Diabetes insipidus E23.2

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 14.11.2021

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Synonym(e)

Diabetes spurius; hypophysärer D.i.; neurohypophysärer D.i.; Wasserharnruhr

Erstbeschreiber

Der niederländische Anatom Pieter Pauw (1564 – 1617) beschrieb im Jahre 1590 als Erster das Krankheitsbild eines Diabetes insipidus bei einem 18 jährigen Mädchen, welches im Verlauf der Erkrankung verstarb (Kivelä 1998).

Im Jahre 1981 stellte Zerbe et al. einen Test zur Differenzierung zwischen einem D.I. und der primären Polydipsie vor, bei dem nach osmotischer Stimulierung eine direkte AVP- Messung erfolgte. Hierbei zeigte sich folgendes Ergebnis (Christ- Crain 2020):

  • bei zentralem D.I. lagen die AVP- Werte unterhalb des Normbereiches
  • bei nephrogenem D.I. oberhalb des Normbereiches
  • bei primärer Polydipsie im Normbereich

Definition

Unter einem Diabetes insipidus (D. i.) versteht man eine Erkrankung, bei der die Nieren nicht in der Lage sind, unter Wasserentzug konzentrierten Urin zu produzieren (Herold 2021).

Das Urinvolumen umfasst pro Tag > 50 ml / kg KG (Kasper 2015).

Einteilung

Der D.I. wird (Kasper 2015) unterteilt in einen:

Hierzu kommt es durch ADH- Mangel.

Bei der renalen Form sprechen die Nieren nicht auf ADH an.

  • 3. Gestationsdiabetes insipidus
  • 4. primäre Polydipsie:
    • dipsogener D.i.
    • psychogene Polydipsie
    • iatrogene Polydipsie

Bei der primären Polydipsie findet sich eine physiologische ADH- Konzentration und eine adäquate renale Antwort auf ADH. Es besteht hierbei primär eine Polydipsie, die dann zur Polyurie führt.

Die Erkrankung tritt überwiegend im Rahmen psychiatrischer Komorbiditäten wie z. B. Suchterkrankung, Depression etc. auf. Allerdings zeigte sich in einer prospektiven, 156 Patienten umfassenden Studie von Fenske (2018) eine ähnliche Prävalenz für psychiatrische Begleiterkrankungen bei Patienten mit Diabetes insipidus (Christ- Crain 2020).

Vorkommen/Epidemiologie

Die D.I. zählt mit einer Prävalenz von 1 : 25.000 (Crist- Crain 2020) zu den selten auftretenden Erkrankungen und betrifft beide Geschlechter gleich häufig (Lehnert 2010).

Der ZDI ist die häufigere Form, während der NDI nur selten auftritt (Herold 2021).

Ätiopathogenese

  • Ursachen des ZDI können sein:
    • idiopathisch
    •  sekundär

Näheres s. zentraler Diabetes insipidus

  • Ursachen eines NDI können sein (Herold 2021):
    • angeborene Form durch genetische Veränderungen
    • erworbene Form durch Nierenerkrankungen mit tubulärer Schädigung

Näheres s. nephrogener Diabetes insipidus

Ein D.I. kann nach Kasper 2015 außerdem auftreten:

  • im Rahmen einer Schwangerschaft durch einen primären Plasma- ADH- Mangel als sog. Gestationsdiabetes insipidus

Primäre Polydipsie:

Hierbei besteht eine exzessive Flüssigkeitsaufnahme durch eine gestörte Durstwahrnehmung (Kasper 2015).

Man differenziert dabei zwischen 3 Formen:

  • 1. dipsogener D.i.: Hierbei wird der inadäquate Durstanstieg durch eine Verminderung des Sollwertes im Osmorezeptor- Regulationsmechanismus hervorgerufen (kann im Rahmen einer Meningitis, Neurosarkoidose, Multiplen Sklerose etc. auftreten)
  • 2. psychogene Polydipsie: Bei der psychogenen Polydipsie besteht primär kein vermehrtes Durstgefühl, die Polydipsie tritt vielmehr im Rahmen von Psychosen oder Zwangsneurosen auf.
  • 3. iatrogene Polydipsie: Diese Form der Polydipsie entsteht durch Empfehlungen (medizinisch oder durch die Boulevard- Presse), man solle viel trinken, da das präventive oder therapeutische Vorteile habe (Kasper 2015). 

Pathophysiologie

Pathophysiologie des zentralen bzw. nephrogenen Diabetes insipidus s. d. 

  • Primäre Polydipsie:

Bei der primären Polydipsie führt die exzessive Flüssigkeitszufuhr zu einer Zunahme des Körperwassers, durch die die ADH- Sekretion, die Serumosmolalität / Natrium und die Urinkonzentration vermindert werden. 

Die Urinverdünnung bewirkt einen kompensatorischen Anstieg der freien Wasserdiurese. Dadurch werden die Plasmaosmolalität / das Serumnatrium auf einen Wert, der nur 1 % - 2 % unter dem Basalwert liegt, stabilisiert. Sofern die Polydipsie nicht sehr ausgeprägt ist, findet sich klinisch keine deutliche Hyponatriämie.

(Kasper 2015)

Klinisches Bild

Das klinische Bild eines Diabetes insipidus und einer primären Polydipsie unterscheiden sich nicht (Christ- Crain 2020). 

  • Polydipsie
  • Polyurie (bei 50 % der Patienten findet sich eine Ausscheidung von 4 – 8 l / d, bei 25 % > 12 l / d und in Einzelfällen bis zu 40 l / d [Siegenthaler 2006])
  • Tagesmüdigkeit durch nächtliche Polyurie
  • Einnässen (Kasper 2015)
  • Nykturie (fehlt diese, ist ein D.I. praktisch ausgeschlossen)
  • Asthenurie (die Konzentrationsfähigkeit des Urins fehlt [Herold 2021])

Symptome im Säuglings- bzw. Kindesalter bei hereditärer Ursache eines D.I. können sein:

  • Erbrechen
  • Diarrhoe (Herold 2021)
  • Fieberschübe
  • Gedeihstörungen
  • stark schwankendes Körpergewicht(Lentze 2014)

Bei einer ausgeprägten Polyurie können sich entwickeln:

  • Dilatation der ableitenden Harnwege
  • Hydronephrose
  • Megazystis (Lentze 2014)

 

Diagnostik

Bei den o. g. Symptomen sollte primär eine Glukosurie diagnostisch ausgeschlossen werden. 

Danach empfiehlt sich folgendes Vorgehen:

  • 24 h Sammel- Urin
  • Messung von Copeptin

Näheres s. „Labor“

(Kasper 2015)

Bildgebung

MRT

Die MRT kann Hinweise zur Differenzierung eines zentralen bzw. nephrogenem Diabetes insipidus und einer primären Polydipsie geben.

Der Hypophysenhinterlappen erscheint in der zerebralen MRT bei gesunden Erwachsenen und Kindern als ein hyperintenses Signal, als sog. „heller Fleck“ oder auch „bright spot“ (Christ- Crain 2020). Dieser ist bei Patienten mit zerebralem und auch nephrogenem Diabetes insipidus verkleinert oder fehlend. Bei Patienten mit primärer Polydipsie ist der helle Fleck hingegen i. d. R. vorhanden (Kasper 2015).

In einer kürzlich durchgeführten Studie von Fenske (2018) zeigte sich aber, dass bei 39 % der Patienten mit primärer Polydipsie der bright spot ebenfalls fehlte.

Labor

Laborwerte des zentralen D.I. s. d.

Laborwerte des nephrogenen D.I. s. d.

 

  • Laborwerte bei primärer Polydipsie:

Durch Zunahme des Körperwassers kommt es zu folgenden Veränderungen:

  • Natrium fällt (durch die freie Wasserdiurese stabilisiert sich der Wert meistens bei 1 % - 2 % unter dem Basalwert)
  • ADH- Sekretion nimmt ab
  • Serumosmolalität sinkt

(Kasper 2015)

Die Fähigkeit, einen konzentrierten Urin zu bilden liegt meistens zwischen 500 – 600 mosmol / l (Krebs 2018) und damit unter des Normwertes von 800 mosmol / kg, da durch die hohen Flusswerte der osmotische Gradient in der Niere verlorengeht (Kuhlmann 2015).

 

  • 24 h Sammel- Urin:

Sollten hierbei eine Ausscheidungsmenge von > 50 ml / kg KG (entspricht bei 70 kg > 3500 ml) und eine Osmolalität von > 300 mosmol / l vorliegen, bestätigt das die Diagnose eines D.i.

Um den Typ des D.I. zu identifizieren, sind weitere diagnostische Maßnahmen erforderlich.

Weitere Diagnostik hinsichtlich des zentralen bzw. nephrogenen Diabetes insipidus s. d. 

 

Zur Diagnostik der primären Polydipsie stehen zur Verfügung:

  • 1. Messung von Copeptin:

Die Messung von Copeptin ist am besten zur weiteren Differenzierung geeignet und gilt inzwischen als der Goldstandard bei der Differenzierung eines D. I. (Christ- Crain 2020).

Durch Copeptin lässt sich die Vasopressinkonzentration (ADH) in der Zirkulation spiegeln. Zur Diagnostik der primären Polydipsie benötigt man beim Test eine Stimulation. Diese kann durch hypertone Kochsalzlösung (osmotische Stimulation) oder durch Arginin (nicht- osmotische Stimulation) erfolgen.

Der Copeptin- Test zeigt bei der primären Polydipsie eine Sensitivität von 93 % und eine Spezifität von 100 % (Crist- Crain 2020).

Testdurchführung:

  • Belastungstest mit NaCl:

Hierbei wird zunächst das Copeptin bestimmt, anschließend eine hypertone 3 %ige NaCl- Lösung infundiert und das Copeptin erneut gemessen. 

  • Urinosmolalität:

bleibt beim ZDI und NDI niedrig, steigt bei der primären Polydipsie an

  • Plasmaosmolalität:

steigen beim ZDI und NDI an, bleibt bei der primären Polydipsie normal

  • Copeptin i. S.:

bleibt beim ZDI niedrig, steiget beim RDI und der primären Polydipsie an

Der NaCl- Test ist mit 95 % zuverlässiger als der Dehydrierungs- Test.

(Herold 2021)

  • Dehydrierung:

Der Copeptin - Spiegel wird nach 8 stündiger Dehydrierung morgens nüchtern gemessen.

Er liegt beim:

  • renalen Diabetes insipidus > 20 pmol / l
  • zentralen Diabetes insipidus < 2,6 pmol / l

Sollte der ermittelte Wert zwischen 2,6 – 20 pmol / l liegen, ist eine weitere Blutabnahme nüchtern nach 16 h Dehydrierung erforderlich, bei der neben Copeptin auch das Serumnatrium bestimmt wird. Aus diesen Werten wird der Copeptin - Index berechnet. Liegt dieser < 20, handelt es sich um einen zentralen Diabetes insipidus partialis und bei Werten > 20 um eine primäre Polydipsie.

(Kasper 2015)

 

  • 2. Flüssigkeitsentzug bei primärer Polydipsie:

Der Test beginnt morgens zu einer genau festgelegten Zeit. Der Patient darf ein leichtes Frühstück und Flüssigkeit ad libitum zu sich nehmen. 

Anschließend wird der Patient gewogen und eine Urinprobe zur Bestimmung der Urinosmolarität, eine Blutentnahme zur Bestimmung der Plasmaosmolalität, Natriumkonzentration, ADH- oder Copeptin- Konzentration erfolgen.

Daraufhin erfolgt die 12 stündige Durstphase während derer 1 x / h gemessen werden:

  • Harnmenge
  • Urinosmolalität
  • Plasmaosmolalität
  • Serumnatrium
  • Körpergewicht
  • Puls
  • Blutdruck

Nach Testende werden neben den o. g. Daten auch noch Elektrolyte und ADH / Copeptin gemessen. 

Unter dem Flüssigkeitsentzug kommt es zu einem Anstieg der Serumosmolalität und des Natriumspiegels. Die ADH- Freisetzung ist adäquat. 

Die Konzentrationsfähigkeit des Urins ist jedoch durch die anhaltende Polyurie i. d. R. nicht sofort wieder gegeben (Kasper 2015). Die Werte betragen 500 – 600 mosmol / l (bei gesunden > 800 mosmol / l ).

(Krebs 2018)

Die diagnostische Zuverlässigkeit ist bei der primären Polydipsie allerdings schlecht, wie Studien von Fenske aus dem Jahre 2011 und 2018 zeigten (Christ- Crain 2020).

Differentialdiagnose

(Herold 2021)

(Kröner 2010)

 

 

Komplikation(en)

Durch eine anhaltende Polydipsie kommt es zu einer Down- Regulierung der Aquaporin- 2- Kanäle, auch als sog. „wash- out- Phänomen“ bezeichnet (Crist- Crain 2020).

 

 

Therapie

Medikamentös stehen, je nach Ursache des D.I. zur symptomatischen Behandlung zur Verfügung:

  • ADH- Präparate wie z. B.:
    • Desmopressin
  • Medikamente, die die Freisetzung des ADH verbessern wie z. B.:
    • Clofibrat
    • Carbamazepin
  • Medikamente, die die Wirkung des ADH ergänzen wie z. B.:
    • Chlorpropamid
    • Carbamazepin
  • Medikamente, die die Trinkmenge senken wie z. B.:
    • Thiazide
    • nicht steroidale Antiphlogistika

(Kuhlmann 2015)

Näheres zur medikamentösen Therapie s. zentraler D.I. und nephrogener D.I.

 

  • Primäre Polydipsie

Für die primäre Polydipsie gibt es keine effektive therapeutische Maßnahme. 

Mit einem Vasopressin- Analogon (wie z. B. Desmopressin) oder anderen Antidiuretika kann nicht behandelt werden, da hierbei das Durstgefühl nicht weniger wird und infolgedessen nach 8 – 24 h eine Hyponatriämie als Zeichen einer Wasserintoxikation auftritt.

Die Patienten sollten darüber aufgeklärt werden, dass sie keine Thiaziddiuretika und carbamazepinhaltigen Antikonvulsiva wie z. B. Tegretal einnehmen dürfen, da es ansonsten zu einer Wasserintoxikation kommen kann.

(Kasper 2015)

 

 

Verlauf/Prognose

Die Prognose ist abhängig von der die Polydipsie auslösenden Ursache. 

 

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Christ- Crain M (2020) Copeptin- Stellenwert in der Diagnostik des Polyurie- Polydipsie- Syndroms. J. Klin. Endokrinol. Stoffw. 13, 142 – 150 https://doi.org/10.1007/s41969-020-00106-9
  2. Fenske W, Refardt J, Chifu I et al (2018) A copeptin-based approach in the diagnosis of diabetes insipidus. N Engl J Med 379: 428 – 439
  3. Hegele A et al. (2015) Urologie: Intensivkurs zur Weiterbildung. Thieme Verlag
  4. Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 803 - 804 
  5. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 64e – 3, 304, 2275 - 2279
  6. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 2796 - 2799
  7. Keller C K et al. (2010) Praxis der Nephrologie. Springer Verlag 
  8. Kivelä T et al. (1998) Diabetes insipidus and blindness caused by a suprasellar tumor: Pieter Pauw's observations from the 16th century. JAMA 279 (1) 48 – 50 
  9. Krebs M (2018) Abklärung bei Polyurie. J. Klin. Endokrinol. Stoffw. 11, 104–106 https://doi.org/10.1007/s41969-018-0026-7
  10. Kröner C et al. (2010) Basiswissen Pädiatrie. Springer Verlag 317
  11. Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 263 – 265
  12. Lehnert H et al. (2010) Rationelle Diagnostik und Therapie in Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel 48 - 50
  13. Lentze M J (2014) Pädiatrie: Grundlagen und Praxis. Springer Verlag 585 - 588
  14. Risler T et al. (2008) Facharzt Nephrologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 153 – 155, 381 – 385, 752
  15. Siegenthaler W et al. (2006) Klinische Pathophysiologie. Thieme Verlag 260 - 262

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