Patisiran
Synonym(e)
Definition
Patisiran war die erste siRNA (small interfering RNA) aus der Substanzklasse der RNA Interferenz (RNAi) Therapeutika die weltweit zugelassen wurde. Es wurde 2018 in den USA und Europa zur Behandlung der hereditären Transthyretin Amyloidose (hATTR) mit Polyneuropathie Stadium 1 oder 2 zugelassen.
Vutrisiran bewirkt über RNA Interferenz eine Hemmung der Transthyretin (TTR)-mRNA, und damit eine Verringerung der TTR-Proteinproduktion.
RNA Interferenz ist ein in der Zelle natürlich vorhandener endogener Mechanismus, der zur Genregulation oder auch zur Abwehr von, durch Viren eingeschleuster siRNA, genutzt wird. Dieser Prozess wird auch als gene silencing bezeichnet. Die Therapie mit siRNA macht sich diesen endogenen Mechanismus zunutze um die Proteinsynthese spezifischer Proteine zu unterdrücken. Dieser Prozess ist posttranskriptional und greift nicht auf der Ebene der DNA ein. Er setzt an der bereits abgelesenen mRNA ein und verhindert deren Übersetzung (Translation) in das kodierte Protein
Das Ziel der Behandlung ist, die weitere Synthese des fehlerhaften TTR Proteins und in der Folge die Ablagerung von Amyloidfibrillen im Gewebe und das weitere Fortschreiten des Krankheitsprozesses zu verhindern.
Pharmakodynamik (Wirkung)
Bei Patisiran handelt es sich um eine doppelsträngige, kleine interferierende Ribonukleinsäure (small interfering ribonucleic acid, siRNA), die spezifisch auf eine genetisch konservierte Sequenz in der 3’-untranslatierten Region der gesamten mRNA von mutiertem und Wildtyp-TTR abzielt. Patisiran ist eine Lipid-Nanopartikel Zubereitung, um die siRNA in die Hepatozyten zu befördern, die die primäre Quelle des TTR-Proteins im Kreislauf darstellen.
Durch einen natürlichen Prozess, der als RNA-Interferenz (RNAi) bezeichnet wird, bewirkt Patisiran den katalytischen Abbau der TTR-mRNA in der Leber, was zu einer Reduktion des TTR-Proteins im Serum führt.
Nach Einzeldosis mit 300 Mikrogramm pro kg Reduktion des mittleren TTR-Serumspiegel innerhalb von 10 bis 14 Tagen um ca. 80 %.
Bei wiederholter Gabe alle 3 Wochen Reduktion des mittleren TTR-Serumspiegels nach 9- bzw. 18-monatiger Behandlung 83% bzw. 84 %.
Die TTR-Reduktion im Serum wurde bei fortgesetzter Gabe aufrechterhalten und lag nach 1,5 Jahren Behandlungszeitraum bei ca. 88%.
Serum-TTR ist Träger von Retinol-bindendem Protein, welches Vitamin A im Blut transportiert. Über einen Behandlungszeitraum von 18 Monaten betrug die mittlere Reduktion von Retinol-bindendem Protein im Serum ca. 45 % und von Vitamin A im Serum ca. 62 %. Daher ist die gleichzeitige Gabe von Vitamin A während der Behandlung notwendig (siehe Dosierung u. Anwendung bzw. Fachinfo).
Ergebnisse aus klinischen Zulassungsstudien Appollo (RCT; Patisiran versus Placebo 2:1; 225 Patienten über 18 Monate): Patisiran stabilisierte oder verbesserte die neurologische Funktion (gemessen mit standartisierten Skalen: NIS, NIS-LL, NorfolkQoL-DN u.a.) erkennbar nach ca. 6 Monaten Behandlung (Adams D et al 2018).
globalen Stabilisierung und Verbesserung der Lebensqualität auch bei fortgeschrittenem Krankheitsprozess.
Verbesserung auch bei Begandlung mit Tafimidis als vorbestehende Therapie und war auch wirksam bei Patienten mit Lebertransplantation und Progression der Neuropathie (Schmid HH et al 2022).
daneben auch Verbesserung anderer klinischer Manifestationen der Amyloidose.
Patisiran wurde off label angewendet auch zur Behandlung von:
Patienten mit Amyloidose mit restriktiver Kardiomyopathie und zeigte eine Verbesserung der kardialen Biomarker und Funktion in der Echokardiographie (Adams D et al 2018).
wild-typ Amyloidose (wt-ATTR).
Pharmakokinetik
Patisiran ist an Nano-Lipidkomplex gebunden, der aus den Lipidkomponenten DLin-MC3-DMA und PEG2000-C-DMG besteht.
Resorption und Verteilung: nach iv Applikation steigt die systemische Exposition linear proportional zur Dosis über den Dosisbereich von 0,01-0,5 mg/kg. Über 95% der Dosis bleiben im Blut stabil an Lipid-Nanopartikel assoziiert.
Bei empfohlener Dosierung von 0,3 mg/kg alle 3 Wochen wird ein steady-state innerhalb von ca. 24 Wochen erreicht.
Plasmaproteinbindung ist mit 2.1 % Bindung an Albumin und α1-Säureglykoprotein gemessen in vitro gering;
Verteilung findet ganz überwiegend in der Leber statt, dem primären Syntheseort für TTR Protein.
Metabolismus: Patisiran wird, ähnlich dem Abbau endogener RNA, durch Ribonukleasen in Oligonukleotide unterschiedlicher Länge und einzelne Nukleotide gespalten und wird hauptsächlich hierdurch aus dem Körper entfernt. Die mittlere Eliminationshalbwertszeit beträgt 3,2±1,8 Tage.
Weniger als 1% der iv Dosis wird unverändert über den Urin ausgeschieden.
Lipidkomponenten: DLin-MC3-DMA wird primär durch Hydrolyse zu 4-Dimethylaminobutansäure (DMBA) metabolisiert. PEG2000-C-DMG wird kaum bis gar nicht metabolisiert; etwa 5,5 % DLin-MC3-DMA wurde nach 96 Stunden als Metabolit (DMBA) im Urin wiedergefunden. PEG2000-C-DMG wird unverändert in der Gallenflüssigkeit ausgeschieden (Tier). Die Ausscheidung beim Menschen wurde nicht gemessen.
Pharmakokinetische/pharmakodynamische Zusammenhänge: eine Erhöhung der Patisiran-Dosis führt zu größerer TTR-Reduktion, maximale Reduktion auf einem Plateau der Patisiran-Exposition wurde mit einer Dosierung von 300 Mikrogramm pro kg alle 3 Wochen erreicht.
Lebertransplantation: in einer klinischen Studie mit Patienten mit hATTR-Amyloidose nach Lebertransplantation waren die pharmakokinetischen Parameter im steady-state und die TTR-Reduktion vergleichbar mit den entsprechenden Werten bei Patienten ohne Lebertransplantation.
Leberfunktionsstörungen: populationsbasierte pharmakokinetische und pharmakodynamische Analysen zeigten keine Auswirkung einer leichten Leberfunktionsstörung (Bilirubin ≤ 1 × ONG und AST > 1 × ONG oder Bilirubin > 1,0 bis 1,5 × ONG und beliebiger AST-Wert) auf die Patisiran-Exposition oder TTR-Reduktion im Vergleich zu Patienten mit einer normalen Leberfunktion. Patienten mit mittelschwerer oder schwerer Leberfunktionsstörung wurden nicht untersucht.
Nierenfunktionsstôrungen: populationsbasierte pharmakokinetische und pharmakodynamische Analysen zeigten keine Auswirkung einer leichten oder mittelschweren Nierenfunktionsstörung (eGFR ≥ 30 bis < 90 ml/Min/1,73 m2) auf die Patisiran-Exposition oder TTR-Reduktion im Vergleich zu Patienten mit normaler Nierenfunktion. Patienten mit schwerer Nierenfunktions-störung oder terminaler Nierenerkrankung wurden nicht untersucht.
Gewicht: für Patienten mit einem Körpergewicht ≥ 110 kg sind keine Daten verfügbar.
weitere Einzelheiten siehe Fachinfo!
Indikation
Behandlung der hereditären Transthyretin-Amyloidose (hATTR-Amyloidose) bei erwachsenen Patienten mit Polyneuropathie der Stadien 1 oder 2.
Die Behandlung sollte durch einen Arzte durchgeführt werden, der in der Behandlung von Amyloidose erfahren ist.
Die Behandlung sollte so frühzeitig wie möglich eingeleitet werden.
Die Entscheidung zur Fortsetzung der Behandlung bei Patienten, deren Erkrankung zum Polyneuropathie-Stadium 3 fortschreitet, sollte nach Ermessen des Arztes auf der Grundlage der allgemeinen Risiko-Nutzen-
Einschätzung getroffen werden.
Schwangerschaft/Stillzeit
Nicht anwenden in Schwangerschaft und Stillzeit.
Schwangerschaft:
Frauen im gebärfähigen Alter: Die Behandlung mit Vutrisiran reduziert den Vitamin A Spiegel im Serum. Bei zu hohem und zu niedrigem Vitamin A Spiegel besteht erhöhtes Risiko für fetale Fehlbildungen! Daher muss eine Schwangerschaft vor der Einleitung der Therapie ausgeschlossen werden, und Frauen im gebärfähigen Alter müssen eine zuverlässige Methode zur Empfängnisverhütung anwenden. Bei geplanter Schwangerschaft sollte Patisiran und die Vitamin A Substitution abgesetzt und Vitamin A Spiegel überwacht werden; vor Eintritt einer Schwangerschaft sollten sich Vitamin A Spiegel normalisiert haben und stabil bleiben. Vitamin A Spiegel können noch mehr als 12 Monate lang vermindert sein.
Bei ungeplanter Schwangerschaft sollte Patisiran abgesetzt werden, Keine klare Empfehlung gibt es, ob die Vitamin A Supplementierung im ersten Trimenon einer ungeplanten Schwangerschaft fortgeführt oder abgesetzt werden sollte (ggf. Kontrolle Vitamin A im Serum). Bei Fortsetzung der Vitamin A Ergänzung sollte die Dosis 3 000 IE pro Tag nicht überschreiten. Im zweiten und dritten Trimenon sollte die Ergänzung mit 2 500 IE bis 3 000 IE Vitamin A wieder aufgenommen werden, wenn sich Vitamin A Spiegel bis dahin nicht normalisiert haben, um Risiko für Vitamin A Mangel zu vermeiden.
Eine Überschreitung der Dosis von 3000 IE Vitamin A pro Tag kann schädigende Wirkung für den Fötus und die Schwangere haben.
Als Vorsichtsmaßnahme sollte frühzeitig während der Schwangerschaft eine Messung des Vitamin A und TSH-Spiegels erfolgen. Der Fötus muss engmaschig überwacht werden, insbesondere im ersten Trimenon.
Stillzeit:
Es ist nicht bekannt, ob Patisiran in die Muttermilch übergeht. Die zur Verfügung stehenden toxikologischen Daten vom Tier zeigten, dass geringe Mengen der Lipidkomponenten DLin-MC3-DMA und PEG2000-C-DMG in die Milch übergehen
Es muss abgewogen werden, ob das Stillen zu unterbrechen ist oder ob die Behandlung mit Patisiran ausgesetzt werden soll. Dabei ist sowohl der Nutzen des Stillens für das Kind als auch der Nutzen der Therapie für die Frau zu berücksichtigen.
weitere Hinweise siehe Fachinfo.
für Beratung embryotox Charité
Dosierung und Art der Anwendung
Die empfohlene Dosis Onpattro beträgt 300 Mikrogramm pro kg Körpergewicht und wird mittels intravenöser (IV) Infusion einmal alle 3 Wochen verabreicht.
Die Dosierung basiert auf dem aktuellen Körpergewicht. Bei Patienten, die ≥ 100 kg wiegen, beträgt die empfohlene Maximaldosis 30 mg.
Gleichzeitig zur Therapie mit Patisiran soll eine Ergänzung mit Vitamin A in einer Dosis
von etwa 2 500 IE pro Tag erfolgen, da die Verminderung des TTR durch Behandlung mit Patisiran zu Vitamin A Mangel und potentiell zu erhöhtem Risiko okulärer Toxizität führt. Vitamin A Mangel vor Therapie sollte ausgeglichen und okuläre Schäden vor Behandlung der Therapie augenärztlich abgeklärt werden.
Die Infusion muß unter ärztlicher Aufsicht von medizinischem Fachpersonal entsprechend der Anleitung in verdünnter Form entspr. Anleitung erfolgen. Der Patient sollte während der Infusion und ggf. auch danach überwacht werden. Einzelheiten siehe Fachinfo.
Erforderliche Prämedikation um das Risiko infusionsbedingter Reaktionen (infusion-related reactions, IRRs) zu senken:
• Intravenöse Kortikosteroide (Dexamethason 10 mg oder Äquivalent)
• Orales Paracetamol (500 mg)
• Intravenöse H1-Blocker (Diphenhydramin 50 mg oder Äquivalent)
• Intravenöse H2-Blocker (Famotidin 20 mg oder Äquivalent)
mind. 60 min vor Infusionsbeginn; bei Auftreten von IRR muß die Infusionsgeschwindigkeit angepaßt ggf. auch die Infusion unterbrochen und ggf. notwendige medizinische Maßnahmen eingeleitet werden
weitere Einzelheiten siehe Fachinfo!
Eine versäumte Dosis sollte so bald wie möglich nachträglich verabreicht werden. Bei mehr als 3 Tage verspäteter Gabe sollte die Dosisgabe alle 3 Wochen ab diesem Zeitpunkt fortgesetzt werden.
Bei Patienten ≥ 65 Jahren ist eine Dosisanpassung nicht erforderlich.
Bei Patienten mit leichter Leberfunktionsstörung ist eine Dosisanpassung nicht erforderlich.
Bei leichter oder mittelschwerer Nierenfunktionsstörung (eGFR ≥ 30 bis < 90 ml/Min/1,73 m2) ist eine Dosisanpassung nicht erforderlich.
Unerwünschte Wirkungen
häufigsten Nebenwirkungen: periphere Ödeme (29,7 %) (22,1%) Placebo) und infusionsbedingte Reaktionen (IRR) (18,9%) (9,1% Placebo)(Angaben aus klinischen Studien).
IRRs waren leicht bis mittelschwer und das Auftreten nahm im Lauf der Zeit ab. Die berichteten Beschwerden waren vielfältig und reichten von gastrointestinalen Beschwerden, Erythem, Schwindel, Dyspnoe, Arthralgien bis zu Schmerzen im Brustraum, Kopfschmerzen und Muskelschmerzen; auch Hypotonie und Synkopen können auftreten (siehe auch Fachinfo).
Ödeme waren leicht bis mittelschwer.
7 der 194 Patienten (3,6 %) mit hATTR-Amyloidose entwickelten während der Behandlung Anti-Drug-Antikörper. Die Anti-Drug-Antikörpertiter waren niedrig und kurzzeitig, und es gab keine Hinweise auf eine Auswirkung auf die klinische Wirksamkeit, das Sicherheitsprofil oder die pharmakokinetischen oder pharmakodynamischen Eigenschaften.
(Angaben beziehen sich auf 300 Mikrogramm pro kg).
Patisiran unterliegt der erhöhten Pharmakovigilaz. Meldung unerwünschter Wirkungen über Nebenwirkungen Bund.
Wechselwirkungen
Patisiran bewirkt keine Inhibiton oder Induktion von Cytochrom P450 Enzymen oder Transportern; (mit Ausnahme von CYP2B6: in vitro Inhibition und Induktion in höheren als klinisch relevanten Dosen. Relevanz in vitro nicht bekannt).
Patisiran ist kein Substrat von Cytochrom P450 Enzymen.
Senkung des TTR geht mit Senkung des Vitamin A Spiegels einher, daher ist gleichzeitige Substitution von Vitamin A notendig (siehe Dosierung und Art der Anwendung bzw. Fachinfo).
Kontraindikation
Starke Überempfindlichkeit (z. B. Anaphylaxie) gegen den Wirkstoff oder einen der Bestandteile.
Patisiran wurde nicht untersucht bei mittelschwerer oder schwerer Leberfunktionsstörung sowie bei schwerer Nierenfunktionsstörung/terminaler Niereninsuffizienz und sollte daher nicht angewendet werden, es sei denn, der erwartete klinische Nutzen übersteigt das potenzielle Risiko.
nicht anwenden in der Schwangerschaft und Stillzeit.
Vorsichtsmaßnahmen:
Vitamin-A-Mangel: Durch Reduktion des Transthyretin (TTR)-Proteins im Serum führt die Behandlung zu einer Verringerung der Vitamin-A-Spiegel (Retinol) im Serum. Vor Einleitung einer Therapie sollten Vitamin A Spiegel bestimmt und ggf. falls zu niedrig oder grenzwertig korrigiert und okuläre Symptome oder Krankheitszeichen aufgrund eines Vitamin A Mangels untersucht, beurteilt und behandelt werden.
Begleitende Substitution mit Vitamin A in einer Dosierung von ungefähr 2 500 IE bis 3 000 IE pro Tag (jedoch nicht mehr) begleitend zur Therapie sollte immer durchgeführt werden, um das potenzielle Risiko okulärer Symptome aufgrund eines Vitamin A Mangels zu reduzieren. Ophthalmologische Abklärung okuläre Symptome ist immer angeraten insb. bei verminderter Sehfähigkeit in der Nacht oder Nachtblindheit, dauerhaft trockene Augen, Augenentzündung, Hornhautentzündung oder -ulzeration, Hornhautverdickung oder -perforation.
Präparate
Onpattro® 2 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung (Alnylam).
Literatur
Adams D, Gonzalez-Duarte A, O’Riordan WD et al (2018) Patisiran, an RNAi Therapeutic, for Hereditary Transthyretin Amyloidosis. N Engl J Med;379(1):11-21 doi/full/10.1056/NEJMoa1716153.
Adams D, Wixner J, Polydefkis M et al (2025). Five-Year Results With Patisiran for Hereditary Transthyretin Amyloidosis With Polyneuropathy A Randomized Clinical Trial With Open-Label Extension. JAMA Neurol. 82(3):228-236. https://jamanetwork.com/journals/jamaneurology/fullarticle/2828606.
Schmidt HH, Wixner J, Planté-Bordeneuve V et al (2022). Patisiran treatment in patients with hereditary transthyretin-mediated amyloidosis with polyneuropathy after liver transplantation. Am J Transplant. 22(6):1646–1657. doi: 10.1111/ajt.17009.
Fachinfo Patisiran Onpattro® (Alnylam)