Hyperprolaktinämie E22.1

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 31.10.2022

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Synonym(e)

Galaktorrhoe-Amenorrhoe-Symptomenkomplex; Hyperprolactinämie

Definition

Als Hyperprolaktinämie wird der Symptomenkomplex Galaktorrhoe, (Oligo-)Amenorrhoe mit Hypogonatropismus und eine Erhöhung des Prolaktinspiegels im Blut bezeichnet. Prolaktin (PRL) ein 23kD schweres Peptidhormon, wird in der Hypophyse gebildet, aber auch extrahypophysär in den Brustdrüsen, der Dezidua, der Prostata, in der Haut, in peripheren Blutzellen und möglicherweise im Gehirn (Cabrera-Reyes EA et al. 2017). Die Halbwertszeit von PRL im Plasma beträgt 40-45 min.

In der Zirkulation existiert Prolaktin außerdem z. B. als Dimer (50-kDa „big-Prolactin“) oder als Makroprolaktin (50 kDa „big-Prolactin“; 150- bis 170-kDa „big-big-Prolaktin“) durch Komplexbildung mit Immunglobulinen (Chahal J et al. 2008).

Einteilung

Physiologische Hyperprolaktinämie: Diese ist gewöhnlich mild bis moderat.

  • Postpartale Laktation: Taktile Stimulation der weiblichen Mamille während der Stillzeit. Die Saugreize verursachen eine erhebliche PRL-Stimulation und bedingen kurzfristig überschießende Anstiege der PRL-Werte.
  • Gravidität: Am Ende einer Schwangerschaft werden Konzentrationen von 200-500ug/l gemessen. Postpartal fällt der PRL-Wert innerhalb von 4-6 Wochen wieder auf den Ausgangswert zurück.
  • Pubertät und Menopause: Bei Frauen kommt es während der Pubertät zu einem Anstieg des PRL-Wertes um etw 50%. Nach der Menopause fällt der Wert um denselben Faktor wieder ab. Beim Mann sind keine PRL-Schwankungen in den einzelnen Lebensphasen bekannt.
  • Stress (physisch und/oder psychisch): körperliche Anstrengung, Hypoglykämie, Herzinfarkt, Operationen. Bei Stress steigen die Konzentrationen von PRL, Wachstumshormon, ACTH, TSH an. Der PRL-Anstieg wird wahrscheinlich nicht durch Suppression der dopaminergen Hemmung, sondern durch ein PRL-Releasing-Faktor, evtl. vasoaktives intestinales Polypeptid (VIP) vermittelt.

Pathologische Hyperprolaktinämie.  

  • PRL-produzierende gutartige Tumoren des Hypophysenvorderlappens (Prolaktinom – Makroprolaktinom, Mikroprolaktinom): Prolaktinome machen 25-30% aller Hypophysentumoren aus. Seltener sind andere endokrin aktive Hypophysenadenome die kosekretorisch Prolaktin mitbilden (s.a. unter Paraneoplastische Syndrome).
  • Störung des PIH (Prolaktin Inhibierendes Hormon)-Transports zur Adenohypophyse oder Störung der PIH-Produktion: Kompression durch einen endokrin inaktiven bzw. Nicht-PRL-produzierenden Tumoren;
  • Supraselläre Tumoren (z.B. Kraniopharyngeom, Dermoidzysten, M. Hodgin, Lymphome)
  • Hypophysenstiel-Durchtrennung
  • Granulomatöse Erkrankungen der basalen Hirnhäute (z.B. Sarkoidose)
  • Primäre Hypothyreose: etwa 40% der Patienten entwickeln eine Hyperprolaktinämie durch eine hypothalamische Stimulation (bedingt durch endogenes TRH).
  • Niereninsuffizienz: etwa 30% der niereninsuffizienten Patienten entwickeln eine Hyperprolaktinämie
  • Hämodialysepatienten: etwa 80% dieser Patienten entwickeln eine Hyperprolaktinämie
  • Niereninsuffizienz: etwa 30% der niereninsuffizienten Patienten entwickeln eine Hyperprolaktinämie der FSH und LH, durch die eine Ovulation getriggert wird. Die eingeschränkte Gonadenfunktion ist ursächlich für eine verminderte Fruchtbarkeit während der Stillzeit.
  • Medikamente: Es handelt sich um Dopaminrezeptor-Antagonisten (das biogene Amin Dopamin ist identisch mit dem hypothalamischen PRL-Inhibiting-Factor-PIN), um Dopaminspeicher entleerende Pharmaka und um Antidepressiva und Hormone. Im Einzelnen: Chlorpromazin, Perphenazin, Sulpirid, Metoclopramis, Domperidon, Pimozid, Trizyklische Antidepressiva, Buturophenone, alpha-Methyldopa, Reserpin, Cimetidin, Östrogene, Antiandrogene. Durch die Hyperprolaktinämie wird die Produktion von Dopamin im Hypothalamus angeregt, wodurch wiederum eine Hemmung von GnRH erfolgt. Die Hemmung unterdrückt die Stimulierung

Ätiopathogenese

Die Ätiologie der Hyperprolaktinämie ist heterogen. Sie kann physiologischer, pathologischer oder pharmakologischer Natur sein. Erhöhte Prolaktin-Konzentrationen hemmen über mehrere Schritte die Synthese der männlichen und weiblichen Geschlechtshormone (Testosteron bzw. Östrogene).

Klinisches Bild

Verringerung der Libido bei Männern und Frauen. Bei der Frau führt die Hyperprolaktinämie zu einer sekundären Amenorrhoe mit Anovulation, Lidbidostörungen, Hirsutismus, Seborrhoe. Als weiteres Symptom kann eine Galaktorrhoe auftreten.

Beim Mann Verringerung des Testosteronspiegels. Es kommt zu Libidostörungen, Erektionsstörungen und einer Verringerung des Ejakulatvolumens. Zudem können eine Gynäkomastie und selten auch eine Galaktorrhoe auftreten.

Zeichen eines Hypophysentumors (Gesichtsfeldeinschränkungen, Augenmuskelparesen, Kopfschmerzen, zerebrale Störungen bis zum Koma (Foramen-Monroi-Blockade)

Labor

Die Hyperprolaktinämie kann auf der Basis zweier Blutentnahmen diagnostiziert werden. PRL-Konzentrationen >200ug/l sind fast immer beweisend für ein Prolaktinom. Ausschluß weiterer endokrinologischen Ursachen (TSH-Bestimmungen, Schwangerschaftstest)

Diagnose

Labor mit basaler PRL-Bestimmungen (Blutentnahmen an 3 versch. Vormittagen).

Therapie

Die Behandlung der Hyperprolaktinämie richtet sich nach deren Ursache.

  • Auslösende Medikamente sollten in ihrer Dosierung reduziert oder ersetzt werden.
  • Bei dem Vorliegen eines Prolaktinoms ist die Behandlung von der Größe der Geschwulst abhängig. Kleine Prolaktinomen werden medikamentös behandelt. Dadurch wird die Produktion des Prolaktins gehemmt und Blutwert normalisiert sich. Die Tumoren verkleinern sich bei etwa 70% der Betroffenen. Die medikamentöse Behandlung hat jedoch zahlreiche Nebenwirkungen (Übelkeit mit Brechreiz sowie Müdigkeit und Obstipation).Häufig wird nach wenigen Tagen eine Besserung der Symptomatik erzielt. Die Dosis der Medikamente sollte langsam erhöht werden, um mögliche Nebenwirkungen wie Übelkeit, Blutdruckabfall und Schwindelanfälle zu vermeiden. Gegebenenfalls kann die zusätzliche Gabe von Geschlechtshormonen (Östrogene, Testosteron) sinnvoll sein.
  • Eine Operation kommt heutzutage nur noch bei nachgewiesenem Therapieversagen ("Dopaminresistenz") oder beim Auftreten lebensbedrohlicher Komplikationen (z.B. Hirnblutungen) in Betracht. Die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls liegt zwischen 50 und 100%. Hypophysenfunktionen können ebenfalls beeinträchtigt werden.
  • Die Strahlentherapie wird erst nach erfolgloser medikamentöser bzw. operativer Behandlung eingesetzt, da mit gravierenden Nebenwirkungen zu rechnen ist. Dazu zählen u.a. der Ausfall weiterer Funktionen der Hirnanhangdrüse (Sekretion der Hormone Gonadotropin und Wachstumshormon). Eine Normalisierung der Prolaktinspiegel tritt zudem erst nach mehreren Jahren auf.

Hinweis(e)

Bei morgendlicher Messung erklärt sich ein erhöhter Prolaktinspiegel ggf. aus der zirkadianen Rhythmik.

Auf Grund der molekularen Heterogenität von PRL, insbes. bei der Makroprolaktinämie besteht eine erhebliche Variabilität der PRL-Werte, gemessen mit unterschiedlichen Immunoassays. Bei neueren Immunoassays werden nur noch ein geringer Teil der Proben durch Makroprolaktin gestört.

Synonyme aus der Zeit vor Prolaktinmessungen, die gelegentlich noch auftauchen, sind:

  • Ahumada-del-Castillo-Argonz-Syndrom: Hyperprolaktinämie bei Nulliparä ohne Nachweis eines Prolaktinoms
  • Argonz-Ahumada-Castillo-Syndrom: Kombination von Galaktorrhoe und Amenorrhoe
  • Chiari-Frommel-Syndrom: ausgeprägte und persistierende postpartale Galaktorrhoe und Amenorrhoe
  • Forbes-Albright-Syndrom: Galaktorrhoe und Amenorrhoe bei einem Hypophysentumor

Literatur
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  1. Bauer J (1996) Epilepsy and prolactin in adults: a clinical review. Epilepsy Res. 24:1-7.
  2. Cabrera-Reyes EA et al. (2017) Prolactin function and putative expression in the brain. Endocrine 57:199-213.
  3. Chahal J et al. (2008) Hyperprolactinemia. Pituitary 11:141-146
  4. Jara LJ et al. (2011) Prolactin and autoimmunity. Clin Rev Allergy Immunol 40:50-59.
  5. Lopez Vicchi F et al. (2017) Prolactin: The Bright and the Dark Side. Endocrinology 158:1556-1559.
  6. Sobrinho LG (1993): The psychogenic effects of prolactin. In: Acta Endocrinol (Copenh) 129 Suppl 1, S. 38–42

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