Frailty-Syndrom R69.8

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 12.12.2018

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Synonym(e)

Frailty; Gebrechlichkeit; körperliche Gebrechlichkeit

Definition

"Frailty" bzw. Gebrechlichkeit wird das gleichzeitige Auftreten verschiedener, z. T. krankheitsbedingter Einschränkungen verstanden, die ältere Menschen (gesundheitlich) weniger belastbar und damit anfälliger für Erkrankungen, Behinderungen oder Stürze machen (Xue QL 2011). Das Alterssyndrom "Frailty“ definiert sich durch eine Abnahme der Leistungsfähigkeit in den unterschiedlichen Organsystemen, die eine erhöhte Vulnerabilität durch ein negatives Ergebnis bedingt. Der ältere Organismus verliert zunehmend seine Leistungs- bzw. Kompensationsfähigkeit. Er  wird anfälliger für Erkrankungen u.U. mit wiederholten Krankenhausaufenthalten, mit Pflegebedürftigkeit, mit erhöhter Sterblichkeit."Frailty" als Syndrom ist mittlerweile weltweit akzeptiert (s.u. Clegg A et al. 2013).

 

Einteilung

Die bekannteste Messskala für „Frailty“ stammt von Fried LP et al. (2001). Hierbei wird eine beginnende "Frailty" ("Prefrailty") von der eigentlichen "Frailty" unterschieden. Sind nur 2 der der Kriterien erfüllt, so spricht man vom Prefrailty-Syndrom, bei 3 oder > 3 zutreffenden Kriterien von einem Frailty-Syndrom. Die Definition nach Fried (Fried LP et al. 2001) stellt physiologische Kriterien (z. B. Kraft, Ausdauer) in den Mittelpunkt, was für die Beurteilung von Risiken wie Stürze oder medizinische Interventionen gerechtfertigt ist. Frailty kann jedoch ebenso eine soziale oder eine psychische "Frailty" umfassen.

Eine weitere klinisch brauchbare Klassifikation ist die CSHA (Clinical Frailty Scale) die 7 Abstufungen, unterscheidet. Ihre Validität entspricht in etwa der von komplexeren Skalen (Buta BJ et al. 2015).

Frailty-Kriterien nach Fried (2001). Nach Fried kann von einer Frailty ausgegangen werden, wenn mindestens 3-5 nachfolgenden Leitsymptome vorhanden sind:

  • Unbeabsichtigte Gewichtsreduktion von > 5 kg/Jahr, bzw. nach der Deutschen Gesellschaft für Ernährung definiert als Gewichtsverlust um > 5% in 3 Monaten oder > 10% in 6 Monaten.
  • Abnahme der groben Körperkraft (Handkraftmessung 20% gegenüber der Vergleichspopulation)
  • Subjektiv empfundene Erschöpfung
  • Reduzierte Ganggeschwindigkeit (5 m Gehstrecke mit 20% der Geschwindigkeit gegenüber der Vergleichspopulation), im Sinne einer reduzierten Mobilität
  • Reduzierte allgemeine Aktivität

Liegen nur 1 oder 2 Kriterien vor, spricht man von sogenannter Prefrailty.

Vorkommen/Epidemiologie

Die Prävalenz von "Frailty" steigt mit zunehmendem Lebensalter an. 2,8 % der 65­ bis 79­jährigen Frauen und 2,3 % der gleichaltrigen Männer sind körperlich gebrechlich (“frail”); insgesamt sind dies 2,6 % der älteren Erwachsenen. Die Prävalenz der “Pre­Frailty”, der Vorstufe der Gebrechlichkeit, liegt insgesamt bei 38,8 % (40,4 % der Frauen; 36,9 % der Männer). Bei beiden Indikatoren zeigen sich keine signifikanten Geschlechtsunterschiede (Robert Koch­Institut 2016).

Ätiopathogenese

Eine wichtige Ursache für "Frailty" ist der Rückgang der körperlichen Leistungsfähigkeit in der sich in mehreren Funktionsrückgängen kennzeichnet: z. B. in der Verminderung von Kraft, Seh- und Hörfähigkeit, Nierenfunktion, geistiger Leistungsfähigkeit u.a.. Mit zunehmender „Frailty“ wird der Funktionsverlust so groß, dass mit den verbleibenden Reserven die täglichen Anforderungen nicht mehr bewältigt werden können.

Klinisches Bild

Mit dem Auftreten von "Frailty" wurde eine Vielzahl von Risiken im Alter miteinander in Verbindung gebracht. Ein hoher Grad an Frailty geht mit einer kürzeren Lebenserwartung einher. So überlebten von Personen die nach den Frailtykategorien der Stufe 6-7 eingestuft waren, nur 40 % die folgenden 5 Jahre, in der Kategorie 1-3 jedoch 80 % (Rockwood K et al. 2005). "Frailty" war mit vermehrten Stürzen assoziiert (Kojima G et al. 2015). Weitere Risiken sind z. B. eine drohende Pflegeheimeinweisung oder -bedürftigkeit. Eine graduierte "Frailty"-Einschätzung kann auch bei der Einschätzung eingreifender medizinischer Therapien verwendet werden. So geht "Frailty" z. B. bei onkologischen Patienten mit einer höheren perioperativen Sterblichkeit oder einem höheren Risiko für Nebenwirkungen bei Chemotherapien einher. Auch vermindert sich die Impfantwort (z.B. bei Influenza-Impfung) ein. Bei Senioren mit 3 oder >3 Frailty-Kriterien nach Fried baut sich nach der Impfung ein geringer Antikörpertiter auf, verbunden mit einer erhöhten Rate an Influenza-Infektionen.      

Frailty-Skalen werden daher als Hilfen für medizinische Entscheidungen herangezogen, z. B. zur Frage der Operationsfähigkeit eines älteren Patienten (Kraiss LW et al. 2015)  oder der Behandlungsfähigkeit mittels einer aggressiven Chemotherapie. Auch zur Vermeidung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen kann "Frailty" herangezogen werden (Cullinan S et al. 2015). So würde bei gebrechlichen alten Menschen die leitliniengerechte Therapie der Behandlung des Bluthochdrucks verlassen werden und eine risikoadaptierte Einstellung des Blutdrucks gemäß der Einschätzung des behandelnden Arztes empfohlen (Mancia G et al. 2013). Entscheidend ist es, eine Entwicklung des Patienten hin zu "Prefrailty" oder "Frailty" rechtzeitig zu erkennen.

 

Therapie

"Frailty" ist letztlich ein komplexes Syndrom, das verschiedenste Komponenten erfasst (z. B. Kraft, Gangbild, Ausdauer, Gewicht). Jede einzelne dieser Komponenten ist therapierbar. Daher ist "Frailty" durch Besserung seiner Einzelkomponenten in seiner komplexen Gesamtheit behandelbar. So kann mit einer Verbesserung der Ernährung der Gewichtsverlust und damit auch Muskelmasseverlust verzögert werden. Ein Kraft- oder Ausdauertraining ist auch in hohem Alter noch möglich. Da verschiedene Leistungen betroffen sind, sollte sich auch die multidisziplinäre geriatrische Intervention (Physio- und Ergotherapie, Sozialdienst, Hilfsmittelversorgung usw.) positiv auf den Zustand von "Frailty" auswirken. Eine akzeptierte ganzheitliche medikamentöse Behandlung existiert derzeit noch nicht, erscheint aber nicht gänzlich ausgeschlossen (z. B. Hormontherapie oder Anabolika) (O’Connell MD et al. 2014)

 

Es gelten für die Praxis folgende Kriterien:

  • Drohende "Frailty" frühzeitig erkennen, soziale Intervention (Ausbau sozialer Netzwerke) 
  • Prävention so früh wie möglich beginnen
  • Kein therapeutischer Nihilismus
  • Zusätzliche Krankheiten behandeln
  • Patienten und Angehörige auf Risiken von "Frailty" (z. B. Stürze) aufmerksam machen
  • Multifaktorielle Intervention empfehlen (z. B. Ernährung, Bewegung, geistige Aktivität)
  • Bei "Frailty" individuell und risikoadaptiert entscheiden (dies bedeutet auch bestehende Leitlinien gfls. an das persönliche Profil eines Patienten anzupassen).

Hinweis(e)

Jeder Arzt kennt die Zeichen von Gebrechlichkeit ("Frailty"). Die Patienten wirken schwach, langsamer, haben vielleicht abgenommen und sind ohne körperliche Reserven. Es drohen Komplikationen wie Stürze und eine eingeschränkte Lebenserwartung. 

Viele physiologische Systeme, z. B. die Muskelmasse, bauen sich in der Jugend auf, erreichen ein Maximum im jungen Erwachsenenalter und nehmen dann im Laufe des Lebens allmählich wieder ab. Schließlich werden die Leistungen so gering, dass die Bewältigung des Alltags kaum noch oder überhaupt nicht mehr zu bewältigen ist (Buckinx F et al. 2015).  Die Menschen werden zunehmend „frail“ also gebrechlich. Da "Frailty" meist in höherem Lebensalter auftritt, ist es in erster Linie ein geriatrisches Syndrom.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Buckinx F et al. (2015) Burden of frailty in the elderly population: perspectives for a public health challenge. Arch Public Health 73:19.
  2. Buta BJ et al. (2015) Frailty Assessment Instruments: Identification and Systematic Characterization of the Uses and Contexts of Highly-Cited Instruments. Ageing Res Rev 26:53-61. 
  3. Clegg A et al. (2013) Frailty in elderly people. Lancet 381:752-762
  4. Cullinan S et al. (2015) Use of a frailty index to identify potentially inappropriate prescribing and adverse drug reaction risks in older patients. Age Ageing, doi: 10.1093/ageing/afv166
  5. Fried LP et al. (2001) Frailty in older adults: evidence for a phenotype. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 56: M146-M156 
  6. Kojima G et al. (2015) Frailty predicts short-term incidence of future falls among British community-dwelling older people: a prospective cohort study nested within a randomised controlled trial. BMC Geriatr 15:155 
  7. Kraiss LW et al. (2015) Frailty assessment in vascular surgery and its utility in preoperative decision making. Semin Vasc Surg 28:141-147 
  8. Mancia G et al. (2013) ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension: the Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC). J Hypertens 31:1281-1357 
  9. O’Connell MD et al. (2014) Androgen effects on skeletal muscle: implications for the development and management of frailty. Asian J Androl 16:203-212
  10. Robert Koch­Institut (Hrsg) (2016) Prävalenz von körperlicher Gebrechlichkeit (Frailty). Faktenblatt zu DEGS1: Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (2008 – 2011). RKI, Berlin www.degs­studie.de
  11. Rockwood K et al. (2005) A global clinical measure of fitness and frailty in elderly people. CMAJ 173:489-495 
  12. Xue QL (2011) The frailty syndrome: definition and natural history. Clin Geriatr Med 27:1-15 

 

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