21.11.2022

Wer denkt schon beim Melanom an Nachtblindheit?

Nach meinem Ausflug in die italienische Politik, der bemerkenswerterweise nicht bei allen Lesern eine ungeteilte Zustimmung fand, hatte ich in den letzten Wochen die Zeit und Muße, die „kutanen paraneoplastischen Syndrome“ für die „Altmeyers Enzyklopädie"“ zu bearbeiten...

Nach meinem Ausflug in die italienische Politik, der bemerkenswerterweise nicht bei allen Lesern eine ungeteilte Zustimmung fand, hatte ich in den letzten Wochen die Zeit und Muße, die „kutanen paraneoplastischen Syndrome“ für die „Altmeyers Enzyklopädie"“ zu bearbeiten. Dabei stolperte ich unmittelbar über das Melanom und eine assoziierte, akut aufgetretene Nachtblindheit. Nachtblindheit als paraneoplastisches Syndrom?

Grund genug, mich mit dieser Syndromgruppe zu beschäftigen, die uns so drastisch die Bedeutung der Haut als systemisch inkludiertes Organ vor Augen führt. Die Gruppe der Paraneoplasien bildet ein praktisch wichtiges, zugegebenermaßen aber auch durch seine Diversität unübersichtliches und schwieriges dermatologisches Kapitel. Ich will jedoch klarstellen, dass die Erkennung von paraneoplastischen kutanen Syndromen von großer klinischer Relevanz für Arzt und Patienten ist. Das frühzeitige Erfassen der Symptome und der Zusammenhänge kann schließlich für den Betroffenen lebensrettend sein.
Der unschätzbare Vorteil, den wir als Dermatologen dabei genießen, resultiert aus dem kurzen Weg zur Diagnose. Wir können höchst unkompliziert ein blickdiagnostisches Auge auf ein kutanes paraneoplastisches Syndrom werfen und ad hoc eine Diagnose stellen bzw. eine Therapie einleiten. Voraussetzung ist allerdings, dass die Zusammenhänge als solche bekannt sind. Allein diese wichtige Perspektive lohnt, sich intensiv mit paraneoplastischen Syndromen der Haut zu beschäftigen.

Der Begriff „Paraneoplasie“, von griech. para - neben; neo - neu; plastein – bilden, wurde erstmals 1949 von den französischen Ärzten Guichard und Vignon genutzt, um auf multiple sensorische Störungen bei einer Patientin mit einem Zervix-Karzinom aufmerksam zu machen. In den letzten Jahrzehnten wurden dann in vielen Fachgebieten paraneoplastische Konstellationen aufgedeckt. Durch die Zusammenschau dieser klinischen Zusammenhänge entwickelte sich im Laufe der Jahre ein zunehmendes Verständnis von den ätiopathogenetischen Grundlagen lokaler und systemischer Auswirkungen eines Primarius. Es liegt auf der Hand, dass das Wissen darüber und v.a. das Erkennen wegweisender Symptome von großer klinischer Bedeutung ist.
Inzwischen segeln eine große Anzahl von Erkrankungen unter der Flagge der Paraneoplasien. Leider liegen zu den einzelnen Krankheitsbildern meist keine prospektiven epidemiologischen Daten vor, da das einschlägige Wissen häufig nur auf der Auswertung von Fallberichten beruht. Auch werden hinsichtlich ihrer Symptomatik häufig Organgrenzen überschritten, was die Sache verkompliziert. Wer denkt schon bei einem malignen Melanom an eine plötzlich auftretende paraneoplastische Nachtblindheit? Das Krankheitsbild ist ophthalmologisch als  „Melanom-assoziierte Retinopathie (MAR)“ gut beschrieben. Ursächlich sind hierfür wahrscheinlich kreuzreagierende Antikörper gegen Melanom-Antigene, die auch retinale Proteine erkennen. Eher schon denken wir beim unerwarteten Auftreten einer Vitiligo bei einem existenten malignen Melanom an ein paraneoplastisches Syndrom. Diese bemerkenswerten Melanom-Beispiele demonstrieren sehr eindrücklich die pathogenetischen Zusammenhänge zwischen einem Primarius und einer durch den Tumorkomplex induzierten paraneoplastischen Fernreaktion.

Zur Definition von paraneoplastischen Syndromen! Hierunter wird eine heterogene Gruppe unterschiedlicher Symptomenkomplexe verstanden, die nicht unmittelbar durch den Primarius selbst oder durch seine Metastasen verursacht werden, die aber pathogenetisch an das Vorhandensein des Tumors gebunden sind. Paraneoplastische Syndrome können mit einem breiten klinischen Spektrum nicht nur in der Haut, sondern auch in der Muskulatur, im Nervensystem, in den Augen, im Skelettsystem u.a. Organen auftreten. Ursächlich sind entweder parakrin sezernierte Mediatoren, aber auch humorale Tumorprodukte wie Zyto- und Chemokine, Antikörper oder aber autoreaktive T-Lymphozyten, die „herdfern“ krankhafte Symptome in anderen Organen induzieren.
Paraneoplastische Syndrome sind in ihrer Gesamtheit nicht selten. Sie werden über viele Organe hinweg bei erstaunlichen 8–20% der Patienten mit malignen Geschwülsten beobachtet, wobei sich die statistische Streuung durch unterschiedlich stringente Definitionen und Tiefe der Diagnostik sowie durch bereits eingeleitete Therapiemaßnamen erklärt. Und auch Folgendes ist bemerkenswert: Man schätzt, dass bei etwa 1% aller Tumorpatienten Hautmanifestationen als allererstes klinisches Zeichen einer neoplastischen Erkrankung auftreten.
Kutane Paraneoplasien können sich vor oder während eines Tumorleidens manifestieren. Sie vermögen diesem sogar langzeitig vorausgehen, können sich nach der Entfernung des Primarius und seiner Metastasen wieder zurückbilden, aber auch andererseits danach weiterhin persistieren, wie es bei der paraneoplastischen Dermatomyositis oder dem paraneoplastischen Pemphigus zu beobachten ist. Paraneoplasien korrelieren auch häufig in ihrer Ausprägungsstärke mit dem Verlauf der Tumorerkrankung, was die potenziell wichtige Rolle v.a. der kutanen Paraneoplasien als Früherkennungsindikatoren eines aktiven malignen Grundleidens belegt. Dies gilt naturgemäß auch im Hinblick auf eine möglicherweise noch kurative Behandlung eines Primarius.

Hinsichtlich der auslösenden Tumoren ragen einige Kandidaten bei der Induktion paraneoplastischer Syndrome heraus. Zu diesen zählen z.B. das vom neuro-ektodermalen Keimblatt abstammende kleinzellige Lungenkarzinom, gefolgt von gynäkologischen Tumoren wie dem Ovarial- und Mammakarzinom, sowie hämatologischen Neoplasien, hier v.a. solche mit lymphatischer Provenienz. Auch das Melanom ist paraneoplastisch relevant.

Paraneoplastische Hautveränderungen - Tumor-induzierte Fernreaktionen

Traditionell werden die dermatologischen Paraneoplasien unterteilt in:

paraneoplastischen Allgemeinsymptome (Fieber, Nachtschweiß, Anorexie, Kachexie, Pruritus)

obligate Paraneoplasien

fakultative Paraneoplasien.

Diese Einteilung hat über die Jahrzehnte Patina angesammelt. Die epidemiologische Datenlage ist für die angeführten Entitäten ausgesprochen schwach. Die vielfach postulierten prozentualen Assoziationen zwischen kutanen Symptomen und unterliegendem malignen Prozess von >90%igen für die obligaten Paraneoplasien und von 3-30% für die fakultativen Paraneoplasien sind kaum zu halten. Dazu muss man sich nur die Prävalenzen vieler Paraneoplasien vor Augen führen, von denen die meisten einen „orphan Status“ einnehmen und sich somit jeglicher statistischen Berechnung entziehen. Da die Einteilung nach obligat und fakultativ nur noch historischen Wert besitzt, empfehle ich stattdessen eine einfache vierteilige Bewertung nach:

hohe Assoziation (h), größere Fallzahlen (>1000) bekannt, orientierende statistische Berechnungen sind möglich

mittlere Assoziation (m), mittlere Fallzahlen (>500) bekannt

statistische Aussagen sind nicht möglich (m)

seltene Assoziation (s), nur wenige, Einzelkasuistiken liegen vor. 

fragliche Assoziation (?), nur wenige, Einzelkasuistiken, Zusammenhänge fraglich 

Was die Spezifität einer paraneoplastischen Dermatose bezüglich des verursachenden Primarius betrifft, sind ebenfalls Vorbehalte angezeigt. Naturgemäß wäre eine hohe Tumortreffergenauigkeit für den klinisch tätigen Arzt von großem Vorteil. So wurden auch in vielen Erstbeschreibungen häufig die Einzigartigkeit einer bestimmten Konstellation hervorgehoben. Solche Aussagen mussten später dann meist widerrufen werden. Für das Paradebeispiel einer „obligaten Paraneoplasie“, die „Acanthosis nigricans maligna“, galt lange eine klare Assoziation zu einem Magenkarzinom. Zwar gibt es eine Häufung gastro-intestinaler Neoplasien, das Magenkarzinom wird aber nur bei rund 50% der Fälle  gefunden.

Acanthosis nigrans "maligna" (späte Manifestation, Intertrignes nicht bevorzugt befallen)

Auch hinsichtlich der Spezifität der paraneoplastischen, klinischen Morphologie sind berechtigte Zweifel geboten. Die klinische Realität decouvriert z.B. nur marginale Unterschiede in der Ausprägung der Hauterscheinungen zwischen der paraneoplastischen, „malignen“ Acanthosis nigricans und der nicht-paraneoplastischen, „benignen“ Acanthosis nigricans. Klinische Anhaltspunkte anderer Art ergeben sich dennoch, z.B. ungewöhnliches Alter, unerwartetes Auftreten. Folglich jedoch ist es empfehlenswert, auf das Attribut „maligna/benigna“ zu verzichten. So begreife ich beispielsweise die Acanthosis nigricans, unabhängig, ob paraneoplastisch oder non-paraneoplastisch, als „Réaction cutanée“ auf einen gleichgearteten Wachstumsimpuls (Anstieg epithelialer Wachstumsfaktoren), der von einer benignen oder malignen Pathologie ausgehen kann.
Nun zu den weiteren klinischen Kriterien einer kutanen Paraneoplasie, die in ihrer Zusammenschau auf ein paraneoplastisches dermatologisches Geschehen hinweisen:
 

Vorbekannte statistisch signifikante Assoziation zwischen Hauterkrankung und Neoplasie

ungewöhnliches Manifestationsalter einer kutanen Erkrankung

ungewöhnlich hohe humorale Entzündungsaktivität

ungewöhnliche (atypische) Symptomenkonstellation

ungewöhnliche Therapieresistenz der kutanen Symptome (bei Persistenz des Primarius)

Paralleler Verlauf von Hauterkrankung und Tumorerkrankung

Besserung oder komplette Rückbildung paraneoplastischer Hautsymptome Entfernung des Primarius (und seiner Metastasen)

Rezdiv des auslösenden Tumors führt zum Wiederauftreten der Symptome.

Gute morphologische Charakterisierung einer paraneoplastischen Dermatose unter Berücksichtigung des auslösenden Tumorkomplexes.

Um den Begriff „paraneoplastisch“ klinisch griffiger zu gestalten und gedanklich zu schärfen, macht die Ausarbeitung der Gegenprobe Sinn, was lässt sich eindeutig als „nicht-paraneoplastisch“ bewerten?

Nicht-paraneoplastisch sind Hautinfiltrate eines Primarius oder kutane Metastasen von Tumoren anderer Organe, wie z.B. leukämische Hautinfiltrate.

Nicht paraneoplastisch sind klinische Symptome, die durch humorale Fernwirkungen eines orthotop lokalisierten Primärtumors (z.B. Ausbildung eines M. Cushing, durch einen Kortisol-produzierenden NNR-Tumor) hervorgerufen wurden. Hingegen gilt logischerweise eine ektope ACTH-Sekretion bei einem kleinzelligem Lungenkarzinom als eindeutiges paraneoplastisches Syndrom (paraneoplastisches Cushing-Syndrom).

Als nicht paraneoplastisch definiert werden die Hautmanifestationen von tumorassoziierten Genodermatosen (z.B. Cowden-Syndrom, Basalzellnaevus-Syndrom u.a.). 

Einteilung
Vorab zu den hier vorgenommenen Wertungen: In der vorgeschlagenen Klassifikation wird auf die Unterteilung nach „obligat“ und „fakultativ“ verzichtet. Gewertet wird, tabellarisch zuerst, nach Prävalenzen der Krankheitsbilder und nach paraneoplastischen Häufigkeiten  mit h (häufig), m (mittel), s (selten) und ? (fraglich).

Paraneoplastische Allgemeinsymptome:
Paraneoplastische Allgemeinsymptome, die auf ein fortgeschrittenes Tumorleiden hindeuten sind häufig. Es ist v.a. die sogenannte B-Symptomtrias, die bei gemeinsamem Auftreten einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit (h) für einen zugrundeliegenden Tumorkomplex hat. Hinzu kommt als weiteres allg. Symptom der tumorinduzierte Juckreiz.

Nachtschweiß (h)

Fieber (m)

Anorexie (h)

Pruritus (h)

Erworbene (proliferative) Verhornungsstörungen (paraneoplastische Produktion von Wachstumsfaktoren)
Paraneoplastische Acanthosis nigricans (maligna) (h): Assoziation mit Magenkarzinom 56%, Leberkarzinom (Cholangiokarzinom) 7%, seltener mit Uteruskarzinom, Ovarialkarzinom.
Leser-Trélat-Syndrom (h) (Variante der Acanthosis nigricans): eruptives Auftreten multipler seborrhoischer Keratosen (Stamm und Extremitäten). Analoges Tumorspektrum
Paraneoplastische Acrokeratose (Bazex) (h): Assoziation mit Plattenepithelzellkarzinomen der Zunge, des Pharynx, des Larynx, des Ösophagus. DD: Akrale Psoriasis.
Tripe palms (h): Sehr seltene (etwa 100 publizierte Fälle) flächige Hyperkeratosen (Minusvariante der Acanthosis nigricans) der Hände und Füße. Tripe palms treten in etwa 7 von 10 Fällen gleichzeitig mit einer Acanthosis nigricans auf (s.Abb.). Hohe Assoziation mit gastro-intestinalen Karzinomen.
Ichthyosis acquisita (s): Nicht vererbliche ichthyosiforme Hautveränderungen im Rahmen anderer Hauterkrankungen, aber auch als paraneoplastisches Syndrom auftretend.
Pityriasis rotunda (?): in der kaukasischen Bevölkerung sehr selten. Assoziation mit akuter myeloischer Leukämie; chronischer lymphatischen Leukämie und hepatozellulärem Karzinom. Einzelfallbeschreibungen.
Erworbene filiforme Keratosis palmoplantaris (?): Assoziation mit Lungenkarzinom, Nierenzellkarzinom, Rektumkarzinom, malignem Melanom und chronisch terminaler Niereninsuffizienz. Einzelfallbeschreibungen.
Stachelartige Hyperkeratosen bei Multiplem Myelom (h): Sehr seltenes Krankheitsbild. Einzelfallbeschreibungen. Follikuläre Spikes sind äußerst charakteristische Hauterscheinungen, die bereits im frühen Stadium eines Multiplen Myeloms (oder anderer Gammopathien) auftreten. Das Krankheitsbild wurde parallel unter der Bezeichnung "Trichodysplasia spinulosa" beschrieben.
 
Inflammatorische paraneoplastische Hautveränderungen
Pyoderma gangraenosum (s): Gut beschriebenes Krankheitsbild. 4,0%ige Assoziation mit hämatologischen Neoplasien wie: multiples Myelom, plasmozytisches Lymphom, myeloproliferativen Erkrankungen u.a.
Erythema necroticans migrans (h): Seltenes Krankheitsbild. Ursprünglich als „obligate kutane Paraneoplasie bei Glukagon-sezernierendem Pankreastumor“ beschrieben. Die These der "Glukagonom-Spezifität" wurde durch neuere Berichte in Frage gestellt, nachdem das Krankheitsbild im Zusammenhang mit Hepatitis B u. C, Adenokarzinomen, Bronchialkarzinomen und Plattenepithelkarzinomen beschrieben wurden.
Erythema gyratum repens (Gammel) (h): Seltenes Krankheitsbild (ursprünglich als "obligate kutane Paraneoplasie" beschrieben). Auftreten beim Lungenkarzinom (50%), der Mamma (6%), bei Tumoren des weiblichen Genitales, des Pharynx, des Ösophagus oder des Magens beschrieben wurde. Auch bei nicht-tumorösen Erkrankungen (z.B. rheumatoide Arthritis) beschrieben!
Papuloerythroderma Ofuji (m): In kaukasischen Populationen sehr seltene (bevorzugt in asiatischen Ethnien), großflächige, makulo-papulöse, erheblich juckende, exanthematische Hauterscheinung mit Neigung zur Konfluenz bzw. zur Erythrodermie (s. Abb.). Assoziationen zu T-Zell-Lymphomen und Leukämien.

Erythema gyratum repens. Eigenartig getigerte Maserung der inflammatorischen Hauterscheinungen.

Autoimmunologisch induzierte paraneoplastische Hautveränderungen
Polymyositis (s): geringes Risiko für auslösende Tumorerkrankung.
Bullöses Pemphigoid (s): häufiges Krankheitsbild, geringes paraneoplastisches Risiko (paraneoplastisches bullöses Pemphigoid). Zusammenhang mit Prostatakarzinom, Rektumkarzinom, Bronchialkarzinom.
Systemischer Lupus erythematodes (s): Assoziation mit Lungen- und gynäkologischen Tumoren.
Dermatomyositis (paraneoplastische) (m): Assoziation mit Ovarial-, Mamma- und kolorektalem Karzinom, seltener mit Blasenkarzinom, Pankreaskarzinom, Nierenkarzinom.
Paraneoplastischer Pemphigus (h): Seltene, klinisch schwer verlaufende Pemphigusvariante. Assoziation mit: Non-Hodgkin-Lymphomen (42%). Weitere Assoziationen u.a. mit T-Zell-Lymphomen, chronisch lymphatischer Leukämie (29%), malignen Thymomen (10%) sowie Sarkomen unterschiedlicher Genese.
Lichen planus pemphigoides (s): seltenes Krankheitsbild; geringes paraneoplastisches Risiko, einzelne Kasuistiken.
 

Dermatomyositis. Klassische Symptomatik mit streifig inflammatorischen Plaques.

Hautveränderungen bei rheumatologisch- paraneoplastischen Syndromen
Rheumatologisch-paraneoplastische Syndrome sind selten, stellten jedoch eine wichtige Differenzialdiagnose zu klassischen rheumatologischen Krankheitsbildern dar, die für die Dermatologie relevant sind.
Pankreatitis-Pannikulitis-Polyarthritis-Syndrom (h): Eine Polyarthritis zusammen mit Pannikulitis, tritt häufig bei Patienten mit Pankreatitis mit stark erhöhten Lipasewerten auf. Auch beim Azinuszellkarzinom des Pankreas tritt diese Laborkonstellation auf.
Palmare Fasziitis mit Polyarthritis (PFPAS) (h) Seltenes Krankheitsbild. Symmetrische, schmerzhafte Schwellung der Hände mit betonter palmarer Gewebeverhärtung „woody hands“. Fasziitis führt zu fortschreitenden Flexionskontrakturen ähnlich dem Morbus Dupuytren. Assoziation mit Ovarialkarzinom (>50%) bzw. anderen urogenitalen Karzinomen.
Pachydermoperiostose sekundäre (paraneoplastische (m). Seltenes Krankheitsbild. Assoziation mit Lungenkrebs, malignem Pleuramesotheliom. Weiterhin auch bei chronischen Lungenerkrankungen.
Remitting seronegative symmetrical synovitis with pitting edema (m): Akute symmetrische Weichteilschwellungen des Hand- und Fußrückens. Schlechtes Therapieansprechen auf Kortison ist hinweisend auf das Vorliegen eines Malignoms. Malignomhäufigkeit bei 30% der Patienten.
Hypertrophe Osteoarthropathie (Marie-Bamberger) (h). Sehr seltenes Krankheitsbild. Zusammenhang mit thorakalen Malignome und insbesondere Lungenkarzinome (vermehrte Produktion von „Vascular Endothelial Growth Factor/VEGF).
 
Endokrinologische Paraneoplasien
Hirsutismus, Seborrhoe, Gynäkomastie, Libidostörungen (s):häufige klinische Konstellationen. Selten paraneoplastisch auftretend. Ursächlich der Hyperprolaktinämie ist eine ektope Prolaktinproduktion. Assoziation u.a. mit Mammakarzinom.
Hyperthyreose-Phänomene (h). Paraneoplastisch durch ektope TRH- und TSRH-Produktion). Assoziation mit Blasenmole und Chorionkarzinom.
Endogenes Cushing-Syndrom (ektope/paraneoplastische ACTH-Sekretion (h). Zusammenhang mit Lungenkarzinomen, C-Zell-Karzinomen, Prostatakarzinom und Karzinoiden. Hinweis: Ein zentrales Cushing-Syndrom = Morbus Cushing, durch ein Mikroadenom des Hypophysenvorderlappens ist kein paraneoplastisches Syndrom).
Akromegalie (paraneoplastische) (h): Paraneoplastisch durch ektope, GHRH- und GH-Sekretion. Assoziation mit Karzinoiden, Bronchial-, Ovarial-, Mamma-, Schilddrüsen-, Kolonkarzinomen u.a.
Karzinoid-Paraneoplasie (h): ektop produziertes Serotonin. Assoziation mit Lungen- und Pankreaskarzinom.

Paraneoplastische Syndrome durch Störungen des Elektrolythaushalts
Hyperkalzämie-Symptome: Paraneoplastisch durch ektop produzierte Parathormon-related Protein – PTHrP). Assoziation mit Plattenepithelkarzinome der Lunge, Kopf-Hals-Tumoren, Blasentumoren.
Hypokalzämie-Symptome: Paraneoplastisch durch ektop produziertes Calcitonin. Assoziation mit Mammakarzinom, kleinzelligem Lungenkarzinom, medullärem Schilddrüsenkarzinom.
Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts, einschließlich einer Hyponatriämie. Paraneoplastisch durch ektope Produktion von Vasopressin. Assoziation mit kleinzelligen und nichtkleinzelligen Lungenkarzinomen.
 
Paraneoplasien bei hämatologischen Erkrankungen
Erythrozytose-Symptome (s): Paraneoplastisch durch ektope Produktion von Erythropoetin/ Erythropoetin-ähnlichen Substanzen Assoziation v.a. mit Nierenzellkarzinomen,- und Lebertumoren, zerebellaren Hämangioblastomen, Lungentumoren.
Leukozytosen (s): Paraneoplastisch durch ektope Bildung hämatopoetischer Zytokine (G-CSF, GM-CSF, Interleukin-3, Interleukin-6). Assoziation mit Lungenkarzinomen, gastrointestinale Tumoren, Ovarialkarzinome, Tumoren des Urogenitaltraktes). Klinisch: sind Leukozytosen mit unterschiedlichen Krankheitsbildern verbunden z.B. Sweet-Syndrom oder akute generalisierte exanthematische Pustulose (AGEP) u.a.
Hämatoeosinophilie (m): Paraneoplastisch durch ektope Zytokinproduktion. Assoziation mit Karzinomen von Kolon, Magen, Ovar, Pankreas, Cervix uteri, Schilddrüse; Lunge. Hämatoeosinophilien können mit zahlreichen Hauterkrankungen assoziiert sein (z.B. Hypereosinophile Dermatitis, s.u. Eosinophilie, Hautveränderungen).
Thrombozytose-Phänomene  (>500/nl) (s): Paraneoplastisch durch ektope Bildung von Interleukin-6, evtl. Thrombopoetin. Assoziation bei 10-15% aller Patienten mit Thrombozytose mit Bronchial-, Pankreas-, Gastrointestinal-, Mamma-, Urogenital-, Ovarial-, Prostatakarzinome und Lymphomen. Klinisch: Hyperkoagulopathie mit thromboembolischen Ereignissen,  sekundäre Erythromelalgie.

Paraneoplastische Hautveränderungen bei Paraproteinämien.
Grundsätzlich sind Hautveränderungen, die bei Paraproteinämien auftreten, als paraneoplastische Syndrome aufzufassen, wobei das monoklonale Immunglobulin meist von sehr langsam proliferierenden, sich primär nicht maligne verhaltenden Plasmazellen im Knochenmark gebildet wird (MGUS). Ihre Einzelauflistung würde den Umfang dieses Newsletters sprengen
Enge Assoziationen bestehen bei : Amyloidose vom AL-Typ, Kryoglobulinämie, POEMS-Syndrom, Skleromyxödem, Lichen myxoedematosus, Scleroedema adultorum (Buschke), Stachelartige Hyperkeratosen, TEMPI-Syndrom, Xanthogranulom, nekrobiotisches, Xanthome, plane, Schnitzler-Syndrom.
Mittlere/seltene Assoziation bestehen bei: Pyoderma gangraenosum, Sweet-Syndrom, Vaskulitis, leukozytoklastische, IgA-Pemphigus
 
Paraneoplastisch inflammatorische/okkludierende Gefäßerkrankungen
Raynaud-Phänomen paraneoplastisches (s): Assoziation mit Neoplasmen der Lunge, der Ovarien und des Uterus
Paraneoplastische Vaskulitiden (s): Die kutane leukozytoklastische Vaskulitis ist die häufigste Form der Vaskulitis, die mit malignen Erkrankungen und palpablen Purpura der unteren Extremitäten einhergeht. Eher selten ist eine Assoziation mit Lymphomen, Mammakarzinomen, Haarzelleukämien und soliden Tumoren.
Phlebitis saltans (Trousseau-Syndrom) (h): Seltene Erkrankung; strangförmige "springende" oberflächliche Thrombophlebitis, die als monitorisches Frühsymptom für einen okkulten viszeralen Tumor (z.B. Pankreaskarzinom) gilt. Sie befällt anders als eine Varikophlebitis, auch primär nicht varikös erweiterte Venen.
Gangrän akrale symmetrische(s): Seltenes Krankheitsbild. Produktion gerinnungsfördernder Substanzen durch das Neoplasma. Assoziation mit Neoplasmen der Lunge, der Ovarien und des Uterus.
 
Sonstige
Erworbene Angioödeme (s) durch C1.-Inhibitor-Mangel: In seltenen Fällen Assoziation zu Lymphomen.
Hypertrichosis lanuginosa acquisita (h):Pathogenetisch wird ein hypothetischer "pilotroper Faktor" verantwortlich gemacht. Assoziation bei metastasierenden Karzinomen.
Subakute sensorische Neuropathie (h): seltene periphere Neuropathie. Bildung von Autoantikörper (Anti-Hu) (Assoziation mit Lungentumoren).

Das Spektrum der kutanen paraneoplastischen Syndrome ist groß, verständlich bei der Vielzahl der verursachenden Primarien mit ihren vielfältigen parakrinen, humoralen und immunologischen Besonderheiten. Für den klinisch tätigen Arzt bleibt als Maxime seines Handelns eine exakte Kasuistik und die präzise Analyse ihres paraneoplastischen Bezuges. Dabei ist festzuhalten, dass das Attribut „obligat“, was sich mit „unerlässlich“ übersetzen lässt, für keine der sog. „obligaten Paraneoplasien“ zutrifft. Auch eine Aufteilung nach „spezifisch“ oder „unspezifisch“, wie von einigen Autoren propagiert,  geht an der Realität vorbei. Weder sind die Hautsymptome für einen bestimmten Tumor spezifisch, noch werden sie obligat und ausschließlich durch maligne Neoplasien ausgelöst.
Verabschieden wir uns also von allzu eng gefassten Vorstellungen und begreifen kutane paraneoplastische Syndrome als das, was sie sind, nämlich als tumorinduzierte „réactions cutanées“. Durch ektope Produktion pathologischer Zellprodukte eines Primarius und seiner Metastasen können sowohl klinisch geläufige Immundermatosen (z.B. Dermatomyositis, Pemphigus vulgaris) angeschoben werden oder auch autochthone endokrinologisch, toxisch, allergisch oder zellbiologisch (z.B. durch Wachstumsfaktoren) hervorgerufene kutane oder subkutane Symptome induziert werden. Erst durch die Zusammenschau aller klinischen Parameter offenbart sich das bunte Kaleidoskop der kutanen paraneoplastischen Syndrome.

Indem ich Sie aus einem immer noch freundlich-herbstlichen Oberitalien grüße, verbleibe ich

Ihr  

P.s. Frau Dr.med.Katja König aus Soest bin ich für Korrekturlesen des Manuskriptes dankbar.

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