Harnleiterkolik N23

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 20.05.2022

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Synonym(e)

Harnleiterspasmus; Harnsteinkolik; Ureterkolik; Ureterspasmus

Definition

Unter einer Harnleiterkolik versteht man ein akut auftretendes, in Intervallen verlaufendes stärkstes Schmerzereignis auf Grund einer Abflussstörung eines Ureters (Kasper 2015).

Vorkommen/Epidemiologie

Ätiopathogenese

Bei der Harnleiterkolik handelt es sich um einen typischen Hohlraumschmerz, vergleichbar mit dem Wehenschmerz, der ausgelöst werden kann durch:

  • Nephrolithiasis (die mit Abstand häufigste Ursache)
  • Blutkoagel
  • Tumorthrombose
  • abgestoßene Papillen 

(Vahlensieck 1979)

Pathophysiologie

Zu einer Harnleiterkolik kommt es, wenn ein Konkrement, Blutkoagel etc. eine Obstruktion des Ureters verursacht.

Der Schmerz entsteht durch die Zunahme der Wandspannung und die Druckerhöhung proximal der Blockade und nicht, wie früher angenommen, durch eine Hyperperistaltik der glatten Muskulatur des Ureters  (Ellinger 2011).

 

 

Manifestation

Lokalisation

Eine Harnleiterkolik setzt plötzlich als stärkste auf- und abschwellende Schmerzen im Bereich der Flanke ein mit Ausstrahlung – je nach Sitz der Obstruktion - in:

  • den Oberbauch oder Rücken (sog. kostovertebralen Winkel) bei Obstruktion im proximalen Teil des Ureters 
  • den Mittel- und Unterbauch bei Obstruktion am Beckenübergang des Ureters
  • die Leiste, den ipsilateralen Hoden bzw. die ipsilateralen Schamlippen bei Obstruktion im unteren Bereich des Ureters (Kasper 2015 / Herold 2020)

Klinisches Bild

Das Bild einer Harnleiterkolik kann im Sinne eines akuten Abdomens verlaufen und mit folgenden Symptomen einhergehen:

  • plötzlich kolikartig auftretende stärkste Schmerzen (Ausstrahlung s. „Lokalisation“)
  • Hämaturie: bei 90 % besteht zumindest eine Mikrohämaturie, bei 1 / 3 der Fälle eine Makrohämaturie 
  • Dysurie
  • Blasentenesmen
  • motorische Unruhe (typisches Symptom)
  • Übelkeit
  • Erbrechen
  • reflektorischer Subileus mit Stuhl- und Windverhalt
  • Oligurie
  • Fieber (Herold 2020 / Kasper 2015)

Diagnostik

Mit Hilfe des Stone- Score lässt sich die Wahrscheinlichkeit für eine Harnleiterkolik berechnen:

  • Sex: männlich (2 Punkte)
  • Timing: kurze Dauer der Schmerzen (> 24 h: 0 Punkte, 6 – 24 h: 1 Punkt, < 6 h: 3 Punkte)
  • Origin: kein Farbiger (Farbiger: 0 Punkte, kein Farbiger: 3 Punkte)
  • Nausea: es bestehen Übelkeit bzw. Erbrechen (nur Übelkeit: 1, nur Erbrechen: 2)
  • Erythrozyturia: (Mikrohämaturie: 3 Punkte)

Auswertung:

  • geringe Wahrscheinlichkeit bei 0 – 5 Punkten
  • moderate Wahrscheinlichkeit bei 6 – 9 Punkten
  • hohe Wahrscheinlichkeit bei 10 – 13 Punkten (Moore 2014)

Ausführliche diagnostische Abklärung s. Nephrolithiasis

 

 

Differentialdiagnose

Da die Ureterkolik unter dem Bild eines akuten Abdomens verlaufen kann, ist die Differentialdiagnose umfangreich. Es sollten ausgeschlossen werden:

  • Tumoren im Bereich der ableitenden Harnwege und der Nieren (Erstdiagnostik: Sonographie)
  • Niereninfarkt (tritt am häufigsten bei Patienten mit Vorhofflimmern auf; es bestehen laborchemisch eine Hämaturie, Proteinurie, sehr hohe LDL bei allenfalls geringen Veränderungen von GOT und AP; Diagnose durch Farbdopplersonographie)
  • Papillennekrose durch z. B. eine Analgetikanephropathie (Papillendefekt ist im Urogramm darstellbar)
  • Nierenvenenthrombose (Proteinurie, bei linksseitiger Thrombose venöse Stauung des linksseitigen Hodens bei Männern; Diagnose durch Farbdopplersonographie)
  • Nierenabszess (Diagnose durch CT [Ellinger 2011])
  • Pyelonephritis (hohes Fieber, Diagnose durch Ultraschall, CT / MRT [Ellinger 2011 / Schmelz 2006])
  • Cholezystolithiasis (Schmerz im rechten Oberbauch mit (typischerweise) Ausstrahlung in die rechte Schulter,Sonographie etc.)
  • akute Cholezystitis (Schmerz im rechten Oberbauch mit Ausstrahlung in die rechte Schulter, Sonographie, laborchemischer Nachweis von Entzündungszeichen etc.)
  • inkarzerierte Hernie (körperliche Untersuchung, Abwehrspannung, Sonographie, CT [Bischoff 2018])
  • akute Appendizitis (meistens schleichender Beginn, Druckschmerz McBurney- Punkt, Temperaturdifferenz zwischen rektal und axillär, Sonographie)
  • akute Pankreatitis (körperliche Untersuchung [Abdomen weich], Laborveränderungen, Sonographie etc. [Beger 2013])
  • Divertikulitis (Anamnese, abdomineller Tastbefund, Laborveränderungen, Sonographie etc. [Leifeld 2018])
  • perforiertes Ulkus (Schmerzen im Oberbauch, Abwehrspannung)
  • Ruptur eines Bauchaortenaneurysmas (Ultraschall, CT- Angio [Debus 2018])
  • Ileus (beim mechanischen: auskultatorisch keine Darmgeräusche, eventuelle Bruchpforten ausschließen, Abdomen- Sonographie bzw. Abdomen- Röntgenaufnahme)
  • chronisch entzündliche Darmerkrankungen (ausführliche Anamnese, Sono etc.)
  • Mesenterialinfarkt [Kuhlmann 2015] (Patientenalter, Serumlaktat erhöht, Blut bei der rektalen Untersuchung am Fingerling, Diagnose durch biphasische Kontrastmittel- CT)
  • Myokard(hinterwand)infarkt (EKG, typische laborchemische Veränderungen)
  • stielgedrehte Ovarialzyste (gynäkologische Untersuchung, Sonographie)
  • Extrauteringravidität (Beta- HCG im Urin erhöht, gynäkologische Untersuchung, Sonographie)
  • Adnexitis (gynäkologische Untersuchung, Sonographie)
  • Hodentorsion (körperliche Untersuchung, Duplex- Sonographie; Diagnosestellung innerhalb von 6 h, da ansonsten Hodenverlust droht) (Herold 2020 / Siegenthaler 2005)

Komplikation(en)

  • Harnwegsinfekt bis hin zur 
  • Urosepsis
    • Frühsymptome einer Urosepsis sind:
      • Tachypnoe (> 20 Atemzüge / min)
      • Tachykardie (> 90 Schläge / min)
      • Hyperthermie (> 38 ° C)
      • Hypothermie (< 36 ° C, in Abwechslung mit Fieberschüben) (Herold 2020)
  • Fornixruptur durch Drucksteigerung im Nierenbeckenkelchsystem (Hofmann 2018)

Sofern eine frühzeitige Behandlung nicht erfolgt, sind folgende Schäden möglich:

Therapie allgemein

Die therapeutischen Maßnahmen differieren je nach Ätiologie der Harnleiterkolik.

Nephrolithiasis: Sollte es sich bei der Ureterkolik um eine Nephrolithiasis handeln, gilt:

Bei einer Steingröße von < 5 mm (Herold 2020) kann – unter regelmäßiger Kontrolle der Körpertemperatur und des Urins – der Spontanabgang abgewartet werden. In bis zu 90 % der Fälle gehen Steine dieser Größe spontan ab (Herold 2020).

Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit des Spontanabgangs abhängig von der Lage der Konkremente:

  • proximaler Harnleiter: 25 %
  • mittlerer Harnleiter: 45 %
  • distaler Harnleiter: > 70 % (Schmelz 2006)

Durch eine medikamentöse expulsive Therapie (MET) mit Alphablockern und Kalziumkanalblockern kann die Ausscheidungsrate erhöht und die Geschwindigkeit des Steinabgangs beschleunigt werden. (Seitz 2018)

Dosierungsempfehlung: z. B. Tamsulosin 1 x 0,4 mg / d (Truß 2005) oder Nifedipin 40 mg – 60 mg / d (Kuhlmann 2015)

Unterstützend wirken dabei außerdem:

  • viel trinken
  • lokale Applikation von Wärme 
  • Bewegung (Herold 2020)

Falls Fieber und / oder eine Anurie auftreten, sollte der Patient unverzüglich einer stationären Behandlung zugeführt werden (Herold 2020).

Ausführliche Behandlung einer Nephrolithiasis s. d.

 

Interne Therapie

Schmerztherapie:

Bei einer akuten Harnleiterkolik steht primär die analgetische Behandlung im Vordergrund. 

Hierzu eignen sich:

  • Metamizol: 1 g – 2 g i. v. ist das Mittel der 1. Wahl, da es zusätzlich eine spasmolytische und antinozizeptive Wirkung auf den Harnleiter hat
  • Paracetamol: 1 g i. v. 
  • Diclofenac: 75 mg / kg KG i. v. 
  • Morphin: 0,1 mg / kg KG i. v.  (Seitz 2018)

Falls die Ursache der Kolik eine Nephrolithiasis sein sollte, ist ASS vor einer geplanten extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) wegen der Gefahr eines Nierenhämatoms kontraindiziert (Herold 2020).

In einer randomisierten Studie zeigte sich die Kombination von Paracetamol und Diclofenac zur Schmerzbekämpfung der Gabe von Morphin überlegen (Seitz 2018).

Operative Therapie

Harnableitung:

Patienten, die einen Harnstau und Infektionszeichen aufweisen, stellen einen medizinischen Notfall dar, bei dem eine sofortige Entlastung durch Ureterschienung oder perkutane Nephrostomie plus einer Antibiose (entsprechend dem Antibiogramm) erfolgen sollte (Kuhlmann 2015).

Die Indikation zur Harnableitung ist gegeben bei:

  • hochgradiger Obstruktion mit konsekutiver Harnstauungsniere 
  • steigenden Retentionswerten (Hinweis auf ein postrenales Nierenversagen)
  • medikamentös nicht beherrschbaren Koliken (Herold 2020)

Bei der Harnleiterschienung unterscheidet man zwischen folgenden Kathetern:

  • Ableitung vom Ureter aus dem Körper wie z. B. beim:
    • Mono- J- Katheter 
    • Ureterkatheter (UK)
  • durch im Körper versenkbare Ureterschienen wie z. B. beim:
    • Doppel- J- Katheter 
    • Tumorstents

Die Ausleitung der Ureterschienen kann transurethral, transkutan, transvesikal bzw. über ein Urostoma (TUUC, Ileum- Conduit) erfolgen(Hofmann 2018)

Durchführung der transurethralen Harnleiterschienung : Vor dem Eingriff wird ein sog. „single- shot“ periinterventionelle Antibiotikaprophylaxe verabreicht z. B. Levofloxacin 500 mg p. o. oder Sultamicillin 750 mg p. o.. Außerdem wird die Stenose retrograd dargestellt und radiologisch dokumentiert, da nach Einlage der Schiene eine Bestimmung der Ätiologie der Stenose nicht mehr möglich ist.

Der Eingriff selbst erfolgt i. d. R. in Lokalanästhesie in Steinschnittlage. Einführen des Zytoskops unter Sicht und Darstellung des betroffenen Ostiums.  Der Ureterkatheter wird mit Führungsdraht (der sog. „inneren Seele“) so weit eingeführt, bis die Spitze gerade eben vor der Optik erscheint. Vorsichtiges Vorschieben des Katheters in den Ureter bis ca. 1 cm. Anschließend erfolgt die Entfernung der inneren Seele. Der Katheter wird zur Verhinderung einer Bläschenbildung mit 3 – 5 ml NaCl 0,9 % kontinuierlich gespült (bei stoßweiser Applikation besteht die Gefahr von erneuten Koliken).  Nach Einlage eines i. d. R. 0,035- inch großen Polytetrafluorethylen beschichteten Drahtes oder eines weichen Doppel- J- Drahtes erfolgt ein weiteres Vorschieben des Katheters bis über das Hindernis hinaus (eventuell ist dafür ein Kontrastmittelstoß erforderlich). Sobald der Draht das Nierenbecken erreicht hat, sollte das flexible Ende in eine Kelchgruppe positioniert werden, um eine etwaige Dislozierung zu vermeiden. Der Ureterkatheter wird anschließend unter Belassen des Drahtes komplett entfernt. Ein Auswechseln des Katheters ist – sofern überhaupt erforderlich - nach 3 bis spätestens 6 Monaten erforderlich, da der Katheter ansonsten inkrustieren kann (Hofmann 2018).

Eventuelle Beschwerden der Harnleiterschiene wie z. B.:

  • Harndrang
  • Pollakisurie
  • Flanken- bzw. Unterbauchschmerzen
  • leichte Makrohämaturie

können mit einem Alphablocker behandelt werden (Seitz 2018). Dosierungsempfehlung: z. B. Tamsulosin 1 x 0,4 mg / d  (Hofmann 2018 / Truß 2005).

Verlauf/Prognose

Sollte die Harnleiterkolik durch eine Nephrolithiasis ausgelöst worden sein, so ist die Prognose gut. Bis zu 90 % der Konkremente gehen ohnehin spontan ab (Herold 2020). Das Rezidivrisiko bei einer Nephrolithiasis lässt sich durch eine entsprechende Metaphylaxe auf < 15 % senken (s. Nephrolithiasis ) (Kuhlmann 2015).

Bei allen anderen Ursachen für eine Harnleiterkolik ist die Prognose abhängig von der Grunderkrankung.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Beger H G et al. (2013) Erkrankungen des Pankreas: Evidenz in Diagnostik, Therapie und Langzeitverlauf. Springer Verlag 22 - 25
  2. Bischoff A (2018) Inkarzeration erkennen und bei Bauchschmerzen auch an innere Hernien denken. Medical- Tribune.de. https://www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/artikel/inkarzeration-erkennen-und-bei-bauchschmerzen-auch-an-innere-hernien-denken/?utm_source=mail&utm_medium=email&utm_campaign=mailshare
  3. Debus E S et al. (2018) S3-Leitlinie zu Screening, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Bauchaortenaneurysmas. AWMF-Registernummer 004-14
  4. Ellinger K et al. (2011) Kursbuch Notfallmedizin: orientiert am bundeseinheitlichen Curriculum Zusatzbezeichnung Notfallmedizin. Deutscher Ärzte- Verlag 721 - 724
  5. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 657 – 658
  6. Hofmann R (2018) Endoskopische Urologie: Atlas und Lehrbuch: Extras online. Springer Verlag 310
  7. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1871 - 1874
  8. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 2304 - 2307
  9. Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 577
  10. Leifeld L et al. (2018) S2k Leitlinie Divertikelkrankheit / Divertikulitis Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV). AWMF Registernummer 021/20 
  11. Moore C L et al. (2014) Derivation and validation of a clinical prediction rule for uncomplicated ureteral stone—the STONE score: retrospective and prospective observational cohort studies. BMJ (348) g 2191
  12. Seitz C et al. (2018) S2k-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Urolithiasis (AWMF Registernummer 043 – 025) 
  13. Schmelz H U et al. (2006) Facharztwissen Urologie: Differenzierte Diagnostik und Therapie. Springer Verlag 122 – 143
  14. Schneider T et al. (2000) Taschenatlas Notfall und Rettungsmedizin: Kompendium für den Notarzt. Springer Verlag 394
  15. Siegenthaler W et al. (2005) Siegenthalers Differentialdiagnose: Innere Krankheiten – Vom Symptom zur Diagnose. Georg Thieme Verlag 261
  16. Truß M C et al. (2005) Pharmakotherapie in der Urologie. Springer Medizin Verlag 302
  17. Wehling M et al. (2011) Klinische Pharmakologie. Georg Thieme Verlag 171
  18. Vahlensieck W (1979) Urolithiasis 1: Epidemiologie – Allgemeine Kausal- und Formalgenese – Diagnostik. Springer Verlag 1

Weiterführende Artikel (5)

Diclofenac; Metamizol; Nifedipin; Paracetamol; Tamsulosin;

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Zuletzt aktualisiert am: 20.05.2022