Gallengangsatresie Q44.2

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 29.05.2023

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Synonym(e)

Biliäre Atresie

Erstbeschreiber

Die Gallengangsatresie wurde erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach histopathologischen Studien an Kindern beschrieben, die an einer Lebererkrankung verstarben.

In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden therapeutisch zwei wichtige Fortschritte gemacht:

- Hepatische Portoenterostomie nach Kasai im Jahre 1959 (Lentze 2003)

Hierbei erfolgt zunächst die Entfernung des extrahepatischen Gallensystems, das dann durch eine Darmschleife, die sog. Roux- en- Y- Anastomose ersetzt wird, die direkt mit dem Portalbereich der Leber verbunden ist.

- Lebertransplantation (Bezerra 2018)

Diese wurde zuerst als Pionierarbeit 1963 von Starzl in Denver durchgeführt. In Deutschland erfolgte die erste Lebertransplantation 1969 durch Gütgemann et al. in Bonn (Ghadimi 2022).

Definition

Unter einer Gallengangsatresie versteht man eine hereditäre Form der Cholangiopathie, die sowohl extra- als auch intrahepatische Gallengänge betreffen kann (Lendahl 2021).

 

Einteilung

Die Gallengangsatresie (BA) stellt die häufigste Cholangiopathie mit klinischer Relevanz dar (Kasper 2015).

Eingeteilt wird die BA nach Kasai in eine:

  • I. Extrahepatische Gallengangsatresie:
    • Typ I: Ductus choledochus betroffen
    • Typ II: Ductus hepaticus communis betroffen
    • Typ III: Ductus hepatici betroffen
  • II. Intrahepatische Gallengangsatresie
  • III. Gallenganghypoplasien (Herold 2022)

 

Die Einteilung nach Desmet umfasst folgende klinische Formen der Gallengangsatresie:

  • Fetaler oder embryonaler Typ:

Hierbei findet sich eine frühe neonatale Cholestase mit kontinuierlichem Übergang des physiologischen Neugeborenenikterus. Gallengangresiduen im Ligamentum hepatoduodenale bestehen nicht. Bei 10 – 20 % de Fälle finden sich assoziierende Fehlbildungen. Der fetale Typ tritt bei ca. 35 % der Patienten mit BA auf (Lentze 2003).

  • Perinataler Typ:

Dieser ist durch eine Late- onset- Cholestase gekennzeichnet. Nach Abklingen des Neugeborenenikterus kommt es zu einem ikterusfreien Intervall. Die Cholestase tritt nach 10 – 21 Tagen post partum auf. Es bestehen Gallengangresiduen im Ligamentum hepatoduodenale, assoziierende Fehlbildungen hingegen finden sich hierbei nicht. Den perinatalen Typ findet man bei ca. 65 % der Patienten mit BA (Lentze 2003).

 

Es sind außerdem folgende anatomische Varianten der BA beschrieben:

  • Typische BA (ca. 80 %)
  • BA mit zystischer Erweiterung des Gallengangs (bei ca. 5 – 10 %)
  • BA mit zusätzlichen assoziierten Fehlbildungen wie z. B. angeborene Herz-, Harn- oder Magen- Darm- Erkrankungen, Lateralisationsfehlern (bei ca. 5 – 15 %)

(Bezerra 2018)

 

Vorkommen/Epidemiologie

Die Inzidenz liegt in Europa bei 5 – 25 : 100.000 Lebendgeburten. In Asien, Taiwan und Japan ist sie mit 100 – 500 : 100.000 Lebendgeburten deutlich höher (Lendahl 2021).

Bei weiblichen Neugeborenen findet sich eine BA geringfügig häufiger als bei männlichen Neugeborenen (Bezerra 2018).

 

Ätiopathogenese

Es werden genetische Faktoren, immunologische Prozesse und Infektionen des Gallengangsystems als Ursache vermutet (Lentze 2003), ebenso eventuelle Expositionen mit Hepatotoxinen (Lendahl 2021).

Die Genetik der BA ist komplex, zumal die meisten genetischen Formen nicht syndromal auftreten Lendahl 2021). Die genetische Komponente scheint nur gelegentlich eine Rolle zu spielen, da familiäre Fälle nur selten gefunden werden und selbst bei eineiigen Zwillingen eine Diskrepanz der Erkrankung vorliegt (Bezerra 2018).

Bei der Virusexposition spielen intrauterine Infektionen mit z. B. dem Zytomegalievirus, humanen Papillomavirus, Epstein- Barr- Virus eine Rolle. Bei der Hepatotoxin- Exposition im fötalen Stadium kann z. B. das Pflanzentoxin Biliatreson eine Rolle spielen (Lendahl 2021).

Pathophysiologie

Die Pathogenese der BA ist bislang nicht bekannt (Bezerra 2018).

Klinisches Bild

Die BA macht sich bereits frühzeitig im Säuglingsalter klinisch bemerkbar durch:

- schweren obstruktiven Ikterus

- Absetzen blasser Stühle (Kasper 2015)

- dunkle Verfärbung des Urins (Bezerra 2018)

Diagnostik

Die Verdachtsdiagnose wird klinisch, laborchemisch und bildgebend erstellt und eventuell durch eine chirurgische Exploration und intraoperative Cholangiographie bestätigt (Kasper 2015). Allerdings erfolgt die Diagnosestellung i. d. R. erst zwischen der 6. - 12. Lebenswoche (Bezerra 2018).

Um dies zu beschleunigen, führt man in den USA ein Neugeborenenscreening auf direktes und konjugiertes Bilirubin durch, das einen vielversprechenden Ansatz zeigt (Harpavat 2020).

In manchen Ländern ist inzwischen ein universelles Stuhlscreening der Stuhlfarbe von Säuglingen eingeführt worden, um Fälle von BA frühzeitig erkennen zu können (Lendahl 2021).

Ebenso scheint der Nachweis des Biomarkers MMP7 im Blut laut (He 2021) mit jeweils 95 % eine hohe Sensitivität und Spezifität zu haben.

Bildgebung

- Sonographie

- Magnetresonanz- Cholangiographie (MCR)

- Intraoperative Cholangiographie (Herold 2022)

- DECT- Untersuchung:

Shang (2020) empfiehlt eine präoperative DECT- Untersuchung, um die venösen und arteriellen Lebergefäße bildlich darzustellen.

 

Histologie

In der Leber von Patienten mit BA sind intrazellulär Beta- Amyloid- Ablagerungen nachweisbar. Bei anderen Erkrankungen mit Beta- Amyloid- Ablagerungen wie z. B. M. Alzheimer, zerebrale Amyloid- Angiopathie [CAA] finden sich diese Ablagerungen extrazellulär (Lendahl 2021).

Operative Therapie

Bei ca. 10 % der Betroffenen kann eine Roux- en- Y- Choledochojejunostomie therapeutisch angewandt werden (HPE [Bezerra 2018]), das sog. Kasai- Verfahren, eine hepatische Portoenterostomie, um den Gallenabfluss wieder herzustellen (Herold 2022).

Der Erfolg der Operation hängt vom Alter der Kinder ab. Die besten Ergebnisse mit 60 – 80 % Wiederherstellung des Gallenflusses werden erzielt, wenn die Operation zwischen dem 30. und 45. Lebenstag erfolgt (Bezerra 2018).

Die überwiegende Zahl der Patienten, die eine HPE erhalten haben, entwickeln im Laufe der Jahre aber eine chronische Cholangitis mit ausgedehnter Leberfibrose und portaler Hypertension (Kasper 2015), so dass letztlich eine Lebertransplantation bzw. die Lebersegmenttransplantation von Verwandten erforderlich werden (Herold 2022).

Bei mindestens der Hälfte der voroperierten Kinder wird vor dem 2. Lebensjahr die Lebertransplantation erforderlich und > 75 % benötigen die Transplantation vor dem 20 Lebensjahr (Bezerra 2018).

 

Bei Kindern ist die BA sie häufigste Ursache für eine Lebertransplantation (Kasper 2015).

Verlauf/Prognose

Die Prognose ist ohne eine Tansplantation ungünstig (Herold 2022).

Nach erfolgter Transplantation schränkt die lebenslange Immunsuppression die Lebensqualität der Betroffenen ein (Lendahl 2021).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

 

  1. Bezerra J A, Wells R, Mack C, Karpen S J, Hoofnagle J H, Doo E, Sokol R J (2018) Biliary Atresia: Clinical and Research Challenges for the Twenty-First Century. Hepatology 68 (3) 1163 – 1173
  2. Ghadimi M, Kalff J C (2022) Allgemein- und Viszeralchirurgie: Spezielle operative Techniken. Elsevier Urban und Fischer Verlag Deutschland 488
  3. Harpavat S et al. (2020) Gallengangsatresie: Wie gut funktioniert das Neugeborenen- Bilirubinscreening? Neonatologie Scan 09 (03) 199 - 200
  4. He L, Ip D K M, Lui V C H, Tam P K H, Chung P H Y (2021) Biomarkers for the diagnosis and post-Kasai portoenterostomy prognosis of biliary atresia: a systematic review and meta-analysis. Scientific Reports 11, 11692 https://doi.org/10.1038/s41598-021-91072-y
  5. Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag 564
  6. Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 2068, 2083
  7. Lendahl U, Lui V C H, Chung P H Y, Tam P K H (2021) Biliary Atresia - emerging diagnostic and therapy opportunities. EbioMedicine 74: 103689. doi: 10.1016/j.ebiom.2021.103689.
  8. Lentze M J , Schaub J, Schulte F J, Spranger J (2003) Pädiatrie: Grundlagen und Praxis. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 1189
  9. Shang S, Cao Q, Han X et al. DECT- Untersuchungen bei Kindern mit cholestatischer Lebererkrankung. Rofo 192 (11) 1019 - 1020

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