ARPKD Q61.1

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 02.03.2021

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Synonym(e)

Autosomal rezessive polyzystische Nierenerkrankung; infantile polyzystische Nephropathie; infantile polyzystische Nierenerkrankung; Typ I Nephropathie nach Potter

Erstbeschreiber

Marquardt differenzierte 1934 bei Nierenzysten erstmals zwischen 2 verschiedenen Erbgängen. Eine umfangreiche Monographie zu Klinik und Genetik wurde 1957 von Dalgaard veröffentlicht.

Im Jahre 1971 beschreiben Blyth und Ockenden umfassend die klinische Variabilität der autosomal rezessiven in Form bis ins Jugendalter (Ganten 2013).

Das Caroli- Syndrom (und die Caroli- Krankheit) wurden 1958 erstmals von Caroli beschrieben und anschließend nach ihm benannt (Krombach 2015).

 

 

Definition

Unter einer autosomal rezessiven polyzystischen Nephropathie (ARPKD) versteht man eine Erkrankung der Nieren, bei der es zu einer zystischen Erweiterung der Sammelrohre kommt.

Die ARPKD tritt immer doppelseitig auf und ist stets kombiniert mit einer kongenitalen Leberfibrose, bei der sich Zysten und u. U. eine portale Hypertension entwickeln können (Risler 2008).

Die Leberbeteiligung ist um so schwerer, je später die Erkrankung symptomatisch wird (Manski 2019).

Einteilung

Nach Potter unterteilte man die zystischen Nierenerkrankungen ein in (Michels 2010):

  • Typ I: infantile polyzystische Nierenerkrankung
  • Typ II: angeborene Nierendysplasie
  • Typ III: adulte polyzystische Nierenerkrankung
  • Typ IV: angeborene multizystische Dysplasie

Diese historische Klassifizierung ist inzwischen nicht mehr gebräuchlich (Manski 2019).

Heutzutage differenziert man bei den zystischen Nephropathien zwischen:

  • Dysplastischer Nierenerkrankung
  • Zystischer Nierenerkrankung mit klassischem Erbgang (zu der die ARPKD zählt)

Bei der ARPKD differenziert man zusätzlich zwischen verschiedenen Verlaufsformen, die altersabhängig sind (Hofmann 2005):

  • neonatale Form
  • infantile Form
  • juvenile Form
  • adulte Form

Vorkommen/Epidemiologie

Die Inzidenz liegt bei 1 : 20.000 Lebendgeburten (Herold 2021), die Carrier- Frequenz bei 1 : 70 (Kasper 2015). Eine Geschlechterpräferenz besteht nicht.

Ätiopathogenese

Es handelt sich bei der ARPKD um eine autosomal rezessive Erkrankung, bei der es im Chromosom 6 zu einer Mutation des PKHD1- Gens kommt (Hegele 2015) mit unterschiedlich ausgeprägter multipler Allelie (Ganten 2013). 

Pathophysiologie

Durch die Mutation kommt es zu einem Defekt des Proteins Fibrocystin, welches eine Rolle sowohl bei der Tubulogenese als auch bei der Aufrechterhaltung der Architektur des Lumens im Bereich des Sammelrohrs spielt (Hegele 2015).

Sollte es bei der Erkrankung bereits pränatal zu einer verminderten Urinproduktion kommen, entwickelt sich dadurch eine Lungenhypoplasie (Kasper 2015).

Manifestation

Die ARPKD manifestiert sich üblicherweise in der Perinatalperiode oder dem frühen Kindesalter, seltener in der Jugend oder dem Erwachsenenalter (Kuhlmann 2015).

Lokalisation

Bei der ARPKD sind sowohl Nieren als auch Leber betroffen und mitunter auch die Lunge.

Nieren: Die Bildung der Zysten erfolgt immer bilateral und geht primär von den Sammelrohren aus (Haumann 2018).

Zu Beginn der Erkrankung sind die Nieren durch kleinste Zysten auffällig groß, makroskopisch sind jedoch keine Zystenzu erkennen. Die Größe der Nieren verringert sich im Krankheitsverlauf relativ und absolut durch die Progression der Niereninsuffizienz. Diese bewirkt eine Atrophie der Nierentubuli und hemmt die Ausbildung neuer Zysten (Hofmann 2005).

Leber: Die Leberfibrose nimmt im Laufe der Kindheit und des jugendlichen Alters zu und es kann zur portalen Hypertension kommen mit u. U. lebensbedrohlicher Ösophagusvarizenblutung (Hofmann 2005).

Lunge: Lungenhypoplasie (Kasper 2015).

Klinisches Bild

Gedeihstörungen: Diese treten insbesondere durch eine respiratorische Erschöpfung, urämisch bedingter Übelkeit und / oder eine hepatische Gastropathie auf Grund des portalen Hypertonus (Haumann 2018).

Arterielle Hypertonie: Bei 80 % der Kinder besteht bereits in den frühen Lebensmonaten eine arterielle Hypertonie, ebenso ist häufig eine Hyponatriämie nachweisbar (Haumann 2018).

Diagnostik

Bei einer klassischen ARPKD wird die Diagnose oftmals bereits in Utero gestellt, da es durch Minderung der fetalen Urinproduktion zu einem Oligohydramnion kommt (Kasper 2015).

Eine Leberbiopsie sollte nur bei unklaren Fällen erfolgen. Für die Diagnose ist diese nicht erforderlich (Manski 2019).

 

 

Bildgebung

Sonographie

Nieren: Bei der ARPKD sind – im Gegensatz zur ADPKD – makroskopisch keine Zysten erkennbar, die Nieren lassen sich vielmehr symmetrisch, aber vergrößert darstellen (Ganten 2013).

Ansonsten zeigt sich die parenchymale Echostruktur heterogen, auch als sog. „Pfeffer und Salz Muster“ bezeichnet. Dieses entsteht durch die multiplen winzigen Zysten. 

Mitunter finden sich auch sonographisch normal große Nieren mit Hyperechogenität im Bereich des Marks oder die Zysten erscheinen als Makrophagen unterschiedlicher Anzahl, Lokalisation und Größe (Kemper 2020).

Neonatal besteht oftmals ausschließlich eine Leberfibrose ohne erkennbare Nierenbeteiligung.

Leber: Die Leber ist obligat bei einer ARPKD verändert, auch wenn sich diese sonographisch mitunter (noch) unauffälligdarstellt.

Typische Veränderungen sind:

  • Leberechogenität erhöht
  • Leberkontur abgerundet
  • Kaliberzunahme der V. portae
  • periportale Fibrose
  • portal gelegene Umgehungskollaterale
  • Schlängelung der Milzvene
  • dilatierte zystische intrahepatische Gallengänge

In manchen Fällen zeigen sich fibrotische Veränderungen der Leber, bei anderen Patienten sind dilatierte Gallenwege nachweisbar (Kemper 2020). Letzteres wird auch als das sog. „Caroli- Syndrom“ bezeichnet. Hierbei finden sich rund um die V. portae zentral betonte, bis in die Peripherie hineinreichende zystische Veränderungen der Gallenwege, die auch als sog. „intraluminäre Pfortader“ bezeichnet wird (Hofmann 2005). Besonders zu beachten sind Hinweise auf eine portale Hypertension, da diese insgesamt bislang unterdiagnostiziert ist (Kemper 2020).

 

 

Labor

Transaminasen: Die Transaminasen sind im Regelfall unauffällig bzw. erst sehr spät im Krankheitsverlauf verändert, da die hepatozelluläre Funktion erhalten bleibt (Haumann 2018)

Natrium: Bereits in der Neonatalperiode bestehen oftmals Hyponatriämien (Kemper 2020)

Entzündungszeichen: Laborchemische Hinweise auf eine Entzündung können auf eine Cholangitis hindeuten (Kemper 2020).

Histologie

Niere: Die Nieren sind unterhalb der Nierenkapsel klassischerweise von Mikrozysten mit < 3 mm Durchmesser durchsetzt. Im Bereich der Sammelrohre findet sich ein abgeflachtes Epithel.

Bei älteren Patienten können diese Zysten eine Größe von maximal 1 cm erreichen. Zusätzlich findet man Zeichen einerinterstitiellen Fibrose (Risler 2008).

Leber: Die Portalfelder sind histologisch durch die periportale Fibrose und die Proliferation der Gallenwege vergrößert. Die Hepatozyten sind unauffällig (Risler 2008).

Differentialdiagnose

Komplikation(en)

  • Hyponatriämien in der Neonatalperiode (Kemper 2020)
  • rezidivierende Cholangitiden beim Caroli- Syndrom (Hofmann 2005)
  • portale Hypertension (Kemper 2020)
  • Ösophagusvarizen bei 15 % - 37 % (ca. 33 % erleiden eine Varizenblutung [Haumann 2018])

Therapie

Eine spezifische Behandlung gibt es nicht (Kasper 2015).

Respiratorische Insuffizienz: In den ersten Lebenstagen steht die Behandlung der respiratorischen Insuffizienz an erster Stelle (Manski 2019).

Hyponatriämie: Die besonders neonatal auftretende Hyponatriämie sollte vorrangig mit einer Restriktion der Wasserzufuhr behandelt werden und nicht mit einer Natriumsubstitution (Kemper 2020).

Arterielle Hypertonie, Leber- und Niereninsuffizienz können lediglich symptomatisch behandelt werden (Manski 2019).

Terminale Niereninsuffizienz: Bei Auftreten einer terminalen Niereninsuffizienz sind die Nierenersatztherapie bzw. eine Nierentransplantation erforderlich (Manski 2019).

Portale Hypertension: Sollte es zu einer portalen Hypertension kommen, ist ein splenorenaler Shunt sinnvoll. Mitunter wird aber auch eine Transplantation notwendig (Manski 2019).

Gastrostomie: Um das altersadäquate Wachstum optimal zu fördern ist die frühzeitige Anlage einer Gastrostomie bisweilen unumgänglich (Haumann 2018).

Operative Therapie

Nephrektomie: Es gibt Einzelfallberichte, in denen bei Neugeborenen wegen der massiv vergrößerten Nieren eine Nephrektomie zur Verbessrung der Ernährungssituation, der Ventilation und der arteriellen Hypertonie erfolgte (Kemper 2020).

Rezidivierende Cholangitiden: Bei rezidivierenden Cholangitiden mit einseitigem Befall ist u. U. eine Hemihepatektomie angezeigt (Hofmann 2005).

Transplantation: Sowohl die Niereninsuffizienz als auch die Beteiligung der Leber können eine Transplantation erforderlich machen (Kemper 2020).

Verlauf/Prognose

An der ARPKD versterben bereits 50 % im Neugeborenenalter an respiratorischen Komplikationen. Todesursachen sind überwiegend Atemnotsyndrom oder Lungenhypoplasie (Herold 2021). Je früher die Erkrankung manifest wird, um so ausgeprägter sind Nierenbeteiligung, respiratorische Insuffizienz und um so schlechter ist die Lebenserwartung.

Bei direkt postpartalem Erkrankungsbeginn findet sich ein letaler Verlauf innerhalb von Monaten durch respiratorische Insuffizienz und Nierenversagen bei bis zu 30 % - 50 %.

Bei einem Erkrankungsbeginn nach dem 6. Lebensmonat kommt es im Kindesalter oder mitunter erst als junger Erwachsener zu einer terminalen Niereninsuffizienz und einer portalen Hypertension (Manski 2019).

In der 1. Studie über Langzeitergebnisse einer ARPKD von Bergmann (2005) zeigte sich:

  • Beginn der Dialyse / Nierentransplantation / Tod durch Nierenerkrankung 86 % nach 5 Jahren
  • bei 75 % kam es zu einer systemischen Hypertonie
  • 44 % entwickelten Folgen der angeborenen Leberfibrose und der portalen Hypertonie

Hinweis(e)

Die Diagnose einer ARPKD kann in Utero in schweren Fällen bereits nach der 24. SSW gestellt werden (Kasper 2015).

Falls ein pränataler V. a. eine ARPKD besteht, sollte der Schwangeren zeitnah eine interdisziplinäre Beratung (bestehend aus Pränatalmediziner, Neonatologe, Kindernephrologe, Humangenetiker) angeboten werden (Kemper 2020).

Es wird empfohlen, betroffene Kinder mindestens 1 x pro Jahr einem Gastroenterologen zur Evaluierung des hepatocholangiopathischen Phänotyps vorzustellen (Kemper 2020).

Geschwisterkinder haben ein 25 % iges Risiko, ebenfalls zu erkranken (Manski 2019).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Bergmann C et al. (2005) Clinical consequences of PKHD1 mutations in 164 patiente with autosomal- recessive polycystic kidney disease (ARPKD). Genetic disorders- Development (67) 829 - 848
  2. Ganten D et al. (2013) Monogen bedingte Erbkrankheiten 2 : Handbuch der Molekularen Medizin. Springer Verlag 291 – 292
  3. Haumann S et al. (2018) Erbliche Zystennierenerkrankungen: Autosomal-dominante und autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD und ARPKD). Medizinische Genetik (30) 422 - 428
  4. Hegele A et al. (2015) Urologie: Intensivkurs zur Weiterbildung. Thieme Verlag 117 - 118
  5. Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 630 – 631
  6. Hofmann V et al. (2005) Ultraschalldiagnostik in Pädiatrie und Kinderchirurgie: Lehrbuch und Atlas. Thieme Verlag 266 – 267, 445 - 447
  7. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1853 - 1856
  8. Kasper D L et al. (2016) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 2282 - 2283
  9. Keller C K et al. (2010) Praxis der Nephrologie. Springer Verlag 45 - 46
  10. Kemper M et al. (2020) S2k- Leitlinie Nierenzysten und zystische Nierenerkrankungen: Nierenzysten und zystische Nierenerkrankungen bei Kindern. AWMF Register Nr. 166 / 003 
  11. Krombach G A et al. (2015) Radiologische Diagnostik Abdomen und Thorax: Bildinterpretation unter Berücksichtigung anatomischer Landmarken und klinischer Symptome. Thieme Verlag 9.4.5
  12. Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 656
  13. Manski D (2019) Das Urologielehrbuch. Dirk Manski Verlag 227
  14. Risler T et al. (2008) Facharzt Nephrologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 717 - 720

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