Enteropathische Arthritis

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 15.09.2022

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Erstbeschreiber

Synonyme

Intestinale Arthropathie; enteropathische Spondyloarthritis; enteropathische Spondylitis; CED- Arthritis; CED- assoziierte Arthritis; enteropathische Arthritis; Enteroarthritis;

 

 

Erstbeschreiber

Smith beschrieb 1922 erstmals den Zusammenhang zwischen Darm und Gelenken. Es handelte sich dabei um eine Patientin mit rheumatoider Arthritis, bei der sich nach einer Kolektomie- Operation eine Verbesserung der Gelenksymptomatik einstellte (Peluso 2013).

Ende der 1950er Jahre schrieben Bywaters et al. und Mc Bride et al. über das Auftreten einer enteropathischen Arthritis (EA) bei Patienten mit Colitis ulcerosa bzw. chronischen Darmerkrankungen (Peluso 2013).

Die American Rheumatism Association stufte 1964 die Arthritis in Zusammenhang mit entzündlichen Darmerkrankungen als eine eigenständische klinische Form ein.

Später stuften Wright und Moll die Enteroarthritis in die Gruppe der Spondyloarthritiden ein (Peluso 2013).

Eine erste Klassifizierung der EA, die sog. ESSG- Kriterien, stammen aus dem Jahre 1991 und wurden von der European Spondyloarthritiden Study Group entwickelt (Puchner 2012).

Im Jahre 1998 beschrieben in Oxford Orchard et al. die sog. „Oxfordkriterien“ (Sturm 2021). 2001 wurden diese von Smale et al. um einen 3. Typ ergänzt, bei dem auch eine axiale Beteiligung mit einbezogen wird (Zimmermann 2019).

Das ASAS- Klassifikationssystem wurde 2009 von Rudwaleit et al. erstmals vorgestellt (Zimmermann 2019).

 

Definition

Die enteropathische Arthritis (EA) zählt zu den Spondylarthritiden (Braun 2017), die bei Patienten mit chronischen Darmerkrankungen wie z. B. Colitis ulcerosa und M. Crohn eine extraintestinale Manifestation darstellt (Peluso 2013). Es existiert derzeit keine strenge wissenschaftliche Definition der EA (Mayet 2015).

Einteilung

Es gibt verschiedene Einteilungen zur Differenzierung einer EA.

Die am häufigsten gebräuchliche sind die Oxford- Kriterien.

 

  • Oxford- Kriterien:

- Typ 1: Pauziartikuläre Form mit weniger als 5 Gelenken

- Typ 2: Polyartikuläre Form, an der 5 oder mehr Gelenke beteiligt sind

- Typ-3: Beteiligung mit sowohl axialer als auch peripherer Gelenke (Conigliaro 2016)

 

  • ESSG Kriterien (European Spondylarthropathy Study Group):

Hierbei müssen ein entzündlicher Rückenschmerz oder eine asymmetrische oder in den unteren Extremitäten lokalisierte Synovitis vorhanden sein. Zusätzlich sind eine oder mehrere Kriterien der 7 ESSG- Features erfüllt: positive Familienanamnese, Psoriasis, chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED), Urethritis oder akute Diarrhoe oder Cervicitis, Sakroiliitis, beidseitiger wechselnder Gesäßschmerz, Enthesopathie (Tendoostose [Zeidler 2009]) (Zimmermann 2019).

 

  • ASAS Kriterien (Assessment of SpondyloArthritis international):

Voraussetzung für diese Kriterien sind ein chronischer Rückenschmerz, der ≥ 3 Monate besteht und ein Patientenalter von < 45 Jahren bei Beginn der Symptomatik. Die axiale Spondylarthritis wird unterteilt in:

- röntgenologische axiale SpA (entspricht der ankylosierenden Spondylitis)

- nicht- röntgenologische axiale SpA (hierbei fehlen im konventionellen Röntgenbild die Sklerose bzw. Ankylose

Die Kriterien sind erfüllt, wenn in der Bildgebung eine Sakroiliitis plus ≥ 1 weiteres Zeichen einer SpA oder HLA- B27 nachweisbar sind plus ≥ 2 weitere Zeichen einer SpA.

Die Zeichen einer SpA sind definiert als: Entzündlicher Rückenschmerz, Psoriasis, Uveitis, Enthesis, CED, Daktylitis, Arthritis, positive Familienanamnese für SpA, erhöhtes C- reaktives Protein, HLA- B27 positiv, gutes Ansprechen auf Nicht- stroidale Antiphlogistika (NSAR) (Zimmermann 2019).

 

Man unterteilt die bei chronischen Darmerkrankungen auftretende Gelenkbeteiligung außerdem in 2 Untergruppen:

- axiale Gruppe (einschließlich Sakroiliitis mit oder ohne Spondylitis)

- periphere Gruppe (Peluso 2013 / Conigliaro 2016)

 

Allgemeine Information

EA und entzündliche Darmerkrankungen teilen genetische, klinische und immunologische Merkmale (Picchianti- Diamanti 2020).

Vorkommen

Es gibt ein Nord- Süd- Gefälle für das Auftreten einer chronischen Darmerkrankung und einer EA. Häufigkeitsgipfel sind in der 2. - 3. und 6. - 7. Lebensdekade zu beobachten (Mayet 2015).

Männer erkranken häufiger an M. Crohn, Frauen häufiger an Colitis ulcerosa (Mayet 2015).

Bei Patienten mit chronischen Darmerkrankungen wie z. B. M. Crohn und C. ulcerosa kommt es bei ca. 25 % zu einer Arthritis und bei ca. 15 % zu einer Sakroiliitis (Herold 2022).

Patienten mit einem M. Whipple entwickeln in ca. 60 % eine Arthritis und in ca. 40 % eine Sakroiliitis (Herold 2022).

Von den extraintestinalen Manifestationen einer chronischen Darmerkrankung kommt die EA am häufigsten vor (Resende 2013).

 

Ätiologie

- Chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie z. B. Colitis ulcerosa und M. Crohn

- M. Whipple

- Z. n. gastrointestinaler Anastomosen- OP , auch als „Bypass- Arthritis“ bezeichnet (Herold 2022)

- Zöliakie (selten) (Kasper 2015)

- glutensensitive Enteropathie (Mayet 2015)

 

Pathophysiologie

Sowohl chronisch entzündliche Darmerkrankungen als auch die Spondylarthritis sind immunvermittelte Erkrankungen. Die spezifischen pathogenen Mechanismen sind jedoch bislang unklar. Die Genetik spielt sicherlich eine Rolle. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Leukozyten und Makrophagen zwischen Darm und Gelenken hin- und herwandern (Kasper 2015).

Momentan geht man am ehesten von einer multifaktoriellen Genese aus Umweltfaktoren, Genetik und Verlust der Immuntoleranz aus (Zimmermann 2019)

Klinisches Bild

Klinisch ist die enteropathische Arthritis nicht von der idiopathischen Arthritis zu unterscheiden. Mitunter tritt die Arthritis bereits - bis zu mehrere Jahre - vor der der chronischen Darmerkrankung auf (Kasper 2015).

Symptome können sein:

- akute selbstlimitierte Oligoarthritis

- chronische symmetrische polyartikuläre Arthritis

- entzündliche Rückenschmerzen (Kasper 2015), die sich auf Bewegung hin verbessern (Zimmermann 2019)

Es kommt im Verlauf nur selten zu Erosionen oder Deformitäten (Kasper 2015).

Diagnostik

Um die Diagnose einer EA stellen zu können, benötigt man zunächst den Nachweis einer endoskopisch bzw. bioptisch gesicherten CED (Mayet 2015).

Neben der Anamnese und der klinischen Untersuchung sind vor allem Röntgen- und CT- Aufnahmen diagnoseführend (Herold 2022). Da kein spezieller Marker zum Nachweis einer EA existiert, stellt die EA eine Ausschlussdiagnose dar (Mayet 2015).

 

Bildgebung

  • Röntgen

Durch konventionelle Röntgenaufnahmen kann differentialdiagnostisch der klassische Verlauf einer rheumatoiden Arthritis abgegrenzt werden. Charakteristischerweise sind bei einer peripheren Gelenkbeteiligung keine Gelenkspaltverschmälerungen, keine Erosionen und auch keine gelenknahe Osteoporose nachweisbar (Mayet 2015).

 

Bei Patienten mit M. Crohn finden sich bei 25 – 50 % radiologische Zeichen einer Sakroiliitis (Sturm 2021) mit:

- unscharfen Gelenkkonturen

- unregelmäßigen Gelenkspalterweiterungen

- osteolytischen Herde

- Erosionen

- Syndesmophyten

- Sklerosierung

- Ankylose (Miehle 2000)

 

 

  • Sonographie

Diese nichtinvasive Untersuchungsmethode eignet sich besonders zur Früherkennung einer Spondylarthritis. Charakteristische Merkmale sind:

- Bursitis

- Synovitis

- Knochenerosionen

- Tendosynovitis

- Enthesis (Conigliaro 2016)

 

 

  • MRT

Die MRT stellt den Goldstandard zur Diagnostik einer Sakroiliitis dar (Conigliaro 2016). Hiermit lassen sich eine detaillierte Charakterisierung und auch das Ausmaß der Erkrankung darstellen.

Die CT wird außerdem zur Diagnostik von Komplikationen einer Sakroiliitis eingesetzt (Slobodin 2016).

Labor

Laborchemisch können die entzündlichen und metabolischen Manifestationen der chronischen Darmerkrankung nachgewiesen werden (Kasper 2015), wie z. B.:

- unspezifische Entzündungsmarker

- CRP erhöht

- Erythrozytensedimentationsrate (ESR) erhöht

- normochrome normozytäre Anämie (Conigliaro 2016)

Die Gelenkflüssigkeit zeigt ebenfalls entzündliche Prozesse (Kasper 2015).

Das HLA- B27- Gen ist bei 30 – 70 % der Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen nachweisbar (Kasper 2015)

Differentialdiagnose

- Gelenkschmerzen anderer Genese (Sturm 2021)

 

Komplikation(en)

- destruktive Arthritis der Hüfte (selten auftretend)

- Enthesopathie (extraartikuläre dolente Entzündungen der Sehnenansatzpunkte)

- Daktylitis (Kasper 2015)

- Sakroiliitis bei 10 – 25 %

- Spondylitis bei 30 – 36 % (Conigliaro 2016)

 

Therapie

Die Behandlung fordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Rheumatologen und Gastroenterologen (Peluso 2013).

Die Therapie besteht in einer Behandlung der auslösenden Grunderkrankung (Herold 2022), die bestehen kann aus:

- Steroiden

- Mesalazin

- Immunsuppressiva wie z. B.:

          - Azathioprin

          - Methotrexat

- TNF- Alpha- Blockern bei schweren Verläufen (Herold 2022) wie z. B.:

          - Infliximab: In zwei Phase- 3- Studien zeigte sich die Wirksamkeit für Arthritis, Spondylarthritis, M. Crohn und Colitis ulcerosa (Kucharzik 2021).

          - Adalimumab

          - Certolizumab (Kasper 2015)

 

Bei axialen Spondylarthritiden sprechen Sulfasalazin und Methotrexat nicht an. Diese Medikamente sollten lediglich Patienten mit peripheren Spondylarthropathien verordnet werden (Sturm 2021).

 

Zur Schmerzlinderung sind Paracetamol (nicht bei gleichzeitig bestehenden Lebererkrankungen einsetzen), Metamizol und niedrig potente Opioide einzusetzen (Sturm 2021).

NSAR können zu einer Exazerbation der CED führen und sind deshalb nur zeitlich begrenzt und in niedriger Dosierung zu empfehlen (Mayet 2015).

 

Prognose

Schübe einer peripheren Typ 1- Arthritis (s. Oxford- Kriterien unter „Einteilung“) treten i. d. R. mit einer Verschlechterung der Darmsymptomatik auf, während die axiale Erkrankung (s. „Einteilung“) und die periphere Typ 2- Arthritis eher unabhängig von der Darmsymptomatik bestehen (Conigliaro 2016).

Die im Rahmen eines M. Crohn auftretende EA zeigt meistens eine komplette Remission. Bei einer im Rahmen der Colitis ulcerosa auftretenden ist eine Remission nach 2 – 3 Monaten möglich. Insgesamt sind die Gelenkentzündungen nur selten länger als 1 Jahr aktiv, allerdings kommen Rezidive vor (Mayet 2015).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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