Systolische Geräusche

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.08.2022

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Erstbeschreiber

Die ersten Herzgeräusche wurden bereits vor über 200 Jahren beschrieben (Rishaniw 2018).

Der Pariser Arzt Rene Theophile Hyacinthe Laennec (1781 – 1826) benutzte bei seinen Visiten in einer Klinik für Lungenkranke das von ihm entwickelte Hörrohr regelmäßig und entwickelte so ein Vokabular für normale, abnormale und pathologische Geräusche (Schoon 2012).

Der mesosystolische Klick - als Ausdruck eines Mitralklappenprolaps - wurde erstmals im Jahre 1887 von Cuffer und Barbillon beschrieben.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte ein apikales Systolikum erstmals einer rheumatischen Mitralklappeninsuffizienz zu geschrieben werden. Viele Patienten wurden daraufhin invalide geschrieben. Das war Anlass für Sir James Mackenzie, systolischen Geräusche keine Bedeutung mehr beizumessen. Dies änderte sich aber entscheidend nach Erfindung der Phonokardiographie 1908 (Attenhofer Jost 2004).

Ried beschrieb 1961 Phonokardiogramme von 8 Patienten, die einen mesosystolischen Klick mit oder ohne Herzgeräusch aufwiesen und hielt diese Geräusche für ein vom Mitralklappenapparat durch Sehnenfäden verursachtes Geräuschphänomen. Im Jahre 1963 gelang Barlow et al. angiographisch der Nachweis, dass spätsystolische Geräusche durch eine Mitralklappeninsuffizienz verursacht wurden (Brandis 1989).

Das Stillsche- Geräusch wurde 1918 erstmals von Still beschrieben (Begic 2017).

Definition

Unter einem systolischen Geräusch versteht man ein auskultatorisch wahrnehmbares hochfrequentes Ejektionsgeräusch (Kasper 2015), das meistens in den Aorten- oder Pulmonalklappen entsteht (Attenhofer Jost 2004).

 

 

Einteilung

Charakterisiert werden systolische Herzgeräusche durch 

  • Lautstärke:
    • 1 / 6: Sehr leises Geräusch, welches nur mit Mühe auskultierbar ist
    • 2 / 6: Leise, aber deutlich hörbar
    • 3 / 6: Lautes Herzgeräusch ohne Schwirren
    • 4 / 6: Lautes Herzgeräusch mit Schwirren
    • 5 / 6: Sehr lautes Herzgeräusch, welches unmittelbar nach Aufsetzen des Stethoskops hörbar ist
    • 6 / 6: Lautes Geräusch, welches auch ohne Stethoskop zu hören ist
  • Frequenz
  • Punctum maximum
  • Fortleitung
  • Lage in Bezug auf die Herztöne
  • Palpation des Karotispulses
  • Art des Geräusches:
    • Decrescendo-
    • Spindel-
    • Band-
    • Crescendoform (Herold 2022)
  • Dauer:
    • holosystolisch (während der gesamten Systole anhaltend)
    • früh- bzw. protosystolisch
    • spät- bzw. telesystolisch
    • mitt- bzw. mesosystolisch (Haas 2017)

 

  • Systolische Geräusche:

Hierbei handelt es sich um ein während der Systole auftretendes abnormes Herzgeräusch.

Man differenziert bei systolischen Geräuschen zwischen:

- Ejektions- Geräuschen: Die Austreibungsgeräusche entstehen durch eine Obstruktion zwischen Ventrikeln und großen Gefäßen.

- Regurgitations- Geräusche: Diese finden sich als Folge einer AV- Klappeninsuffizienz, bei der während der Systole das Blut aus den Kammern in die Vorhöfe zurückströmt.

- Ejection- click: Hierbei handelt es sich um ein kurzes frühsystolisches hochfrequentes Geräusch, welches durch die Öffnung einer pathologisch veränderten Semilunarklappe entsteht (Haas 2017).

 

  • Funktionelle systolische Herzgeräusche:

Bei den funktionellen systolischen Herzgeräuschen handelt es sich um leise, niederfrequente Geräusche. Sie entstehen durch Strömungsphänomene auf Grund eines erhöhtes Schlagvolumens (Füeßl 2010) bei z. B. Anämie, Fieber, Hyperthyreose (Haas 2017), Bradykardie, Schwangerschaft (Herold 2022). 

Ein funktionelles Systolikum tritt nach S1 auf, ist kurzdauernd und hört bereits vor S2 auf. Das p. m. sind Apex, Basisbzw. links- parasternal (Attenhofer Jost 2004).

 

  • Akzidentelle systolische Herzgeräusche (bei Kleinkindern auch als Still´sches Geräusch bezeichnet):

Diese entstehen durch strukturelle oder hämodynamische Veränderungen bei Herzgesunden und sind als harmlos einzustufen. Es handelt sich dabei um leise, systolische Geräusche, die im 2. / 3. ICR parasternal auskultierbar sind und nicht fortgeleitet werden (Füeßl 2010), niemals lauter als 3 / 6 Grad sind (Haas 2017). Das Geräusch kommt wahrscheinlich durch Vibrationen der Pulmonalklappe zustande (Attenhofer Jost 2004).

 

  • Kontinuierliche systolisch- diastolische Herzgeräusche:

Diese werden auch als systolisch- diastolische Maschinengeräusche bezeichnet. Sie entstehen durch eine Wirbelbildung. Geht die Wirbelbildung nach hinten, kommt es zu einer Stenose, geht sie nach vorne, zu einer Insuffizienz (Herold 2022).

Diese Geräuschphänomene entstehen durch eine Shuntverbindung zwischen Hoch- und Niederdrucksystem (Herold 2022).

 

  • Systolischer Klick:

Bei einem systolischen Klick handelt es sich um hochfrequente Schwingungen, deren Amplitude die des 1. und 2. Herztons teilweise übersteigen kann. Er tritt in der Mitte oder am Ende der Systole auf (Schmidt- Voigt 1982) und findet sich z. B. bei einem Mitralklappenprolaps (Herold 2022).

 

  • Nonnensausen:

Unter dem sog. Nonnensausen versteht man bei Kindern zwischen 3 – 6 Jahren auftretende systolisch- diastolische Geräusche, die durch Turbulenzen in den Jugularvenen auftreten. Punctum maximum liegt links bzw. rechts infraklavikulär. Das Geräusch ist ausschließlich in aufrechter Position auskultierbar und verschwindet bei Kopfdrehung (Haas 2017).

 

 

Allgemeine Information

Ein Systolikum tritt während der Systole , d. h. nach S1 bis vor oder zu S2 auf. Es ist nicht - wie das Diastolikum - ausschließlich pathologisch (Attenhofer 2004).

Vorkommen

Das Systolikum ist das häufigste Auskultationsgeräusch (Attenhofer Jost 2004).

Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen treten nicht selten akzidentelle systolische Herzgeräusche auf. Die Prävalenz liegt bei > 50 %. Ohne hämodynamische bzw. strukturelle Veränderungen sind diese als harmlos anzusehen (Herold 2022). In der Schweiz spricht man sogar von bis zu 80 % der Kinder, die ein Systolikum aufweisen und von ≥ 50 % aller über 50 jährigen. Die Inzidenz nimmt allerdings mit dem Alter zu (Attenhofer Jost 2004).

Ätiologie

Auftreten kann ein systolisches Geräusch bei folgenden Erkrankungen:

  • Insuffizienz der AV- Klappen:
    • Mitralinsuffizienz: Meistens organisch bedingt, erklingt unmittelbar nach dem 1. Herzton, decrescendo oder bandförmig (Herold 2022). Punctum maximum liegt in Linksseitenlage am Apex (Attenhofer Jost 2004), Weiterleitung in die linke Axilla. Ursache für eine Mitralklappeninsuffizienz können sein:
    • Mitralklappenprolaps
    • infektiöse Endokarditis
      • durch entzündliche Zerstörung des Klappenapparats
    • rheumatische Herzerkrankung
      • durch Verdickung der Klappensegel und Versteifung der Kommissuren
    • Kardiomyopathie durch:
    • Funktionsstörung der Papillarmuskeln
    • Veränderung der Ventrikelgröße und - funktion
      • durch Vergrößerung des linken Ventrikels und des Anulus decken die Klappensegel die Öffnung nicht mehr komplett ab
    • myxomatöse Degeneration: 
      • durch einen genetisch bedingten Defekt der Kollagenzusammensetzung
    • koronare Herzkrankheit
      • durch Abriss eines Papillarmuskels oder – elongation kommt es zu einem Prolaps des Klappensegels 
      • regionaler Umbau der Ventrikelgröße und Dilatation des Anulus
      • Funktionsstörungen der Papillarmuskeln (Dennis 2019)
    • Trikuspidalinsuffizienz: Seltener auftretend, durch Überdehnung des Klappenrings kommt es hierbei zu einer relativen Trikuspidalinsuffizienz (Herold 2022). Auch als „Rivero- Carvallo- Zeichen“ beschrieben. Es handelt sich dabei um ein hochfrequentes, pansystolisches Geräusch, welches bei der Inspiration lauter wird und dessen p. m. im 4. ICR links parasternal liegt (Dennis 2019). Assoziierende Erkrankungen sind:
      • rechtsventrikuläre Dilatation (am häufigsten)
      • infektiöse Endokarditis
      • rheumatische Herzkrankheit durch Vernarbung und Versteifung der Klappe
      • Prolaps
      • Ebstein- Anomalie
      • Störung der Papillarmuskelfunktion
      • Karzinoidsyndrom: Hierbei werden durch Serotoninüberschuss die Fibroblasten aktiviert und es kommt zu Plaques des Klappenapparats und des Endokards.
      • Trauma
      • Kollagenose: durch Veränderungen des Kollagens und des Bindegewebes kommt es zu einer erschlafften Klappe (Dennis 2019)

 

  • Stenose der Semilunarklappen:
    • Pulmonalstenose: Punctum maximum der Pulmonalstenose liegt im 2. ICR links. Es handelt sich dabei um ein rauhes, spindelförmiges Austreibungsgeräusch (Attenhofer Jost 2004). Assoziierende Krankheiten sind:
      • kongenitale Herzerkrankung (häufigste Ursache)
      • Karzinoidsyndrom: Bedingt durch den Serotoninüberschuss kommt es zu Plaques auf oder an der Pulmonalklappe 
      • rheumatische Herzkrankheit (Dennis 2019)
    • Aortenstenose: Hierbei liegt das p. m. im 2. ICR rechts parasternal (Attenhofer Jost 2004) und wird in die Karotiden weitergeleitet (Herold 2022). Das Geräusch ist bei einer leichten Stenosierung kurz und hat ein frühsystolisches Maximum. Ein spätsystolisches Maximum mit längerer Dauer kennzeichnet die schwere Aortenstenose (Attenhofer Jost2004).
  • Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie (HOCM): Hierbei liegt das p. m. links parasternal im 4. ICR oder am Apex. In bis zu 40 % findet sich eine Ausstrahlung in die Axilla, nur selten in die Karotiden (Attenhofer Jost 2004).
  • Aortenisthmusstenose: Dieses Geräusch ist am besten zwischen den Schulterblättern auszukultieren (Herold 2022)
  • isolierte Aorten- oder Pulmonalwurzelerweiterung bei normalen Semilunarklappen
  • kongenitale bikuspide Aortenklappenerkrankung: Hierbei wird das Geräusch leiser bis unhörbar, je verkalkter und steifer die Klappe ist (Kasper 2015).
  • Ventrikelseptumdefekt: Es handelt sich hierbei um ein pansystolisches, hochfrequentes Herzgeräusch mit p. m. im 5. - 6. ICR. Dieses nimmt während der Inspiration nicht zu und wird auch nicht in die Axilla weitergeleitet. Man kann Rückschlüsse auf die Defektgröße ziehen: Je leiser das Geräusch ist, desto größer der Defekt (Dennis 2019).

 

  • Kontinuierliche systolisch- diastolische Geräusche (sog. Maschinengeräusche)

Ursache der Maschinengeräusche sind kongenitale oder erworbene koronare AV- Fisteln oder ein offener Ductus Botalli(Attenhofer Jost 2004).

Zu diesem Geräuschphänomen kommt es bei folgenden Erkrankungen:

- aorto- pulmonales Fenster

- rupturiertes Sinus- Valsalva- Aneurysma

- Koronarfisteln

- Arteriovenöse Fisteln durch z. B. Lungenangiom oder posttraumatisch (Herold 2022)

 

 

Pathophysiologie

Herzgeräusche entstehen durch eine Wirbelbildung. Geht diese nach hinten, kommt es zu einer Stenose, geht sie nach vorne, zu einer Insuffizienz (Herold 2022).

Das diastolische Geräusch ist umgekehrt proportional zur Höhe des diastolischen Druckgradienten zwischen linkem Vorhof und linkem Ventrikel (Kasper 2015).

Das systolische Geräusch hängt vom Blutfluss durch die Taschenklappen ab. Es ist von S1 abgesetzt und beginnt dann, wenn der Ventrikeldruck den diastolischen Pulmonalarterien- oder Aortendruck übersteigt (Attenhofer Jost 2004).

 

 

 

Diagnostik

Die Diagnostik der Herzgeräusche umfasst Auskultation, Echokardiographie, Pulsoxymetrie, EKG, MRT, CT (Haas 2017). 

Ein leises mesosystolisches Geräuschei bei jungen, schlanken, asymptomatischen Patienten bedarf keiner weiteren Abklärung. Bei Patienten mit kardialen Symptomen muss jedes laute oder leises Systolikum echokardiographisch abgeklärt werden (Attenhofer Jost 2004).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Attenhofer Jost C H et al. (2004) Systolisches Herzgeräusch. Schweiz Med Forum (4) 49 - 55
  2. Begic E et al. (2017) Accidental Heart Murmurs. Med. Arch. 71 (4) 284 - 287
  3. Brandis M et al. (1989) Ergebnisse der Inneren Medizin und Kinderheilkunde. Springer Verlag Berlin / Heidelberg / New York / London / Paris / Tokyo / Hong Kong 122
  4. Dennis M et al. (2019) Symptome verstehen: Interpretation klinischer Zeichen. Elsevier Urban und Fischer Verlag 182 - 186
  5. Füeßl H et al. (2010) Duale Reihe: Anamnese und klinische Untersuchung Georg Thieme Verlag Stuttgart 181
  6. Haas N A et al. (2017) DGPK (Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Kardiologie) Leitlinie: Abklärung eines Herzgeräusches im Kindes- und Jugendalter AWMF- Register Nr. 023 / 001
  7. Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag 155 - 156
  8. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1447 – 1450
  9. Rishaniw M (2018) Murmur grading in humans and animals: past and present. J Vet Cardiolog. 20 (4) 223 – 233
  10. Schmidt- Voigt (1982) Die ambulante Herzuntersuchung: Kardiologissche Basisdiagnostik für die Praxis. Springer Verlag Berlin / Heidelberg / New York 105
  11. Schoon A et al. (2012) Das geschulte Ohr: Eine Kulturgeschichte der Sonifikation. Transcript Verlag Bielefeld 78
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Zuletzt aktualisiert am: 22.08.2022