Canities (Übersicht) L67.1

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

Alle Autoren dieses Artikels

Zuletzt aktualisiert am: 16.04.2023

This article in english

Synonym(e)

Achromotrichie; Ergrauen; graue Haare; gray hair; graying of hair; Weißwerden der Haare

Definition

(Diffuses) Ergrauen bzw. Weißwerden der Haare infolge des Verlustes der Melaninproduktion der Melanozyten einzelner oder aller Haarbulbi. Je nach Ursache unterscheidet man:

Ätiopathogenese

Letztlich ist bis heute die Ätiopathogenese des Ergrauens nicht vollständig geklärt. Ein vorzeitiges Ergrauen kann als autosomal dominante Primärerkrankung auftreten. Ergrauen kann auch bei vorzeitigen Alterungsstörungen wie der Progeria adultorum auftreten. Über ein Zusammenhang mit atopischer Diathese und verschiedenen Autoimmunkrankheiten wurde ebenfalls berichtet (Daulatabad D et al. 2016). Die Rolle reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) beim Ergrauen der Haare dürfte am besten untersucht sein. Während der aktiven Wachstumsphase, d. h. der Anagenphase, findet im Haarfollikel eine aktive Melanogenese statt, der Haarschaft wird mit Melanin beladen. Die Melanproduktion beinhaltet die Hydroxylierung von Tyrosin und die Oxidation von Dihydroxyphenylalanin zu Melanin, was einen enormen kumulativen oxidativen Stress verursacht. Oxidativer Stress kann z.B. durch ultraviolette Strahlen (UV), Umweltverschmutzung, durch emotionale Faktoren oder durch inflammatorische Prozesse verursacht werden. Oxidativer Stress kann zu einem verstärkten Ergrauen der Haarfollikel führen (Arck PC et al. 2006).

Progerie-Syndrome sind mit fehlerhaften DNA-Reparaturmechnaismen verbunden. Insofern sind DNA-Prozesse ebi diesen Syndromen anfälliger für oxidativen Stres. Dies kann mit vorzeitigem Ergrauen der Haare verbuuden sein.

Auch ein Vitamin-B12-Mangel kann über  einen unbekannten Mechanismus ein vorzeitiges Ergrauen der Haare verursachen. Etwa 55 % der Patienten mit perniziöser Anämie ergrauten vor dem 50. Lebensjahr im Vergleich zu 30 % in der Kontrollgruppe (Dawber RP (1970).

Weiterhin scheint psychischer Stress ebenfalls eine erhöhte oxidative Belastung zu induzieren. Dies könnte als Erklärung dienen, dass auch emotionalen Faktoren beim vorzeitigen Ergrauen, auch bei Canities subita, eine Rolle zugebilligt wird (Epel ES et al. 2004).

Ein Mangel an Schilddrüsenhormonen verursacht vorzeitiges Ergrauen, Alopezie und Veränderungen der Haarmorphologie. Die Schilddrüsenhormone T3 und T4 wirken direkt auf die Haarfollikel und steigern die Melanogenese (van Beek N et al. 2008).

Weiterhin können bestimmte Chemotherapeutika und Antimalariamittel ein vorzeitiges Ergrauen verursachen. Dies trifft für Medikamente zu die die Rezeptor-Tyrosinkinase c-KIT hemmen, die in Melanozyten vorkommt. Chloroquin reduziert über einen unbekannten Mechanismus bevorzugt die Phäomelaninproduktion (Hartmann JT et al. 2008;Sideras K et al. 2010); Di Giacomo TB et al. 2009).

Offenbar ist auch das Zigarettenrauchen ein ätiologischer Faktor bei vorzeitigem Ergrauen. Eine mögliche Erklärung hierfür ist die prooxidative Wirkung des Rauchens auf den Körper, die zu einer verstärkten ROS-Schädigung der Melanozyten der Haarfollikel führt ( Jo SJ et al. 2012). In einem größeren Kollektiv 10.000 Befragte) war der Anteil der ergrauten Raucher mit 15,3% gegenüber dem Anteil der Nichtraucher mit 12,8% erhöht (Sabharwal R et al. 2014; Shin H et al. 2015). 

Reversible Hypopigmentierung des Haares kann bei Ernährungsmängeln, Protein-Energie-Mangelernährung und Krankheiten mit chronischem Proteinverlust auftreten.

Auch Kupfer- und Eisenmangel können ein Ergrauen der Haare verursachen. Vereinzelt wurde über Zinkmangel und vorzeitigem Ergrauen berichtet(Vinay K et al. 2014). Es wird angenommen, dass Kupfer, Eisen, Kalzium und Zink die Melanogenese und damit die Haarpigmentierung beeinflussen.

Klinisches Bild

Das Weiß der Haare ist auf eine optische Täuschung zurückzuführen, denn das  blassgelbe Keratin erscheint aufgrund der Reflexion oder Brechung des einfallenden Lichts weiß. Graues Haar ist durch nur noch durch wenige, spärlich verteilte Melanosomen restgefärbt. Das völlig weiß erscheinende  Haar ist frei von Melanosomen.

Eine Faustregel besagt, dass bis zum Alter von 50 Jahren bei etwa  50 % der Bevölkerung die Hälfte der Haare ergraut sind. Bei Männern tritt das Ergrauen zunächst an den Schläfen und Koteletten auf. Das Grauwerden breitet sich auf den Scheitel und den Rest der Kopfhaut aus, wobei der Hinterkopf als letztes betroffen ist. Bei Frauen macht sich die Ergrauung zuerst an den Rändern der Kopfhaut bemerkbar.

Das Fortschreiten der Ergrauung wird durch verschiedene Faktoren bestimmt, die jedoch hauptsächlich genetisch bedingt sind. Außerdem kann die Geschwindigkeit des Ergrauens in verschiedenen Bereichen der Kopfhaut variieren. Eine Studie an der koreanischen Bevölkerung ergab dass bei Männern die temporalen und okzipitalen Bereiche stärker betroffen waren als bei Frauen. Außerdem begann die Ergrauung bei Frauen im Frontalbereich, bei Männern dagegen im Schläfenbereich. Bei denjenigen, bei denen das Ergrauen vor dem 40. Lebensjahr einsetzte, waren die parietalen und temporalen Bereiche stärker betroffen. Bei denjenigen, bei denen die Ergrauung nach dem 40. Lebensjahr einsetzte, war der Frontalbereich stärker ergraut. Interessanterweise korreliert das frühe Einsetzen der Ergrauung nicht mit einem schnellen Fortschreiten. Unabhängig vom Alter bei Beginn der Ergrauung kam es in dieser koreanischen Population im fünften Lebensjahrzehnt zu einem raschen Fortschreiten der Ergrauung (Jo SJ et al. (2012)

Graues Haar ist gröber, steifer und schwieriger zu bändigen als dunkles Haar (Hollfelder B et al. 1995). Weiterhin ist die  Wachstumsgeschwindigkeit und die Dicke von nicht pigmentiertem Haar deutlich höher als bei dunklem Haar (Choi HI et al. 2011; Nagl W 1995; Van Neste D 2004). So kann graues Barthaar bis zu viermal schneller wachsen als pigmentiertes Haar (Nagl W 1995). Graues Haar ist auch schwieriger zu kämmen.   

Histologie

In ergrauten Haaren sind Melanozyten in der Haarmatrix vorhanden, enthalten aber nur wenig pigmentierte Melanosomen, jedoch zahlreiche Vakuolen. In weißen Haaren fehlen die Melanozyten gänzlich.

Differentialdiagnose

Hinweis(e)

Adipositas: Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen  Adipositas und einem vorzeitigen Ergrauen der Haare.

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Ancans J et al.(2001) Melanosomal pH controls rate of melanogenesis, eumelanin/phaeomelanin ratio and melanosome maturation in melanocytes and melanoma cells. Exp Cell Res 268:26–35.
  2. Arck PC et al. (2006) Towards a “free radical theory of graying”: Melanocyte apoptosis in the aging human hair follicle is an indicator of oxidative stress induced tissue damage. FASEB J 20:1567–1569.
  3. Choi HI et al. (2011) Hair greying is associated with active hair growth. Br J Dermatol 165:1183–1189.]
  4. Daulatabad D et al. (2016) Profile of Indian patients with premature canities. Indian J Dermatol Venereol Leprol 82:169–172.
  5. Dawber RP (1970) Integumentary associations of pernicious anaemia. Br J Dermatol. 82:221–223.
  6. Di Giacomo TB et al. (2009) Chloroquine -induced hair depigmentation. Lupus. 18:264–266.
  7. Epel ES et al. (2004) Accelerated telomere shortening in response to life stress. Proc Natl Acad Sci U S A 101:17312–17315.
  8. Fitzpatrick TB et al. (1963) The epidermal melanin unit system. Dermatol Wochenschr. 147:481–489.
  9. Goodier M et al. (2015) Normal and aging hair biology and structure ‘aging and hair’ Curr Probl Dermatol 47:1–9.
  10. Hachiya A et al. (2009) Stem cell factor-KIT signalling plays a pivotal role in regulating pigmentation in mammalian hair. J Pathol 218:30–39.
  11. Han R et al. (2012) Apair of transmembrane receptors essential for the retention and pigmentation of hair. Genesis 50:783–800.
  12. Hartmann JT et al. (2008) Sunitinib and periodic hair depigmentation due to temporary c-KIT inhibition. Arch Dermatol144:1525–1526.
  13. Helm F et al. (1970) Can scalp hair suddenly turn white? A case of canities subita. Arch Dermatol. 102:102–103. [PubMed] [Google Scholar]
  14. Hollfelder B et al. (1995) Chemical and physical properties of pigmented and non-pigmented hair ('grey hair') Int J Cosmet Sci 17:87–89.
  15. Horikawa T et al. (1996) DOPA-negative melanocytes in the outer root sheath of human hair follicles express premelanosomal antigens but not a melanosomal antigen or the melanosome-associated glycoproteins tyrosinase, TRP-1, and TRP-2. J Invest Dermatol106:28–35.
  16. Ito S et al. (2001) Diversity of human hair pigmentation as studied by chemical analysis of eumelanin and pheomelanin. J Eur Acad Dermatol Venereol 25:1369–1380.
  17. Jo SJ et al. (2012) Hair graying pattern depends on gender, onset age and smoking habits. Acta Derm Venereol 92:160–161.
  18. Jo SK et al. (2018) Three Streams for the Mechanism of Hair Graying. Ann Dermatol 30:397-401.
  19. Kenny EE et al. (2012) Melanesian blond hair is caused by an amino acid change in TYRP1. Science. 336:554.
  20. Kumar AB et al. (2018) Premature Graying of Hair: Review with Updates. Int J Trichology 10:198-203.
  21. Nagl W (1995) Different growth rates of pigmented and white hair in the beard: Differentiation vs. proliferation? Br J Dermatol 132:94–97.
  22. Panhard S et al. (2012) Greying of the human hair: A worldwide survey, revisiting the ‘50’ rule of thumb. Br J Dermatol 167:865–73.
  23. Peters EM et al. (2011) Graying of the human hair follicle. J Cosmet Sci62:121–125.
  24. Rees J (2006) Plenty new under the sun. J Invest Dermatol 126:1691–1692.
  25. Rees JL (2000) The melanocortin 1 receptor (MC1R): More than just red hair. Pigment Cell Res 13:135–140.
  26. Sabharwal R et al. (2014)  Association between use of tobacco and age on graying of hair. Niger J Surg 20:83-86

  27. Schallreuter KU et al. (1994) Vitiligo and other diseases: coexistence or true association? Hamburg study on 321 patients. Dermatology 188:269-275.
  28. Schouwey K et al. (2007) Notch1 and notch2 receptors influence progressive hair graying in a dose-dependent manner. Dev Dyn 236:282–289.
  29. Shah VV et al. (2016) Canities subita: Sudden blanching of the hair in history and literature. Int J Dermatol 55:362–364.
  30. Shin H et al. (2015)  Association of premature hair graying with family history, smoking, and obesity: a cross-sectional study. J Am Acad Dermatol 72:321-32
  31. Sideras K et al. (2010) Profound hair and skin hypopigmentation in an African American woman treated with the multi-targeted tyrosine kinase inhibitor pazopanib. J Clin Oncol 28:e312–3.
  32. Slominski A et al. (1993) Melanogenesis is coupled to murine anagen: Toward new concepts for the role of melanocytes and the regulation of melanogenesis in hair growth. J Invest Dermatol. 101:90S–7S.
  33. Slominski A et al. (2005) Hair follicle pigmentation. J Invest Dermatol 124:13–21.
  34. Tan SP et al. (2012) Sudden whitening of the hair in an 82-year-old woman: The ‘overnight greying’ phenomenon. Clin Exp Dermatol 37:458–459.
  35. van Beek N et al. (2008) Thyroid hormones directly alter human hair follicle functions: Anagen prolongation and stimulation of both hair matrix keratinocyte proliferation and hair pigmentation. J Clin Endocrinol Metab 93:4381–4388.
  36. van Geel N et al. (2013) Hypomelanoses in children. J Cutan Aesthet Surg 6:65–72.
  37. Van Neste D (2004) Thickness, medullation and growth rate of female scalp hair are subject to significant variation according to pigmentation and scalp location during ageing. Eur J Dermatol 14:28–32. [PubMed] [Google Scholar]
  38. Vinay K et al. (2014) Zinc deficiency and canities: An unusual manifestation. JAMA Dermatol. 150:1116–1117.

Disclaimer

Bitte fragen Sie Ihren betreuenden Arzt, um eine endgültige und belastbare Diagnose zu erhalten. Diese Webseite kann Ihnen nur einen Anhaltspunkt liefern.

Abschnitt hinzufügen

Autoren

Zuletzt aktualisiert am: 16.04.2023