Anämie, hämolytische D58.9

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 05.10.2023

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Erstbeschreiber

Als Erstbeschreiber der hämolytischen Anämie (HA) gelten Worlledge et al., die 1966 erstmals Fälle von HA beschrieben (Arnold 1970).

Definition

Unter einer hämolytischen Anämie (HA) versteht man eine Gruppe von Erkrankungen unterschiedlicher klinischer und molekularer Heterogenität, die gekennzeichnet ist durch einen verminderten Gehalt an zirkulierenden Erythrozyten im Blut (Jamwal 2020).

Es kommt dabei durch einen gesteigerten Abbau der Erythrozyten zu einer verkürzten Überlebenszeit der Erythrozyten (< 100 d). Die Hämolyse kann intra- oder extravaskulär erfolgen. Falls der Hb- Gehalt im Blut normal bleibt, spricht man von einer kompensierten Hämolyse, ansonsten von einer hämolytischen Anämie (Herold 2023).

Einteilung

Hämolytische Anämien können akut oder chronisch verlaufen, durch intra- oder extravaskuläre Hämolyse entstehen und auf intra- oder extrakorpuskuläre Ursachen zurückzuführen sein (Kasper 2015).

Man differenziert bei den hämolytischen Anämien zwischen folgenden Formen:

  •  I. Korpuskuläre hämolytische Anämien
    • 1. Angeborene Enzymdefekte der Erythrozyten, auch als „enzymopenische hämolytische Anämien“ bezeichnet (Herold 2023) Hierzu zählen Defekte:
    • 2. Angeborene Störungen der Hämoglobinsynthese, auch als „Hämoglobinopathie“ (PNH) bezeichnet. Dazu gehören:
      • 2. a. anomale Hämoglobine, dies sind z. B. Varianten mit anormaler Hb- Struktur
      • 2. b. Thalassämien als Varianten, bei denen die Bildung normaler Hb- Polypeptidketten vermindert ist (Herold 2023)
    • 3. Angeborene Membrandefekte der Erythrozyten, sog. enzymopenische hämolytische Anämien.
    • 4. Erworbene Membrandefekte

 

  • II. Extrakorpuskuläre hämolytische Anämien
    • 1. Immunologisch induzierte Hämolyse: Diese unterteilen sich in
      • 1.a. alloimmunhämolytische Anämien durch Alloantikörper wie z. B. bei der Rh- Inkompatibilität beim Neugeborenen
      • 1.b. antikörpervermittelte Transfusionsreaktionen (Herold 2023)
    • 2. Mikroangiopathische hämolytische Anämie (MHA): Diese tritt auf bei:
    • 3. Hämolyse bei Infektionskrankheiten
      • 3. a. z. B. im Rahmen einer Malaria- Erkrankung (Herold 2022)
    • 4. Hämolytische Anämien durch physikalische und chemische Schädigungen
      • 4. a. chemische Noxen durch z. B. Arsen, Blei, Kupfer, Schlangengifte
      • 4. b. mechanische Hämolyse mit Fragmentozyten bei z. B. Marschhämolyse, Herzklappenersatz
      • 4. c. thermische Schädigung der Erythrozyten bei z. B. Verbrennung (Herold 2022)
    • 5. Autoimmunhämolytische Anämien (AIHA) Bei dieser Form der extrakorpuskulären Anämien führen Autoantikörper zum Abbau der Erythrozyten. Zu den beiden am häufigsten auftretenden AIHA gehören:
      • 5. a. Wärmeantikörpertyp (wAIHA)
      • 5. b. Kälteantikörpertyp (cAIHA)  (Ehrlich 2022).
    • 6. Andere Ursachen

Vorkommen/Epidemiologie

Hämolytische Anämien können sowohl hereditär als auch erworben sein (Kasper 2015).

Vorkommen/Epidemiologie

Neben Hämoglobinopathien und Enzymopathien sind intrinsische Störungen der Erythrozytenmembran häufige Ursache einer HA (Mohandas 2018).

Die primäre Kälteagglutininerkrankung ist für ca. 15 % aller autoimmunhämolytischen Anämien verantwortlich (Gertz 2022), der Wärmeantikörpertyp macht ca. 70 – 80 % aller AIHA aus (Ehrlich 2022).

Bei den angeborenen Formen einer HA stellt die hereditäre Sphärozytose die häufigste Form dar. Die Prävalenz liegt bei 1 : 2.000 (Genevaux 2022).

Klinisches Bild

Das klinische Bild einer HA hängt sehr davon ab, ob diese akut oder chronisch verläuft. In erster Linie bestehen bei Patienten mit hämolytischer Anämie Anzeichen und Symptome, die unmittelbar auf die Hämolyse zurückzuführen sind (Kasper 2015).

Die Hämolyse kann kompensiert verlaufen, als sog. „kompensierte Hämolyse“ oder anämisch als „hämolytische Anämie“. Bei der kompensierten Form bestehen Hämolysezeichen, aber keine Anämie, da die Erythropoese bis zum 10fachen der Norm ansteigen kann (Herold 2023). Bei der hämolytischen Anämie hingegen übersteigt die Hämolyse die Kompensationsmechanismen und es kommt zu Hämolysezeichen mit Anämie (Herold 2023)

Die Hauptsymptome einer Hämolyse sind Hämoglobinurie und Ikterus (Aulbert 2008).

 

Bei einer akuten Hämolyse können auftreten:

- Tachykardie

- Palpitationen

- Belastungsdyspnoe (Berger 2010)

 

Bei der chronischen Hämolyse bestehen i. d. R. kaum Symptome. Selbst Hämoglobinwerte bis zu 6 – 8 mg / dl werden toleriert. Ansonsten können bestehen:

- Splenomegalie (allerdings nicht bei Sichelzellerkrankung)

- Neigung zu Thrombosen (Herold 2023)

- geringgradiger Ikterus

- oftmals Bilirubin Gallensteine (Berger 2010)

 

Hämolytische Krise

Die hämolytische Krise stellt immer eine Notfallsituation dar. Sie kann auftreten als Exazerbation einer chronischen Hämolyse oder spontan durch z. B. einem Transfusionszwischenfall.

Hierbei bestehen folgende Symptome

- Schüttelfrost

- Fieber

- Schmerzen im Rücken, Abdomen, Kopf (Berger 2010)

- Kollaps

- Hämoglobinurie, die zum akuten Nierenversagen führen kann (Herold 2023)

Diagnostik

Diagnostisch stehen neben der körperlichen Untersuchung und der Anamnese insbesondere laborchemische Untersuchungen im Vordergrund.

Körperliche Untersuchung

- Splenomegalie

- Vergrößerung der Leber möglich

- Skelettveränderungen bei kongenitalen Formen (Kasper 2015)

 

Knochenmarkpunktion

Eine Knochenmarkpunktion ist i. d. R. nicht erforderlich. Falls sie doch durchgeführt wird, zeigt sich eine erythroide Hyperplasie (Kasper 2015).

 

Sanger- Sequenzierung

Diese stellt zusammen mit herkömmlichen Tests die effizienteste Methode zur Diagnostik einer HA genetischer Ursache dar (Jamwal 2020).

Labor

Durch die Zerstörung der Erythrozyten werden Hämoglobin und andere Zellbestandteile wie z. B. LDH, GOT, Kalium freigesetzt. Das Hämoglobin wird an Haptoglobin gebunden, so dass das freie Haptoglobin abnimmt (Müller 2023).

Typische Laborveränderungen bei einer Hämolyse sind deshalb:

Es kommt zu einem Abfall von:

- Haptoglobin (sensitivster Parameter)

- AP

- Gamma- GT

- Hämoglobin

- Hämatokrit

- Erythrozyten

- Überlebenszeit der Erythrozyten (Berger 2010)

 

und zu einem Anstieg von:

- Bilirubin gesamt (insbesondere von unkonjugiertem Bilirubin [Kasper 2015])

- GPT

- Eisen im Serum

- Freies Hb

- Hämopexin

- LDH (Berger 2010)

- AST (Aspartat- Aminotransferase)

-  Urobilinogen im Stuhl und Urin

- Retikulozyten (wichtigstes Zeichen für eine erythropoetische Reaktion des Knochenmarks mit Anstieg des MCV [Kasper 2015])

 

Man sollte beachten, dass durch die Hämolyse in einer Blutprobe folgende Werte artefiziell ansteigen:

- LDH

- AST (GOT)

- ALT (GPT)

- Kalium (Herold 2022)

 

Differenzierung intravasale / extravasale Hämolyse

Bei der intravasalen Hämolyse finden sich ein Anstieg von freiem Hb im Serum, eine Hämoglobinurie, Hämosiderinurie und ein Abfall des Haptoglobins (Herold 2023).

Bei der extravasalen Hämolyse hingegen sind Haptoglobin und freies Hb im Serum normal, eine Hämoglobinurie und eine Hämosiderinurie treten nicht auf. Einzige Ausnahme bildet die hämolytische Krise bei extravasaler Hämolyse. Hierbei bestehen ein erniedrigtes Haptoglobin und eine Hämoglobinurie (Herold 2023).

 

Peripherer Blutabstrich

Es sollte bei Vorliegen einer HA stets ein peripherer Blutabstrich untersucht werden, um eine eventuell vorliegende abnormale Morphologie der Erythrozyten festzustellen (Phillips 2018).

Hierbei können auftreten:

- Agglutination der Erythrozyten: Diese findet sich z. B. bei der autoimmunhämolytischen Anämie vom Kälteantikörpertyp

- Akanthozyten: Sie treten z. B. bei Pyruvatkinase Mangel auf.

- Fragmentozyten (Schistozyten): Findet man bei der mikroangiopathischen hämolytischen Anämie, der mechanisch bedingten Erythrozytenschädigung (z. B. durch eine Herzklappe)

- Heinz Innenkörperchen: Diese stellen Hämoglobin Präzipitate in den Erythrozyten dar und finden sich bei z. B. Glukose 6- Phosphat- Dehydrogenase Mangel, Met Hb und Hb- Anomalien.

- Intraerythrozytäre Parasiten: Treten bei einer Malaria auf.

- Kugelzellen (Sphärozyten): Diese sind typisch für die hereditäre Sphärozytose und für die Autoimmunhämolyse durch Wärmeantikörper.

- Schießscheibenzellen (Targetzellen): Hierbei zeigen sich hypochrome Erythrozyten mit einer zentralen Verdichtung. Sie sind typisch für die Thalassämie.

- Sichelzellen (Drepanozyten): Die Erythrozyten nehmen Sichelform an und sind typisch für die Sichelzellanämie (Herold 2023).

 

Direkter Antiglobulintest (Coombs- Test)

Durch diesen Test lassen sich immunologische Ursachen von nicht- immunologischen unterscheiden (Phillips 2018).

Differentialdiagnose

- Normozytäre Anämien anderer Genese

- Makrozytäre Anämien anderer Genese (Phillips 2018)

 

 Eine Anämie mit erhöhtem Serumeisen findet man neben den HA z. B. auch bei der:

- Aplastischen Anämie

- Megaloblastären Anämie

- Myelodysplastischem Syndrom (Herold 2023)

 

Differenzierung der Ursache eines Ikterus

- Hämolyse: Indirektes Bilirubin deutlich erhöht, direktes Bilirubin normal, im Urin deutlich erhöhte Werte für Urobilinogen. Die Stuhlfarbe ist normal gefärbt (Herold 2023)

- Verschlussikterus: Indirektes Bilirubin leicht erhöht, direktes Bilirubin deutlich erhöht, Bilirubin im Urin deutlich nachweisbar, der Stuhl ist entfärbt (Herold 2023)

- Parenchymikterus: Hierbei sind indirektes und direktes Bilirubin erhöht, im Urin finden sich Bilirubin und Urobilinogen, der Stuhl kann normal bis hell sein (Herold 2023)

Therapie allgemein

Die Therapie richtet sich nach der die HA auslösenden Ursache.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Arnold O H (1970) Therapie der arteriellen Hypertonie: Erfolge – Möglichkeiten – Methoden. Springer Verlag Berlin / Heidelberg / New York 73
  2. Aulbert E, Nauck F, Radbruch L (2008) Lehrbuch der Palliativmedizin. Schattauer Verlag Stuttgart / New York 395, 401
  3. Berger D P, Engelhardt R, Mertelsmann R, Engelhardt M, Henß H (2010) Das rote Buch: Hämatologie und Internistische Onkologie. Ecomed Verlag 498, 516
  4. Ehrlich S, Wichmann C, Spiekermann K (2022) Autoimmhämatologische Anämien. Dtsch Med Wochenschr. 147 (19) 1243 - 1250
  5. Genevaux F, Bertsch A, Wiederer L, Eber S (2022) Kongenitale hämolytische Anämien durch Membran- und Enzymdefekte der Erythrozyten. Dtsch Med Wochenschr. 147 (19) 1266 - 1276
  6. Gertz M A (2022) Updates on the Diagnosis and Management of Cold Autoimmune Hemolytic Anemia. Hematol Oncol Clin North Am. 36 (2) 341 - 352
  7. Herold G et al. (2023) Innere Medizin. Herold Verlag 42 – 45
  8. Jamwal M, Sharma P, Das R (2020) Laboratory Approach to Hemolytic Anemia. Indian J Pediatr. 87 (1) 66 - 74
  9. Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 649 – 651
  10. Mohandas N (2018) Inherited hemolytic anemia: a possessive beginner's guide. Hematology Am Soc Hematol Educ Program. 30 (1) 377 - 381
  11. Müller M (2023) Labormedizin: Mikrobiologie, Klinische Chemie, Infektiologie, Transfusionsmedizin in Frage und Antwort. BoD- Books on Demand Norderstedt 212, 853 – 854
  12. Phillips J, Henderson A C (2018) Hemolytic Anemia: Evaluation and Differential Diagnosis. Am Fam Physician 98 (6) 354 - 361

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