Kostoklavikuläres SyndromG54.0
Synonym(e)
Erstbeschreiber/Historie
Die Erstbeschreibung eines Kompressionssyndroms des Plexus brachialis stammt von Sir Astley Cooper aus dem Jahre 1817, die des Halsrippensyndroms 1861 von Coote et al., der Kompression der 1. Rippe von Murphy et al. 1910, das Scalenus- anticus- Syndrom wurde 1935 von Ochsner et al. beschrieben und das kostoklavikuläre Kompressionssyndrom von Falconer et al. im Jahre 1943.
Erst im Jahre 1956 erkannte Peet die Ähnlichkeit der Symptome und fasste diese als Oberbegriff „Thoracic- outlet- Syndrom“ zusammen (König 2008).
Die erste operative Resektion einer Halsrippe bei neurovaskulären Beschwerden erfolgte bereits im Jahre 1861 durch Coote. Die Resektion auf transaxillärem Weg publizierte Roos im Jahre 1966. Dieses Verfahren erlangte bis Mitte der 70 er Jahre besondere Bedeutung wegen der guten Ergebnisse. Ein supraklavikuläres Resektionsverfahren wurde 1980 von Murphy et al. beschrieben. Inzwischen sind auch endoskopische Verfahren beschrieben worden (Bürger 2014).
Definition
Unter einem kostaklavikulären Syndrom versteht man eine palpatorische Enge zwischen der 1.Rippe und der Klavikula (Herold 2025), bei der es zu einem Engpasssyndrom des Plexus brachialis, der A. axillaris und der V. axillaris kommen kann (Heisel 2007).
Einteilung
Man unterteilt das kostoklavikuläre Syndrom entsprechend der komprimierten Strukturen ein in:
- neurogene Form, diese tritt mit 95% am häufigsten auf
- arterielle Form, die bei ca. 1% die seltenste Form darstellt
- venöse Form, die bei ca. 2-3% zu finden ist (Panther 2022 / Masocatto 2019)
Das kostoklavikuläre Syndrom zählt zum Thoracic- outlet- Syndrom (TOS)
Zum „TOS“ werden außerdem folgende Syndrome subsumiert:
- Scalenus- Halsrippensyndrom: Hierbei kommt es zu einer Verengung der hinteren Skalenuslücke mit Auslösen verschiedener Symptome wie z. B. Schmerzen im Schulter- Nackenbereich, Parästhesien des ulnaren Unterarms, der Handkante und des 4. bzw. 5. Fingers, Atrophie der kleinen Handmuskeln bzw. Parese der kleinen Handmuskeln bei bestimmten Körperhaltungen (Hettenkofer 2003).
- M. scalenus- anterior- Syndrom
- Hyperabduktionssyndrom
- M. pectoralis- minor- Syndrom (Bürger 2014)
- Kompression der A. subclavia: Dies führt zu einer Veränderung der Farbe und Temperatur des betroffenen Armes. Der Puls ist an dieser Seite abgeschwächt (Fliegel 2023).
- Kompression der V. subclavia: Hierbei ist die betroffene Extremität bläulich verfärbt und geschwollen, da das Blut nicht zurückfließen kann (Fliegel 2023).
- sekundäres Raynaud- Syndrom (Hettenkofer 2003)
Vorkommen/Epidemiologie
Das TOS und TIS ((Thoracic-inlet-Syndrom) werden in älteren Schriften eher dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahre 2011 hingegen sprechen von 888 Männern und 808 Frauen, die an einem TOS erkrankten. Dabei lag der Altersgipfel zwischen 40 und 60 Jahren (Eckstein 2013).
Ätiopathogenese
- Steilstellung der 1. Rippe
- durch eine Thoraxdeformität bedingte Thorakolumbalskoliose
- hypertrophe Kallusbildung nach Klavikulafraktur
- mechanische Belastung bei z.B. Soldaten durch Tragen eines Rucksacks, auch als sog. „Rucksacklähmung“ oder als „Steinträgerlähmung“ bezeichnet (Heisel 2007)
- Tumoren der Klavikula (Bullermann-Benend 2025)
Klinik
Beim Tragen von Lasten kommt es typischerweise beim kostoklavikulären Syndrom zu einer Annäherung der Klavikula an die 1. Rippe und damit verbunden zu einer Kompression des Plexus brachialis (Hettenkofer 2001). Bei Über-Kopf-Arbeiten kann es durch Kompression der A. subclavia zu einem Pulsverlust mit Schweregefühl, Krafteinbuße und Zyanose kommen (Hepp 2004).
Bei der neurogenen Form findet man überwiegend:
- Taubheitsgefühl
- Schwäche
- Schmerzen der betroffenen Extremität
- Parästhesien (Masocatto 2019)
Bei der venösen Form:
- starke Schmerzen
- Ödeme (Masocatto 2019)
Bei der arteriellen Form:
- Kältegefühl der betroffenen Extremität
- Blässe
- nichtradikuläre Schmerzen (Masocatto 2019)
Diagnostik
Es können zur weiteren Diagnostik folgende Tests eingesetzt werden:
- Adson-Test
Hierbei kommt es durch Kompression der A. subclavia zu Blässe der Hand, einem Kältegefühl, raschen Ermüdbarkeit der Muskulatur, Muskelkrämpfen und einem Stenosegeräusch der Arterie mit Pulsdefizit. Ausgelöst werden kann die Kompression der Arterie z.B. durch Tragen eines schweren Rucksacks (Hepp 2004).
- Hyperabduktion
Diese führt durch Überkopfarbeiten zu Schmerzen oder durch einen hochgeschlagenen Arm während des Schlafens (Hepp 2004).
- Abduktionstest
Beim Abduktionstest treten entsprechende Beschwerden auf, wenn der Arm in 90°-Abduktion und Außenrotation mit festem Faustschluss für 3 min gehalten wird (Hepp 2004).
Es sind folgende apparative Untersuchungen möglich:
- Standardröntgenaufnahme
- Dopplersonographie
- MRT oder Spiral-CT
- EMG
- NLG
- Arteriographie und Phlebographie sowohl in Neutral- als auch in Provokationsstellung (Hepp 2004)
Differentialdiagnose
- Erkrankungen des Bewegungsapparates, der HWS, des Schultergürtels oder des Arms wie z.B. Arthritis, Karpaltunnelsyndrom, Raynaud-Syndrom, Rotatorenmanschetten- Syndrom, Sehnenscheidenentzündung, Fibromyalgie, zervikale Radikulopathie, idiopathische Entzündung des Plexus brachialis, Pancoast-Tumor u.v.m. (Masocatto 2019).
Komplikation(en)/Assoziierte Erkrankungen
Durch Kompression kann es zu einer tiefen Venenthrombose der oberen Extremität kommen (Herold 2025)
Therapie
Neurogene Form:
Die neurogene Form wird zunächst mit Haltungsänderung, Physiotherapie (wie z B. das Eden-Manöver [Streeck 2006]) und medikamentös mit Entzündungshemmern therapiert. Falls diese Maßnahmen zu keiner Verbesserung der Symptomatik führen, kann die chirurgische Dekompression eine Option sein (Masocatto 2019).
Venöse Form:
Bei der venösen Form basiert die Therapie seit jeher auf Antikoagulantien. Jedoch zeigte sich in Studien, dass hierbei vermehrt Komplikationen in Form von wiederkehrenden Thrombosen, anhaltenden Schmerzen und Einschränkungen der Armbeweglichkeit auftragen. Inzwischen ist die gängige Therapie eine kontinuierliche Infusion von Plasminogenaktivator. Sofern die Therapie innerhalb von 2 Wochen nach Symptombeginn erfolgt, liegen die Erfolgsraten für die Wiederherstellbarkeit der Vena subclavia bei 100% (Masocatto 2019).
Arterielle Form:
Bei der arteriellen Form hängt die Therapie sehr von der betroffenen Struktur ab. Die wirksamste Therapie ist eine operative Maßnahme, die jedoch mit Komplikationen verbunden sein kann. Deshalb kann bei Patienten mit leichter akuter Ischämie die Embolisation einer kathetergesteuerten Thrombolyse vor der eigentlichen chirurgischen Therapie sinnvoll sein. Bei schweren Ischämien ist eine Embolektomie in Verbindung mit einer Thoracic-Outlet-Dekompression i.d.R. erforderlich (Masocatto 2019).
Literatur
- Bürger T (2014) Thoracic- outlet- Syndrom. 1 – 2 Aus: Gefäßmedizin Scan 1 DOI: http://dx.doi.org/10.1055/s-0034-1377914
- Bullermann-Benend M, Groeneveld M, Rolker S (2025) Praxishandbuch Ernährung in der Palliativmedizin Elsevier Urban und Fischer Verlag 221
- Eckstein H (2013) Kompressionssyndrom der oberen Thoraxapertur. Gefäßchirurgie 18 175-176
- Fliegel B E, Menezes R G (2023) Anatomy, Thorax, Cervical Rib. In: StatPearls, Treasure Island (FL) Bookshelf ID: NBK541001
- Heisel J (2007) Neurologische Differentialdiagnostik. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 115-116
- Hepp W R, Debrunner H U (2004) Orthopädisches Diagnostikum. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 114-115
- Herold G et al. (2025) Innere Medizin. Herold Verlag 830-831
- Hettenkofer H J, Droste U, Frenssen E, Hammer M, Kellner H, Miehle W, Miehlke R K, Neudorf U, Perniok A, Sattler H, Schmidt K, Schneider M, Späth M (2003) Rheumatologie: Diagnostik – Klinik – Therapie. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 216
- Hettenkofer H J (2001) Rheumatologie: Diagnostik-Klinik-Therapie. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 217
- Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education
- König W, Antoniadis G (2008) Kompressionssyndrome des Schultergürtels. In: Assmus H, Antoniadis G (2008) Nervenkompressionssyndrome. Steinkopff Verlag Deutschland 123
- Masocatto N O, Da-Matta T, Prozzo T G, Couto W J, Porfirio G (2019) Thoracic outlet syndrome: a narrative review. Rev Col Bras Cir. 46 (5) e20192243
- Panther E J, Reintgen C D, Cueto R J, Hao K A, Chim H, King J J (2022) Thoracic outlet syndrome: a review. J Shoulder Elbow Surg. 31 (11) e545-e561
- Streeck U, Focke J, Klimpel L, Noack D WManuelle Therapie und komplexe Rehabilitation. Band 1: Grundlagen, obere Körperregionen. (2006) Springer Verlag Heidelberg/ New York 341