Gelatineallergie T78.1

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 22.12.2018

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Synonym(e)

Allergie auf Gelatin; Allergie auf Gelatine; Sensitization to gelatin

Definition

Gelatin (von lat. gelare = zum Erstarren bringen), auch Gelatine genannt, ist tierischen Ursprungs, ein gereinigtes Peptidgemisch, das durch Hydrolyse des in Knochen, Bindegewebe, Haut, Knorpel und Sehnen enthaltenen Kollagens von Schweinen und Rindern gewonnen wird. Durch Hydrolyse werden die Peptid-Bindungen des Kollagens aufgespalten. Hierdurch wird das primär wasserunlösliche Kollagen wasserlöslich und ist extrahierbar.

Fischgelatine wird aus dem Kollagen von Fischhäuten hergestellt. Fischgelatine entspricht damit den jüdischen und islamischen Speisegesetzen.

 

Vorkommen/Epidemiologie

Kosmetisch:  Gelatine ist farb-, geruch- und geschmacklos. Gelatine wird in kosmetischen Rezepturen verwendet. Sie kann bis zum 27fachen des Eigengewichtes an Wasser aufnehmen und wirkt als Viskositätsregler (erhöht oder verringert die Viskosität kosmetischer Mittel). Weiterhin bildet sie beim Auftragen einen Film auf Haut, Haar oder Nägeln. Deklariert wird Gelatine auf Kosmetikprodukten als Gelatin oder als „Hydrolyzed gelatin“.

Lebensmitteltechnisch: Gelatine wird in Halbfettprodukten und Lightprodukten wie Halbfettmargarine, Halbfettbutter und fettreduzierten Käsesorten verarbeitet, außerdem als Geliermittel zur Herstellung von Gummibärchen, Weingummis, Weichkaramellen, Marshmallows, Schaumwaffeln, Mohrenköpfe, Lakritz u.a. Weiterhin in Fleisch- und Fischwaren: Sülze, Aspik, Corned beef, Dosenschinken, sogenannte Tauchmassen (Wurstüberzugsmassen), Fisch und Krabben in Gelée. Gelatine wird in versch. Milchprodukten verwendet. So in: Fruchtjoghurt, Sauermilchgetränke, manche Quarkzubereitungen, Schaumdesserts, fettarmen Brotaufstrichen.

Pharmazeutisch: Gelatine wird in Hart-und Weichkapseln von Arzneimitteln verarbeitet. Weiterhin in Infusionslösungen (Plasmaexpandern) und Impfstoffen.

 

Klinisches Bild

Anaphylaktische Reaktionen auf Gelatine sind hauptsächlich nach der Gabe von Plasmaexpandern und verschiedenen Impfstoffen beschrieben. Für die Auslösung dieser Reaktion dürfte eine unspezifische Mediatorfreisetzung verantwortlich sein. Weiterhin wurden auch echte IgE-vermittelte Reaktionen beschrieben.

Mehrfach berichtet wurde über Gelatine-haltige Impfstoffe (zunehmend seltener) mit IgE-vermittelten systemischen Reaktionen. In verschiedenen Studien konnten bei Kinder, mit anaphylaktischen Reaktionen nach Masern-, Mumps- oder Varizellen-Impfungen, nachgewiesen werden. Hierbei wurde ein Teil dieser Reaktionen durch den Gelatineanteil in den Impfstoffen ausgelöst. 

Ein besonderer Fall ist die Beobachtung eines Patienten, der sowohl auf den Genuss von Gummibärchen (aus Gelatine) als auch auf verschiedene infundierte Medikamente allergisch reagiert (versch. Plasmaexpander, Cetuximab). Nachweisbar waren spezifische IgE-Antikörper. Der Nachweis wurde mittels Scratch-Test mit nativer Gelatine geführt.

Bemerkenswert ist der Fall einer Patientin, bei der es nach Trinken einer in Wasser aufgelösten Multivitamin-Brausetablette zum Auftreten einer generalisierten Urtikaria, zur Atemnot, und Angioödem kam. Mittels Prick-zu-Prick-Testung mit Inhalten der Brausetablette konnte eine positive Testreaktion nachgewiesen werden. Bei der Testung der einzelnen Inhaltsstoffe war eine positive Testreaktion auf die „nicht deklarierte Schweinegelatine“ in der Brausetablette nachweisbar (Burgdorff et al 2003).

Inwieweit Antikörper eine Spezifität für ”Schweine-” oder Rindergelatine” aufweisen ist noch unklar. Es wurden mehrere Allergene mit Molekulargewichten zwischen 35.000 und 120.000 kD nachgewiesen.

Uyttebroek A et al. 2014) beschrieb eine anaphylaktische Reaktion auf Gelatine bei einem Patienten mit einer zuvor bekannten Fleischallergie (alpha-Gal-Syndrom). Galaktose-α (1,3) -galaktose (alpha-gal) konnte als allergene Determinante nachgewiesen werden. Eine analoge Beobachtung stammt aus der Arbeitsgruppe von RJ Mullins RJ. Typisch ist die Latenz der allergischen Reaktion von mehreren Stunden (Ursache: des Verdauungsprozesses des Gelatine-haltigen Produktes - auch bei Fleisch- durch den alpha-Gal erst freigesetzt wird, kann bis zu mehreren Stunden betragen).

Patienten mit alpha-Gal-Syndrom (äußert sich klinisch meist als Fleischallergie) sollten aufgrund der Kreuzreagibilität zu Gelatine gelatinehaltige Produkte wie Gummibärchen, Puddings, Joghurtzubereitungen usw. meiden.

Auch tierische Herzklappen können Gelatine enthalten. Hierauf ist unbedingt im Allergiepass hinzuweisen.

Nach oraler Applikation von gelatinehaltigen Medikamenten und Nahrungsmitteln (Speisegelatine) sind bisher jedoch nur vereinzelt IgE- vermittelte anaphylaktische Reaktionen beobachtet worden. Beschrieben wurde hingegen ein orales Allergiesyndrom sowie das verzögerte Auftreten urtikarieller Exantheme. Möglicherweise führt die Denaturierung der Gelatine im Gastrointestinaltrakt zu einem Verlust der Allergenität.

Hinweis(e)

Bei ursächlich ungeklärten anaphylaktischen Reaktionen auf Medikamente und Nahrungsmittel sollte auch an eine potenzielle Gelatineallergie gedacht werden, besonders da es sich bei Gelatine um einen nicht deklarierungspflichtigen Zusatzstoff handelt.

Hinweis(e)

Speisegelatine ist nach den EG-Bestimmungen ein Lebensmittel, also kein Zusatzstoff, der deklariert werden muss.

Literatur
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  1. Burgdorff et al (2003) Anaphylaktische Reaktion auf Multivitamin-Brausetabletten bei Gelatineunverträglichkeit. Allergologie 26: 72-77
  2. Raveendran R et al. (2017) Gelatin Anaphylaxis During Surgery: A Rare Cause of Perioperative Anaphylaxis. J Allergy Clin Immunol Pract 5: 1466-1467.
  3. Uyttebroek A et al. (2014) Anaphylaxis to succinylated gelatin in a patient with a meat allergy: galactose-α(1,3)-galactose (α-gal) as antigenic determinant. J Clin Anesth. 26:574-576.
  4. Caubet JC et al. (2014) Vaccine allergy. Immunol Allergy Clin North Am 34:597-613
  5. Caponetto P et al. (2013) Gelatin-containing sweets can elicit anaphylaxis in a patient with sensitization to galactose-α-1,3-galactose. J Allergy Clin Immunol Pract 1:302-303.
  6. Mullins RJ et al. (2012) Relationship between red meat allergy and sensitization to gelatin and galactose-α-1,3-galactose. J Allergy Clin Immunol 129:1334-1342.
  7. Nakayama T et al. (2004) Gelatin allergy. Pediatrics. 2004 Jan;113(1 Pt1):170-171
  8. Sakaguchi M et al. (2000)  IgE antibody to fish gelatin (type I collagen) in patients with fish allergy. J Allergy Clin Immunol 106: 579-584.
  9. Sakaguchi M et al. (1996) Food allergy to gelatin in children with systemic immediate-type reactions, including anaphylaxis, to vaccines. J Allergy Clin Immunol 98:1058-1061.

 

Verweisende Artikel (1)

Alpha-Galactose-Syndrom;

Weiterführende Artikel (3)

Cetuximab; Fleischallergie; Gelatin (INCI);

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Zuletzt aktualisiert am: 22.12.2018