Hämolytische Transfusionsreaktionen T80.9

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 11.10.2023

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Erstbeschreiber

Die erste Bluttransfusion von Mensch zu Mensch führte 1825 James Blundell zwischen einer postpartal unter starken Blutungen leidenden Gebärenden und dem Kindsvater durch, weshalb man Blundell auch als „Vater der modernen Bluttransfusion“ bezeichnet (Türkmen- Uthayanan 2022).

Erst im Jahre 1901 wurden von Karl Landsteiner die AB0- Blutgruppen entdeckt und nur 3 Jahre später entdeckte er die Antikörper, die wir heute als Anti- A und Anti- B bezeichnen (Owen 2000).

Definition

Unter einer hämolytischen Transfusionsreaktion (HTR) versteht man eine unerwartete Reaktion auf die Transfusion labiler Blutprodukte (Schoenenberger 2009). Es kommt dabei zu einer immunologischen Antikörperreaktion (Hämolyse) auf nicht kompatible Erythrozyten des Spenders (Schaps 2008). 

Einteilung

Die hämolytische Transfusionsreaktion (HTR) zählt zu den transfusionsbedingten unerwünschten Ereignissen (TRAE). (Jhaveri 2022).

 

Man differenziert bei der HTR zwischen einer:

- Hämolytischen Sofortreaktion (AHTR)

Zu dieser kommt es in den überwiegenden Fällen durch eine Verwechslung von Blutkonserve und Empfänger hinsichtlich des AB=- Systems (Herold 2022).

 

- Verzögerten hämolytischen Reaktion (DHTR)

Die verzögerte Reaktion tritt bei Patienten auf, die eine Empfindlichkeit gegenüber Erythrozyten- Alloantigenen aufweisen (Kasper 2015). 

Die Reaktion selbst tritt eine bis zu mehrere Wochen nach der Transfusion auf. Hierzu kommt es durch ein großes Spektrum an Antikörpern, deren AK- Titer jedoch zum Zeitpunkt der Transfusion bereits unterhalb der Nachweisgrenze liegt (Herold 2022).

Ätiopathogenese

Ursache einer HTR können sein:

- Präformierende erythrozytäre Antikörper bei der Sofortreaktion

- Prinzipiell jeder Antikörper bei der verzögerten Form (Herold 2022)

Pathophysiologie

Hämolytische Sofortreaktion

Bei einer hämolytischen Sofortreaktion kommt es zu einer Aktivierung des Komplementsystems noch während oder unmittelbar nach der Transfusion (Herold 2022).

In dem Fall, dass serologisch inkompatible Blutprodukte – in der überwiegenden Zahl AB0- Inkompatibilität - verabreicht werden, kommt es beim Empfänger zu einem beschleunigten Abbau von Erythrozyten. Ausgelöst wird diese Hämolyse durch:

- Antikörper des Empfängers gegen die transfundierten Erythrozyten, sog. „Major Inkompatibilität“ (Schoenenberger 2009). Hierbei bilden die Isoagglutinine Anti- A und Anti- B vom IgM Typ rasch Antigen Antikörper- Komplexe mit den transfundierten Erythrozyten. Durch den Zellzerfall wird ein Gewebefaktor, der sog.  „tissue factor“ aktiviert. Dieser bewirkt eine Hämolyse und kann dadurch eine akute disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) auslösen (Rump 2003).

- Antikörper im zu transfundierenden Plasma gegen Antigene der Erythrozyten des Empfängers, sog. „Minor Inkompatibilität“ (Schoenenberger 2009)

 

Verzögerte hämolytische Reaktion

Hierbei bilden sich IgG- Antikörper beim Empfänger. Diese führen zu einer Destruktion der Erythrozyten. Möglicherweise wird die verzögerte HTR erst bei der Phagozytose der Antikörper- besetzten Erythrozyten ausgelöst (Rump 2003).

Klinisches Bild

Grundsätzlich ist zu beachten, dass narkotisierte Patienten deutlich weniger Symptome zeigen. Bei ihnen können folgende Veränderungen auf eine HTR hinweisen:

- Hypotension

- Blutungsneigung

- Tachykardie (Rump 2003)

 

Hämolytische Sofortreaktion (AHTR)

Bereits nach einer Transfusion von 5 ml inkompatiblen Blutes können Reaktionen auftreten. Schwere Verläufe werden i. d. R. erst ab einer Menge von > als 200 ml gesehen (Herold 2022). Folgende Symptome sind bei einer Sofortreaktion beschrieben:

- Schüttelfrost

- Fieber

- Schweißausbruch

- Dyspnoe

- Blutdruckabfall

- Übelkeit und Erbrechen

- Kopf und Rückenschmerzen (Herold 2022)

- Hauterythem (Schoenenberger 2009)

- Urtikaria

- Pruritus

- Ikterus (erst nach Stunden auftretend [Schoenenberger 2009])

- Hämoglobinurie (Herold 2022)

 

Hinweise auf eine schwere Komplikation sind:

- Oligurie

- Anurie

- Lungenödem

- Kreislaufschock (Schoenenberger 2009)

 

Verzögerte hämolytische Reaktion (DHTR)

- Hb Abfall

- Leichter Ikterus

- Fieber (Herold 2022)

- Hämoglobinurie (Rump 2003).

Diagnostik

Die Diagnose einer HTR wird durch Anamnese, klinische Symptome und eine serologische Diagnostik gestellt (Herold 2022).

 

Notfall- Anamnese

Welches Blutprodukt wo und wann transfundiert?

Früher stattgefundene Transfusionen?

Anamnestisch bekannte Reaktionen auf eine Transfusion?

Bekannte Allergien?

Bei Frauen Frage nach etwaiger Schwangerschaft, Aborte bzw. Morbus haemolyticus neonatorum (Schoenenberger 2009)

 

Inspektion

Hierbei sollte insbesondere geachtet werden auf:

Urtikaria, Exantheme, Zyanose, Halsvenenstau, kalte Extremitäten (Schoenenberger 2009)

Bildgebung

Röntgen Thorax

Im Röntgen- Thoraxbild lassen sich eventuell eine transfusionsassoziierte Lungeninsuffizienz bzw. ein Lungenödem erkennen (Schoenenberger 2009)

Labor

- Freies Hämoglobin im Urin und Plasma bereits bei der ersten Miktion nachweisbar (Schoenenberger 2009)

- auf Grund intravasaler Hämolyse durch Komplementaktivierung kommt es zu einem Anstieg von

       - LDH

       - Indirektes Bilirubin

- Abfall von

       - Haptoglobin

       - Hämopexin (erst dann, wenn Haptoglobin nicht mehr messbar ist)

- Fehlender Anstieg von

       - Erythrozyten

       - Hämoglobin

       - Hämatokrit (Herold 2022)

- Blutkulturen  

- BGA

- Gerinnungsstatus (Schoenenberger 2009)

 

Es sollten bei Vorliegen einer HTR insbesondere überwacht werden:

- Prothrombinzeit (PTZ)

- Fibrinogen

- Aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT)

- Thrombozytenzahl (Kasper 2015)

 

Hämolytische Sofortreaktion:

Die eine Sofortreaktion auslösenden präformierten erythrozytären AK können durch einen indirekten Coombs Test nachgewiesen werden. Dieser Antikörpersuchtest ist deshalb Vorschrift bei einer Blutgruppenbestimmung und muss in regelmäßigen Abständen bei Transfusionsbedarf wiederholt werden (Herold 2022).

 

Verzögerte hämolytische Reaktion:

Durch einen Antikörpersuchtest lassen sich diese Antikörper nicht nachweisen, da die Immunisierung bereits vor längerer Zeit erfolgte bzw. der Antikörper- Titer inzwischen unterhalb der Nachweisgrenze liegt. Im Prinzip kann jeder Antikörper diese Reaktion hervorrufen, in erster Linie handelt es sich hierbei um AK gegen Duffy-, Kell- und Kidd- Antigene (Herold 2022).

Der direkte Coombs- Test ist bei der überwiegenden Anzahl der Betroffen positiv (Rump 2003).

Differentialdiagnose

Nicht hämolytische Transfusionsreaktionen wie z. B.

- Fieber durch Pyrogene in der Blutkonserve

- Septische Reaktion durch Kontamination der Konserve mit Bakterien

- Transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (TRALI) mit Dyspnoe und Lungenödem

- Allergische Transfusionsreaktion mit Bildung von Antikörpern gegen HLA- Antigene der Leukozyten oder gegen Bestandteile des Plasmas (Herold 2022)

Komplikation(en)

Hämolytische Sofortreaktion

Komplikationen einer Sofortreaktion können sein:

- Akutes Nierenversagen durch die Immunkomplexe, die zur Lyse der Erythrozyten geführt haben (Kasper 2015)

- DIC (disseminierte intravasale Gerinnung)

- Schock (Herold 2022)

- Kreislaufstillstand (Rump 2003).

 

Verzögerte hämolytische Reaktion

Komplikationen einer verzögerten hämolytischen Reaktion können sein:

- Nierenversagen, allerdings nur selten auftretend (Rump 2003)

Therapie

Hämolytische Sofortreaktion

- Die Transfusion ist bei V. a. eine HTR sofort zu stoppen.

- Der venöse Zugang ist für weitere therapeutische Maßnahmen zu erhalten

- Der C5 Antikörper Eculizumab sollte als Therapieversuch bei AB0 inkompatibler Transfusion so rasch wie möglich verabreicht werden, da dieser zu einer terminalen Komplementblockade führt

- Überwachung der Vitalfunktionen (Herold 2022)

- Antiallergische Therapie mit H1 Antihistaminika wie z. B. Clemastin 2 mg i. v.

- Bei Vorliegen eines SIRS (systemic inflammatory response syndrom) zusätzlich auch noch Hydrocortison 100 mg i. v. (Schoenenberger 2009)

Dialyse, falls es zu einem akuten Nierenversagen kommt

- Einleitung einer Narkose, da sowohl die hämolytische TR als auch die nicht hämolytische TR im narkotisierten Zustand leichter verlaufen (Herold 2022)

- Gabe von Furosemid bzw. Mannitol (Kasper 2015) zusammen mit Natriumbikarbonat i. v. zur Steigerung der Diurese ( > 100 ml / h [Schoenenberger 2009]).

 

Die Konserve selbst sollte steril abgeklemmt und samt Patienten- Blutproben sowie dem Protokoll der Transfusionsreaktion zur serologischen Diagnostik verschickt werden (Herold 2022).

 

Verzögerte hämolytische Reaktion

Im Regelfall ist hierbei keine spezifische Therapie erforderlich (Kasper 2015). Bei schweren Verläufen sollte ein intensivmedizinisches Vorgehen wie bei einer akuten HTR erfolgen (Rump 2003).

Verlauf/Prognose

Hämolytische Sofortreaktion

Es sind ca. 90 % aller Todesfälle bei einer HTR auf eine Sofortreaktion zurückzuführen. In bis zu 70 % der Todesfälle besteht eine AB0- Inkompatibilität vor (Herold 2022).

Einer von 250.000 transfundierten Patienten stirbt in den USA (in Deutschland dürften die Zahlen ähnlich sein) an den Folgen einer AB0- Kompatibilität und ca. 40 % der Todesfälle in Folge einer Erythrozytentransfusion versterben nach einer akuten HTR (Rump 2003).

In einer fast 3 ½ jährigen Studie von Caspari et al. aus dem Jahre 2001 zeigte sich, dass bei 13 von 30 an einer HTR erkrankten Patienten kein Bedside- AB0- Test zuvor erfolgte und dieser bei 14 von 30 Patienten fehlerhaft durchgeführt wurde (Rump 2003).

 

Verzögerte hämolytische Reaktion

Es werden ca. 10 % aller tödlich verlaufenden HTR durch eine verzögerte Reaktion ausgelöst (Rump 2003).

Prophylaxe

Hämolytische Sofortreaktion

Zur Verhinderung einer Sofortreaktion werden empfohlen:

- Korrekte Bestimmung der Blutgruppe

- Antikörpersuchtest vor der Bereitstellung einer Transfusion

- Sachgemäße Lagerung der Konserve sicherstellen

- Der Majortest ist hierbei obligat, der Minortest fakultativ

- Auf Verfalldatum und Unversehrtheit der Konserve achten

- Direkt vor der Transfusion den sog. „Bedside Test“ (auch bei Transfusion von Eigenblut) durchführen. Dieser Test ist gesetzlich vorgeschrieben.

- Blutkonserve erst nach negativem Ergebnis der Kreuzprobe zur Transfusion freigeben

- Keinerlei Infusionen oder Injektionen zusammen mit der Transfusion durchführen (einzige Ausnahme: isotone Kochsalzlösung).

- Erstellung eines Transfusionsprotokolls (Herold 2022)

 

Verzögerte hämolytische Reaktion

Die Prävention einer verzögerten Reaktion hat sich als schwierig erwiesen. Hierbei sind die Dokumentation aller Antikörper im Notfallausweis und die Beachtung anamnestischer Angaben wichtig (Herold 2022).

Hinweis(e)

Eine hämolytische Sofortreaktion (AHTR) ist prinzipiell vermeidbar (Rump 2003).

Unerwartete Transfusionsreaktionen sind umgehend dem Transfusionsverantwortlichen der jeweiligen Einrichtung, dem Hersteller der Blutprodukte und ggf. der Staatsanwaltschaft zu melden (Rump 2003).

Sofern nach einer Transfusionsreaktion weitere Transfusionen medizinisch erforderlich sein sollten, ist hierbei zunächst Rücksprache mit einem Transfusionsspezialisten zu halten, um das weitere Vorgehen mit diesem abzustimmen (Schoenenberger 2009).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag 53 – 55
  2. Jhaveri P, Bozkurt S, Moyal A, Belov A, Anderson S, Shan H, Whitaker B, Hernandez- Boussard T (2022) Analyzing real world data of blood transfusion adverse events: Opportunities and challenges. Transfusion. 62 (5) 1019 - 1026
  3. Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 138- e1 138- e5
  4. Owen R (2000) Karl Landsteiner and the first human marker locus. Genetics 155 (3) 995 – 998
  5. Rump G, Braun R, Jahn U R, Krabowitzky P, Sibrowski W, van Aken H (2003) Transfusionsmedizin compact. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 146 – 148
  6. Schaps K P, Kessler O, Fetzner U (2008) GK2 Das zweite kompakt: Allgemeinmedizin – Anästhesie und Intensivmedizin – Arbeits- und Sozialmedizin – Rechtsmedizin. Springer Medizin- Verlag Heidelberg 68
  7. Schoenenberger R A, Haefeli W E, Schifferli J A  (2009) Internistische Notfälle: Sicher durch die Akutsituation und die nachfolgenden 48 Stunden. Georg Thieme Verlag 237 - 239
  8. Türkmen- Uthayanan (2022) Die anti- erythrozytäre Alloimmunisierung bei Neugeborenen und Kleinkindern. Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Medizin des Fachbereichs Humanmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen

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Zuletzt aktualisiert am: 11.10.2023