Hämophagozytische Lymphohistiozytose (sekundäre) D76.1

Co-Autor: Christoph Rose

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Zuletzt aktualisiert am: 30.09.2023

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Synonym(e)

Hämophagozytische Lymphohistiozytose (non-Mendelian); Hämophagozytischen Lymphohistiozytose primäre, Hämophagozytischen Lymphohistiozytose erworbene, Hemophagocytic lymphohistiocytosis; histiozytäre medulläre Retikulose; HLH; Lymphohistiozytose hämophagozytischen; Makrophagenaktivierungs-Syndrom (MAS-HLH)

Definition

Die (primäre) erworbene Hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH) ist ein den Histiozytosen zugeordnetes hyperinflammatorisches Syndrom, verursacht durch eine massive, überschießende, sepsisartige, inflammatorische Reaktion des Immunsystems mit überwältigender Aktivierung von T-Lymphozyten und Makrophagen. Die Erkrankung ist lebensbedrohlich.

Ätiopathogenese

Nach einer systematischen Übersichtsarbeit mit 661 HLH-Patienten stellen:

  • Infektionen (50 %)
  • hämatopoetische Malignome (28 %) und
  • Autoimmunerkrankungen (12 %)

auf der Intensivstation die häufigsten auslösenden Faktoren dar (Knaak C et al. 2020).

Klinisches Bild

Leitsymptom der Hämophagozytischen Lymphohistiozytose (HLH) ist ein protrahiert hohes Fieber, das unzureichend auf eine antiinfektive Therapie anspricht. Liegen zusätzlich eine Vergrößerung von Milz und/oder Leber sowie eine Bi- oder Panzytopenie vor, so ist eine HLH in Betracht zu ziehen und entsprechende Diagnostik durchzuführen. Die Höhe des C‑reaktiven Proteins (CRP) ist bei der HLH in Relation zu den klinischen Inflammationszeichen zumeist auffällig niedrig. Beim MAS-HLH dagegen zeigen sich zunächst eine Leukozytose sowie eine deutliche Erhöhung von CRP und Fibrinogen, bevor bei weiterem Fortschreiten schrittweise die HLH-Kriterien erfüllt werden. Weitere im Rahmen einer HLH fakultativ auftretende Symptome und laborchemische Veränderungen beinhalten neurologische Auffälligkeiten, vergrößerte Lymphknoten, eine Erhöhung der Transaminasen und eine eingeschränkte Syntheseleistung der Leber, die sich insbesondere durch Gerinnungsstörungen manifestiert.

Dermatologisch sind Pannikulitiden sowie purpurische Exantheme relevant.

Diagnose

Die Diagnose HLH wird mithilfe der HLH-2004-Kriterien gestellt (s.unten). Neben der Symptomentrias Fieber, Splenomegalie und Zytopenie fließen hier die Parameter Ferritinämie, Triglyzeridämie und/oder Hypofibrinogenämie, erhöhter löslicher Interleukin(IL)-2-Rezeptor, verminderte Natural-Killer(NK)-Zell-Aktivität und Nachweis einer Hämophagozytose in Knochenmark, Lymphknoten oder Liquor ein. Bei Vorliegen von wenigstens 5 der 8 Kriterien kann die Diagnose HLH gestellt werden (Henter JI et al. 2007). Sensitivität und Spezifität der HLH-Kriterien wurden hauptsächlich bei pädiatrischen Patienten untersucht. Es gibt jedoch auch Untersuchungen bei kritisch kranken erwachsenen Patienten, die eine Sensitivität zwischen 70 % und 95 % sowie eine Spezifität zwischen 90 % und 93,6 % zeigten.

HLH-2004-Kriterien (Henter JI et al. 2007).

1. Fieber

2. Splenomegalie

3. Zytopenie (≥ 2 von 3 Linien im peripheren Blut):

  • Hämoglobin < 9 g/dl
  • Thrombozyten < 100 × 109/l
  • Neutrophile < 1,0 × 109/l

4. Hypertriglyzeridämie und/oder Hypofibrinogenämie

  • Nüchterntriglyzeride ≥ 265 mg/dl
  • Fibrinogen ≤ 1,5 g/l

5. Hämophagozytose in Knochenmark, Milz oder Lymphknoten

6. Niedrige Natural-Killer(NK)-Zell-Aktivität

7. Ferritin ≥ 500 μg/l

8. Löslicher Interleukin-2-Rezeptor ≥ 2400 U/ml

Auf der Intensivstation kommt dem Ferritinwert als Screening- und Verlaufsparameter besondere Bedeutung zu (Knaak C et al. 2020).

Therapie

Immunsuppression: Neben der supportiven intensivmedizinischen Versorgung, die eine invasive Beatmung, die Gabe von Vasopressoren, die Nierenersatztherapie und weitere Therapieverfahren beinhalten kann, benötigen HLH-Patienten eine immunsuppressive Behandlung zur Unterdrückung der Hyperinflammation. Der Grundpfeiler der Therapie besteht im Einsatz von hoch dosierten Kortikosteroiden. Die darüber hinausgehende Behandlung hängt vom auslösenden Trigger und der Schwere der Erkrankung ab.

Behandlung von Infekten: Liegt eine Virusinfektion als Auslöser vor, sollte diese – sofern möglich – behandelt werden. Bei der Epstein-Barr-Virus(EBV)-assoziierten HLH ist in vielen Fällen die Gabe von Rituximab sinnvoll. Die Therapie bakterieller und parasitärer Erkrankungen sowie von Pilzinfektionen kann durch Elimination des Triggers zur Remission der HLH führen. Zudem scheint der Einsatz von Immunglobulinen bei Patienten mit infektiös getriggerter HLH zu einer Verbesserung der Prognose zu führen (Knaak C et al. 2020). Eine Kombination aus Dexamethason und Etoposid wurde bei Kindern mit HLH gut untersucht und stellt in modifizierter Form mit einer niedrigeren Etoposiddosis auch beim erwachsenen Patienten eine wirksame Therapieoption dar (Henter JI et al. 2006). Es ist generell erwähnenswert, dass einige Infektionen wegen des autoaggressiven inflammatorischen Geschehens kontraintuitiv zunächst vorrangig immunsuppressiv behandelt werden müssen, um irreversible Organschäden zu verhindern.

COVID-19: Weiterhin wurde das Auftreten einer HLH-ähnlichen Symptomatik auch bei kritisch an „coronavirus disease 2019“ (COVID-19) erkrankten Patienten beobachtet. Hier legen präliminäre Daten jedoch nahe, dass trotz des Nachweises einer Hyperinflammation klinisch und laborchemisch für die HLH charakteristische Befunde sehr selten anzutreffen sind und gemäß HScore nur wenige Patienten eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer HLH haben. Dennoch konnte für Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung und starker Entzündungsreaktion gezeigt werden, dass eine immunsuppressive Therapie den Verlauf günstig beeinflusst (11. Horby P et al. (2020). Daher wird bei Patienten mit COVID-19-Erkrankung, die Sauerstoff benötigen oder invasiv beatmet werden, die Gabe von Dexamethason empfohlen.

Malignomassoziierte HLH: Malignomassoziierte HLH treten am häufigsten bei Patienten mit hämatologischen Neoplasien auf. Vor allem verschiedene Lymphomsubtypen scheinen gehäuft mit einer HLH assoziiert zu sein. Eine HLH im Zusammenhang mit einem soliden Tumor ist nur selten anzutreffen. Die Therapie der malignomassoziierten HLH stellt eine Herausforderung dar, da der Allgemeinzustand bei einem relevanten Anteil der Patienten die eigentlich indizierte chemotherapeutische Behandlung des HLH-auslösenden Malignoms nicht zulässt.

Autoimmunerkrankungen: Patienten mit autoimmunologischen bzw. rheumatologischen Grunderkrankungen als Auslöser stellen die dritte große Gruppe von Patienten mit HLH auf der Intensivstation dar.

MAS-HLH: Patienten mit MAS-HLH erhalten zunächst hoch dosiert Kortikosteroide, im weiteren Verlauf je nach Triggererkrankung zytokingerichtete Biologika. So gibt es beim MAS-HLH zunehmend Evidenz für die Wirksamkeit des IL-1-Rezeptor-Antagonisten Anakinra (Zhou S et al. (2018). Die hierbei verwendeten Dosen liegen oberhalb des Zulassungsbereichs in anderen Indikationen. Ebenfalls wurde in den letzten Jahren vermehrt über ein hyperinflammatorisches Geschehen im Zusammenhang mit zellulären und antikörperbasierten Immuntherapien berichtet. Es wird jedoch nur selten das Stadium der HLH erreicht. Je nach Auslöser wird mit Kortikosteroiden und dem gegen IL‑6 gerichteten Antikörper Tocilizumab behandelt. In schweren Fällen ist die Gabe von Etoposid zu diskutieren (Eichenauer DA et al. 2021).

Weitere Therapieoptionen

Kortikosteroide + Etoposid: Insgesamt 63 HLH-Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf die Erstlinientherapie bestehend aus Kortikosteroiden und Etoposid wurden im Rahmen einer prospektiven Studie mit dem DEP-Schema (liposomales Doxorubicin, Etoposid, Methylprednisolon) behandelt. Die Ansprechrate lag bei 76,2 %.

Ruxolitinib: Eine weitere Therapieoption stellt der Januskinase(JAK)-2-Inhibitor Ruxolitinib dar, zu dessen Einsatz bei der HLH ebenfalls prospektive Daten vorliegen (27. Zhang Q et al. 2020).

Plasmapherese: Bei Patienten im Multiorganversagen kann in Einzelfällen eine Zytokinelimination mittels Plasmapherese oder Adsorptionssäule durchgeführt werden, um insbesondere bei Leber- und Nierenversagen die Zeit bis zur möglichen Pharmakotherapie zu überbrücken (Eichenauer DA et al. 2021).

Verlauf/Prognose

Trotz maximaler intensivmedizinischer Behandlung ist die Prognose von kritisch kranken Patienten mit HLH schlecht. So lag die Mortalität unter HLH-Patienten, die auf einer Intensivstation behandelt wurden, gemäß einer 2021 publizierten systematischen Übersichtsarbeit bei knapp 60 %, unterschied sich jedoch zwischen verschiedenen Patientengruppen in Abhängigkeit vom auslösenden Trigger. Am ungünstigsten war die Prognose bei Patienten mit malignomassoziierter HLH (Eichenauer DA et al. 2021).

Hinweis(e)

Das Vorliegen einer HLH sollte differenzialdiagnostisch bei Patienten mit protrahiertem Fieber, Zytopenien und Vergrößerung von Milz und/oder Leber in Betracht gezogen werden, wenn das Ansprechen auf eine antiinfektive Therapie ausbleibt.

Literatur
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  1. Eichenauer DA et al. (2021) Die hämophagozytische Lymphohistiozytose bei kritisch kranken Patienten. Med Klin Intensivmed Notfmed 116: 129–134.
  2. Fishman JA et al. (2019) Inflammatory and infectious syndromes associated with cancer immunotherapies. Clin Infect Dis 69:909–920.
  3. Henter JI et al. (2006) Cytotoxic therapy for severe avian influenza A (H5N1) infection. Lancet 367:870–873.
  4. Henter JI et al. (2007) HLH-2004: Diagnostic and therapeutic guidelines for hemophagocytic lymphohistiocytosis. Pediatr Blood Cancer48:124–131.
  5. Horby P et al. (2020) Dexamethasone in hospitalized patients with Covid-19—preliminary report. N Engl J Med doi: 10.1056/NEJMoa2021436.
  6. Knaak C et al. (2020) Treatment and mortality of hemophagocytic lymphohistiocytosis in adult critically ill patients: a systematic review with pooled analysis. Crit Care Med doi: 10.1097/CCM.0000000000004581.
  7. Knaak C et al. (2020) Hemophagocytic lymphohistiocytosis in critically ill patients. Shock 53:701–709.
  8. Zhang Q et al. (2020) A pilot study of ruxolitinib as a front-line therapy for 12 children with secondary hemophagocytic lymphohistiocytosis. Haematologica doi: 10.3324/haematol.2020.253781.
  9. Zhou S et al. (2018) Biological therapy of traditional therapy-resistant adult-onset still’s disease: an evidence-based review. Ther Clin Risk Manag 14:167–171.

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