Pathologische Infektionsanfälligkeit

Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2021

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Definition

Eine pathologische Infektionsanfälligkeit ist meist das führende Symptom eines primären Immundefekts. Die Abgrenzung zur physiologischen Infektionsanfälligkeit ist schwierig, da keine aktuellen epidemiologischen Daten dazu vorliegen, welche Anzahl, welche Art undwelcher Verlauf von Infektionskrankheiten in welchem Lebensalter als normal zu bezeichnen sind (Monto AS et al. 1993). Die Beeinflussung der Infektionshäufigkeit durch Faktoren wie soziale Strukturen, Familiengröße oder Besuch einer Kindertagesstätte erschweren es zusätzlich, einen oberen Grenzwert für die physiologische Infektionshäufigkeit anzugeben.

Allgemeine Information

Ungewöhnliche Erreger: Zeichen einer pathologischen Infektionsanfälligkeit können Infektionen durch ungewöhnlicheErreger sein, die bei immunkompetenten Personen nur selten zu schweren Erkrankungen führen, wie z.B. eine Pneumonie durch Pneumocystis jirovecii oder CMV, eine Candida-Sepsis, eine Darm- und/oder Gallenwegsinfektion durch Cryptosporidien oder Mikrosporidien, oder eine disseminierte Infektion durch nichttuberkulöse Mykobakterien (NTM) (Bustamante J et al. 2008).

Ungewöhnlich schwere Infektionen mit „gewöhnlichen“ Erregern: Weiterhin können ungewöhnliche, schwere Infektionen mit „gewöhnlichen“ Erregern wie z.B. Pneumokokken oder Herpes-simplex-Viren auf einen primären Immundefekt hinweisen (Bustamante J et al. 2008). Die isolierten Erreger können bereits einen ersten Hinweis auf den zugrunde liegenden Immundefekt liefern.

Ungewöhnliche Lokalisationen: Auch die Lokalisation der Infektion kann ein Hinweis auf eine pathologische Infektionsanfälligkeit sein. So lassen monotope Infektionen eher an lokale anatomische Ursachen, polytope Infektionen hingegen eher an eine systemische Abwehrschwäche denken. Eine pathologische Infektionsanfälligkeit kann auch durch atypische Lokalisationen von Infektionen, z.B. einen Hirnabszess durch Aspergillus spp. oder einen Leberabszess durch S. aureus charakterisiert sein (Patiroglu T et al. 2010).

Ungewöhnliche Therapieresistenz: Der protrahierte Verlauf von Infektionen oder ein unzureichendes Ansprechen auf antibiotische Therapie sind ebenfalls häufig Hinweis auf eine pathologische Infektionsanfälligkeit (Cunningham-Rundles C et al. 1999). So berichtet z.B. eine systematische Literaturanalyse zur persistierenden, chronischen Rhinosinusitis, dass bei bis zu 50% der Patienten, die auf eine adäquate Therapie nicht ansprachen, letztlich ein primärer Immundefekt vorlag. Zu ungewöhnlichen Verläufen nach Erregerexposition gehören auch Infektionskomplikationen durch abgeschwächte Erreger, die nach Lebendimpfungen, wie z.B. nach BCG-Impfung, MMR-, Varizella- oder Rotavirus-Impfung, auftreten können (Cunningham-Rundles C et al. 1999; Marciano BE et al. 2014).

Schließlich kann der Schweregrad (die Intensität) von Infektionserkrankungen Ausdruckeiner pathologischen Infektionsanfälligkeit sein. Mit dem Begriff „Major-Infektionen“ werden hierbei Pneumonie, Meningitis, Sepsis, Osteomyelitis und invasive Abszesse von sogenannten „Minor-Infektionen“, wie z.B. Otitis media, Sinusitis, Bronchitis und oberflächliche Hautabszesse, unterschieden. Auch wenn das Auftreten von Major-Infektionen bei primären Immundefekten überwiegt, so können auch persistierende oder über das Maß rezidivierende Minor-Infektionen Ausdruck eines primären Immundefekts sein (Aghamohammadi A et al. 2008; Owayed A et al. 2016). Die Anzahl der Infektionen (die Summe) wird gerade von den Betroffenen bzw. Patientenangehörigen oft als führendes Symptom empfunden. Infektionen sind hierbei von Fieberschüben ohne Fokus oder infektionsähnlichen Symptomen (z.B. obstruktive Bronchitiden) zu unterscheiden.

Literatur
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  1. Aghamohammadi A et al. (2008) Immunologic evaluation of patients with recurrent ear, nose, and throat infections. Am J Otolaryngol 29:385- 392.
  2. Arason GJ et al. (2010) Primary immunodeficiency and autoimmunity: lessons from human diseases. Scand J Immunol 71:317- 328.
  3. Baumann U et al. (2010) Primäre Immundefekte - Warnzeichen und Algorithmen zur Diagnosefindung. In: Vol. 1. Auflage. D-28323 Bremen: UNI-MED Verlag AG 2010.
  4. Bayer DK et al. (2014) Vaccine-associated varicella and rubella infections in severe combined immunodeficiency with isolated CD4 lymphocytopenia and mutations in IL7R detected by tandem whole exome sequencing and chromosomal microarray. Clin Exp Immunol 178: 459- 469.
  5. Boyle JM et al. (2007) Population prevalence of diagnosed primary immunodeficiency diseases in the United States. J Clin Immunol 27: 497- 502.
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  7. Cunningham-Rundles C et al. (1999) Common variable immunodeficiency: clinical and immunological features of 248 patients. Clin Immunol 92:34-48.
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  9. Marciano BE et al. (2014) BCG vaccination in patients with severe combined immunodeficiency: complications, risks, and vaccination policies. J Allergy Clin Immunol 133:1134-1141
  10. Monto AS et al. (1993) Acute Respiratory Illness in the Community - Frequency of Illness and the Agents Involved. Epidemiol Infect 110:145-160.
  11. Owayed A et al. (2016) Sinopulmonary Complications in Subjects With Primary Immunodeficiency. Respir Care 61:1067-1072
  12. Patiroglu T et al. (2010) Atypical presentation of chronic granulomatous disease in an adolescent boy with frontal lobe located Aspergillus abscess mimicking intracranial tumor. Child's nervous system : ChNS : official journal of the International Society for Pediatric Neurosurgery 26: 149-154.
  13. Picard C et al. (2015) Primary Immunodeficiency Diseases: an Update on the Classification from the International Union of Immunological Societies Expert Committee for Primary Immunodeficiency 2015. J Clin Immunol 35:696-726.
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