Acrodermatitis chronica atrophicans L90.4

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

Co-Autor: Dr. med. Fabian Müller

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Zuletzt aktualisiert am: 07.04.2023

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Synonym(e)

Akrodermatitis chronica atrophicans; Chronic cutaneous borreliosis; Dermatitis atrophicans chronica progressiva; Dermatitis atrophicans diffusa progressiva idiopathica Oppenheim; Herxheimer M.; Lyme Borreliose; Lyme-Borreliose; Lyme borreliosis; Lyme disease; Morbus Herxheimer; Pick-Herxheimer-Krankheit; Taylorsche Krankheit

Erstbeschreiber

Taylor, 1875; Buchwald, 1883; Pick, 1895; Hartmann u. Herxheimer, 1902

Definition

Durch eine Infektion mit Borrelien hervorgerufene, eminent chronische, zu ausgeprägter Hautatrophie (Zigarettenpapierphänomen) mit flächenhaften lividroten Erythemen an Rumpf und Extremitäten führende (bakterielle) Erkrankung.

Erreger

Insbesondere durch Borrelia afzelii ausgelöst.

Vorkommen/Epidemiologie

Inzidenz (Europa): etwa 10/100.000 Einwohner/Jahr. Gehäuft in Borrelien-Endemiegebieten, insbes. in einigen waldreichen Gegenden Österreichs, Polens und Osteuropas.   

Die Acrodermatitis chronica atrophicans ist in Nordamerika äußerst selten (Erreger ist B. afzelii, der in Amerika nicht verbreitet ist).

Manifestation

Bei etwa 10% der (unbehandelten) Lyme-Borrelien-Infektionen kommt es zur Ausbildung einer atrophisierenden chronischen Borreliose unter dem Bild der Acrodermatitis chronica atrophicans.

Auftreten ist in jedem Lebensalter möglich, v.a. 5.-6. Lebensjahrzehnt; Frauen sind bevorzugt betroffen (Strle F et al. 2013).

Auftreten meist Monate bis Jahre nach der Infektion (Stadium 3 der Lyme-Borreliose).

Lokalisation

Distale Extremitäten (Strle F et al. 2013) und Akren, häufig symmetrisch.

Klinisches Bild

Infiltratives(ödematöses) Stadium: Monate bis Jahre nach dem Primärstadium bilden sich umschriebene, eher diskrete, bei Erstdiagnose (wenn sie als Borrelieninfektion erkannt werden) handtellergroße , wenig scharf begrenzte, nicht symptomatische, bäunlich-rote, sukkulente, nicht schuppende Erytheme und Plaques. Diese werden an der unteren Extremität häufig  als "chronische Veneninsuffizienz" fehlgedeutet. Unbehandelt breiten sich die Läsionen  allmählich zu großflächigen, häufig einen ganzen Körperteil erfassende, ödematöse, unscharf begrenzte, kaum Beschwerden verursachende, lividrote Plaques mit einer glänzenden Oberfläche aus. 

Atrophisches Stadium: nach monatelangem Bestand kaum merklicher Übergang in ein, eigenartig glänzendes, ausgedünntes, haarloses (Follikel werden zerstört), atrophisches Hautstadium. Auffällig (und namensgebend) ist eine knittrige Fältelung der braun-rot verfärbten Haut, mit deutlich durchscheinenden Gefäßen. Die oberflächlichen Venen ziehen unter dieser atropischen Haut, als seltsam aufgesetzte gewundene Stränge wie man sie ansonsten nur in der welken Haut sehr alter Menschen vorfindet. Häufig ist eine Allodynie, eine übersteigerte brennende Schmerzreaktion auf banale Reizeinwirkungen.  

Morphea-artige Acrodermatitis chronica atrophicans: bei dieser besonderen und seltenen Variante kommtes nicht zu dem charakteristischen Atrophiezsutand der Acrodermatitis atrophicans, sondern zu einer reaktiven "Morphea-artigen" Sklerosierung der Haut. Deratige Veränderungen können am Rumpf, aber auch an den distalen Extermitäten auftreten (Unterschenkel und Fußrücken). Insbesondere am Rumpf sind dieser Herde schwierig von dem Plaque-Typ der Morphea zu unterscheiden (Histologie mit plasmazelliger Dominanz, positive Borrelien-Serologie).      

Fakultative Begleiterscheinungen: 

Es gehört zu unerklärlichen Besonderheiten dieser Erkrankung, dass sie neben der das klinische Bild prägenden, flächenhaften Atrophie von Haut und Subkutis (in unbehandeltem Zustand) fokale bindegewebige Wucherungen, sog. fibroide juxtaartikuläre Knoten, ausbilden. Hierbei handelt es sich um bis walnussgroße, evtl. verkalkende Knoten, v.a. über den Ellbogen.

Weiterhin:

Acrodermatitis chronica atrophicans: 69jährige Frau. Seit 4 Monaten rechter Unterschenkel flächig...

Labor

Starke Erhöhung der gamma-Globuline und BSG durch Stimulation des B-Lymphozyten-Systems mit Ausreifung von Plasmazellen. Hohe Antikörpertiter gegen Borrelienantigene (IgG).

Histologie

Entzündlich-ödematöses Stadium: Epithel wenig verbreitert, Orthokeratose. Ödem der Dermis mit Gefäßerweiterungen. Charakteristisch sind interstitielle granulomatöse Infiltrate (CD68 positiv), mit eingentümlich verdickten und homogenisierten Kollagenbündeln, sowie einem bandartigen Infiltrat aus CD4 positiven T-Lymphozyten. Stellenweise vakuolige Degeneration der Basalzellschicht. Plasmazellen sind nicht immer nachweisbar. In einer größeren Studie (Brandt FC et al. 2017) fehlten Plasmazellen bei 9 of 22 Biospien. Bevorzugt wird B. afzelii, Serotyp 2 nachgewiesen.

Atrophisches Stadium: Epidermisatrophie mit kompakter Orthokeratose; zunehmender Verlust der elastischen Fasern. Eher spärliches, diffuses entzündliches Infiltrat aus Lymphozyten und Plasmazellen. 

Differentialdiagnose

  • Klinische Differenzialdiagnosen:
  • Histologische Differenzialdiagnosen:
    • Lichen planus: markante Interface-Dermatitis mit ausgeprägter Vakuolisierung der basalen Keratinozyten; keine Plasmazellen.
    • Lichenoide Arzneireaktion: meist deutliches dermales Ödem; häufig Eosinophilie, keine Plasmazellen.
    • Mycosis fungoides: typische Halobildung um polymorphe Lymphozyten, kaum Plasmazellen, markante Epidermotropie mit vakoulisierten Epidermiszellen; Eosinophilie ist möglich.
    • PLEVA: keine Histiozyten, keine Plasmazellen.
    • Syphilitische Exantheme: Interface-Dermatitis mit großer Infiltratdichte, psoriasiforme Epidermisreaktion, zahlreiche Plasmazellen.
    • Atrophodermia idiopathica et progressiva: eher schütteres, lympho-histiozytäres Infiltrat, verplumpte Kollagenfaserbündel in der tiefen Dermis; atrophisches, hyperpigmentiertes Oberflächenepithel.

Interne Therapie

Therapie der 1. Wahl ist Ceftriaxon (z.B. Rocephin) auch bei begleitenden extrakutanen Manifestationen wie Arthritiden oder ZNS-Beteiligung (s. Tab. 1). Die antibiotischen Zyklen sollten je nach Klinik in 3-monatigen Abständen wiederholt werden und aufgrund der Generationszeiten 21 -28 Tage dauern.

Erwachsene erhalten Ceftriaxon 1mal/Tag 2 g i.v., bei schweren, therapierefraktären Fällen bis zu 4 g/Tag über 3 Wochen. Kinder erhalten 1mal/Tag 50 mg/kg KG bis zur Höchstdosis von 2 g/Tag über 21Tage. Bei Früh- und Neugeborenen bis zu 2 Wochen Dosen von 50 mg/Tag/kg KG nicht überschreiten.

Die Therapiedauer richtet sich nach dem klinischen Befund, ggf. müssen die Zyklen wiederholt werden. 

Antikörpertiterkontrollen sind für den Verlauf des Heilungsprozesses nur bedingt aussagefähig. Allerdings ist unter einer suffizienten Therapie ein Titerabfall zu verzeichnen. Atrophien sind nicht reversibel.

Tabellen

Therapieoptionen der Acrodermatitis chronica atrophicans

 

1. Wahl

Alternativ

Erwachsene

Ceftriaxon 1mal/Tag 2 g i.v. über 21 - 28 Tage

alternativ: Cephalosporin der III.Gen. (Cefotaxim) 3x2g i.v. über 21-28 Tage 

Doxycyclin 2mal/Tag 100 mg p.o. über 21-28 Tage oder Tetracycline 2 g/Tag p.o. über 21 Tage

Kinder/Schwangerschaft (Gefahr der diaplazentaren Übertragung!)

Amoxicillin 50 mg/kg KG/Tag p.o. (2-3mal/Tag 500 mg/Tag p.o.) oder Cefuroxim Saft 20-30 mg/kg KG/Tag über 21Tage

Erythromycin 3-4mal/Tag 500 mg p.o. oder i.v. über 21 Tage

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Abele DC, Anders KH (1990) The many faces and phases of borreliosis II. J Am Acad Dermatol 23: 401–410
  2. Brandt FC et al. (2015) Histopathology and immunophenotype of acrodermatitis chronica atrophicans correlated with ospA and ospC genotypes of Borrelia species. J Cutan Pathol 42:674-692. 
  3. Brzonova I et al. (2002) Acrodermatitis chronica atrophicans affecting all four limbs in an 11-year-old girl. Br J Dermatol 147: 375-378
  4. Buchwald A (1883) Ein Fall von diffuser idiopathischer Haut-Atrophie. Viertlj Schr Derm 10: 553-556
  5. Herxheimer K, Hartmann K (1902) Über Akrodermatitis chronica atrophicans. Arch Derm Syph 61: 57–76
  6. Hofmann et al.: S2k-Leitlinie Kutane Lyme-Borreliose. Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Stand März 2016, 6.3 Kutane Spätmanifestationen. abgerufen am: 17.November 2019.
  7. Leslie TA et al. (1994) Acrodermatitis chronica atrophicans - a case report and review of the literature. Br J Derm 131: 687–693
  8. Lunemann JD et al. (2003) Heterogeneity of Borrelia burgdorferi: etiopathogenetic relevance and clinical implications. Z Rheumatol 62: 148-154
  9. Moreno C et al. (2003) Interstitial granulomatous dermatitis with histiocytic pseudorosettes: a new histopathologic pattern in cutaneous borreliosis. Detection of Borrelia burgdorferi DNA sequences by a highly sensitive PCR-ELISA. J Am Acad Dermatol 48: 376-384
  10. Pick PJ (1900) Erythromelie. In: Festschrift Kaposi, Wien, S. 915
  11. Stinco G et al.(2014) Clinical features of 705 Borrelia burgdorferi seropositive patients in an endemic area of northern Italy. ScientificWorldJournal doi:10.1155/2014/414505.
  12. Strle F et al. (2013) Gender disparity between cutaneous and non-cutaneous manifestations of Lyme
    borreliosis.PLoS One 8:e64110.
  13. Taylor RW (1875) On a rare case of idiopathic localized or partial atrophy of the skin. Arch Dermatol 2: 114-121

Disclaimer

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