03.02.2020

Vitamin D: Was wir über das Sonnenvitamin wissen

der Sommer ist nun vorbei — und so schaue ich auf den Rest meiner Urlaubsbräune, die mir durchaus Komplimente einbrachte. Diese „frische und gesunde Farbe“ verbleibt mir neuerdings auch im Oktober auf Armen und im Gesicht, weil ich dank meines Ruhestands nun regelmäßig mein Fahrrad sattle und einige Kilometer radle. So kommt es, dass ich schon einige Male über meine Zeiten nachgedacht habe

Verehrte Kolleginnen und verehrte Kollegen,

der Sommer ist nun vorbei — und so schaue ich auf den Rest meiner Urlaubsbräune, die mir durchaus Komplimente einbrachte. Diese „frische und gesunde Farbe“ verbleibt mir neuerdings auch im Oktober auf Armen und im Gesicht, weil ich dank meines Ruhestands nun regelmäßig mein Fahrrad sattle und einige Kilometer radle. So kommt es, dass ich schon einige Male über meine Zeiten nachgedacht habe, in denen ich, wie andere Vertreter der dermatologischen Zunft, den Slogan „white is beautiful“ mit unerschütterlichem Gleichmut bei meinen Patienten vertrat.

Aber was hat einen eingefleischten Dermatologen wie mich dazu bewogen, sich diesen Sommer mehrere Monate lang der Sonne auszusetzen? Wusste ich doch, dass die lebenslang tickenden Sonnenuhr uns im roten Bereich mit einem Hautkrebs droht. Vielleicht war es das ungezwungene und fröhliche Strandleben, das die südländischen Familien üblicherweise rund acht bis zwölf Wochen im Sommer praktizieren. Möglich, dass es die „teutonisch“ regulierte Arbeitswelt allmählich ausblendete. Vielleicht war ich unwillkürlich so auch bemüht, den eigenen „mozzarellafarbenen“ Hautton der maritimen Umwelt anzupassen und mich dabei wohl zu fühlen. Ich hielt mich allerdings hauptsächlich im Schatten auf — und zwar ohne chemischen Sonnenschutz. Die chemische UV-Protektion missfällt mir aus vielerlei Gründen ebenfalls. Aber das ist ein anderes Thema.

Der schattenspendende Sonnenschirm wurde also nebst guter Lektüre mein Platz am Morgen und am frühen Nachmittag. Mir war diese Lösung angenehm, ich bekam keinen Sonnenbrand und bis auf die widerstrebenden Empfindungen zum Thema Hautkrebs, die gelegentlich in meinem Gewissen aufflackerten, wechselte meine Hautfarbe täglich ein wenig mehr von Weiß zu Goldbraun.

In der vergangenen Woche nun fiel mir beim Lesen eines dermatologischen Artikels von Professor Joachim Barth folgender Satz ins Auge: „Vitamin D: das Sonnenvitamin. Die Story geht weiter.“ Diese Headline interessierte mich ganz besonders, weil sich mit dieser gut klingenden Aussage mein eigentlich schlechtes Strandgewissen noch etwas mehr beruhigte.

Ich startete eine Internet-Suche mit dem Suchwort „Vitamin D“ und landete prompt bei Amazon und unzähligen Vitamin-D-Produkten. Das war zwar nicht meine Absicht, zeigte aber das allgemeine Interesse an diesem Vitamin. Hierbei stellt sich unwillkürlich die Frage, was wir Dermatologen eigentlich über Vitamin D wissen. Mein geschätzter Kollege und Freund, Professor Joachim Barth aus Borna bei Leipzig, hat uns freundlicherweise seine neuesten Recherche zum Thema Vitamin D  zur Verfügung gestellt. Ich gebe Sie Ihnen gern weiter.

Vitamin D: das Sonnenvitamin — von Professor Joachim Barth

Es ist allgemein bekannt, dass die Haut, um es genau zu sagen, die Epidermis, bei der Vitamin-D-Synthese im Organismus eine entscheidende Rolle spielt. Da UV-Strahlung die photosensiblen Provitamine in stoffwechselaktive Verbindungen (D-Vitamine) überführt, speichert der Organismus die Provitamine vor allem in den Epithelzellen. Dies ergibt Sinn, da nur UVB-Strahlen (UV-Spektrum: 290-320nm) für 7-Dehydrocholesterol, dem Provitamin D, photodynamisch wirksam sind. Vitamin D wird also bei ausreichender Sonnen- beziehungsweise UVB-Bestrahlung aus seiner Provitamin-Ð-Vorstufe in der Haut in hohen Mengen selbst synthetisiert. 

Es bedarf allerdings lediglich einer Viertelstunde eines sonnigen Sommertags und einer Sonnenbestrahlung auf Gesicht, Hände und Unterarme, um mehrere Tausend Internationale Einheiten Vitamin D zu produzieren. Damit ist der Vitamin-D-Tagesbedarf bei weitem gedeckt. Ein ganzer Strandtag mit Ganzkörperbräunung wäre eigentlich nicht notwendig. Das in der Haut produzierte Vitamin D wird dann über Hydroxylierungsprozesse in Leber und Nieren in die biologisch aktiven Wirkstoffe überführt, ein Vorgang, der in den Epidermiszellen auch, aber nur in geringem Maße abläuft. 

Aber was wissen wir neben dieser wichtigen solarinduzierten Hautfunktion eigentlich über das Vitamin D? Pressemäßig wird es als „Sonnenvitamin“ bezeichnet, das ist erklärbar und als Dermatologe stimme ich diesem Slogan durchaus gern zu. 

Dass Vitamin D für die Regulation des Kalziumstoffwechsels unverzichtbar ist, gehört zum medizinischen Allgemeinwissen. Weiterhin hat bei uns Dermatologen dieses Vitamin bekanntermaßen in der topischen Psoriasistherapie seinen festen Platz gefunden. Aber welche weiteren Effekte hat eigentlich das Vitamin D? 

Schaut man sich die diversen Lehrbücher an, um etwas über den Vitamin-D-Stoffwechsel zu lernen, so wird man auch in neueren Exemplaren je nach Fachrichtung mit einer dürren Seite beschieden. Ich finde nichts wirklich Neues.

Interessanter ist dann schon die Information der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die den Referenzwert für Vitamin D auf 800 Internationale Einheiten erhöht hat. Das ist dann schon einmal eine gute und belastbare Information. 

Das dermatologische gesunde Selbstverständnis erhält einen leichten Knacks, nachdem klar wird, dass Vitamin D aufgrund seiner Wirkungsweise, im eigentlichen Sinne kein Vitamin ist, sondern ein steroidähnliches Hormon (Vitamin-D-Hormon), das im Organismus aus ungesättigten Sterolen, den verschiedenen Vitamin-D-Vorstufen (D-Provitamine), entsteht. 

Neben seinen ossären Effekten besitzt das Vitamin-D-Hormon komplexe Wirkungen mit Einfluss auf die Muskelkraft, auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Blutdruck und Diabetes mellitus; und weiterhin vor allem auch immunregulatorische Eigenschaften und tumorprotektive Wirkungen. Um diese wichtigen, bisher noch nicht sehr verbreiteten Informationen zu erhalten, muss man sich allerdings der Mühe unterziehen, die Primärliteratur zu studieren. 

So hat sich die US-amerikanische Arbeitsgruppe um Slominski und Tuckey unlängst zu dem Thema Vitamin D und Tumorprotektion geäußert. Der menschliche Körper produziert nicht nur das uns bekannte 1,25(OH)2D3, das Calcitriol, sondern eine Reihe weiterer, enzymatisch über die Cytochrom-P-450-Familie vermittelte, hydroxylierte Vitamin-D3 und D2-Verbindungen.

Diese Derivate entstehen durch Anlagerungen an der Seitenkette des originären Substanzgerüstes. Sie interagieren mit unterschiedlichen Affinitäten nicht nur mit dem seit längerem bekannten spezifischen Vitamin-D-Rezeptor (VDR), sondern auch noch mit weiteren Zellrezeptoren. 

Einige Derivate haben eine kalzinämische Wirkung, andere hingegen nicht. Die neu beschriebenen Vitamin-D-Abkömmlinge weisen interessante extraossäre Effekte auf, so zum Beispiel auf Hautzellen. Sie entfalten antiproliferative, differenzierungsfördernde, antientzündliche und sogar photoprotektive Aktivitäten. Diese könnten durchaus zu den in der Lokaltherapie der Psoriasis bewährten therapeutischen Effekten beitragen. Die Autoren sind der Meinung, dass sich dadurch auch die vielfältig beschriebenen und teilweise widersprüchlichen sonstigen Wirkungen des Vitamin D erklären lassen.

Dazu gehören vor allem auch die kontrovers diskutierten, positiven Vitamin-D-Effekte auf Krebsinzidenz- und -mortalität. Ausgelöst wurde die Diskussion durch eine von den Gebrüdern Garland aus Kalifornien im Jahre 1980 veröffentlichte epidemiologische Studie, nach der die Kolonkarzinommortalität in den sonnenarmen Regionen der USA höher ist als in den sonnenreichen Gebieten. Nachfolgend sind in anderen Studien ähnliche Zusammenhänge für weitere Krebsarten, auch außerhalb der USA, festgestellt worden. 

Selbst inverse Korrelationen von UV-Exposition und Krebsinzidenz wurden beobachtet, die am deutlichsten beim Mammakarzinom registriert werden konnten. Immer wieder wurden und werden jedoch Zweifel an der Validität dieser Untersuchungsresultate geäußert und gegenteilige Befunde erhoben. Deshalb wurden die Ergebnisse des kürzlich publizierten, 25.871 Personen einschließenden „Vitamin D and OmegA-3 Trials (VITAL)“ in den USA mit Spannung erwartet. In dieser Studie sind die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip in vier Gruppen gegliedert worden, denen über einen Zeitraum von fünf Jahren Vitamin D 3(2000 IU/die Cholecalciferol) oder Omega-3-fettsäurehaltiges Fischöl beziehungsweise entsprechende Placebos verabreicht wurden. In allen Kohorten wurde die Inzidenz von Krebs- und -Herzkreislauferkrankungen registriert. 

Das Ergebnis der Studie zeigte keinen signifikanten Effekt auf die Gesamtinzidenz an Tumorerkrankungen beider Krankheitsgruppen. Bei genauerer Ergebnisanalyse fand sich allerdings eine signifikante Reduzierung der Gesamtinzidenz aller erfassten Krebsarten von 24 Prozent für Personen mit einem BMI < 25 kg/m2. Auch bei farbigen Teilnehmern konnte eine Inzidenzminderung der Gesamtkrebsrate von 23 Prozent festgestellt werden. Dies sind bemerkenswerte Ergebnisse, die im Hinblick auf die hohe Teilnehmerzahl an dieser Studie schwerwiegen.

Die gesamte Krebsmortalitätsrate der mit Vitamin D substituierten Teilnehmer war um 25 Prozent niedriger als die der Vergleichsgruppe. Kritiker der Studie merken an, dass das Studiendesign nicht ausreichend zielgerecht ausgelegt gewesen sei und eine noch höhere Vitamin-D-Dosis (zum Beispiel 4000 IU pro Tag) wahrscheinlich weitere signifikante Ergebnisse geliefert hätte.

Interessant sind die Feststellungen, dass die jahrelang verabreichten, relativ hohen Vitamin D-Dosen problemlos vertragen wurden und sich in dieser aufwendigen Studie ein Trend zu einer positiven Wirkung des Vitamins auf Krebsinzidenz- und -mortalität abzeichnete. Es wird spannend sein, weitere diesbezügliche Forschungsergebnisse einzuordnen, vor allem jene, der einen deutlichen Vitamin-D-Effekt auf die Krebsinzidenz ausweisenden „GrassrootsHealth-Studie“. Von der US-amerikanischen Forschungsorganisation „GrassrootsHealth“ wurden die Zielwerte für eine ausreichende Vitamin-D-Sättigung des Serums inzwischen mit 40-60 ng/ml (100-150 nmol/l) beziffert, was höhere Tagesdosen als die bisher üblichen für eine Substitution erfordern würde. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, einen Mindestwert von 20 ng/ml (50 nmol/l) anzustreben. Als Ärzte sollten wir auf folgende klinischen Symptome achten, die einen zu niedrigen oder einen zu hohen Vitamin-D-Spiegel im Serum anzeigen:  

Vitamin-D-Hypovitaminose: Hyperkalzämie, Hypophosphatämie, Muskelhypotonie, Spasmophilie, Rachitis, Osteomalazie, Osteoporose

Vitamin-D-Hypervitaminose: Übelkeit, Kopf- und Bauchschmerz, Müdigkeit, Schwindel, Hypertonie, Gewichtsabnahme, Nierensteine, Niereninsuffizienz, Polyurie, Calcinosis metastatica

So gesehen hat das Strandleben seine positiven Seiten. Man sollte den Slogan „white is beautiful“ also nochmals überdenken. Dies betrifft vor allem auch ältere Menschen, denn mit zunehmendem Alter nimmt die Vitamin-D-Synthesefähigkeit der Haut ab. Ältere Menschen produzieren etwa viermal weniger hauteigenes Vitamin D. Bei meist noch geringer Sonnenexposition, zum Beispiel bei Bewohnern von Altenheimen, ist eine Vitamin-D-Hypovitaminose vorprogrammiert. Dies kann nicht das Ziel einer fürsorglichen Hautkrebsvorsorge und -aufklärung sein.

Es grüßen Sie auf das Herzlichste

Prof. Dr. med. habil. Joachim Barth (Borna bei Leipzig) und Prof. Peter Altmeyer

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