Neuropathisches Ulkus G63.0

Zuletzt aktualisiert am: 30.09.2022

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Synonym(e)

Malum perforans, Mal perforant; Neurotrophes Ulkus; Trophisches Ulkus; Ulkus neuropathisches; Ulkus neurotrophes

Definition

Ein neuropathisches oder neurotrophisches Ulkus ist ein Ulkus, das durch externe Einflüsse an einem Körperteil verursacht wird, der aufgrund eines Verlusts afferenter Nervenfasern in seiner Sensorik entscheidend geschädigt ist (Eastman etal. 2022). Grundsätzlich kann es sich bei einer Neuropathie um eine periphere Neuropathie oder eine zentrale Neuropathie handeln. Die periphere Neuropathie ist am weitaus häufigsten. Zum peripheren Nervensystem gehören alle außerhalb des Zentralnervensystems liegenden Teile der motorischen, sensiblen und autonomen Nerven mit ihren Schwannzellen und ihren ganglionären Satellitenzellen, ihren bindegewebigen Hüllstrukturen (Peri- und Epineurium) sowie mit den sie versorgenden Blut- und Lymphgefäßen.

Die periphere Polyneuropathie betrifft in der Regel nur die Extremitäten und kann mehrere Ursachen haben, wobei eine diabetische periphere Neuropathie die häufigste ist (s.u. Neuropathie, diabetische). Im Unterschied zu den meisten anderen Formen der Polyneuropathie, ist bei der diabetischen Polyneuropathie oft auch das vegetative Nervensystem betroffen (autonome Neuropathie).

Andere Ursachen einer peripheren Polyneuropathie sind Alkoholismus (alkoholische Polyneuropathie) Zoster (postherpetische Neuralgie), B12-Mangel, Autoimmunerkrankungen, Borreliose, Syphilis, HIV, Lepra, Toxinexpositionen sowie hereditäre Krankheiten wie Charcot-Marie-Tooth und demyelinisierende Polyneuropathie (Eastman DM et al. 2022). Bei manchen Erkrankungen tritt die Polyneuropathie auch als Begleiterscheinung des eigentlichen Krankheitsbildes auf, so zum Beispiel bei der akuten intermittierenden Porphyrie.

Vorkommen/Epidemiologie

Exakte Zahlenn liegen für die diabetische Polyneuropathie vor: Die Prävalenz der peripheren Neuropathie betrifft bis zu 50 % der Patienten mit Diabetes im Laufe ihres Lebens, wobei eine Prävalenz zwischen 6 % und 51 % festgestellt wurde, die von mehreren Variablen wie Alter, Blutzuckereinstellung, Diabetestyp und Alter abhängt (Eastman DM et al. 2022). Die periphere Neuropathie betrifft häufiger Männer als Frauen. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass nach Auftreten eines diabetischen Fußgeschwürs die Sterblichkeit von 3,1 % auf 17,4 % ansteigt. Dieselbe Studie zeigt auch, dass bis zu einem Drittel der Patienten, bei denen ein diabetisches Fußgeschwür diagnostiziert wurde, zu irgendeinem Zeitpunkt eine Amputation benötigt wurde (die Studie bezog sich auf einen Zeitraum von bis zu 14 Jahren/Rastogi A et al. 2020).

Ätiopathogenese

Neuropathie wird als ein Prozess beschrieben, der zu verminderter Sensorik, motorischer Schwäche und dem Verlust der autonomen Funktion in einem Bereich führt. Neuropathische Geschwüre werden durch den Verlust der Sensorik verursacht, was dazu führt, dass sich der Bereich schmerzhaften Reizen wie Reibung, Scherkräften oder traumatischen Prozessen nicht entziehen kann, was zu kleineren Hautdefekten und dann zur Ulzeration führt.

Ätiopathogenese

Die peripheren Nerven können nach motorische, sensorische und autonome Nerven eintgeteilt werden. 

Die Schädigung motorischer Nerven führt zu Schwäche und Krämpfe. Die Schädigung sensorischer Nerven führt zu Taubheit, Kribbeln und Schmerzen.  Die Schädigung autonomer Nerven  kann zu einer Vielzahl von Problemen führen, darunter Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und die Unfähigkeit andere Körperfunktionen zu regulieren. Bei Patienten mit einer fortgeschrittenen Neuropathie treten in der Regel alle diese Symptome in irgendeiner Form auf. Die Ausprägung der Neuropathie hängt jedoch von der zugrunde liegenden Ursache ab. Sie ist somit patientenspezifisch. Es gibt mehrere bekannte Ursachen für periphere Neuropathie, die in verschiedene Kategorien eingeteilt werden können (Mayans L et al. 2015).

Anatomische Ursachen: hierzu gehören Kompressionen von Nerven (z.B. des Ischiasnervs) oder die Dissektion eines Nervs infolge einer Operation oder eines Unfalls.

Systemische Ursachen:  hierzu gehören u.a.

Metabolische Neuropathien: Zu den metabolischen Ursachen der Neuropathie gehören u.a.:

Hereditäre Neuropathien: Hierzu gehören:

Toxische Neuropathien: Zu den toxischen Ursachen der Neuropathie gehören:

  • multiple Vitaminmängel (B1, B6, B12)
  • Überschuss an Vitamin B6
  • Schwermetallvergiftungen
  • Organophosphate
  • Alkohol

Medikamenten-induzierte Neuropathien

Lokalisation

Am häufigsten werden neuropathische Ulzera am Fuß beobachtet und zwar an Druckstellen. Sie betreffen somit prominente Fußflächen wie Ferse und Fußballen oder Bereiche mit hoher Reibung, die zur Kallusbildung neigen. Seltener kann auch das Gesicht (z.B. neuropathisches Ulkus im Gesichtsbereich) betroffen sein, z.B. bei Schädigung des N. trigeminus (Mayans L et al. 2015).

Diagnose

Eine detaillierte Anamnese ist notwendig. Es ist wichtig, die Hintergründe der Erkrankung zu ermitteln, einschließlich der Dauer der Neuropathie. Der Laborwert Hämoglobin A1C des Patienten kann bei diabetischer Polyneuropathie hilfreich sein. Weiterhin sollte die chirurgische Anamnese erhoben werden, um eine Anamnese von Fußgeschwüren und möglichen chirurgischen Eingriffen wie Amputationen, Gefäßoperationen zu erfassen. Eine Sozialanamnese gibt Aufschluss über den beruflichen Werdegang des Patienten, gfls. über seine Compliance. Weiterhin sind Drogen- und Alkoholkonsum zu erfragen.

Differentialdiagnose

Venöse Ulzera  (Zeichen der CVI, typische Lokalisationen sind die Knöchelregionen) 

Arterielle Ulzera (Zeichen der peripheren Durchblutungsstörung, Raucheranamnese)

Hypertonische Ulzera (Ulcus hypertonicus)

Traumatische Ulzerationen (Anamnese)

Dekubitalgeschwüre (Anamnese, Bettlägrigkeit, Lokalisation des Ulkus - Ferse, Steißbeinregion)

Karzinome der Haut (Anamnese, bioptischer Tumornachweis)

Vaskulitische Ulzerationen (hohe Schmerzhaftigkeit)Inflammatorische Ulzera (Pyoderma gangraenosum)

Ulzera bei MGUS 

Ulzera bei kutanen und systemischen Infektionskrankheiten (chronische Pyodermien; Buruli Ulkus, Tuberkulose der Haut, Lepra, Leishmaniose)

Nebenwirkungen von Komorbiditäten (z. B. Kaposi-Sarkom)

Therapie

Die Behandlung und das Management von neuropathischen Geschwüren erfordern je nach Ursache, Ausmaß und Lokalisaiton, einen mehrstufigen Ansatz: Notwendig ist die Therapie der zugrundeliegenden Ursache soiwie der Ulzeration selbst. Die Behandlungsstrategien sind multifaktoriell. Das Verständnis der biomechanischen Ursächlichkeit, hilft bei der Erstellung von Leitlinien für die klinische Praxis (DiLiberto FE et al. 2016).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. DiLiberto FE et al. (2016) The prevention of diabetic foot ulceration: how biomechanical research informs clinical practice. Braz J Phys Ther 20:375-383.
  2. Duckworth W et al. (2009) Glucose control and vascular complications in veterans with type 2 diabetes. N Engl J Med 360:129-39.
  3. Eastman DM et al. (2022) Neuropathic Ulcer. 2022 Jun 30. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing PMID: 32644640.
  4. Hicks CW et al. (2019) Epidemiology of Peripheral Neuropathy and Lower Extremity Disease in Diabetes. Curr Diab Rep 19:86.
  5. Marmolejo VS et al. (2018) Charcot Foot: Clinical Clues, Diagnostic Strategies, and Treatment Principles. Am Fam Physician 97:594-599.
  6. Mayans L et al. (2015) Causes of peripheral neuropathy: Diabetes and beyond. J Fam Pract 64:774-83.
  7. Monteiro-Soares M et al.(2020) International Working Group on the Diabetic Foot (IWGDF). Guidelines on the classification of diabetic foot ulcers (IWGDF 2019). Diabetes Metab Res Rev 36 Suppl 1:e3273.
  8. Pandey A et al. (2015) Neuropathic Ulcers Among Children With Neural Tube Defects: A Review of Literature. Ostomy Wound Manage 61:32-38.
  9. Rastogi A et al. (2020) Long term outcomes after incident diabetic foot ulcer: Multicenter large cohort prospective study (EDI-FOCUS investigators) epidemiology of diabetic foot complications study: Epidemiology of diabetic foot complications study. Diabetes Res Clin Pract 162:108113.
  10. Serrano-Coll H et al. (2022) Neuropathic ulcers in leprosy: clinical features, diagnosis and treatment. J Wound Care 31(Sup6):32-40.
  11. Ugwu E et al. (2019) Predictors of lower extremity amputation in patients with diabetic foot ulcer: findings from MEDFUN, a multi-center observational study. J Foot Ankle Res 12:34.
  12. Urso B et al. (2021) Neuropathic ulcers: a focused review. Int J Dermatol 60:e383-e389.
  13. Wagner FW (1981) The dysvascular foot: a system for diagnosis and treatment. Foot Ankle 2: 64-122.

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