Zytostatika ParavasateT80.1

Autor:Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 23.06.2016

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Synonym(e)

Paravasate

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Definition

Extravasaler Austritt oder unbeabsichtigte oder fälschliche Verabreichung einer Chemotherapie in das Unterhautgewebe oder in tiefere Gewebeschichten hinein, anstelle der gewünschten intravenösen Applikation. Die Folgen hängen von der lokalen Wirkung des Zytostatikums ab.

Einteilung

Vorkommen/Epidemiologie

Bei 0,1-05% aller intravenösen Zytostatikagaben.

Ätiopathogenese

  • Wahl einer ungeeigneten Darreichungsform oder eines ungeeigneten Zugangsweges
  • Fehler in der Anwendungstechnik
  • Patientenbedingte Faktoren:
    • schlechte Venenverhältnisse wegen wiederholter Chemotherapien
    • fortgeschrittenes Alter mit Fragilität der Venen
    • Phlebitis im Bereich der injizierten Vene
    • Verminderung des venösen Rückstroms bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Klinisches Bild

  • Akut: Ödem, Rötung, Schmerzen, Überwärmung.
  • Systemische Reaktionen sind möglich.
  • Vasovagale Reaktionen mit Übelkeit und Erbrechen.
  • Weiterer Verlauf: Ab Tag 6-7 Gefahr der Nekrose! Möglichkeit der Superinfektion.

Therapie

Abgestimmte Therapie auf den verursachenden Wirkstoff.

Therapie allgemein

  • Akutsituation: Überwachung von Puls, Lokalbefund, Vitalzeichen; rasche Einleitung einer Therapie - auch bei Fehlen von Symptomen.
    • Basismaßnahmen: Injektion/Infusion sofort stoppen, i.v. Zugang zunächst belassen, sterile Handschuhe anziehen; mit 5 ml Spritze aus dem venösen Zugang soviel wie möglich Paravasat aspirieren (Spritze als Zytostatika-Abfall entsorgen!); venösen Zugang verschließen; Inhalt evtl. entstandener Blasen mit Tuberkulinspritze und 27 G Kanülen aspirieren. Anschließend i.v. Zugang entfernen.
    • Zusätzliche Maßnahmen: Extravasatgebiet mit sterilen Kompressen abdecken und fixieren; Hochlagerung der Extremität (24-48 Std.), ggf. Ruhigstellung; Patient über weiteres Vorgehen informieren; Paravasatgebiet beobachten (mindestens 6 Wochen).
  • Substanzspezifische Maßnahmen (Daunorubicin, Doxorubicin, Epirubicin):
    • Bei Erwachsenen: ggf. i.v. Applikation von Dexrazoxan (Savene) einmal täglich an drei aufeinanderfolgenden Tagen.
    • Tag 1: 1000 mg/m2 KO (max. 2000 mg), i.v. über 1-2 Std.
    • Tag 2: 1000 mg/m2 KO (max. 2000 mg), i.v. über 1-2 Std.
    • Tag 3: 500 mg/m2 KO (max. 1000 mg), i.v. über 1-2 Std.
    • Vor einer Dexrazoxan-Therapie muss eindeutig festgestellt werden, dass ein Anthracyclin-Paravasat vorliegt. Neben der Rötung ist i.d.R. eine lokale Schwellung zu beobachten. Cave! Therapiekosten (ca. 10.000 Euro für 3 Tage!).
    • In allen Fällen, in denen eine Therapie mit Dexrazoxan nicht indiziert ist, gelten für die Anthracyclin-Paravasate folgende Maßnahmen:
      • Lokale Kälteapplikationen alle 4-6 Std. für 15 Min. Lokale Applikation von 99% Dimethylsulfoxid (DMSO) mit Watteträger, alle 3-4 Stunden wiederholen. Dauer je nach Klinik 3-14 Tage.
    • Cave! Bei liposomalem Daunorubicin oder Doxorubicin nur lokale Kälteapplikationen anwenden. Kein DMSO, da durch DMSO die Freisetzung der Anthracycline aus den Liposomen möglich ist und zur Verstärkung des Schädigungspotenzials führen kann.
    • Gegenstand der Fachdiskussion sind lokale Applikation eines topischen Glukokortikoids und lokale Infiltration mit Hyaluronidase.
  • Substanzspezifische Maßnahmen (Vinblastin, Vincristin, Vindesin, Paclitaxel):
    • Lokale sternförmige (periläsionale) Unterspritzung mit Hyaluronidase (6-10 Vials zu 150 I.E. Auflösen der Trockensubstanz mit 1,0 ml NaCl 0,9% pro Vial. Cave! Die Unterspritzung der Paravasatregion verursacht starke, brennende Schmerzen. Zu erwägen ist eine zusätzliche lokale Analgesie mit 2-5 ml Mepivacain 1%. Lokale milde, trockene Wärmeanwendung über 24 Std. (Paravasatstelle mit Decke wärmen!). Auf feuchte Umschläge sollte verzichtet werden, da die Gefahr der Mazeration mit Förderung der Nekrosetendenz besteht. Bei Paclitaxel sollte auf die Wärmeapplikation verzichtet werden.
    • In Diskussion: Bei Vinca-Alkaloiden: Lokale Infiltration von 8,4% NaHCO3 oder Natriumthiosulfat.

Prophylaxe

  • Inhalt des Paravasate-Notfallsets:
    • 4 Spritzen 1 ml
    • 2 Spritzen 2 ml
    • 2 Spritzen 5 ml
    • 1 Spritze 10 ml
    • 5 Kanülen 27 G
    • 5 Kombiverschlüsse
    • 4 Paar sterile Handschuhe (Nr. 6 + 7)
    • 5 x 2 Watteträger steril
    • 3 sterile Kompressen 5 x 5 cm
    • 3 sterile Kompressen 10 x 10 cm
    • 1 Rolle Leukosilk 2,5 cm
    • 1 Instant Kälte Pack 10 x 20 cm . (im Kühlschrank-Gefrierfach aufzubewahren)
    • 1 Lavatherm Wärme Pack 13 x 23 cm
    • 2 saugfähige Unterlagen
    • 10 Amp. Hyaluronidase 150 I.E. (im Kühlschrank aufzubewahren)
    • 8 Amp. NaCl-Lsg. 0,9% 10 ml zum Lösen
    • 2 Amp. MepiHexal sine 1% 5 ml (Mepivacain HCl 50 mg)
    • 50 ml DMSO 99% reinst (Merck)
    • 4 Amp. Savene 500 mg, dazu 100 ml Aqua ad Injectabilia zum Auflösen und 1 Btl. Verdünnungsmittel 500 ml.
    • 2 Spritzen 50 ml, 4 Kanülen 20G.

Hinweis(e)

  • Zur Prävention immer auf korrekte intravenöse Lage des Zugangs achten! Bei Zytostatika mit hoher Nekrosewahrscheinlichkeit sowie bei schwierigen Venenverhältnissen ggf. rechtzeitige Portanlage. Das Ausmaß der Spätschäden ist aufgrund der Sofortreaktion häufig nicht abschätzen. Bei der Behandlung von Paravasaten existieren bisher keine validierten Richtlinien. Es gibt hierzu lediglich Expertenempfehlungen.
  • Dokumentation: Ein Paravasat und nachfolgende Maßnahmen sind in jedem Fall zu dokumentieren.

Literatur

  1. Allwood M et al. (1997) The Cytotoxics Handbook, S. 107-121. 3rd Ed. Oxford and New York
  2. Mader I et al. (2006) Paravasation von Zytostatika. Ein Kompendium für Prävention und Therapie. Springer Wien New York.
  3. Mouridsen HT et al. (2007) Treatment of anthracycline extravasation with Savene (dexrazoxane): results from two prospective clinical multicentre studies. Annals of Oncology 18: 546-550

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Zuletzt aktualisiert am: 23.06.2016