Diabetes insipidus, zentraler E23.2

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 14.11.2021

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Erstbeschreiber

Synonyme

Wasserharnruhr; Diabetes spurius; neurohypophysärer D.i.; hypophysärer D.i.;

 

 

Erstbeschreiber

Der niederländische Anatom Pieter Pauw (1564 – 1617) beschrieb im Jahre 1590 als Erster das Krankheitsbild eines Diabetes insipidus bei einem 18 jährigen Mädchen, welches im Verlauf der Erkrankung verstarb (Kivelä 1998).

 

 

Definition

Unter einem zentralen Diabetes insipidus (ZDI) versteht man eine Erkrankung, bei der es zu einer verminderten ADH- Sekretion im Hypophysenhinterlappen kommt (Brochert 2005). Dadurch bedingt sind die Nieren nicht in der Lage, unter Wasserentzug einen konzentrierten Urin zu produzieren (Herold 2021).

Das Urinvolumen umfasst beim ZDI pro Tag > 50 ml / kg KG (entspricht bei 70 kg > 3500 ml).

(Kasper 2015)

 

 

Einteilung

Der ZDI ist eine Form des Diabetes insipidus, zu dem außerdem noch zählen: 

(Kasper 2015)

Der ZDI wird unterteilt in einen permanenten ZDI und einen partiellen ZDI (Siegenthaler 2006).

 

 

Vorkommen/Epidemiologie

Die Diabetes insipidus zählt zu den selten auftretenden Erkrankungen und betrifft beide Geschlechter gleich häufig (Lehnert 2010). Man findet den ZDI häufiger als den nephrogenen Diabetes insipidus (Herold 2021).

Ätiopathogenese

Ursachen des ZDI können sein:

  • idiopathisch

Die idiopathische Form tritt bei ca. 1/3 der Fälle auf. Sie wird zum einen dominant vererbt und zum anderen finden sich Autoantikörper gegen Zellen, die Vasopressin produzieren (Herold 2021). 

Beim genetisch bedingten ZDI sind inzwischen 5 verschiedene Formen bekannt. Dazu zählt u. a. auch das sog. Wolfram- Syndroms, in dessen Rahmen - zusammen mit einem Diabetes mellitus, neuraler Taubheit und Optikusatrophie - ein ZDI auftreten kann (Kasper 2015).

  • sekundär 

Die sekundäre Form findet man in ca. 2/3 der Fälle. Sie entsteht durch Traumen, Tumoren, entzündliche Erkrankungen wie z. B. Enzephalitis, Meningitis etc. (Herold 2021), postneurochirurgisch, Aneurysmen, Hypoxie, Medikamente, die mit der AVP- Freisetzung interferieren wie z. B. Phenytoin etc. (Kuhlmann 2015).

Ein sekundärer D. i. kann außerdem auftreten:

  • im Rahmen einer Schwangerschaft durch einen primären Plasma- ADH- Mangel als sog. partieller Gestationsdiabetes insipidus

(Kasper 2015)

  • bei exzessiver Flüssigkeitsaufnahme durch eine Hemmung der Sekretion. Man differenziert dabei zwischen 3 Formen:
  • 1. dipsogener D.i.

Hierbei wird der inadäquate Durstanstieg durch eine Verminderung des Sollwertes im Osmorezeptor- Regulationsmechanismus hervorgerufen (kann im Rahmen einer Meningitis, Neurosarkoidose, Multiplen Sklerose etc. auftreten)

  • 2. psychogene Polydipsie

Bei der psychogenen Polydipsie besteht primär kein vermehrtes Durstgefühl, die Polydipsie tritt vielmehr im Rahmen von Psychosen oder Zwangsneurosen auf.

  • 3. iatrogene Polydipsie

Diese Form der Polydipsie entsteht durch Empfehlungen (medizinisch oder durch die Boulevard- Presse), man solle viel trinken, da das präventive oder therapeutische Vorteile habe.

(Kasper 2015)

Pathophysiologie

Durch den Mangel an antidiuretischem Hormon des Hypophysenhinterlappens ist die ADH- abhängige Harnkonzentrierung, die in den distalen Nierentubuli und den Sammelrohren erfolgt, nicht (ausreichend) möglich. Es kommt zur vermehrten Ausscheidung eines verdünnten Urins, einer Polyurie mit einer Urinosmolalität von < 300 mosmol / µg (Herold 2021).

Gleichzeitig besteht die Unfähigkeit, den Harn zu konzentrieren (sog. Asthenurie). Diese bewirkt osmoregulatatorisch eine zwanghafte Polydipsie (Herold 2021). Falls dem Patienten nur eine begrenzte Menge Flüssigkeit zur Verfügung steht, tritt sehr rasch eine Dehydratation auf (Borchert 2005). 

Der ZDI tritt klinisch erst in Erscheinung, wenn > 80 % der ADH- sezernierenden Neurone ausgefallen sind (Herold 2021).

Manifestation

Der ZDI auf Grund genetischer Defekte manifestiert sich typischerweise nicht bereits direkt nach der Geburt, er entwickelt sich vielmehr – abhängig von der Mutation – unterschiedlich schnell über Monate oder Jahre hin und bleibt dann manifest. 

Im mittleren Lebensalter kann es spontan zu einer Verbesserung der Symptomatik kommen. Die Ursache dafür ist bislang unbekannt (Kasper 2015).

Klinisches Bild

  • Polydipsie
  • Polyurie (bei 50 % der Patienten liegt die Harnausscheidung zwischen 4 – 8 l / d, bei 25 % > 12 l / d und in Einzelfällen bei bis zu 40 l / d [Siegenthaler 2006])
  • Einnässen

(Kasper 2015)

  • Nykturie (fehlt diese, ist ein D.i. praktisch ausgeschlossen)
  • Tagesmüdigkeit durch nächtliche Polyurie (Kasper 2015)
  • Asthenurie (die Konzentrationsfähigkeit des Urins fehlt)

(Herold 2021)

 

  • Symptome bei Hypophysenstieldurchtrennung:

Bei einem ZDI durch Traumata oder postoperativ bedingt, bei dem es zu einer Durchtrennung des Hypophysenstiels kommt (Siegenthaler 2006), unterscheidet man 3 verschiedene Phasen:

  • 1. Phase, sog. Initialphase:

Hierbei tritt eine Polyurie auf, die ca. 4 – 5 Tage anhält. Man vermutet, dass die fehlende ADH- Freisetzung auf eine Dysfunktion des Hypothalamus zurückzuführen ist.

  • 2. Phase, sog. antidiuretische Phase:

Sie hält ca. 6 – 11 Tage an und entsteht durch Freisetzung von ADH- Resten aus der Hypophyse.

  • 3. Phase, sog. permanenter ZDI:

Nach den beiden ersten Phasen setzt dann ein permanenter ZDI ein.

(Kuhlmann 2015)

 

  • Symptome bei Destruktion oberhalb der Eminentia mediana:

Ein permanenter ZDI tritt bei Patienten auf, bei denen es zu einer Destruktion oberhalb der Eminentia mediana kommt (Siegenthaler 2006).

 

  • Symptome bei Destruktion unterhalb der Eminentia mediana:

Hierbei kann es sowohl zu einem permanenten als auch zu einem transienten ZDI kommen (Siegenthaler 2006).

 

 

Diagnostik

Bei den o. g. Symptomen besteht nach Ausschluss einer Glukosurie der V. a. einen D.i.. 

Diagnostisch empfiehlt sich folgendes Vorgehen:

  • 24 h Urin

Sollten hierbei eine Ausscheidungsmenge von > 50 ml / kg KG vorliegen (entspricht bei 70 kg > 3500 ml) und eine Serum- Osmolalität von > 300 mosmol / l vorliegen, bestätigt das die Diagnose eines D.i. (Kasper 2015).

Weitere diagnostische Spezifizierung s. „Labor“.

 

 

Bildgebung

MRT

Der Hypophysenhinterlappen erscheint in der zerebralen MRT bei gesunden Erwachsenen und Kindern als ein hyperintenses Signal, dem sog. „hellen Fleck“. Dieser ist bei Patienten mit zerebralem D.i. verkleinert oder fehlend (Kasper 2015).

Zusätzlich können durch die MRT auch Hinweise auf die Ursache eines ZDI (z. B. Tumoren) gefunden werden (Kasper 2015).

 

 

Labor

  • Natrium im Urin erniedrigt
  • Natrium im Plasma erhöht
  • spezifisches Gewicht ≤ 1004 g / l (Normwert 1010 – 1030 g / l)
  • Osmolalität im Serum höher als im Urin (bei Gesunden 270 – 303 mosmol / l im Serum und 500 – 1170 mosmol / l im Urin)

(Striebel 2014)

  • Osmolalität im Urin < 300 mosmol / l (Herold 2021)

 

  • 24 h Urin:

Sollten hierbei eine Ausscheidungsmenge von > 50 ml / kg KG (entspricht bei 70 kg > 3500 ml) und eine Serum-Osmolalität von > 300 mosmol / l vorliegen, bestätigt das die Diagnose eines D.i. (Kasper 2015).

Um den Typ des D.i. näher zu spezifizieren, sind weitere diagnostische Maßnahmen erforderlich.

  • Messung von Copeptin:

Die Messung von Copeptin ist am besten zur weiteren Differenzierung geeignet. Diese Untersuchungsmethode hat eine höhere Sensitivität und Spezifität als der bislang durchgeführte Durstversuch mit ADH- Messung.

Testdurchführung:

Die Bestimmung von Copeptin kann als Belastungstest mit hypertoner NaCl- Lösung erfolgen oder als Messung nach Dehydrierung.

  • Belastungstest mit NaCl:

Hierbei wird zunächst das Copeptin bestimmt, anschließend eine hypertone 3 %ige NaCl- Lösung infundiert und das Copeptin erneut gemessen. 

Ergebnis bei ZDI:

  • Urinosmolalität bleibt niedrig
  • Plasmaosmolalität steigt an
  • Copeptin i. S. bleibt niedrig

Der NaCl- Test ist mit 95 % zuverlässiger als der Dehydrierungs- Test.

(Herold 2021)

  • Dehydrierung:

Der Copeptin - Spiegel wird nach 8 stündiger Dehydrierung morgens nüchtern gemessen.

Beim zentralen Diabetes insipidus liegt der Copeptin - Wert < 2,6 pmol / l.

Sollte der ermittelte Wert zwischen 2,6 – 20 pmol / l liegen, ist eine weitere Blutabnahme nüchtern nach 16 h Dehydrierung erforderlich, bei der neben Copeptin auch das Serumnatrium bestimmt wird. Aus diesen Werten errechnet sich der Copeptin - Index. Liegt dieser < 20, handelt es sich um einen zentralen Diabetes insipidus partialis und bei Werten > 20 um eine primäre Polydipsie.

(Kasper 2015)

Der o. g. Belastungstest mit NaCl hat die Stelle des in der älteren Literatur noch erwähnten sog. „Hickey- Hare- Test“ eingenommen (Nawroth 2013).

 

 

Differentialdiagnose

  • nephrogener Diabetes insipidus
  • primäre Polydipsie (s. Diabetes insipidus)
  • Diabetes mellitus (hierbei besteht eine osmotische Diurese)
  • Diuretika- Missbrauch
  • hyperkalzämische Krise
  • Mundtrockenheit (durch Medikamente wie z. B. Anticholinergika indiziert)

(Herold 2021)

Therapie

Die kausale Behandlung des ZDI besteht in der Therapie des Grundleidens, sofern diese möglich ist. 

Symptomatisch kann mit Desmopressin, einem Vasopressin- Analogon therapiert werden, welches zur i. v., s. c. intranasalen oder oralen Anwendung zur Verfügung steht (Herold 2021). Die normale Dosis liegt bei 

  • ca. 2 – 3 x 100 – 400 µg / d oral
  • ca. 2 – 3 x 10 – 20 µg / d als Nasenspray

(Kasper 2015)

Die Höhe der Dosis richtet sich nach dem Urinvolumen und den Serum- Natrium- Werten (Fassnacht 2019).

Ein unkomplizierter ZDI kann damit vollständig beseitigt werden (Kasper 2015).

Falls noch etwas ADH vorhanden sein sollte, können auch zusätzlich Medikamente, die

  • die Freisetzung des ADH verbessern, eingesetzt werden wie z. B.:
    • Clofibrat
    • Carbamazepin
  • Medikamente, die die Wirkung des ADH ergänzen wie z. B.:
    • Chlorpropamid
    • Carbamazepin

(Kuhlmann 2015)

 

  • Gestationsdiabetes insipidus:

Der Gestationsdiabetes insipidus spricht nicht auf ADH an. Die Behandlung erfolgt hierbei mit Desmopressin (Lehnert 2010). 

Dosierungsempfehlung: 0,05 – 0,02 ml (5 – 20 µg) der Lösung (100 µg / ml) intranasal (Paumgartner 2013). Die genaue Dosierung erfolgt in Abhängigkeit des Urinvolumens und des Serum- Natriums (Fassnacht 2019).

 

  • postoperativer ZDI:

Neurochirurgische Patienten sollten über die Symptome eines möglichen ZDI präoperativ aufgeklärt werden. Außerdem empfiehlt sich, bis zum 10. p. o. Tag regelmäßig die Serumelektrolyte bestimmen zu lassen (Fassnacht 2019).

Die Behandlung eines p.o. Diabetes insipidus besteht in Gaben von Desmopressin i. v. oder s. c.,

Dosierungsempfehlung: 0,25 – 1,0 µg alle 12 – 24 Stunden.

Das primäre Behandlungsziel sind die Normalisierung des Urinvolumens und des Serum- Natriums.

Falls der ZDI bei der Entlassung noch fortbesteht, kann auf eine orale oder intranasale Gabe umgestellt werden.

Über mögliche Nebenwirkungen des Medikamentes (wie z. B. Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und bei fortschreitender Hyponatriämie auch Bewusstlosigkeit bis hin zum Koma) sollte der Patient aufgeklärt werden, da ggf. eine umgehende Rücksprache mit dem behandelnden Arzt erforderlich ist wegen Pausierens des Medikamentes.

(Fassnacht 2019)

 

 

 

Verlauf/Prognose

Die Prognose des ZDI hängt primär von der Grunderkrankung ab, falls es sich dabei um eine tumoröse Erkrankung handelt, von der Histologie (Lentze 2014).

Ein unkomplizierter ZDI kann bei entsprechender Behandlung vollständig beseitigt werden (Kasper 2015).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Brochert A et al. (2005) Pathophysiologie II von Fall zu Fall. Elsevier Urban und Fischer Verlag 8
  2. Fassnacht J et al. (2019) S2k-Leitlinie „Diagnostik und Therapie klinisch hormoninaktiver Hypophysentumoren“ Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) 
  3. Hegele A et al. (2015) Urologie: Intensivkurs zur Weiterbildung. Thieme Verlag
  4. Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 803 - 804 
  5. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 64e – 3, 304, 2275 - 2279
  6. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 2796 - 2799
  7. Kivelä T et al. (1998) Diabetes insipidus and blindness caused by a suprasellar tumor: Pieter Pauw's observations from the 16th century. JAMA 279 (1) 48 – 50 
  8. Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 263 – 265
  9. Lehnert H et al. (2010) Rationelle Diagnostik und Therapie in Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel 48 – 50
  10. Lentze M J (2014) Pädiatrie: Grundlagen und Praxis. Springer Verlag 588
  11. Nawroth P P et al. (2013) Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel Thieme Verlag 347
  12. Paumgartner G et al. (2013) Therapie innerer Krankheiten Springer Verlag 774 
  13. Risler T et al. (2008) Facharzt Nephrologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 153 – 155, 381 – 385, 752
  14. Siegenthaler W et al. (2006) Klinische Pathophysiologie. Thieme Verlag 260 - 262
  15. Striebel H W (2014) Operative Intensivmedizin: Sicherheit in der klinischen Praxis. Schattauer Verlag 154

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