Flusssäureverätzung T30.4

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 24.10.2017

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Synonym(e)

Fluorwasserstoffsäure-Verätzung; Hydrofluoric acid burn

Definition

Ausbildung sehr schmerzhafter, schlecht heilender Nekrosen durch Flusssäure (HF), eine hygroskopische, sehr reaktionsfähige, ätzende Flüssigkeit, die als protoplasmatisches Gift wirkt. Identische Verätzungen werden auch durch die Salze der Flusssäure, z.B. Natriumhydrogenfluorid hervorgerufen.

Klinisches Bild

  • Die Ätzwirkung setzt meist verzögert ein: Bei Konzentrationen < 50% 1-8 Std., bei < 20% bis zu 24 Std. Verzögerung.
  • Integument: Rötung, Brennen, schwerste Läsionen der Haut schon ab 0,3%iger Flusssäure. Entstehung zunächst von Koagulations-, später Kolliquationsnekrosen mit Tendenz zum Fortschreiten in tiefe Gewebsschichten. Sehr starke Schmerzhaftigkeit. Perkutane Resorption ist möglich: Durch Hemmung des Zitratzyklus ZNS-Symptomatik, Nephro- oder Hepatotoxizität.
  • Augen: Rötung, Brennen, Hornhauterosionen und -trübungen.
  • Magen-Darmtrakt: Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Blutungen, Perforationen.
  • Atemwege: Verätzungen, Atemnot, Lungenödem, Lungenentzündung, bleibende Schäden.

Komplikation(en)

Exitus letalis ist bereits bei kleinflächiger Exposition (2% der KO!) mit hoch konzentrierter Flusssäure möglich.

Therapie

Sofortige Therapie ist von entscheidender Bedeutung, um die Ausbildung von Nekrosen zu verhindern oder abzuschwächen. In jedem Fall sollte eine Klinikeinweisung erfolgen, da auch leichte Verätzungen das unkalkulierbare Risiko eines toxischen Schockes in sich tragen (Kolliquationsnekrose!).
  • Sofortmaßnahmen bei Flusssäure-Verätzung der Haut am Unfallort:
    • Spülung unter fließendem Wasser 3-5 Min.
    • Entfernung kontaminierter Kleidung (Schutzhandschuhe tragen)
    • 2,5% Kalziumgluconat-Gel 5 mm dick mit dem Spatel auftragen, nach 2 Min. abspülen, erneut dick massierend aufbringen und bis zur Klinikaufnahme belassen (an den Händen Folienhandschuhe überstreifen).
    • Alternativ: Spülung mit 10% Kalziumgluconat-Lösung aus Fertigampullen, anschließend steriler Verband für den Transport, mit dieser Lösung feuchthalten.
  • Allgemeine Begleittherapie:
    • Alle notwendigen Maßnahmen, die sich aus den laborchemischen Befunden und den Ergebnissen der Herz- Kreislaufdiagnostik ergeben.
    • Zeitlich limitierte, mittelhohe Glukokortikoidgabe z.B. Prednisolon 40-60 mg/Tag (z.B. Decortin H).
    • Initial Antibiotika mit breitem aeroben und anaeroben Spektrum bei vorhandenen Nekrosen, ggf. als perioperative Antibiotika-Prophylaxe. Gezielte Fortsetzung nach Antibiogramm.
Patienten mit einer Verätzung 2. und 3. Grades sowie einer Verätzungsfläche von mehr als Handgröße sollten direkt in Kliniken gebracht werden, in der die Möglichkeit zu intensivmedizinischer Betreuung gegeben ist. Therapie im beschwerdefreien/-armen Intervall s. Tab.

Operative Therapie

  • Frühbehandlung: Innerhalb der ersten postakzidentiellen Std. bei ausgedehnten Grad 2- und 3- Verätzungen oder bei Verdacht der Nagelbettmitbeteiligung: prophylaktische Nagelextraktion.
  • Spätbehandlung: Forcierte Entfernung aller manifesten Nekrosen und bei Nagelbettnekrosen Nagelextraktion und Kürettage des Nagelbettes.

Tabellen

Therapievorschläge für umschriebene Flusssäureverätzungen nach Krankenhausaufnahme im beschwerdefreien bzw. beschwerdearmen Intervall

Lokalisation

Maßnahmen

Finger/Zehen (Unterarme/Unterschenkel)

Regionale intraarterielle Kalzium-Bolusinjektionen 14 mg/kg KG

"Prophylaktische" Nagelextraktion erwägen

Kontinuierliche Fortsetzung der externen 5%igen Kalziumgluconatbehandlung über 4-6 Tage

Kopf/Hals/Rumpf (Oberarme/Oberschenkel)

Infiltration der entsprechenden Menge eines Gemisches von 5-10% Kalziumgluconat (max. 0,5 ml/cm2 10%ig) mit 40 mg Triamcinolonacetonid Kristallsuspension (Volon A) nach Berechnung der verätzten Fläche

Nach individueller Entscheidung 1% Lidocain unter Beachtung der Maximaldosen

Evtl. vertikale oder tangentiale Exzision erwägen

Kontinuierliche Fortsetzung der externen 5%igen Kalziumgluconatbehandlung über 4-6 Tage

Literatur
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  1. Foster KN et al. (2003) Hydrofluoric acid burn resulting from ignition of gas from a compressed air duster. J Burn Care Rehabil 24: 234-237
  2. Hojer J et al. (2002) Topical treatments for hydrofluoric acid burns: a blind controlled experimental study. J Toxicol Clin Toxicol 40: 861-866
  3. Huisman LC et al. (2001) An atypical chemical burn. Lancet 358: 1510
  4. Sebastian G (1994) Praxisrelevante Therapieempfehlungen bei Flußsäureverätzungen, Hautarzt 45: 453–459

Weiterführende Artikel (1)

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