Faktor XII-Mangel hereditärer D68.25

Zuletzt aktualisiert am: 30.07.2022

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Synonym(e)

F12 deficiency; Factor XII deficiency; HAF Defciency; Hageman factor defciency; Hereditärer Faktor XII-Mangel; OMIM: 234000

Erstbeschreiber

Oscar Ratnoff (geb. 1916); Ratnoff entdeckte sowohl den Hageman-Faktor (Faktor XII) als auch den Fitzgerald-Faktor (612358).

Definition

Das heterogene Krankheitsbild des Faktor-XII-Mangels wird durch eine Mutation im F12-Gen (610619) auf Chromosom 5q35 verursacht.  Ein autosomal-dominanter wie auch ein autosomal-rezessiver Vererbungsmodus wurde beschrieben (Bennett et al.1972).

Pathophysiologie

Soria et al. (2002) führten ein genomweites Kopplungsscreening durch, um Gene zu lokalisieren, die die Variation des F12-Spiegels beeinflussen. Es wurden zwei Loci entdeckt: einer auf Chromosom 5 und ein weiterer auf Chromosom 10 (lod-Scores 4,73 bzw. 3,53). Auf Chromosom 5 lag der höchste lod-Wert in der Region 5q33-qter, in der sich das F12-Gen befindet. Die Hinzufügung des Polymorphismus 46C/T (610619.0004) im F12-Gen erhöhte den Multipoint-Lod-Score auf 10,21. Eine bivariate Verknüpfungsanalyse von F12-Aktivität und Thrombose verbesserte das Verknüpfungssignal weiter (lod = 11,73) und lieferte starke Hinweise darauf, dass dieser quantitative Merkmalslocus (QTL) einen pleiotropen Effekt auf das Thromboserisiko hat (P = 0,004). Eine Verknüpfungsanalyse, die sich auf 46C/T bezieht, zeigte, dass dieser Polymorphismus allein das Signal auf Chromosom 5 nicht erklären kann, was bedeutet, dass andere funktionelle Stellen vorhanden sein müssen. Diese Ergebnisse stellen den ersten direkten genetischen Beweis dafür dar, dass ein QTL im oder in der Nähe des F12-Gens sowohl die F12-Aktivität als auch die Thromboseanfälligkeit beeinflusst, und deuten auf das Vorhandensein einer oder mehrerer funktioneller Varianten in F12 hin (Soria et al. 2002).

Tierexperimentell wurde an F12-defizienten Mäuse festgestellt, dass diese normale Blutungszeiten und keine spontanen Blutungen haben. In-vivo-Fluoreszenzmikroskopie zeigte jedoch, dass die anfängliche Adhäsion von Thrombozyten an verletzten Stellen zwar nicht beeinträchtigt war, die anschließende Bildung und Stabilisierung von dreidimensionalen Thromben jedoch stark beeinträchtigt war. Dieser Defekt wurde an mehreren Stellen im Gefäßsystem als Reaktion auf verschiedene Arten von Verletzungen beobachtet und konnte durch die Infusion von menschlichem F12 vollständig rückgängig gemacht werden (Renne et al. 2005). Es ist zu vermuten, dass  dass die F12-induzierte intrinsische Gerinnung für die Gerinnung in vivo wichtig ist, was darauf hindeutet, dass F12 ein Ziel für eine antithrombotische Therapie sein könnte.

Klinisches Bild

Hohe Inzidenz an zerebralen Apoplexien: Egeberg (1970) beschrieb 4 norwegische Familien mit mangelhaftem Faktor XII (etwa halb normal). Im Gegensatz zu den üblichen Erfahrungen ohne Auffälligkeiten zeigten sie eine leichte bis mäßige Blutungsneigung und eine hohe Inzidenz von zerebralen Apoplexien, die in einem relativ frühen Alter auftraten. Bei einem Teil der Patienten traten lokale Ödeme, starke Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und verschiedene Formen von Allergien auf.

Spontanaborte:  Braulke et al. (1993) legten Daten vor, die darauf hindeuten, dass eine verminderte Faktor-XII-Aktivität ein Risikofaktor für wiederholte Spontanaborte sein kann. Gordon et al. (1981) zeigten, dass sowohl die gerinnungsfördernde Aktivität als auch die antigenen Eigenschaften des Hageman-Faktors bei Orientalen geringer sind als bei amerikanischen Weißen.

Oberflächliche migratorische Thrombophlebitis /Ulcera curis: Oberflächliche migratorische Thrombophlebitis (Samlaska et al. 1990) und Ulcera curis (Goodnough et al. 1983; Lämmle et al. 1991) wurden als Hautmanifestationen des Faktor-XII-Mangels dokumentiert.

Livedovaskulopathie und schmerzhafte Ulcera curis:  Sato-Matsumura et al. (2000) berichteten über zwei Personen mit Faktor-XII-Mangel, die einen Livedo und schmerzhafte Ulcera curis aufwiesen, die sich nach einer Antikoagulanzientherapie dramatisch verbesserten. Sie schlugen vor, dass der Faktor XII-Mangel bei einigen Personen zu einem hyperkoagulativen Zustand führen kann, der sie für schmerzhafte Geschwüre und Livedo prädisponiert.

Retinaler Venenverschluss:  In einer Studie an 150 konsekutiven Patienten mit retinalem Venenverschluss (RVO), die mit alters- und geschlechtsgleichen Kontrollen verglichen wurden, stellten Kuhli et al. (2004) fest, dass ein Faktor-XII-Mangel bei RVO-Patienten im Alter von 45 Jahren oder jünger sehr häufig vorkam. Im Gegensatz dazu schien die Prävalenz des Faktor-XII-Mangels bei Patienten mit retinalem Venenverschluss, die älter als 45 Jahre waren, ähnlich hoch zu sein wie bei gesunden Personen.

Hinweis(e)

Der Faktor-XII-Mangel wird in der Regel dadurch entdeckt, dass in Krankenhäusern vor chirurgischen Eingriffen routinemäßig Vollblutgerinnungstests durchgeführt wurden. Ratnoff und Steinberg (1962) analysierten die Daten von 55 Fällen in 37 Familien. In mindestens 2 Fällen lag elterliche Blutsverwandtschaft vor. Einige Heterozygote weisen einen partiellen Mangel des Hageman-Faktors auf.

Literatur
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  1. Bennett B et al. (1972) Hageman trait (factor XII deficiency): a probable second genotype inherited as an autosomal dominant characteristic. Blood 40: 412-415.
  2. Braulke I et al. (1993) Factor XII (Hageman) deficiency in women with habitual abortion: new subpopulation of recurrent aborters? Fertil. Steril. 59: 98-101.
  3. Donaldson V H et al. (1977) Fatal vascular disease in a patient with Hageman trait and a connective-tissue disorder. (Letter) New Eng J Med.297: 1237
  4. Egeberg O (1970) Factor XII defect and hemorrhage. Evidence for a new type of hereditary hemostatic disorder. Thromb Diath Haemorrh 23: 432-440.
  5. Goodnough LT et al. (1983) Thrombosis or myocardial infarction in congenital clotting factor abnormalities and chronic thrombocytopenias: a report of 21 patients and a review of 50 previously reported cases. Medicine 62: 248-255.
  6. Kuhli C et al. (2004) Factor XII deficiency: a thrombophilic risk factor for retinal vein occlusion. Am J Ophthal 137: 459-464.
  7.  Lämmle, B et al. (1991) Thromboembolism and bleeding tendency in congenital factor XII deficiency--a study on 74 subjects from 14 Swiss families. Thromb Haemost 65: 117-121.
  8. Ratnoff  OD et al. (1962) Further studies on the inheritance of Hageman trait. J. Lab. Clin. Med. 59: 980-985.
  9. Renne T et al. (2005) Defective thrombus formation in mice lacking coagulation factor XII. J Exp Med 202: 271-281.
  10. Samlaska  CP (1990)  Superficial migratory thrombophlebitis and factor XII deficiency. J. Am. Acad. Derm. 22: 939-943.
  11. Sato-Matsumura K C et al. (2000) Factor XII deficiency: a possible cause of livedo with ulceration? Brit J Derm 143: 897-899.
  12. Schloesser M et al. (1005) The novel acceptor splice site mutation 11396(G-to-A) in the factor XII gene causes a truncated transcript in cross-reacting material negative patients. Hum Molec Gene. 4: 1235-1237.
  13. Soria JM et al. (2002) A quantitative-trait locus in the human factor XII gene influences both plasma factor XII levels and susceptibility to thrombotic disease. Am J Hum Genet 70: 567-574.

Verweisende Artikel (1)

Livedovaskulopathie;

Weiterführende Artikel (2)

Livedovaskulopathie; Thrombophlebitis saltans;

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Zuletzt aktualisiert am: 30.07.2022