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Pemphigus foliaceus, endemischer L10.3
Synonym(e)
Erstbeschreiber/Historie
Definition
Endemische Variante des Pemphigus foliaceus (PF), die v.a. in Südamerika (v.a. Brasilien) vorkommend.
Eine endemische Variante, die im Süden Tunesiens beobachtet wird, zeichnet sich durch eine deutlich höhere Inzidenzrate im Vergleich zur sporadischen Form in nördlichen Ländern, das Auftreten hauptsächlich bei jungen Frauen und das Fehlen von Fällen im Kindesalter aus (Masmoudi H et al. 2019).
Vorkommen/Epidemiologie
Endemisch in einigen ländlichen Gegenden entlang von Flüssen, insbes. in Brasilien, Kolumbien, El Salvador, Paraguay, Peru, Argentinien und Tunesien.
Prävalenz: bis zu 5% der Bevölkerung von Endemiegebieten.
Vereinzelt wurden auch sporadische Fälle beschrieben.
Ätiopathogenese
Autoimmunkrankheit mit Bildung von IgG4-Autoantikörpern gegen Desmoglein 1.
Umwelt: Diskutiert werden infektiöse (virale) Genese, Assoziationen mit häufig auftretenden Insektenstichen durch Simulium sp. ("black fly"; Simulium nigrimanum) sowie Reaktionen gegen Umwelt-spezifische Antigene in Endemiegebieten. Bei den endemischen Varianten des Pemphigus foliaceus (PF) in Brasilien und Tunesien finden sich IgG4-Antikörper gegen Speichelproteine von Sandfliegen, die mit Desmoglein 1 (Dsg1) reagieren. Inwieweit diese Speichelproteine bei EPF aus Brasilien (Lutzomyia longipalpis) und Phlebotomus papatasi (P. papatasi) bei EPF aus Tunesien auslösend eine Rolle spielen, bleibt derzeit noch spekulativ. Dennoch wird eine molekulare Mimikry und ein „Epitope spreading“ diskutiert (Li N et al. 2022).
Genetik: Nachweislich sind mehrere genetische Polymorphismen und variable Expressionsniveaus im Leukozytenrezeptorkomplexes (LRC) mit dieser genetischen Form des Pemphigus foliaceus assoziiert. Mehrere SNPs (Single Nuclear Polymorphismen) sind mit einer unterschiedlichen Anfälligkeit für PF assoziiert:
- Die intergene Variante rs465169, die sich in einer Region befindet, die möglicherweise mehrere immunbezogene Gene reguliert, darunter VSTM1, LILRB1/2, LAIR1/2, LILRA3/4 und LENG8.
- Die SNPs rs35336528 und rs1865097 in den Genen LENG8 und FCAR.
- Nachweislich sind weitere vier Haplotypen mit SNPs innerhalb der Gene KIR3, DL2/3, LAIR2 und LILRB1 mit PF assoziiert. Diese Polymorphismen finden in Genen statt, die an der B-Zell-Entwicklung und der Antikörperproduktion beteiligt sind (Farias TDJ et al. 2019)
Manifestation
Lokalisation
Klinik
Je nach Schwere der Erkrakung untgerschiedliche Krankheitsbilder. Stets finden sich flache, rasch platzende Blasen, sodass disseminierte kleinflächige Erosionen vorherrschen können. Bei längerer Persistenz großflächige Plaques mit Blasen, Erosionen, groblamellären Schuppungen, flächigen Krusten. Brennen der Haut ("wildes Feuer").
Keine Mukositis!
Übergang in sekundäre Erythrodermie nach Jahren möglich (s. Abb.). Diese ist gekennzeichnet durch groblamelläre Schuppungen und flächige Erosionen.
Meist finden sich polymorphe Bilder, die durch gleichzeitiges Vorkommen von bullösen, papillomatösen, verruciformen, pustulösen gfls. hyperpigmentierten Hautveränderungen gekennzeichnet sind.
Nikolski-Phänomen I stets positiv.
Histologie
S.u. Pemphigus foliaceus. Akantholytische Blasenbildung. Unspezifische entzündliche Infiltrate in der oberen Dermis.
Direkte Immunfluoreszenz
Bei aktiver Erkrankung immer nachweisbare Ablagerungen von IgG und/oder sowie C3 in den interzellulären Räumen der Epidermis. Die Biopsie muss aus scheinbar normaler Haut in der Nähe der FS-Läsion entnommen werden.
Indirekte Immunfluoreszenz
Therapie
Vor Beginn der Behandlung sollten ein großes Blutbild, Kreatinin, Serum-Natrium und -Kalium, Alanin-Transaminase (ALT), Aspartat-Transaminase (AST), Gamma-Glutamyltransferase, alkalische Phosphatase, Serumproteine, Blutzucker, Hepatitis-B- und -C-Serologie, HIV-Serologie und eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs angeordnet werden. Zusätzliche Empfehlungen sind die Ausschlussuntersuchung auf IgA-Mangel vor der Verabreichung von intravenösem Immunglobulin, die Bestimmung der Thiopurin-Methyltransferase-Enzymaktivität vor der Gabe von Azathioprin, eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens (optional), ein Tuberkulin-Hauttest oder ein Quantiferon-TB-Test bei hohem TB-Risiko, Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel, Bilirubinspiegel und Retikulozytenparameter vor Dapson; β-HCG-Test zum Ausschluss einer Schwangerschaft, Knochenmineraldichte vor Kortikosteroidtherapie und ophthalmologische Untersuchung zum Ausschluss von Glaukom und Katarakt. Neben einer Koproparasitologie wird eine Prophylaxe gegen Strongyloidiasis empfohlen.
Bei lokalisierten Formen mit einer begrenzten Anzahl von Läsionen (bis zu 1 % der Körperoberfläche) werden topische Kortikosteroide (mit mittlerer bis hoher Wirkstärke), intraläsionale Kortikosteroide (Triamcinolonacetonid 2–3 mg/ml) oder Calcineurin-Inhibitoren verwendet. In Verbindung mit einer topischen Therapie kann Dapson in einer Dosierung von 50–100 mg pro Tag verschrieben werden. Bei einigen Patienten kann niedrig dosiertes Prednison (0,25 mg/kg/Tag) verschrieben werden.
Systemische Kortikosteroide (Prednison/Prednisolon) werden in einer Dosis von 0,5 mg/kg/Tag verordnet, wenn die topische Behandlung zur Kontrolle der Krankheitsaktivität nicht ausreicht oder wenn sich der Hautzustand mit einer Zunahme der Läsionen verschlechtert. Bei schweren disseminierten Formen beträgt die Dosis 1 mg/kg/Tag Prednison oder Prednisolon. Die systemische Kortikosteroidtherapie ist nach wie vor die am häufigsten angewendete und anerkannte Behandlungsoption.
Die frühzeitige Zugabe von „kortikosteroidsparenden Medikamenten“ wie Methotrexat, Azathioprin und Mycophenolatmofetil ist wichtig. Bei der Wahl einer adjuvanten Therapie sind unter anderem die Verfügbarkeit, die Kosten und die Nebenwirkungen des Medikaments zu berücksichtigen.
Immunsuppressiva (adjuvante Therapie der ersten Wahl):
- Optimale Adjuvanzien sind Azathioprin und Mycophenolatmofetil. Azathioprin (AZA) wird in einer Dosierung von 1–3 mg/kg/Tag angewendet, beginnend mit 50 mg/Tag und schrittweise erhöht; wenn möglich, sollte vor Beginn der Behandlung die Thiopurin-Methyltransferase-Aktivität überprüft werden, da niedrige Konzentrationen des Medikaments das Knochenmark beeinträchtigen können. Mycophenolatmofetil (MFM) oder Mycophenolsäure wird in einer Dosis von 2 g/Tag verabreicht, beginnend mit 1 g/Tag und einer Erhöhung um 500 mg/Woche, um die Magenverträglichkeit zu verbessern. Dies ist eine ausgezeichnete, aber teure Option.
- Methotrexat (MTX) ist aufgrund seiner geringen Kosten und leichten Verfügbarkeit eine interessante Option, jedoch hepatotoxisch. Es wird in einer Dosis von 7,5 bis 25 mg/Woche an einem Tag oder an zwei aufeinanderfolgenden Tagen verabreicht. Nach 24 Stunden muss Folsäure in einer Dosis von 5 mg verschrieben werden. Alkohol, Sulfonamide und Allopurinol dürfen nicht gleichzeitig angewendet werden.
- Bei milden Formen kann Dapson (DDS) 100 mg/Tag oder bis zu 1,5 mg/kg/Tag verwendet werden, da es auch eine kortikosteroidsparende Wirkung hat; jedoch sollte zuvor die Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase (G6PD)-Aktivität überprüft werden. Die Effizienz von Dapson ist bei dieser Erkrnakung umstritten.
- Cyclophosphamid in einer Dosis von 500 mg IV Bolus oder 2 mg/kg/d hat eine kortikosteroidsparende Wirkung, jedoch sollte die Möglichkeit von Sterilität, hämorrhagischer Zystitis und sekundären malignen Neoplasien berücksichtigt werden.
Alternativ:
- Rituximab (monoklonaler Anti-CD20-Antikörper) ist indiziert, wenn der Patient zuvor auf eine Behandlung nicht angesprochen hat oder wenn Prednison in Dosen von mehr als 100 mg/Tag in Verbindung mit einer immunsuppressiven Therapie über mehr als 6 Monate erforderlich ist. Es wurde als Pulstherapie in einer Dosis von 1 g i.v., wiederholt nach 15 Tagen (Rheumatoide Arthritis-Protokoll), oder sogar 375 mg/m2/wöchentlich in vier Sitzungen (Lymphom-Protokoll) angewendet. Niedrigere Dosen sind unwirksam. Bei Bedarf kann die Behandlung nach 6 Monaten wiederholt werden. Es kann mit Prednison in einem Remissionsschema von bis zu 4 Monaten oder einem immunsuppressiven Schema von bis zu 12 Monaten kombiniert werden. Zu den Nebenwirkungen zählen Infektionen (etwa 10 %) und in seltenen Fällen das Stevens-Johnson-Syndrom und progressive multifokale Leukoenzephalopathie (letztere ist eine potenziell tödliche Komplikation).
- Intravenöses Immunglobulin (IVIg) ist auch bei Patienten mit schwerer Therapieresistenz oder bei Patienten mit erheblichen Nebenwirkungen angezeigt. Es wurde zunächst bei schweren, disseminierten Fällen von Pemphigus eingesetzt, da die klinische Reaktion schneller einzutreten scheint. Empfohlen werden Dosen von 2 bis 3 g/kg/Zyklus (Zyklus von 4 bis 5 aufeinanderfolgenden Tagen) alle 30 Tage. Systemische Kortikosteroide und adjuvante Medikamente, die in Kombination mit Rituximab angewendet wurden, werden beibehalten. Als seltene Nebenwirkung wurde aseptische Meningitis berichtet. Vor Beginn dieser Behandlung sollte ein IgA-Mangel ausgeschlossen werden.
Verlauf/Prognose
Hinweis(e)
Literatur
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