13.03.2019

Die Lyme-Borreliose in der Kunst und der Medizin

Wer an einem sonnigen Frühlingsmorgen die Galleria Nazionale d´Arte Moderna in Rom betritt, könnte das gleiche Ziel haben wie ich, als ich kürzlich das Gemälde „Die drei Lebensalter der Frau“ von Gustav Klimt aus dem Jahre 1905 aufsuchte. Es stammt aus dem goldenen Zyklus von Klimt, aus dem ebenfalls die berühmten Gemälde „Der Kuss“ und die „Adele“ gehören. Das große Bild hing in einem mild von Tageslicht umspielten Saal des Museums direkt in Augenhöhe.

Die Lyme-Borreliose in der Kunst und der Medizin

Wer an einem sonnigen Frühlingsmorgen die Galleria Nazionale d´Arte Moderna in Rom betritt, könnte das gleiche Ziel haben wie ich, als ich kürzlich das Gemälde „Die drei Lebensalter der Frau“ von Gustav Klimt aus dem Jahre 1905 aufsuchte. Es stammt aus dem goldenen Zyklus von Klimt, aus dem ebenfalls die berühmten Gemälde „Der Kuss“ und die „Adele“ gehören. Das große Bild hing in einem mild von Tageslicht umspielten Saal des Museums direkt in Augenhöhe.

Dargestellt ist eine schöne, junge Mutter, die ihr Kind  innig umarmt, beide träumen mit geschlossenen Augen.  Kühle Blautöne umfloren sie, und Ihre Haut ist makellos und glatt. In dieser lächelnden Umarmung fließen Schönheit, Frieden, Zärtlichkeit zu einer anmutigen Frühlingskomposition zusammen. Man möchte bei diesem Zeugnis der Jugendlichkeit verweilen.  Aber meine medizinische Aufmerksamkeit wurde unwillkürlich von der dritten Figur in Bann gezogen, einer nackten Frau im fortgeschrittenen Lebensalter. Ihr Kopf ist vorgebeugt, das Gesicht vom Betrachter abgewandt. Das noch volle, lockige, braun-graue Haar fließt nach unten und wird von der linken Hand umfasst. Es ist fast so, als ob ihre Geste den Betrachter wie eine leise Entschuldigung berührt. Ist es Scham für die Zeichen körperlichen Verfalls und Krankheit, die von Klimt enthüllt werden? In der Darstellung empfinde ich jedenfalls eine schonungslose Härte, die mich an eine Arztvisite erinnert, über die Menschen nicht wirklich glücklich sind.

Die abstehenden Schulterblätter und hängenden Arme passen zu einer 70-Jährigen. Das noch feste und schlanke Gesäß, die Beine wirken eher jung, maskulin und heben sich vom runden Rücken, dem gealterten Busen und dem stark vorgewölbtem Abdomen ab, das (der oder all das) vielleicht auf eine geschädigte Leber oder krankes Herz hinweisen könnte.Ich finde keine peripheren Ödeme und überlege schließlich, ob Klimt vielleicht erst einen Mann malen wollte und es sich dann anders überlegte. 

Dann versuche ich das Alter über die Haut zu bestimmen. Sie ist dunkler als die der jungen Mutter aber unverkennbar sonnenentwöhnt, blass bis auf Unterarme und Hände, mit einigen flächigen, unscharf begrenzten bräunlichen Verfärbungen, die wir bei älteren Menschen finden können. Die warmen Farbtöne, Ornamente in gold-, braun, und gelb, die diesen Bildteil von Kind und Mutter abtrennen, stehen offensichtlich für den Herbst des Lebens. 

Wenig erinnert an die Schönheit ihrer Jugend und mein prüfend dermatologischer Blick wird von ihrer rechten Hand nahezu magisch eingefangen. Ich nähere mich unwillkürlich diesem Befund und bin einen kurzen Moment lang fast versucht, (Komma) den rechten Unterarm mit den Fingern berühren zu wollen, um die Konsistenz von Haut und Subkutis zu ertasten, als das Lächeln der Museumswärterin mich daran erinnert, dass es ja nur ein Gemälde ist.

Ich bleibe also ein Bild-Betrachter, und allmählich erschließt sich mir in dem Bild ein Hautmuster, das Klimt wahrscheinlich unwillkürlich aber sehr reell dargestellt hat. Ich erkenne deutlich, wie die läsionale, livide Hautfarbe des Unterarms auffallend mit der gleichmäßig gelb-weißen, gesunden Farbe der unterliegenden noch straffen Oberschenkelhaut kontrastiert, die eine völlig normale Textur aufweist. Am Handrücken und distalen Unterarm hingegen ist die Haut gleichmäßig rötlich-violett verfärbt. Die Venen treten in der nahezu papierdünnen Haut bemerkenswert deutlich hervor.

Folgt man den Konturen des Armes nach oben, so zerfließt diese rötlich-violette Färbung unscharf nach oben. Das proximale Viertel des Unterarms und der komplette Oberarm entsprechen dem physiologischen Hautkolorit und der normalen Hautstruktur der übrigen Körperhaut. Beim Handrücken fällt mir auf, dass nicht nur die Haut atrophisch dargestellt ist, sondern auch die interossäre Muskulatur. Die Metacarpal- und Sehnenstruktur der Mittelhand treten neben der akzentuierten Venenkontur auffällig deutlich hervor.

Man könnte zur ärztlichen Tagesordnung übertreten und die Diagnose einer „physiologischen Altersinvolution der Haut“ stellen.

Ich überlege und finde es einen Moment lang schade, Gustav Klimt selbst nicht fragen zu können, ob seine Akkuratesse eine Zufälligkeit ist. (Fragezeichen gelöscht) Wer sein malerisches Talent kennt, verneint hier eine gestalterische Freiheit des Künstlers und kommt – wie ich – zu dem Entschluss, dass unser sehr genauer Beobachter (Gustav) Klimt per Zufall einen pathologischen Hautzustand künstlerisch fein ziseliert dokumentiert hat.

Differenzialdiagnostisch scheidet die natürliche Altersinvolution der Haut aus, da die Haut der übrigen Körperpartien wenig altersinvolutioniert ist und keine fortgeschrittene Atrophie zeigt. Ebenso wenig zeichnet sich eine Muskelatrophie der Skelettmuskulatur ab.

Jede aktinisch bedingte Atrophie ergäbe eine akzentuierte, scharf begrenzte Brauntönung der Haut. Stattdessen dominiert jedoch die Farbe „violett-lividrot“. Dieser Farbton ist zusammen mit der nachweislichen Hautatrophie eine sehr eigentümliche, nahezu Diagnose-definierende Signalkomposition, und unter fokussierter Beobachtung festigt sich meine Diagnose:  Die vor mir stehende Großmutter leidet unter einer Acrodermatitis chronica atrophicans Herxheimer, dem Stadium III einer Lyme-Borreliose.

Leider stehen uns, mehr als 100 Jahre später, keine weiteren diagnostischen Hilfsmittel zur Verfügung: keine Borrelien-Antikörper, kein Antigennachweis in läsionaler Haut. Bleibt nur eine konsultatorische dermatologische Zweitmeinung. Bei Carpaccio und Wein im Museumscafé findet ein angeregtes Gespräch statt, aber auch dieses Konsil führte zu keiner anderen Diagnose.

Da die Acrodermatitis chronica atrophicans auch heute noch häufiger in den Alpen und den Voralpenregionen verbreitet ist, möchte ich nach unserem Museumsexkurs das medizinische Kurzportrait anschließen.

Die Lyme-Borreliose
 

auch Erythema migrans-Krankheit oder auch Lyme disease, ist die häufigste durch Zecken übertragene Infektionskrankheit. Erreger ist Borrelia burgdorferi sensu lato (siehe unten Borrelien). Sie rufen eine klinisch vielgestaltige, stadienhaft verlaufende, chronische Multisystem-Spirochätose hervor. Der Erreger wird durch die Schildzecke - auch Holzbock oder lat. Ixodes ricinus genannt - übertragen.

Die fünf pathogenen Spezies von B. burgdorferi heißen:

B. afzelii, B. garinii, B. bavariensis, B. burgdorferi sensu stricto, B. spielmanii.

Borrelia burgdorferi sensu lato wird in Europa durch Zeckenstiche übertragen. In den USA wird ausschließlich B. burgdorferi sensu stricto beobachtet. Adulte Zecken sind im Durchschnitt zu 20 % befallen, Nymphen zu zehn Prozent und Larven nur zu etwa ein Prozent.

In Deutschland liegen die jährlichen Inzidenzen manifester Borrelien-Infektionen bei 100 bis 150 Fällen pro 100.000 Einwohnern. Das Infektionsrisiko ist von Ende Mai bis Ende Juli am größten betrifft alle Menschen, die sich ungeschützt im Freien aufhalten
 

I. Prophylaxe
 

Bei milder Witterung Unterholz und hohes Gras meiden, bei Wanderungen oder Gartenarbeit geschlossene, helle Kleidung und festes Schuhwerk tragen. Hosenbeine in die Socken stecken. Beine und Arme mit Repellents einreiben, auch mit einem Lavendel/Geranienextrakt, beides ist bis zu vier Stunden wirksam. Nach jeder möglichen Exposition den gesamten Körper und die getragene Kleidung inspizieren, Kinder mit einem feinen Kamm kämmen.

Bei einem Zeckenstich mit noch vorhandener Zecke entfernen wir diese mit einer dünnen, festen Pinzette; die Zecke möglichst nahe der Stechwerkzeuge fassen und langsam herausziehen.  Je früher die Zecke entfernt wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit einer Erregerübertragung, diese beginnt ab zwölf Stunden nach dem Biss. Eine generelle prophylaktische Einnahme von Antibiotika empfehle ich nicht.

An der Stichstelle kann ein Azithromycin zehn Prozent Gel, das spätestens drei Tage nach dem Stich mehrfach zwölfstündlich aufgetragen wird, eine Infektion verhindern. In einer größeren Studie war die Signifikanz für eine klinische Effizienz allerdings nicht herstellbar (Schwameis M et al. 2016).
 

II. Klinische Stadien  
 

Die lokalisierte Frühinfektion definiert das erste Stadium. Leitsymptom ist das Erythema chronicum migrans, welches noch in der Haut festsitzt oder deren Bisswunde. Eventuell ist eine regionale Lymphknotenschwellung tastbar. Fieber, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen manifestieren sich. In diesem Stadium der Erkrankung ist die Borrelien-Serologie meist negativ (!). Der klinische Befund ist diagnostisch.

Stadium II beginnt mit der disseminierten Frühinfektion, welche sechs bis acht Wochen nach dem Zeckenbiß eintritt. Es entstehen unspezifische Exantheme, Wangenerytheme, Erythema nodosum, Arthralgien, Myalgien, Myo-/Perikarditis, rezidivierende Hepatitis, Konjunktivitis, evtl. Panophthalmitis, Lymphknoten- und Milzschwellung. Unter Umständen schweres Krankheitsgefühl. Seltener finden wir eine Lymphadenosis cutis benigna, das sogenannte Pseudolymphom.

Die Spätinfektion mit Organmanifestation wird als Stadium III bezeichnet. Hier treten in Europa eher neurologische Symptome in Form eines Bannwarth-Syndroms auf, während in den USA häufiger eine Lyme-Arthritis zu beobachten ist. Das Stadium III geht stets mit positiver Borrelienserologie einher. Ein serologischer Negativbefund schließt somit die Erkrankung aus!

Die bei der Großmutter von Klimt von mir diagnostizierte Acrodermatitis chronica atrophicans ist in Europa ein dermatologisches Leitsymptom des Stadium III der Borreliose. In unserem medizinischen Alltag ist das klinisch-dermatologische Bild der Lyme-Borreliose in vielen Fällen diagnostisch wegweisend. Wir Dermatologen können sehr gut mit diesem Befund umgehen.  In der Anamnese sollte aber jede mögliche Infektion durch positive Borrelien-Serologie, gegebenenfalls Biopsie mit Nachweis des Borrelien Antigens mittels PCR überprüft werden.

Durch eine suffiziente antibiotische Therapie, kann noch über Monate, selbst nach der Abheilung der borrelientypischen HV, (Leerzeichen gelöscht) ein allgemeines Krankheitsgefühl mit Muskel- und Gelenkschmerzen persistieren, man nennt es postinfektiöses Lyme-Borreliose-Syndrom (post Lyme disease).
 

III. Therapie
 

Stadium I: Bei lokalisierter Frühinfektion, dem Erythema chronicum migrans, empfehle ich orale Doxycyclin-Therapie (2x100mg/Tag p.o. oder 200mg 1x/Tag p.o.) über 14 Tage. Eine höhere Dosierung ist nicht notwendig. Alternativen: Amoxicillin, Cefuroxim, Azithromycin.

Stadium II: Doxycyclin 1mal/Tag 200 mg p.o. über 21 Tage. Alternativen: Amoxicillin, Cefurexim, Ceftriaxon. Leichtere Manifestationen des Stadium II sollten nach meinem Dafürhalten oral über 2 Wochen behandelt werden, dies gilt auch für Kinder. Bei Befall des zentralen Nervensystems rate ich in jedem Fall vorrangig zur systemischen Applikation von Cephalosporinen wie Ceftriaxon, z .B. Rocephin® 1mal/Tag 2 g i.v. über 21 Tage.

Die Acrodermatitis chronica atrophicans und die Arthritis können primär mit einem oralen Antibiotikum behandelt werden: Doxycyclin 1mal/Tag 200 mg p.o. über 21 Tage, alternativ: Amoxicillin 3mal/Tag 750 mg p.o. über 21 Tage.

Bei ungenügendem klinischen Ansprechen, bei Rezidiven oder komplettem Therapieversagen empfehle ich die Therapie auf eine i.v.-Behandlung umzustellen, z. B. Ceftriaxon 1mal/Tag 2 g i.v. oder alternativ: Cefotaxim 3mal/Tag 2 g i.v.) über 21 Tage oder Penicillin G 4mal/Tag 5 Mega i.v. über 21 Tage. Gegebenenfalls ist dieses Schema nach 3 Monaten problemlos zu wiederholen.

Bitte merken Sie sich, dass bei der Acrodermatitis chronica atrophicans die Prozessaktivität klinisch wie histologisch kontrolliert werden sollte! Die Antikörpertiterkontrollen sind für den Verlauf des Heilungsprozesses wenig aussagefähig; eine Borrelien-PCR ist hier besser geeignet. Leider sind die Hautatrophien nur in geringem Umfang reversibel.

Bei der postinfektiösen Lyme-Borreliose, rate ich konsequent zur antiphlogistischen Therapie.

IV. Verlauf und Prognose 

Günstig.  Die meisten Symptome sind selbstlimitierend. Die Erkrankung verläuft in Europa und Nordamerika unterschiedlich, und die spontane Ausheilung im Stadium 1 (Erythema chronicum migrans als alleiniges Symptom) ist in Europa wesentlich häufiger!

In den USA stehen Organbeteiligungen eher im Vordergrund, und die dort typische Manifestation des Stadium III ist die Lyme-Arthritis.

Vergessen wir aber nicht, dass eine durchgemachte Borrelieninfektion keine bleibende Immunität bedeutet. Reinfektionen sind also jederzeit möglich!

Ich hoffe, dass Sie meine persönlich gefärbten Ausführungen auch diesen Monat gerne gelesen haben, medizinisch wie auch als Anregung für die Freizeit. Einen Besuch in der Galleria dell’Arte Moderna in Rom und einen anschließenden, kleinen kulinarischer Genuss im Museumscafè, kann ich nur empfehlen.

Herzliche Grüße

Ihr Peter Altmeyer

 

Fotos: Alessandra Berretta Strack

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