Natriumkanäle

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 27.06.2020

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Synonym(e)

Ligandengesteuerte Na+-Kanäle; Na+-Kanal; Natriumionenkanäle, Na+-Kanäle; Natriumkanal; Spannungsaktivierter Natriumkanal

Definition

Natriumkanäle sind Ionenkanäle, die eine weitgehend selektive Leitfähigkeit für Natrium-Ionen aufweisen. Natriumkanäle können, analog zu anderen Ionenkanäle (Calciumkanäle; Kaliumkanäle) spannungsabhängig (sog. spannungsgesteuerte Natriumkanäle) aber auch ligandengesteuert aktiviert werden. Im ZNS, im PNS und in Muskeln wirken Neurotransmitter wie Acetylcholin, Serotonin und Glutamat, aber auch ATP und zyklisches AMP (cAMP) als Liganden für bestimmte selektive Natriumkanäle.  

Einteilung

Spannungsabhängige Natriumkanäle : Hierunter werden transmembranäre, porenbildende Glykoproteine in Zellmembranen verstanden. Sie bestehen aus zwei unterschiedlichen Untereinheiten: Zum einen aus der sogenannten alpha-Untereinheit mit einer Masse von ca. 230-260 kDa besitzt, sowie zum anderen aus assoziierten beta Untereinheiten mit einer Masse von ca. 36 kDa (Catterall WA 2012).  Die alpha-Untereinheit ist die strukturbildende Untereinheit (in ihr wird die eigentliche Pore geformt). Sie wird in ihrem Schaltverhalten von den beta-Untereinheiten moduliert. Gebildet wird die beta-Untereinheit aus vier homologen Domänen, die durch kovalente Verbindungen verknüpft sind.

Derzeit sind neun verschiedene Subtypen von spannungsaktivierter Natriumkanäle bekannt. Sie werden als Nav1.1 bis Nav1.9 bezeichnet. Hierbei steht der Index v für „voltage-activated“. Die erste Ziffer kennzeichnet die Genfamilie (bisher ist nur eine Genfamilie bekannt), die zweite Ziffer steht für das kodierende Gen (1 bis 9, angeordnet in der Reihenfolge ihrer Entdeckung). Spannungsaktivierte Natriumkanäle sind in elektrisch erregbaren Zellen exprimiert. Dort besteht ihre Funktion in der Erzeugung von Aktionspotentialen (Goldin AL 2001). In elektrisch erregbaren Geweben wie Herz- oder Skelettmuskulatur sind Na+-Kanäle unverzichtbar für die Erregungsweiterleitung. Daneben finden Na+-Kanäle auch auf elektrisch nicht erregbaren Zellen wie Astrozyten, Fibroblasten und diversen Tumorzellen. Sie beeinflussen in diesen Zellen essenzielle Prozesse wie Phagozytose, Motilität und die Aktivität der Na+-K+-Pumpe (Black JA et al. 2013).

Die Subtypen Nav1.1, Nav1.2 und Nav1.3 finden sich vorwiegend im Zentralnervensystem (ZNS). Die Isoform Nav1.4 ist der dominierende Subtyp in Skelettmuskeln, der Subtyp Nav1.5 der des Myokards und die Isoformen Nav1.6, Nav1.7, Nav1.8 sowie Nav1.9 der des peripheren Nervensystems (PNS) (Blechschmidt S et al. (2008). Die einzelnen Subtypen unterscheiden sich z.B. hinsichtlich ihrer elektrophysiologischen Eigenschaften. Ebenso unterscheiden sie sich in der Sensitivität für bestimmte Toxine und Medikamente.

Aktivierung: Löst ein Reiz ein Aktionspotenzial aus, kommt es durch die Depolarisation der Membran zur Öffnung des „Activation gate“. Na+-Ionen können einströmen. Es folgt eine schnelle ­Inaktivierung (1 bis 2 Millisekunden). Das „Inactivation gate“ wird blockiert (s. Abb.). In diesem Zustand sind die Kanäle eine gewisse Zeit nicht wieder aktivierbar. In diesem nicht-aktivierbaren Zustand des Kanals können keine weiteren Natrium-Ionen mehr durchtreten. Den aktivierbaren Status (Activation gate zu und Inactivation gate offen) erreichen die Kanäle wiederum nach einer Repolarisation der Membran (durch K+-Ausstrom). Neben der schnellen Aktivierung existiert auch eine langsame Inaktivierung. Möglicherweise kommt es dabei zu einem Kollaps der Pore.

Nichtspannungsaktivierte Natriumkanäle: Ein Beispiel für einen nichtspannungsaktivierten Natriumkanal ist der epitheliale Natriumkanal (ENaC = epithelial Na channel; auch SCNN1 von engl.: sodium channel non-neuronal 1 oder ASSC von engl.: amiloride sensitive sodium channel), ein membranständiger Ionenkanal, der neben Li+-Ionen und Protonen vor allem für Na+-Ionen durchlässig ist. Dieser Kanaltyp ist im Grundzustand geöffnet (sog. konstitutiv aktiver Kanal). Der ENaC setzt sich aus drei Untereinheiten zusammen (α, β, γ), die wahrscheinlich zu einem Heterotrimer konstituiert sind. Jede der drei Untereinheiten weist zwei Transmembranhelices und eine extrazelluläre Schleife auf. Die Amino- und Carboxytermini der Polypeptidketten befinden sich jeweils im Cytosol.

Vorkommen: ENaCs sind in den Apikalmembranen von polaren Epithelzellen vor allem in der Niere, der Lunge und dem Colon lokalisiert. Sie sind für den transepithelialen Transport von Na+-Ionen verantwortlich und spielen damit eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Na+ und K+-Konzentrationen in Blut, den Epithelien und dem Interzellularraum. Die ENaC-Aktivität und -Expression in Niere und Colon wird dabei durch das Mineralokortikoid Aldosteron moduliert. Weiterhin kommt der ENaC-Kanaltyp in Geschmackssinneszellen vor und spielt eine wichtige Rolle in der Wahrnehmung des Salzgeschmacks.

Liganden-gesteuerten Na+-Kanäle: Eine weitere Na+-Kanal-Gruppe stellen die Liganden-gesteuerten Na+-Kanäle dar. Diese werden bei der Bindung eines Liganden geöffnet und geschlossen. Ligandengesteuerte Na+-Kanäle gehören verschiedenen Proteinfamilien an. So wirken im ZNS, im PNS und in Muskeln Neurotransmitter wie Acetylcholin, Serotonin und Glutamat, aber auch ATP und zyklisches AMP (cAMP) als Liganden.

Klinisches Bild

Mutationen in den Natriumkanälen

Mutationen in Genen für Na+-Kanalproteine führen zu unterschiedlichen "Kanal-" Erkrankungen (sog. Channelopathien) – je nach Expressionsmuster und der aus der Mutation resultierenden Funktionsänderung, z.B. Änderung der Spannungsabhängigkeit oder Störung der schnellen und langsamen Inaktivierung. Mutationen, die zum kompletten Funktionsverlust führen, sind weitaus seltener (Catterall WA 2012). Channelopathien manifestieren sich immer dort, wo der betroffene Na+-Rezeptor bevorzugt vorkommt:

  • Mutationen im Gen für den Nav1.4 führen zu muskulären Erkrankungen. Periodische Paralysen sind durch episodisch auftretende Muskelschwächeanfälle gekennzeichnet.
  • Bei der Paramyotonia congenita kommt es zu einer kälteinduzierten Muskelsteifigkeit und -schwäche. In beiden Fällen führen die Mutationen zu einer gesteigerten Kanalaktivität durch Störung der schnellen und/oder langsamen Inaktivierung (George AL 2005). Die Dauer der muskulären Aktionspotenziale wird verlängert, was wiederum den K+-Transport stört.
  • Mutationen im Nav1.5-Gen führen zu schweren und zum Teil lebensbedrohlichen Herzrhythmus- und Reizweiterleitungsstörungen.
  • Long-QT-Syndrom Typ III:  Bei Patienten mit Long-QT-Syndrom Typ III kommt es aufgrund einer gestörten Inaktivierung dieses Kanals zu verlängerten Aktionspotenzialen.
  • Brugada-Syndrom:  Mutationen, die eine Erregungsleitungsstörung (Brugada-Syndrom) hervorrufen, reduzieren den maximal möglichen Na+-Einstrom durch eine erhöhte Tendenz der Kanäle zur langsamen Inaktivierung (Remme CA et al. (2014).
  • Epilepsie: Mutationen in den Genen für Nav1.1 und Nav.1.2 sowie für die β1-Untereinheit der Na+-Kanäle können unterschiedlich schwere Epilepsie-Erkrankungen auslösen (Hinweis: Mehr als 100 verschiedene Mutationen konnten bisher im Gen für Nav1.1 nachgewiesen werden).
  • Generalisierte Epilepsie mit Fieberkrämpfen:  Bei der benigne verlaufenden ­Generalisierten Epilepsie mit Fieberkrämpfen plus (GEFS+) treten bereits in der frühen Kindheit Fieberanfälle auf. Die später hinzukommenden Epilepsie-Episoden haben einen variablen Phänotyp.
  • Dravet-Syndrom: Beim Dravet-Syndrom (Severe myoclonic epilepsy of infancy) ist die psychomotorische Entwicklung meist schwer beeinträchtigt.
  • Familiäre hemiplegische Migräne
  • Erythromelalgie: Mutationen im Gen für Nav1.7 führen zu Schmerzerkrankungen. Bei der Erythromelalgie (Gefäßerkrankung mit Rötung, Schmerzen und Temperaturerhöhung der Haut) ist die Spannungsabhängigkeit des Kanals verändert.
  • Paroxysmal extreme pain disorder: Bei der Paroxysmal extreme pain disorder führen Mutationen im Gen für Nav1.7  zu einer Störung der Kanalinaktivierung. Ein Fehlen funktionsfähiger Kanäle führt zu einem vollständigen Verlust des Schmerzempfindens (Congenital indifference of pain) (Remme CA et al. 2014)

Hinweis(e)

Medikamente (Beispiele) mit spannungsgesteuerten Na+-Kanälen als Zielstrukturen: 

  • Lokalanästhetika: Lidocain, Procain: Bindung an geöffnete Kanäle, Modulation von Aktionspotenzialen; Schmerzausschaltung bei operativen Eingriffen
  • Antiepileptika: Phenytoin, Lamotrigin, Carbamazepin1, Valproat, Topiramat: Bindung an inaktivierte Kanäle; Stabilisierung des inaktiven Zustands; Verhinderung der Generierung schnell aufeinanderfolgender Aktionspotenziale; Einsatz bei verschiedene Epilepsieformen
  • Antiarrhythmika: Bindung an geöffnete Kanäle Modulation von Aktionspotenzialen        
    • Klasse IA: Quinidin, Procainamid, Disopyramid: Hemmung des schnellen Na+-Einstroms Verlängerung des Aktionspotenzials Verlängerung der Refraktärzeit. Indikation: ventrikuläre Arrhythmien
    • Klasse IB: Lidocain, Phenytoin, Aprindin  : Verkürzung des Aktionspotenzials Verkürzung der Refraktärzeit. Indikation: ventrikuläre Tachykardien
    • Klasse IC: Flecainid, Propafenon: Hemmung des schnellen Na+-Einstroms kein Effekt auf die Dauer des Aktionspotenzials. Indikation: (supra-)ventrikuläre Tachykardien, paroxysmales Vorhofflimmern

Literatur
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  1. Blumenthal KM et al. (2003) Voltage-gated sodium channel toxins. Cell Biochem Biophys 38: 215-238.
  2. Black JA et aal. (2013) Noncanonical roles of voltage-gated sodium channels. Neuron 80: 280-291.
  3. Blechschmidt S et al. (2008) Voltage-gated Na+ channel transcript patterns in the mammalian heart are species-dependent. Prog Biophys Mol Biol 98: 309-318.
  4. Catterall WA (2012) Voltage-gated sodium channels at 60: structure, function and pathophysiology. J Physiol 590: 2577-2589.
  5. Catterall W A (2014) Structure and function of voltage-gated sodium channels at atomic resolution. Exp Physiol 99: 35-51.
  6. George AL (2005) Inherited disorders of voltage-gated sodium channels. J Clin Invest 115: 1990-1999.
  7. Goldin AL (2001). Resurgence of sodium channel research. Annu Rev Physiol, 63:871-894
  8. Graefe KH et al. (2016) Herzrhythmusstörungen. In: Graefe KH Pharmakologie und Toxikologie. Thieme Verlag Stuttgart S 502
  9. Qadri YJ et al. (2012) ENaCs and ASICs as therapeutic targets. Am J Physiol Cell Physiol 302 : C943-C965.
  10. Patino G A et al. (2010) Electrophysiology and beyond: Multiple roles of Na+ channel β subunits in development and disease. Neurosci Lett 486: 53-59.
  11. Remme CA et al. (2014) Targeting sodium channels in cardiac arrhythmia. Curr Opin Pharmacol 15: 53-60.
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Zuletzt aktualisiert am: 27.06.2020