Sphärozytose, hereditäre D58.0

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 14.02.2023

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Synonym(e)

familiärer hämolytischer Ikterus; Hereditäre Sphärozytose; konstitutionelle hereditäre Kugelzellanämie; Minkowski-Chauffard-Gänsslen-Syndrom

Erstbeschreiber

Oskar Minkowski, 1900

Definition

Bei der Hereditären Sphärozytose (HS) handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Erkrankungen der Erythrozyten. Gemeinsamer Nenner sind strukturelle Membrandefekte, die zu einer Störung der erythrozytären Verformbarkeit führen. Das klinische Spektrum der hereditären Sphärozytose reicht von schweren Verläufen mit Transfusionsbedarf bereits im Kindesalter bis zu asymptomatischen Pat. mit zufälliger Diagnose im höheren Lebensalter anlässlich einer Laboruntersuchung aus anderer Indikation. Anämie, Ikterus, meist indirektes Bilirubin erhöht, Splenomegalie; Familienanamnese: meist positiv.  Die sehr variable klinische Ausprägung ist bedingt durch die verschiedenen Mutationen in Membranprotein-Genen, die zu unterschiedlichen funktionellen Auswirkungen führen.

 

Vorkommen/Epidemiologie

Die Hereditäre Sphärozytose ist bei weitem die häufigste angeborene hämolytische Anämie bei Personen mit einem nord- oder mitteleuropäischen Hintergrund, gehört aber zu den seltenen Erkrankungen. Die Prävalenz wird in Deutschland auf etwa 1:2.500 – 5.000 geschätzt, eine genaue Analyse liegt nicht vor.

Ätiopathogenese

Ursache sind unterschiedliche Mutationen in den Genen für α-Spektrin, β-Spektrin, Ankyrin-1, Bande 3 oder Protein 4.2. Bei etwa 75% der Betroffenen wird die Erkrankung autosomal dominant vererbt. Bei den übrigen Pat. liegen eine rezessive Vererbung oder Neumutationen vor.

Die Mutationen  führen zu einem Verlust der Kohäsion zwischen dem Membranskelett und der Lipidschicht. Die Oberfläche und die Verformbarkeit der Erythrozyten wird progredient vermindert. Eine der Folgen ist ein beschleunigter Abbau der dysfunktionalen Erythrozyten in der Milz. Die im Knochenmark gebildeten Erythrozyten besitzen anfangs noch eine normale bikonkave Form. Sie erleiden im Laufe der Passage druch die Milz du das übrige RES einen Verlust ihrer Membrananteile. Dadurch werden die Zellen kugelförmig. Sie können die Milz nicht mehr passieren und sterben dort frühzeitiger ab.Das Spektrum der Mutationen in den betroffenen Genen ist vielfältig: Splicing, Skipping, Missense, Nonsense, Deletion, Frameshift, Polymorphismen. Viele genetische Aberrationen sind ‚privat‘, d. h. spezifisch für die betroffene Familie. Das klinische Bild der HS innerhalb einer Familie ist oft sehr ähnlich.

Diagnostik

Es gibt keinen Einzeltest, der alle Formen der Hereditären Sphärozytose erkennt und sicher gegen andere Formen membranbedingten, hämolytischen Anämien abgrenzt. Deshalb wird die Untersuchung mit zwei Testverfahren empfohlen. Hierbei kann in der Kombination von AGLT und EMA Test eine Sensitivität von bis zu 100% erreicht werden . Die Untersuchung der osmotischen Resistenz mit hypotonen Salzlösungen hat eine deutlich geringere Sensitivität als AGLT und EMA Test.

Acidified Glycerol Lysis Time (AGLT)

Der AGLT-Test misst die Zeit bis zur 50%igen Hämolyse einer Blutprobe in einer hypotonen Kochsalz-/Glycerollösung. Die Bestimmung der Hämolysezeit mit der Acidified Glycerol Lysis Time (AGLT) hat eine hohe Spezifität, die Sensitivität liegt zwischen 80 und 95%. Der Test muss innerhalb von Stunden nach Blutabnahme oder an per Eilboten versandten Proben (je nach Jahreszeit gekühlt) vorgenommen werden! Er kann auch bei Pat. mit erworbener hämolytischer Anämie, chronischer Niereninsuffizienz oder myelodysplastischem Syndrom positiv ausfallen.

Durchflusszytometrie (Eosin-5-Maleimid-Test)

Die durchflusszytometrische Methode (EMA-Test) wurde im Jahre 2000 eingeführt [23]. Sie beruht auf der verminderten Bindung des Fluoreszenzfarbstoffs Eosin-5-Maleimid bei Pat. mit Hereditärer Sphärozytose im Vergleich zu Normalpersonen. Die Sensitivität liegt bei 90 - 95%, die Spezifität bei 95 - 99%. Das Ergebnis ist nur bei einer maximalen Verzugszeit von 48 Stunden zwischen Blutabnahme und Testdurchführung valide. Bei der Hereditären Pyropoikilozytose wird der Fluoreszenzfarbstoff noch geringer als bei der Hereditären Sphärozytose gebunden, bei der Stomatozytose ist die Bindung erhöht [17]. Auch bei Pat. mit kongenitaler dyserythropoietischer Anämie Typ II (CDA Typ II) kann die Bindung von Eosin-5-Maleimid vermindert sein.

Gen - Analyse: Die molekulargenetische Diagnostik identifiziert den spezifischen genetischen Defekt  Sie bleibt aufgrund der zahlreichen Zielgene mit der Heterogenität möglicher Mutationen sowie den damit verbundenen, erheblichen Kosten Spezialfällen vorbehalten, in denen sich aus der Diagnostik eine therapeutische Konsequenz ergibt.

Hiniwes:  Bei allen diagnostischen Verfahren gibt es falsch positive und / oder falsch negative Ergebnisse. Deshalb sollte die Diagnose bei Personen ohne positive Familienanamnese grundsätzlich nicht auf einer Methode, z.B. nur osmotische Resistenz oder nur EMA oder nur biochemische Membrandiagnostik, beruhen. Als Screening sollten mindestens 2 verschiedene Verfahren eingesetzt werden. Auch zukünftige, diagnostische Tests werden in ihrer Spezifität und Sensibilität mit diesen Laborverfahren verglichen werden müssen.

Therapie

Eine kausale Therapie des genetischen Defektes gibt es nicht. Die effektivste symptomatische Therapie ist die Splenektomie. Bei symptomatischer Cholelithiasis ist die Cholezystektomie indiziert.

Splenektomie: Die Splenektomie führt oft zu einer Beseitigung der Anämie und zu einer Rückbildung der erhöhten Hämolyse – Parameter. Die Veränderungen im Ausstrich werden dagegen meist deutlicher als vorher. Die Indikation zur Splenektomie wird meist im Kindesalter gestellt, aber wenn möglich nicht vor dem Schulalter vorgenommen [2]. Sie muss aber auch im Erwachsenenalter abhängig von dem klinischen Befund geprüft werden [16, 26]. Auch bei Erwachsenen mit extramedullärer Blutbildung ist die Splenektomie eine Option. Ob sich die extramedulläre Blutbildung danach zurückbildet, ist offen.

Bei persistierender Hämolyse nach Splenektomie muss die Diagnose nochmals hinterfragt, nach Nebenmilzen gesucht und diese ggfs. entfernt werden. Die Indikation zur Splenektomie richtet sich nach dem klinischen Schweregrad. Das Risiko der Splenektomie liegt in der Operation und der lebenslang erhöhten Rate schwerer Infektionen, vor allem durch Pneumokokken mit einer Mortalität von 0,1 - 0,4 %. Dieses Risiko wird vermindert durch eine nahezu vollständige statt einer kompletten Splenektomie, so dass das erstere Verfahren bevorzugt eingesetzt werden sollte.

Literatur
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  1. Bianchi P et al. (2011) Diagnostic power of laboratory tests for hereditary spherocytosis: a comparison study on 150 patients grouped according to the molecular and clinical characteristics. Haematologica 97:516-523.
  2. Giraldi S et al. (2003) Leg ulcer in hereditary spherocytosis. Pediatr Dermatol 20:427-428
  3. Guizetti L (2016) Total versus partial splenectomy in pediatric hereditary spherocytosis: A systematic review and meta-analysis. Pediatr. Blood Cancer 63:1713-1722.
  4. Krajewski PK et al. (2021) Pyoderma Gangrenosum in a Splenectomy Incision in a Patient with Haemolytic Anaemia due to Hereditary Spherocytosis: a Case Report and Literature Review. Acta Derm Venereol 101:adv00599.
  5. Minkowski O (1990) Über eine hereditäre, unter dem Bilde eines chronischen Ikterus mit Urobilinurie, Splenomegalie und Nierensiderosis verlaufende Affection. Verh Dtsch Kongr Inn Med 18: 316-319.
  6. Perrotta S et al. (2018) Hereditary spherocytosis. Lancet 372:1411-1426
  7. Rabhi S et al. (2011) Hereditary spherocytosis with leg ulcers healing after splenectomy. South Med J 104:150-152. 
  8. S1-Leitlinie Hereditäre Sphärozytose 2016, 025-018. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/025-018l-s1_hereditaere-sphaerozytose_2016-12
  9. Kwon HI et al. (2016) Pyoderma Gangrenosum in a Patient with Hereditary Spherocytosis. Int J Low Extrem Wounds15:92-95.
  10. Mohandas N (2018) Inherited hemolytic anemia: a possessive beginner’s guide. Hematology Am Soc Hematol Educ Program 377-381.
  11. Vanscheidt W et al. (1990) Leg ulcers in a patient with spherocytosis: a clinicopathological report. Dermatologica 181:56-59. 

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