20.01.2021

Haut und Coronavirus

Sichtbare Zeichen einer Covid 19 Virusinfektion auf unserer Haut

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

das Neue Jahr beginnt so wie das Alte Jahr geendet hat, im Lockdown. Wir waschen unsere Hände und Einkäufe, Patienten überlegen drei Mal, ob sie zum Arzt oder in ein Krankenhaus gehen. Fahrräder, Baumärkte und Familienleben haben Hochkonjunktur, weil unser Zuhause und virtuelle Kontakte wichtiger geworden sind denn je. Niemand kann reisen, wir suchen nach bequemen Pullovern und Teesorten, nach Filmen und Literatur. Ein ersehnter Tapetenwechsel kann nur durch Kreativität herbeigeführt werden. Studenten lernen online, wer kann, betreibt Smartworking, ein windgeschützter Platz und etwas Sonne, ersetzen den Urlaub, ein Spaziergang den Fitnessclub, ein Telefonat den Verein. Die älteren Menschen betrifft die Infektion besonders. Isolation ist schwer zu ertragen, wenn jeder einzelne Lebenstag mit zunehmendem Alter wertvoller wird und nicht jeder einen Partner zur Seite hat. Schwere Verläufe machen Angst, Enkel umarmen Ihre Großeltern nicht mehr und unsere Kinder stellen uns Fragen, die wir nicht beantworten können.

Mit Ausnahme der Medizin, liegen alle Berufe lahm, die eng am Menschen pulsieren und auch die Ärzte spüren, wie COVID-19 unseren medizinischen Alltag auf den Kopf gestellt hat, Leben bedroht und unsere Freiheit stark einschränkt. Am 11. März 2020 als Europa bereits Epizentrum war, wurde das „schwere akute respiratorische Syndrom - Coronavirus 2 (SARS-CoV-2) von der WHO als globale Pandemie klassifiziert, zu spät wie es sich herausstellte. Ende März gab es in NRW bereits 400.000 Infektionen und in Bayern 340.000 und man las: „Die Zahlen des Robert Koch Institutes sind eindeutig: Wahrscheinlich hat das Social-Distancing deutschlandweit viele Ansteckungen verhindert, denn seit dem 14. März sind die gewohnten Grippe-Infektionszahlen drastisch zurückgegangen.“ Der Sommer brachte Lockerungen und die EU versucht seitdem, gemeinsame Maßnahmen zu verabschieden. Heute (Stand 5. Jan. 2021) haben sich knapp 85 Millionen Menschen infiziert, 1.8 Millionen sind bereits an diesem Virus gestorben und aktuell ist die Inzidenz von Neuinfektionen in Deutschland nicht erfreulich. Die Verteilung der Impfungen verursacht Diskussionen weil ca. 500.000 Menschen in der EU (300.000 davon in Deutschland) geimpft wurden, aber bereits 1.3 Millionen in Israel. COVID-Negationisten finden immer noch willige Zuhörer, auch in Spanien und Italien. Ich bezeichne die COVID-19-Pandemie zweifelsohne als die schwerste gesundheitliche und sozioökonomische Krise unserer Zeit.

Bei COVID-19 handelt sich dabei um ein einzelsträngiges RNA-Virus, ein Betacoronavirus, das aus 16 nicht-strukturellen Proteinen besteht. Der Erreger ist uns mit einer ungeheuren Virulenz begegnet. Er findet über seine Spike-Proteine unglücklicherweise Rezeptoren in vielen Organen. Diese Neigung zur systemischen Expansion kann bei entsprechender genetischer Disposition eine fatale Hyper-Immunreaktion auslösen. 20% der Infizierten erleiden diesen unsäglichen Zytokinsturm und erkranken schwer. 15% erkranken an einer schweren Pneumonie. Viele Patienten müssen beatmet werden. 27 Prozent aller beatmeten COVID-19-Patienten erleiden ein akutes Nierenversagen, müssen auf den Intensivstationen dialysiert werden, und 5% entwickeln ein Multiorganversagen. Von großer epidemiologischer Wichtigkeit ist jedoch, dass mehr als 80% der Patienten eine asymptomatische bis mittelschwere Erkrankung haben. Diese 80% sind die eigentlich gefährlichen Überträger. Hier treffen wir auf die Enkel die die Großeltern infizieren.

Mittlerweile wissen wir, dass auch die Haut, unser größtes Organ betroffen ist. Die Hauterscheinungen sind sichtbar. Sie sind für alle Ärzte von besonderem Interesse, da sie auch bei asymptomatischen oder wenig symptomatischen Infizierten auftreten können (Gaspari V et al. 2020), die ja bekanntermaßen die weitaus größte COVID-19- Gruppe stellt. Es ist daher für uns Ärzte empfehlenswert den monitorischen Zeichen der Haut eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen um gerade bei dieser besonderen Population die wichtigen und notwendigen medizinischen und organisatorischen Maßnahmen für eine potenziell bestehende COVID-19-Infektion umzusetzen.

Allgemeines zu dermatologischen Symptomen bei Virusinfektionen:

Grundsätzlich kann man zu Hauterscheinungen bei viralen Infektionen und damit auch bei COVID-19-Infektionen folgendes sagen:

Viren können direkt infektiöse Exantheme auslösen oder indirekt parainfektiöse Exantheme.

Sichtbar sind dann: generalisierte oder lokalisierte Hautveränderungen

Die Klinik der klassischen infektiösen Virusexantheme kann als morphologischer Stempel eines definierten Erregers (z.B. Varizellen, Masern; Röteln u.a.) bezeichnet werden. Parainfektiöse Virusexantheme hingegen (z.B. Gianotti-Crosti-Syndrom; unilaterales laterothorakales Exanthem; postvirales Erythema multiforme) können durch unterschiedliche Erreger oder auch durch Medikamente hervorgerufen werden. Beispielsweise sind bisher 13 unterschiedliche Virusarten bekannt die ein Gianotti-Crosti-Syndrom auslösen können. Als parainfektiöse Arzneireaktionen, die nur im Rahmen einer Virusinfektion beobachtet werden, können z.B. die morbilliformen Exantheme der Infektiösen Mononukleose (Ampicillin-Exantheme) bezeichnet werden.

Epidemiologische Daten bei COVID-19-Infizierten mit Hautsymptomen:

Das Durchschnittsalter der Patienten mit COVID-Hautveränderungen beträgt 49,03 Jahre (5-91Jahre); w:m=6:4. Die Hautveränderungen traten durchschnittlich 9,92 Tage (1-30) nach Auftreten der systemischen Symptome auf. (Zhao Q et al. 2020). Für uns Ärzte ist wichtig, dass die Hautveränderungen bei asymptomatischen oder oligosymptomatischen Patienten auftreten können.

Ätiopathologie: Die Pathologie von COVID-19 ist außerordentlich vielgestaltig: Zustand der Hyperkoagulabilität, massive Vaskulopathien, Schädigung des Lungengewebes, Beteiligung des neurologischen und/oder gastrointestinalen Trakts, ein monozytäres/Makrophagen-Aktivierungssyndrom, das in einer übersteigerten Zytokinsekretion, dem sogenannten "Zytokinsturm", gipfeln kann, der zu einer raschen Verschlimmerung des Infektionsgeschehens und zum Tod führen kann.

Das Infektionsgeschehen wird mit der Expression verschiedener Gene assoziiert, die sich signifikant von der den gesunden Kontrollen unterschied. Betroffen sind Gene, die mit der angeborenen Immunabwehr verbunden sind:

IFNAR2, OAS1, TYK2, DPP9 und CCR2 (Weiterführende Literatur in Altmeyers Enzyklopädie Medizin).

Der systemische Virusbefall des Organismus kann mit lokalisierten oder generalisierten kutanen Läsionen assoziiert sein. Im Gegensatz zu den klassischen viralen Infektionskrankheiten mit eher charakteristischen Hautauschlägen, weist COVID-19 makro- und mikromorphologisch in histopathologischen Substraten ein breites Spektrum an dermatologischen Phänomenen auf. Ein Wesensmerkmal der der COVID-19 Infektion ist also die dermatologische Polymorphie.

Dermatologische Symptome der COVID-19 Infektion:

Spanische Dermatologen haben an einem größeren Kollektiv orientierend fünf charakteristische klinische Muster herausgearbeitet (Catalá Gonzalo A et al. 2020). Ich habe eine 6. Kategorie hinzugefügt mit der Überschrift „Sonstige Hautveränderungen“:

COVID-19-Kasuistiken:

1- Makulopapulöse Exantheme betreffen 21,3% der COVID-Hautverändeurngen. Diese finden sich am häufigsten bei Erwachsenen mittleren Alters (Durchschnittsalter 53,2 Jahre). Die Infizierten wiesen unterschiedlich ausgeprägte morbilliforme Exantheme der Haut auf, z.T. mit hämorrhagischer Note sowie auch großflächige Rötungen. Derartige Exantheme wurden auch bei schweren Verläufen der Covid-19-Erkrankung beobachtet, bei denen mehrere Medikamente zum Einsatz kamen. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Hautsymptomatik auch Ausdruck einer Arzneimittelnebenwirkung waren. Zu dieser Exanthemgruppe gehören auch die purpurischen vaskulitischen Exantheme, die bei starker Exsudation auch einen vesikulösen Aspekt einnehmen können. Ihnen liegt eine leukozytoklastische Vaskulitis zugrunde (Camprodon Gómez M et al. 2020).

2- Chilblain-Lupus-artige Veränderungen (COVID‐19 Chilblains; Blue-Toe-Syndrom): Akrale, schmerzhafte livid-rote, frostbeuelenartigen Schwellungen waren mit 40,4%, die am häufigsten identifizierten COVID-19 Läsionen. (Daneshgaran G et al. 2020, Le Cleach L et al.2020). Sie sind geradezu ein „Markenzeichen“ der Erkrankung. Die meist asymmetrisch an Fingern und Zehen auftretenden „Pseudochilblains“ treten vorwiegend bei jüngeren weiblichen Patienten auf (58,5% betrafen Frauen zwischen 18-39Jahren, Durchschnittsalter 23,2 Jahre) (Daneshgaran G et al. 2020) mit geringerer COVID-19-Symptomatik. Sie bildeten sich erst im späteren Verlauf der Erkrankung aus und persistierten für durchschnittlich 12,7 Tage. Bei etwa einem Drittel der Betroffenen waren die Hautveränderungen schmerzhaft oder verursachten Juckreiz (Daneshgaran G et al. 2020). Histopathologisch finden sich unterschiedliche Grade einer lymphozytären Vaskulitis, mit Endothelschwellung und Endotheliitis sowie fibrinoiden Nekrosen mit Mikrothromben. Weiterhin sind oberflächliche und tiefe perivaskuläre lymphozytäre Infiltrate mit paraekkriner Akzentuierung sowie leichte vakuoläre Interface-Schäden nachweisbar. Bei einigen Fällen war die SARS-CoV-2-Immunhistochemie in Endothelzellen und Epithelzellen der ekkrinen Drüsen positiv. Elektronenmikroskopisch wurden von einer Autorengruppe Coronavirus-Partikel im Zytoplasma der Endothelzellen gefunden (Colmenero I et al. 2020). Dies scheint jedoch eher eine Seltenheit zu sein (Herman A et al. 2020; Le Cleach L et al. 2020). Obwohl die klinischen und histopathologischen Merkmale dieser Pseudochilblains dem klassischen Chilblain-Lupus ähnlich sind, unterstützen das Vorhandensein von Viruspartikeln im geschädigten Endothel einen kausalen Zusammenhang der Läsionen mit SARS-CoV-2.

3- Urtikaria/Angioödem: Urtikarielle, meist juckende Exantheme betrafen 10,9% der COVID-Hautveränderungen. Sie traten bevorzugten bei erwachsenen Patienten (Durchschnittsalter 38,3 Jahre) auf und waren offenbar mit einem schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung assoziiert. Betroffen war v.a. der Rumpf. Seltener stellten sich massive, faziale, nicht juckende Angioödeme im Rahmen einer manifesten COVID-19 Infektion ein (Najafzadeh M et al. 2020). Sie wurden ebenfalls eher bei schwerem Infektionsgeschehen beobachtet.

4- Vesikulöse Exantheme (varizelliform): Primär vesikulöse Exantheme betrafen 13,0% der COVID-Hautveränderungen. Sie traten bei Erwachsenen mittleren Alters (Durchschnittsalter 48,3 Jahren). An Rumpf und Extremitäten manifestierten sich windpockenartige, vesikuläre, juckende Exantheme. Eine hämorrhagische Komponente ist möglich (Kontrolle der Thromboyzten). Betroffen waren Patienten mittleren Alters. Die Läsionen persistierten durchschnittlich 10,4 Tage nachweisbar (Marzano AV et al. 2020). Auch die Leistenhaut an Handflächen und Füßen kann durch Bläschen oder Blasen betroffen sein. Dort ähnelte die Klinik der Coxsackie-A-induzierten Hand-Fuß-Mund-Erkrankung.

5- Livedovaskulitis (Livedo racemosa): Diese Hauterscheinungen mit ihren charakteristischen sattroten oder auch hämorrhagischen Blitzfiguren betrafen etwa 5% der COVID-Hautveränderungen. Sie spiegeln jedoch mit nachweisbaren Mikrothromben und konsekutiven Gefäßschäden einen auch in anderen Organen auftretenden vaskulopathischen Grundprozess der Infektion wider (Daneshgaran G et al. 2020). Die Livedovaskulitiden traten v.a. am Rumpf und den Extremitäten auf und betrafen v.a. ältere Patienten (Durchschnittsalter 77,5 Jahre) mit schweren Verläufen. Sie waren in 60% der Fälle gleichzeitig mit systemischen COVID-19-Symptomen assoziiert (Daneshgaran G et al. 2020). Die Mortalität in dieser Gruppe lag bei 10 %. Inwieweit die Livedo racemosa direkt viral ausgelöst ist, oder im Rahmen einer viral induzierten immunologischen Fehlfunktion auftritt ist bislang noch ungeklärt.

6- Sonstige Hauterscheinungen: In dieser heterogenen Gruppe habe ich publizierte kasuistische Schilderungen zusammengefasst. Sie umfasst sowohl parainfektiöse als auch möglicherweise Medikamenten-induzierte Hautveränderungen. Folgende Krankheitsbilder waren mit COVID-19-Infektionen assoziiert:

a- Erythema multiforme: Multiforme Exantheme waren selten und betrafen (3,7% der COVID-Hautveränderungen), hauptsächlich jedoch Kinder (Durchschnittsalter 12,2 Jahre).

Gianotti-Crosti–Syndrom (Brin C et al. 2020)

b- Leukozytoklastische Vaskulitis mit hämorrhagischen Flecken, auch hämorrhagischen Bläschen und Blasen. Zeichen der Isomorphie mit strichförmigen Läsionen in Kratzspuren (Camprodon Gómez M et al. 2020)

c- Symmetrical drug-related intertriginous and flexural exanthema (SDRIFE) Criado PR et al. (2020)

d- Akrales Peeling-Skin-Syndrom (Rotulo GA et al. 2020)

Zusammenfassend lassen sich die Hautveränderungen im Rahmen einer COVID-Infektion als monitorische Zeichen für diese virale Infektion werten ungeachtet ob sonstige Infektionszeichen nachweisbar sind. Dies betrifft v.a. auch die varizelliformen Exantheme.

Akrale COVID-Chilblains können indikative und prognostische Marker für die Erkrankung sein. So finden sich „COVID-Zehen“ häufig bei Kindern und asymptomatischen Patienten! Die seltene Livedovakulitis ist als potenzielles Korrelat zur Schwere der Krankheit zu werten. Dasselbe scheint für faziale Angioödeme zuzutreffen.

Ich hoffe mit dieser Beschreibung Ihre Aufmerksamkeit in allen Gesundheitsberufen auf COVID-Hautveränderungen zu lenken, um sich mit diesen monitorischen Symptomen frühzeitig vertraut zu machen und sie zu erkennen.

COVID-19 hat uns einen fetten Strich durch jegliche Planungen, Budgets, unsere Arbeitswelt, unser Privatleben gemacht. Das Schlimmste aber bleiben die individuellen gesundheitlichen Konsequenzen, die Menschen mit fragilem Immunsystem, Krankheiten und fortgeschrittenem Alter schwer treffen.

Ich wünsche uns deshalb allen Geduld und nicht zu vergessen, dass es alle getroffen hat, europaweit, weltweit. Auch 80 Millionen Flüchtlinge und 3 Milliarden Menschen ohne fließendes Wasser, die weder Hände noch Einkäufe im Haus abwaschen können, wie wir.

Bleiben sie gesund.

Herzlichst, ihr Prof. Peter Altmeyer

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