Erworbene Hämophilie AD68.38;
Synonym(e)
Definition
Die erworbene Hämophilie A (AHA) ist eine seltene Blutungsstörung, die durch die spontane Bildung von inhibitorischen Autoantikörpern gegen den Gerinnungsfaktor VIII (FVIII) seltener gegen FIX verursacht wird .
Vorkommen/Epidemiologie
AHA hat eine geringe Inzidenz von etwa 1,5 Fällen pro Million Menschen. Das Vorkommen von AHA wird bei Hämophilie A bis zu 15 % der Fälle gefunden, meist bei schwerer Hämophilie. Das Risiko ist beim Mutationstyp mit großen Deletionen mehrerer Domänen am höchsten.
Ätiopathogenese
Ursächlich liegt eine erworbene Hemmkörperhämophilie zugrunde mit Auto-Ak-Bildung gegen F. VIII bei Autoimmunerkrankungen, nach Schwangerschaft, bei Malignomen, Gammopathie oder idiopathisch ohne vorbestehende Hämophilie. Insgesamt sind 50 % der AHA-Fälle idiopathisch und 50 % stehen im Zusammenhang mit Grunderkrankungen (Zanon E 2023).
Autoimmunerkrankungen: Bei Autoimmunerkrankungen kommt es vor allem bei rheumatoider Arthritis, systemischem Lupus erythematodes (SLE), Sjögren-Syndrom und Dermatomyositis zur Bildung von Autoantikörpern gegen FVIII.
Auch die Kombination mit anderen autoimmunologischen Basenbildungen wie Pemphigus vulgaris, Schleimhautpemphigoid, Bullöses Pemphigoid oder der Linearen IgA-Dermatose wurden beschrieben (Arakaki O et al. 2008; Fu PA et al. 2022;I rie H et al. 2016; Ishikawa O et al. 1993). Vereinzelte AHA-Fälle wurden in Assoziation mit einer Epidermolysis bullosa acquisita beschrieben (Didona D et al. 2024).
Neoplasien und AHA: Es wurde keine vorherrschende onkologische Erkrankung identifiziert, obwohl AHA häufiger mit soliden Organneoplasmen in Verbindung zu stehen scheint (Sborov DW et al. 2012).
Schwangerschaft und AHA: Anti-FVIII-Antikörper wurden während der Schwangerschaft beschrieben, treten jedoch häufiger in der postpartalen Phase bis zu einem Jahr nach der Entbindung auf (Zanon E 2023).
Medikamente: Zu den Medikamenten, die mit AHA in Verbindung gebracht werden, gehören Penicillin, Phenytoin, Sulfonamide, Interferon und Clopidogrel (Konstantinov K et al. 2022).
COVID und AHA: In der aktuellen Literatur finden sich Fälle, die auf einen möglichen Zusammenhang zwischen AHA und COVID-19 Infektionen sowie COVID-19-Impfung beschreiben (Zanon E 2023). So zeigten Patienten innerhalb von 1–3 Wochen nach Erhalt eines mRNA-Impfstoffs (Pfizer oder Moderna) Blutungen. Es wurden lebensbedrohliche Blutungen wie große intramuskuläre Hämatome, Hemarthrosen und sogar ein Hämothorax beobachtet (Guerra JD et al. 2022).
Manifestation
AHA ist eine Erkrankung, die am häufigsten bei älteren Menschen (Durchschnittsalter 64–78 Jahre), aber auch bei Kindern und in der postpartalen Phase beobachtet wurde.
Klinik
Verzögerte oder ausbleibende Blutstillung trotz Substitution von Faktor VIII. Mögliche großflächige (nicht petechiale Blutungen) Blutungen, Muskelblutungen, Gelenkblutungen.
Therapie
Eine Therapie sollte nur in Hämophilie-Zentren erfolgen:
Die Behandlung hat drei Ziele:
- Die Blutung stoppen
- Weitere Blutungen verhindern, indem der Hemmstoff und der für seine Produktion verantwortliche Klon beseitigt werden
- Die zugrunde liegende Ursache behandeln, sofern sie identifiziert wurde
Die Schnelligkeit und Angemessenheit der Behandlung und des Managements sind von entscheidender Bedeutung. Bei Blutungsereignissen zielt die Behandlung in erster Linie darauf ab, die akute Blutung schnell zu kontrollieren und den Inhibitor zu beseitigen, um das Risiko einer erneuten Blutung zu minimieren, das bei Vorhandensein des Anti-FVIII-Inhibitors bestehen bleibt. Während die Behandlung akuter Blutungen eine wichtige Priorität in der AHA-Versorgung darstellt, bluten nicht alle Patienten und nicht alle Blutungen erfordern eine Intervention.
Patienten mit schweren Blutungen und einem Abfall des Hämoglobinspiegels benötigen eine sofortige hämostatische Behandlung. Patienten mit leichten/mittelschweren Blutungen ohne signifikanten Abfall des Hämoglobinspiegels benötigen möglicherweise keine sofortige hämostatische Therapie. Dennoch können sie jederzeit schwere Blutungen entwickeln und müssen daher aufmerksam beobachtet werden. Patienten mit hohem Blutungsrisiko (kürzlich durchgeführte Operation, kürzliche Entbindung usw.) benötigen eine prophylaktische hämostatische Therapie. Die Einführung von Bypass-Mitteln wie aktivierten Prothrombinkomplexkonzentraten (aPCC) (Faktor-VIII-Inhibitor-Bypass-Aktivität (FEIBA), verabreicht in einer Dosis von 50–100 U/kg alle 8–12 Stunden mit einer maximalen Dosis von 200 U/kg/24 Stunden); rekombinanter aktivierter Faktor VII (rFVIIa, NovoSeven, in einer Dosis von 90–120 μg/kg alle 2–3 Stunden) und seit kurzem auch FVIII porcine in einer Anfangsdosis von 200 IE/kg hat die Behandlung akuter Blutungen erheblich verbessert (Zanon E 2023) .
Bei hochtitrigen Alloantikörpern soll eine kausale Therapie des Hemmkörpers durch die Erzeugung einer Immuntoleranz mittels hochdosierter Faktorgabe (Immuntoleranztherapie, bei Hemmkörperhämophilie B in Kombination mit einer immunmodulierenden Therapie) erfolgen. Bei Autoantikörpern ist zur Eradikation des Antikörpers eine immunsuppressive Therapie (z.B. Prednisolon, Cyclophosphamid, Rituximab) indiziert.
Infektionsrisiko und AHA: Früher wurden viele Hämophiliepatienten durch F. VIII-Präparate und Bluttransfusionen infiziert mit HBV, HCV und HIV. Das Risiko einer Übertragung pathogener Viren (z.B. HIV, HSV, EBV, CMV, HBV, HCV) soll bei hochgereinigten und virusinaktivierten Faktorenkonzentraten nicht bestehen und ist bei Verwendung rekombinanter Faktorenpräparate ausgeschlossen. Alle Patienten gegen Hepatitis B impfen!
Genetische Beratung: Alle Patienten mit hereditärer hämorrhagischer Diathese werden genetisch beraten + Familienuntersuchung.
Literatur
- Arakaki O et al. (2008) Case of linear immunoglobulin A bullous dermatosis associated with acquired hemophilia. J Dermatol 35:437-46.
- Barranca A et al. (2022) A nationwide study evaluating the association of autoimmune bullous diseases and acquired haemophilia: description of clinical and prognostic features. Br J Dermatol. 186:899-902.
- Didona D et al. (2024) A patient with concomitant epidermolysis bullosa acquisita, acquired hemophilia and disseminated warts. J Dtsch Dermatol Ges 22:591-593.
- Filipczak A et al. (2015) Coexistence of pemphigus foliaceus and acquired hemophilia A: a case report. J Dermatol 42:638–641.
- Fu PA et al. (2022) A case of acquired hemophilia A and bullous pemphigoid following SARS-CoV-2 mRNA vaccination. J Formos Med Assoc 121:1872-1876.
- Guerra JD et al. (2022) A Case of Acquired Hemophilia A in a Patient with Exposure to COVID-19. Case Rep. Hematol 2022:9494249.
- Irie H et al. (2016) Anti-BP180 mucous membrane pemphigoid associated with acquired haemophilia A in a patient who suffered from life-threatening mucosal bleeding. J Eur Acad Dermatol Venereol 30 :e199-e201.
- Ishikawa O et al. (1993) Pemphigus vulgaris associated with acquired hemophilia A due to factor VIII inhibitor. Acta Derm Venereol 73:229-230.
- Koh XQ et al. (2023) Case Report of a Novel Association between Anti-p200 Pemphigoid and Acquired Haemophilia A. Ann Dermatol 35:61-65.
- Konstantinov K et al. (2022) Drug-Associated Acquired Hemophilia A: An Analysis Based on 185 Cases from the WHO Pharmacovigilance Database. Haemophilia: doi: 10.1111/hae.14692.
- Nagano T et al. (2004) A case of epidermolysis bullosa acquisita with bleeding tendency due to factor VIII inhibitor (acquired haemophilia). Br J Dermatol 151:716-717.
- Sborov DW et al. (2012) Acquired Hemophilia a: A Current Review of Autoantibody Disease. Clin. Adv. Hematol 10:19–27.
- Tiede A et al. (2023) Emicizumab prophylaxis in patients with acquired haemophilia A (GTH-AHA-EMI): an open-label, single-arm, multicentre, phase 2 study. Lancet Haematol. 10:e913-e921.
- Zanon E (2023) Acquired Hemophilia A: An Update on the Etiopathogenesis, Diagnosis, and Treatment. Diagnostics (Basel) 13:420.