmenge injiziert und vor dem Abendessen die restlichen 1/3 bzw. 1/4 (Herold 2021).

Der Abstand Injektion zu Mahlzeit, der sog. SEA liegt bei Normalinsulin bei ca. 30 min. Bei Insulinanaloga ist ein SEA nicht erforderlich (Herold 2021).

Mitunter haben sich drei Injektionen / d als vorteilhafter erwiesen, wobei morgens Mischinsulin, mittags Normalinsulin und abends Mischinsulin verwendet werden (Herold 2021).

Die Höhe der Insulindosis hängt ab von:

  • Ernährungsgewohnheiten / Diät
  • Körpergewicht (je schwerer ein Patient ist, desto höher sollte der Anteil an Normalinsulin bei der morgendlichen Injektion sein)
  • Resistenzlage
  • körperlicher Bewegung
  • noch vorhandener endogener Insulinproduktion (Mehnert 2003)

 

Da der Insulinspiegel zwischen den Mahlzeiten ziemlich hoch ist, sollte der Patient zwischen 5 - 7 Mahlzeiten / d zu sich nehmen mit genauer KE- Angabe (Greten 2005 / Waldhäusl 2004). Die Insulindosis sollte zu Beginn der Behandlung einschleichend gegeben werden, d. h. es werden zunächst lediglich 40 % der zu erwartenden Dosis injiziert und diese schrittweise um 2 – 4 IE alle 2 Tage gesteigert (Waldhäusl 2004).

Variationen: Sofern der Patient in der Lage ist, Blutzuckerkontrollen eigenständig durchzuführen, können die Insulingaben von Normal- und Intermediärinsulin je nach BZ und Gehalt der Mahlzeiten modifiziert werden. (Mehnert 2003)

Eine weitere Variation bildet die Veränderung des Spritz- Ess- Abstands, der Nahrungsqualität und der Nahrungsmenge. Dies ist insbesondere z. B. für Patienten mit Gastroparese wichtig, da bei ihnen der Gipfel der glykämischen Antwort erst später nach dem Mahlzeitenbeginn erfolgt.

Auch bei Patienten, die nicht mehr selbständig Nahrung zu sich nehmen können, ist die Veränderung des Spritz- Ess- Abstands wichtig. So wird hierbei z. B. bisweilen mit der Mahlzeit unmittelbar nach der Injektion begonnen oder die erforderliche Insulinmenge erst nach der Mahlzeit injiziert, da dann klar ist, wie viele Kohlenhydrate der Patient zu sich genommen hat (Mehnert 2003).

Vorteile

  • geringerer Schulungsbedarf des Patienten
  • einfachere Handhabung für den Patienten bzw. das Diabetesteam (Bundesärztekammer 2021)

Nachteile

  • zwischen den Mahlzeiten ist der Insulinspiegel bisweilen zu hoch und erfordert (zusätzliche) Zwischenmahlzeiten
  • Intermediärinsuline (inzwischen überwiegend als „Verzögerungsinsuline“ bezeichnet, reichen meistens nicht aus, um den postprandialen Blutzuckeranstieg abzufangen (Herold 2021)
  • wenig flexible Therapie bei akuter Erkrankung, zusätzlicher Bewegung etc.
  • Hypoglykämien:
    • mehr als mit Basalinsulin
    • weniger als bei der präprandialen oder intensiver Insulintherapie (Bundesärztekammer 2021)
  • Patient muss Nahrung zu sich nehmen, weil er gespritzt hat (Herold 2021)
  • Phasen der Hyperinsulinämie, Hypoinsulinämie, Hyperglykämie, Hypoglykämie mit entsprechenden metabolischen Konsequenzen sind vorprogrammiert (Mehnert 2003)
  • HbA1c < 6,5 % kann bei vielen Typ 2 Diabetikern erreicht werden, aber nur bei 20 % der Typ 1 Diabetiker (Waldhäusl 2004)

Unerwünschte Wirkungen

  • Hyperinsulinämie zwischen den Mahlzeiten
  • Hypoglykämie (Waldhäusl 2004)
  • Dawn- Phänomen (überwiegend durch eine zu geringe abendliche Insulindosis initiiert [Mehnert 2003])

Präparate

  • Normalinsulin wie z. B.::
    • Actrapid
    • Berlinsulin H Normal
    • Huminsulin Normal
    • Insuman Rapid (Alawi 2019)
  • NPH- Insuline wie z. B.:
    • Berlinsulin H Basal
    • Protaphane
    • Insuman Basal
    • Huminsulin Basal (Alawi 2019)

Hinweis(e)

In einer aktuellen Studie von Gupta et al. aus dem Jahre 2020 wurde die intensivierte Insulintherapie (BZ zwischen 80 – 110 mg %) mit der konventionellen (BZ zwischen 180 – 200 mg %) bei chirurgischen und medizinischen Intensivpatienten verglichen. Dabei konnten durch die strenge Kontrolle der BZ- Werte (nicht durch die Verabreichung von Insulin) sowohl die Mortalität als auch die Morbidität gesenkt werden.

  • Die Mortalität lag bei der:
    • konventionellen Insulintherapie bei 58 %
    • intensivierten Insulintherapie bei 6 %

Auch die Rate an Komplikationen war bei der intensivierten Insulintherapie geringer:

  • Infektionen zeigten bei der intensivierten Insulintherapie eine 46 % ige Verringerung
  • Notwendigkeit einer Bluttransfusion trat bei 20 % auf versus 40 % unter konventioneller Therapie
  • inotrope Unterstützung war erforderlich bei 26 % versus 48 % unter konventioneller Therapie (Gupta 2020)

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Alawi H et al. (2019) Insulinarten und Insulinwirkung. Ascensia DiabetesKolleg Advisory Board 2019
  2. Berger M et al. (2013) Praxis der Insulintherapie. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 42
  3. Bundesärztekammer (2021) Nationale Versorgungsleitlinie Typ 2 Diabetes. AWMF- Register Nr.: nvl-001
  4. Dellas C (2018) Kurzlehrbuch Pharmakologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag München 155, 506 – 510, 512
  5. Egidi G (2019) Welchen Stellenwert haben Insulinanaloga In der Behandlung des Diabetes? ZFA (95) 360 – 365. DOI10.3238/zfa.2019.0360–0365
  6. Freissmuth M et al. (2016) Pharmakologie und Toxikologie: Von den molekularen Grundlagen zur Pharmakotherapie. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 665 
  7. Greten H et al. (2005) Innere Medizin. Georg Thieme Verlag Stuttgart 624
  8. Gupta R et al. (2020) The efficacy of intensive versus conventional insulin therapy in reducing mortality and morbidity in medical and surgical critically ill patients: A randomized controlled study. Anesth essays Res. 14 (2) 295 - 299
  9. Haak T et al. (2018) S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes. AWMF-Registernummer: 057-013 
  10. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 736 - 739
  11. Hollenrieder V (2021) Diabetes mellitus: Insulintherapie gestern und heute – eine Zeitreise. Info Diabetologie 15 (6) 6 - 9https://doi.org/10.1007/s15034-021-3773-2
  12. Kalra S et al. (2020) Insulin Therapy – Made Easy. Jaypee Brothers Medical Publishers (P) Ltd 1, 4,
  13. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 
  14. Mehnert H et al. (2003) Diabetologie in Klinik und Praxis. Georg Thieme Verlag Stuttgart 252 – 254
  15. Schmeisl G W (2019) Schulungsbuch Diabetes. Elsevier Urban und Fischer Verlag 81
  16. Waldhäusl W K et al. (2004) Diabetes in der Praxis. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 196 - 197
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